West Ham, Millwall, Twickenham – Ein Wochenende in London

Dem Ein oder Anderen wird auf Twitter meine (wieder)gewonnene Begeisterung für American Football schon aufgefallen sein. Dies hatte zur Folge, dass wir recht früh ein Familienwochenende für diesen Oktober in London geplant hatten, direkt nachdem die NFL ihre diesjährigen London Games veröffentlichte.

(Kleiner Einschub: All das, was viele momentan an jenem “modernen” Fußball so sehr stört, größtenteils ja auch zurecht, ist natürlich im Football noch viel Extremer. Während im Fußball schon bei den aktuellen Werbetouren in Sommer- oder Winterpause die Nase gerümpft wird oder bzgl. einiger Eskapaden im Englischen Profifußball (Pokalauslosung für den asiatischen TV-Markt etc.) aufgestöhnt wird, ist die NFL hier natürlich schon einige Schritte oder gar Kilometer weiter.
Die “London Games” feierten dieses Jahr ihr Zehnjähriges Bestehen, wohlgemerkt für Pflichtspiele! Außerdem gibt es nun auch jährlich ein Spiel in Mexiko, eine Erweiterung auf Asien ist angedacht – und am Ende könnte es auch immer noch eine feste Verlegung  eines Teams nach London geben.
Aktuell baut Tottenham Hotspurs seine White Hart Lane neu – in Zusammenarbeit mit der NFL, um dort dann zukünftig die London Games dauerhaft auszurichten, die aktuell noch in Wembley und Twickenham (quasi das Wembley für Rugby) stattfinden.
Das Geld dabei keine Rolle spielt und man auch durchaus neue Wege geht, kann man u.a. in diesem Video sehen:

All dies steht natürlich in völligem Gegenspruch zu meiner Sicht auf den Fußball, speziell in Europa, konkret in Deutschland, insbesondere im Blick auf “meinen” FC St.Pauli.
Und diesen Widerspruch kann ich auch nicht wirklich auflösen, außer durch die Begründung: “Beim Football weiß ich vorher, dass es so ist.”
Einschub Ende.)

Der Hinflug wurde für Freitag früh gebucht, zurück am späten Montag – ideale Anpassung an die Schulferien.
Der Freitag stand dann im Zeichen des ersten groben Sightseeings, Junior war ja noch nie in London.
Dank OysterCard ist die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs in London auch tariftechnisch nochmal viel einfacher geworden als es bei meinen letzten Besuchen der Fall war, so wurden u.a. der Buckingham Palace, Picadilly Circus, Trafalgar Square, Big Ben und Hamley’s abgehakt.
Dementsprechend qualmten abends trotzdem ein bisschen die Füße und für die Gattin und Junior war klar, dass es nicht mehr viel Bewegung geben würde.

West Ham United – Brighton & Hove Albion

Ich selbst hatte noch mit dem Heimspiel von West Ham geliebäugelt, die ab dieser Saison bekanntlich im Olympiastadion bzw. “London Stadium” spielen.
Tagsüber gab es auf der Vereinshomepage noch Tickets für das 20.00h-Spiel über die Vereins-Tauschbörse ab ca. 40 Pfund – leider fiel meine Entscheidung erst um 18.06h und plötzlich ging da nichts mehr. Zwei Stunden vor Anpfiff wird der Verkauf komplett eingestellt – da war ich etwas zu spät.
Egal, trotzdem hingefahren. Und beim Verlassen der U-Bahn waren es dann zwar nicht die gleichen Gesichter an Schwarzmarkthändlern wie in Hamburg, aber schon der gleiche Schlag Mensch. Scheinheilig nach Tickets fragen, zwei Meter weiter steht der Kumpel und vertickt die soeben erworbenen Dokumente gegen ein Vielfaches. Überall das gleiche System – aber gerade in einer Stadt mit zig Tausenden von Touristen natürlich äußerst lukrativ – zumindest wenn diese nicht auf die Vereins-Tauschbörse schauen oder (wie ich) etwas zu schusselig bzw. zu spät dran sind.

