Interview mit Uwe Stöver – die Suche nach der eierlegenden Wollmichsau

Dieses Interview erschien, in einer leicht gekürzten Fassung, zuerst im Print-Übersteiger 132, am 06.Mai 2018.
Alle Fotos: (c) Ariane Gramelspacher

Vor dem Spiel gegen Union Berlin hatte der Übersteiger die Gelegenheit, trotz der prekären sportlichen Situation ein Interview mit dem “Geschäftsleiter Sport” Uwe Stöver zu führen. Themen waren die aktuelle Saison, die Entwicklung im Fußball sowie ein Ausblick auf die Zukunft der Mannschaft.

Übersteiger: Oke Göttlich hat sie bei Ihrem Amtsantritt als Geschäftsleiter Sport als jemanden beschrieben, der in seiner Karriere schon alles erlebt hat. Welche Erlebnisse hat er damit wohl gemeint?

Uwe Stöver: Ich glaube er meinte meine Zeit als Spieler, als Trainer einer U-19, U-23, als Co-Trainer einer Mannschaft der 2. Bundesliga, als Leiter eines Nachwuchsleistungszentrums und als Verantwortlicher  Sport im Bereich 2. Bundesliga und Dritte Liga. In der Zeit gab es einen Aufstieg in die Bundesliga, einen DFB-Pokalsieg 1993 mit Bayer Leverkusen sowie Pokalsiege im Bereich U-19 und U-23 und über viele Jahre erfolgreiche Kämpfe um den Klassenerhalt. „Alles“ habe ich sicherlich nicht erlebt, aber sehr, sehr viel.

ÜS: Bevor Sie beim FCSP anfingen, haben Sie die sportlichen Geschicke in verschiedenen Funktionen beim SV Wehen-Wiesbaden, FSV Frankfurt und dem 1. FC Kaiserslautern geleitet. Die momentane Situation, zweigleisig planen zu müssen, sollte Ihnen also bekannt vorkommen…

US: Klar, der Kampf um den Klassenerhalt war sowohl als Spieler, als auch als Verantwortlicher im Bereich Sport ein ständiger Wegbegleiter. Ich kenne diese Situation also sehr gut.

ÜS: Dann stellen wir die These auf: Uwe Stöver in der jetzigen Situation beim FCSP zu haben, war von langer Hand geplant?

US (lacht): Ich denke, das ist nicht vorauszusehen. Wir hatten eine schwierige Phase in der Hinrunde. Nach dieser hat sich die Mannschaft in der unteren Tabellenregion wiedergefunden. Auch, wenn wir momentan eine Punktzahl haben, die in den letzten Jahren zum Klassenerhalt gereicht hat. Die Situation ist klar: wir befinden uns im Abstiegskampf und haben in den letzten Spielen die Dinge so umzusetzen, dass am Ende der Klassenerhalt als Ergebnis stimmt.

ÜS: Bei Ihren bisherigen Stationen ging es wie erwähnt auch häufig gegen den Abstieg. Was funktioniert beim FCSP diesbezüglich besser oder schlechter als bei anderen Vereinen?

US: Wir haben jetzt eine Situation, die sich durch fehlende Ergebnisse in den letzten Spielen konkretisiert hat und wir müssen deswegen im höchsten Maße die Antennen aktivieren. Abstiegskampf ist überall gleich. Es ist nun noch wichtiger in die Köpfe der Spieler zu kommen und sie zu erreichen. Die Spieler müssen sich der Situation auch selbst bewusst werden. Dann hat man eine sehr gute Grundlage, um die nächsten Spiele erfolgreich zu bestreiten.

ÜS: Kann man den Job eines Sportdirektors besser ausführen, wenn man auch vorher als Trainer tätig war, weil man z.B. Spielertypen, die zur Mannschaft passen besser einschätzen kann?

US: Es ist in meiner Position sehr hilfreich zu erkennen, was U-19 und U-23-Trainer sowie der Leiter des Nachwuchsleistungszentrums in diesem Bereich an Anforderungen und Bedürfnissen haben. Da ist eine solche Basis sicherlich hilfreich. Auch für die Kommunikation mit den Trainern hilft die vorherige Ausbildung zum Fußballlehrer.

ÜS: Nachdem der FCSP relativ glücklich zuhause gegen Holstein Kiel gewann? Mussten Sie bereits schon mal Fragen zur zweigleisigen Planung beantworten. Allerdings bezogen auf den möglichen Aufstieg. Was ist seitdem mit der Mannschaft passiert?

US: Das Ausbleiben von Ergebnissen und das Verkennen der eigenen Situation waren ein Faktor. Sie behaupten, dass man nach oben schauen musste – wir haben immer gesagt, auch im Winter, dass wir die Mannschaft stabilisieren und von den gefährlichen Plätzen fernhalten müssen. Das gelang zwischenzeitlich nur tabellarisch. Das war sehr trügerisch.

ÜS: Nehmen Sie uns mal mit! Welche konkreten Auswirkungen hätte ein Abstieg auf den sportlichen Bereich?