Weitermarschiert, einen “Fan Liaison Officer” angesprochen, der mir jene Zwei-Stunden-Regel erläuterte und gleichzeitig mit auf den Weg gab, dass der Kauf / Verkauf von Tickets “strictly illegal” sein und ich mir nur dann noch Hoffnung machen dürfte, wenn ich rein zufällig in einem Gespräch von jemandem welche angeboten bekommen würde. Die Polizei würde dies auch sehr streng beobachten.
Gut, vielleicht sollte die mal zurück zur U-Bahn gehen…
Am Ticket Office (ca. 45 Minuten vor Anpfiff) lief dann auch tatsächlich niemand mit Tickets herum, zumindest nicht offen. Der suchende Blick führte dann doch dazu, dass ich von zwei Personen angesprochen wurde, allerdings ging das hier bei ca. 80 Pfund los. Einer der Beiden ging dann schnell auf 50 Pfund runter, allerdings wollte ich das dann aus Prinzip nicht bei diesen Jungs kaufen.

So stand ich also etwas unschlüssig kurz hinter der Sicherheitskontrolle (die hier vor dem eigentlichen Stadionumlauf und deutlich vor der Ticketkontrolle stattfindet), schaute mir die Personen an, die da so ankamen und fragte größere Gruppen, ob diese noch ein Ticket hätten.
Irgendwann kam dann eine Deutschsprachige Gruppe und diese hatte dann tatsächlich noch ein Ticket über. Vielen Dank und beste Grüße an die Jungs aus Münster.

Das Stadium selbst wirkt innen dann etwas merkwürdig, da die bei Olympia genutzte Laufbahn auf den Geraden mit grünem Teppich überdeckt ist, während die Kurven  näher ans Feld rangebaut wurden – wodurch die alten Kurvenplätzen (zumindest im Unterrang) dahinter noch im Dunklen zu erahnen sind.

London Stadium, WestHam FC – Brighton & Hove Albion

Erstaunlich auch die Getränke-Preispolitik. Kostet ein Bier vor dem Spiel 3,50 GBP, so ist es während des Spiels für 4,90 GBP zu erwerben. Finde ich gar nicht so schlecht, allerdings gilt dies auch für Softdrinks bzw. Wasser in ähnlichen Dimensionen, wo ich es eher sinnlos bzw. frech finde.
Grundsätzlich gilt, wie in allen Stadien der oberen englischen Ligen, dass man keinen Alkohol mit auf die Ränge nehmen darf.

Als Intro lief dann “I’m forever blowing bubbles“, dazu mehrere Seifenblasen-Maschinen im Innenraum. Auch hier wieder bemerkenswert, dass das Stadium sechs Minuten vor Anpfiff noch fast komplett leer, zum Anpfiff dann aber komplett gefüllt ist.

Das Spiel selbst verlief weniger eindeutig, als es das Ergebnis von 0:3 vermuten lässt.
West Ham (mit Arnautovic und Chicharito… wusstet Ihr eigentlich, dass letzteres… jaja, schon gut) war zwar durchweg feldüberlegen, wusste daraus aber zu wenig zu machen oder vergab die Chancen kläglich.
Brighton hingegen setzte seine Konter clever und gewann so auch nicht unverdient.

Ein weiteres Merkmal Englischer Stadionkultur ist ja, dass der Gästeblock auch wirklich ein Gästeblock ist. Will sagen: Gerade in größeren Stadien sieht man in Deutschland immer mal wieder kleinere Grüppchen oder zumindest Einzelpersonen auch außerhalb des Gästeblocks bei Auswärtstoren jubeln.
Hier eskaliert der Gästeblock zwar auch komplett, aber außerhalb dessen jubelt eben niemand. Wirklich niemand!
Und dies, obwohl es nun wirklich nicht unmöglich gewesen wäre, Tickets im Rest des Stadions zu bekommen und der Gästeblock komplett ausverkauft war.

Durch das klare Ergebnis aber war es dann doch vom Support her recht schnell unspektakulär, ab der 70.Minute leerte sich der Heimbereich immer schneller. Diejenigen, die geblieben waren, belohnten ihr Team dann zum Abpfiff mit einem gellenden Pfeifkonzert.

Millwall FC – Birmingham City FC

Samstag gab es zunächst Juniors persönlichen Wochenend-Höhepunkt, als er bei einer Autogrammstunde einen seiner drei Lieblingsspieler der Arizona Cardinals treffen durfte, Tyrann Mathieu.
Leuchtende Kinderaugen, als hätten mich damals Leonardo Manzi, Carsten Pröpper und Wynton Rufer gemeinsam zum Essen eingeladen.

Doch zurück zum Fußball: Junior sollte seinen nächsten Länderpunkt machen – und vom Termin her fiel Tottenham – Liverpool durch die Sonntagsansetzung leider raus, er “musste” also in der 2.Liga beginnen.
Ich hatte die besondere Historie von Millwall mit Birmingham nicht mehr so auf dem Zettel (basierend in jüngster Zeit insbesondere auf Ausschreitungen nach einem PlayOff-Spiel 2002), doch nachdem einige Personen bereits vor dem Spiel nicht etwa “Millwall? Oha!” sondern immer wieder “Ui, gegen Birmingham? Auhauerha!” antworteten, war schnell klar, dass es sich um ein besonderes Spiel handeln würde.

Die Anreise mit Tube und Bus verlief entspannt… und dann steht eben plötzlich “The Den” vor einem, bzw. in jener Seitenstraße.
Drumrum diverse (günstige) Verpflegungs- und Merchandise-Stände und in der Kurve dann im Ober- und Unterrang zwar weiterhin nur Sitzplätze, aber immerhin freie Platzwahl.
Unsere fiel auf den Unterrang und direkt hinterm Tor, wie sich später herausstellen sollte eine perfekte Wahl.

Millwall FC – Birmigham City FC

Let ’em come!” vor dem Spiel hörte sich schon mal ganz gut an, schnell wurde dann auch im Stadion die besondere Rivalität spürbar. Birmingham war in der gegenüberliegenden Kurve komplett im Oberrang untergebracht, der auch voll war, der Unterrang blieb leer.
Millwall hatte seine Erlebnisorientierte Fraktion hauptsächlich im Oberrang der Gegengerade untergebracht, nah an der Gästekurve.
Akustisch von Birmingham ziemlich okay, Millwall zunächst eher nur solide.
So konnte Junior seine Konzentration dem Herrn schräg hinter uns widmen, der permanent die Gästespieler mit Feedback beglückte. “Fuckin’ wanker!” war seine Standard-Begrüßung, was natürlich irgendwann von Junior übersetzt werden wollte. Zusätzlich machte der Herr dabei immer eine leicht wedelnde Handbewegung…
Nun ja, man lernt ja auch fürs Leben, also übersetzte ich zunächst den Begriff und erklärte dann auch auf Nachfrage ganz sachlich die Handbewegung: “Dies soll bedeuten, dass der Gegner andauernd an seinem Penis rumspielt.
Der Tag war gelaufen, Junior kam aus dem Lachen nicht mehr raus, insbesondere da jener Herr direkt danach ca. 20x ununterbrochen “Wanker! Wanker! Wanker!” rief.
Erst als ich Junior sanft darauf hinwies, doch bitte wieder nach vorne zu schauen, ehe der Herr auch noch zu uns näheren Kontakt aufnehmen würde, konnte es weitergehen.

Supporttechnisch war neben dem “No one likes us!” (und der Birminghamschen Erwiderung “No one likes you!”) für mich das langgezogene “Miiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiill” am beeindruckendsten. Wurde es in der ersten Halbzeit noch eher zögerlich eingesetzt (und bei uns auch fast ausschließlich vom Herrn hinter uns, wenn er nicht gerade damit beschäftigt war die Gegner als Wichser zu bezeichnen), so kam das in Hälfte 2 nach der Führung doch schon recht gut und laut an und steigerte sich dann eben immer wieder über die Tribünen, teilweise über 20-30 Sekunden, ohne Pause.
Mal was ganz anderes als das normalerweise übliche Stakkato-Anfeuern nach Torchancen.

Millwall gewann schließlich mit 2:0 und Junior hatte fortan Einiges zu erzählen, da beide Tore direkt vor unserer Nase fielen hatten wir auch beste Sicht.

Twickenham (Rams – Cardinals)

Am Sonntag dann schließlich der eigentliche Grund unseres Besuchs: Das NFL-Spiel der LA Rams gegen die Arizona Cardinals in Twickenham.
Wer jetzt vom Stadionnamen noch nie was gehört hat: Es ist das zweitgrößte Stadion Englands – und eben das weltgrößte Rugby-Stadion, quasi das Wembley für Rugby, in dem sonst die Englische Nationalmannschaft ihre Heimspiele austrägt und sich nebenbei auch noch das Rugbymuseum befindet.

Das Spiel sollte erst um 18.00h Ortszeit beginnen, es wurde aber allen dringend eine Anreise um und bei 12.00h – 14.00h empfohlen. So machten also auch wir uns zeitig auf den Weg und tatsächlich war das eine gute Idee.
Twickenham liegt ein gutes Stück südwestlich von London, mit dem Zug aber gut erreichbar. Rund ums Stadion hatte die NFL mehrere “Tailgates” aufgebaut, ein Begriff den ich so vorher auch noch nicht gehört hatte, was im amerikanischen Sport eben die Party vor dem eigentlichen Sportevent bezeichnet, dort in aller Regel auf den großen Parkplätzen stattfindend.
Hier war es  ein öffentliches Gebiet auf der einen Stadionseite, in dem man sich mit der Vince Lombardy-Trophy fotografieren lassen oder aber ein paar Wurf- oder Kick-Spiele absolvieren konnte, sowie ein abgezäuntes Areal mit Riesenleinwand, Fressständen und weiteren Aktivitäten, u.a. konnte man eine fast komplette Combine (Fitness-Test mit verschiedenen Disziplinen) absolvieren.
Und natürlich ein NFL-Store mit Merchandise sämtlicher Vereine, vor denen sich Endlos-Schlangen bildeten, obwohl das Zeug nicht günstiger war als sonst über die offizielle Website.
Alles flankiert mit der NFL UK-App, mit der man Scan-Codes an diversen Ständen einsammeln konnte, durch die man an Gewinnspielen teilnahm…
Moderner Fußball ist Kommerz und wir sind am Ende der Fahnenstange angekommen? Nicht mal annähernd.

Das Stadion selbst war dann von der Fan-Verteilung etwa 70/20/10 gefüllt. Soll heißen: Von den etwa 80.000 Fans waren gefühlt 70% für die Cardinals, 20% in Trikots anderer Vereine und 10% für die Rams.
Dummerweise hatten die Rams offiziell das Heimrecht, was der Stadionsprecher sehr ernst nahm und daher immer nur nach dem Rams-Fans und deren Stimmung fragte, ohne mal die Gegenprobe zu wagen.

Leider war das Spiel dann so einseitig, wie man es schon vorher erwarten musste und am Ende stand ein 33:0 für die Rams, was zur Folge hatte, dass sich das Stadion schon zum Ende des dritten Viertels zu leeren begann.
Sehr schade, ich hätte gerne einen Touchdown der Cardinals gesehen, zu einem Zeitpunkt als es noch um was ging. Dann hätte man mal gesehen, wie laut es in diesem Stadion werden kann.

Nach dem Spiel gab es dann u.a. einen kostenlosen Shuttle-Transfer zurück in die Innenstadt – wie diszipliniert man in England immer wieder in Schlangen ansteht, ist schon erstaunlich, hat aber eben sicher auch mit der sehr guten Organisation zu tun.
Jedenfalls lief der Abtransport der >80.000 erstaunlich reibungslos, sicher auch weil der Abmarsch sich durch das eindeutige Spiel und eine Öffnung des größeren Tailgates (inkl. RedZone-Übertragung auf Riesenleinwand) zum weiteren Verweilen sehr gut verteilte.

Insgesamt ein tolles Wochenende mit vielen Eindrücken – und es bleibt die Hoffnung, dass sich Juniors “Ich habe sehr viel Englisch gelernt!” nicht nur auf den späten Nachmittag in Millwall bezieht. // Frodo

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