US: Das Bild der Mannschaft würde sich in weiten Teilen verändern. Stand heute haben 15 Spieler sowie zwei Talente laufende Verträge auch für Liga drei. Das Ziel müsste sein, dass die Mannschaft sportlich und qualitativ so ergänzt wird, dass ein direkter Wiederaufstieg erreicht werden kann. Demnach wäre ein personeller Einschnitt die Folge. Dazu käme ein wirtschaftlicher. Eine Reduzierung der Fernsehgelder zum Beispiel. In der dritten Liga bekommt man Fernsehgelder von ca. 750.000€ / 800.000€. Beides wäre ein sehr großer Einschnitt und würde den Verein in der positiven Entwicklung der letzten Jahre zurückwerfen.

ÜS: Wie kommt es dazu, dass so viele Mannschaften in Liga zwei sich auf einem ähnlichen Niveau befinden und nahezu punktgleich sind?

US: Dieses Jahr gab es keine Absteiger aus der 1. Bundesliga, die einen sofortigen Wiederaufstieg realisieren können – so wie Hannover 96 und der VfB Stuttgart in der Vorsaison. Dazu kamen mit Duisburg, Regensburg und Kiel drei Aufsteiger, die diese Liga sehr schnell durch Kaderstärke und Kontinuität adaptiert haben und sehr gut eingespielt sind. Auch ist die Diskrepanz zwischen zweiter und dritter Liga nicht mehr so groß wie früher – was die sehr guten Ergebnisse der Aufsteiger wie gegen Union Berlin, Darmstadt und Braunschweig belegen. Darüber hinaus haben wir viele Mannschaften, die sich auf gleichem Niveau bewegen. Das liegt daran, dass auch „kleine“ Vereine mittlerweile oft die Möglichkeit haben, mit einem vergleichbaren Etat wie die „größeren“ zu arbeiten.

ÜS: Sie erwähnten, dass ein Vorteil von Aufsteigern die „Eingespieltheit“ ist. Das müsste der Kader vom FCSP eigentlich auch sein, schließlich wurde Kader auch zusammengehalten. Hat St. Pauli überperformed in der letzten Rückrunde?

US: Das ist schwierig zu sagen. Ich sage, dass man über einen gewissen Zeitraum immer da steht, wo man es letztendlich auch verdient hat zu stehen. Gleichzeitig muss man aber auch sehen, dass diese Saison nicht reibungslos war. Wir hatten vom ersten Spieltag an außergewöhnliches Verletzungspech. Dies ist aber nicht der alleinige Grund. Wir haben uns durch viele andere Dinge nie in einen Rhythmus spielen können. Wir sind und waren problembehaftet und haben nicht zu einer Konstanz gefunden.

Man hat am Anfang der Saison immer eine Wunschmannschaft. Diese stand bis zum heutigen Tage nicht gleichzeitig auf dem Platz. Das verfolgt uns die gesamte Saison über. Es wäre für mich interessant zu sehen, wenn alle Spieler gesund wären und wir mit der gleichen Mannschaft 5 bis 6 Spiele bestreiten könnten. Diese Situation hatten wir, neben anderen Problemen unterschiedlicher Art, die ganze Saison lang nicht.

ÜS: Mario Gomez hat vor einem Jahr mit seinen Aussagen, dass viele Spiele in der Bundesliga von „Druck, Angst, Nervosität und Einfach-den-Arsch-retten-wollen“ geprägt seien und dass die geringen Punktabstände in der Tabelle keine Qualität darstellen, viel Aufsehen erregt. Wir finden, dass er damit den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Sie auch?

US: Ich glaube, dass der Druck Fußballer zu sein durch das gestiegene Interesse von Fans und Medien gegenüber dem Zustand von vor 15 bis 25 Jahren deutlich zugenommen hat. Ich glaube auch, dass nicht jeder mit dem Druck so umgehen kann, dass ihn das nicht tangiert.

ÜS: Was haben Sie für einen Eindruck von unserer Mannschaft in Bezug auf den Umgang mit Druck?

US: Bisher war es immer so: Wenn die Mannschaft Druck verspürt hat, dann hat sie sich aus diesen Situationen befreien können. Unser Problem ist eher, dass zu schnell gedacht wurde, dass wir etwas erreicht hätten und uns in anderen Regionen der Tabelle bewegen. Es ist wichtig die Situation zu erkennen, anzunehmen, zu verarbeiten und sich den Dingen zu stellen. Darauf wird es in den nächsten Spielen ankommen.

ÜS: Es gibt einige Stimmen die behaupten, dass der Trainerwechsel aus spielerischer Sicht eher einen gegenteiligen Effekt hatte. Während unter Olaf Janßen versucht wurde Ballbesitzfußball zu spielen, wird unter Markus Kauczinski wieder vermehrt auf Umschaltfußball gesetzt (MK: „FCSP ist eine Umschaltmannschaft“), wie es auch unter Ewald Lienen der Fall war. Ist das die eigentliche Idee gewesen, wie Fußball am Millerntor gespielt werden soll?

US: Das, was man gerne spielen möchte, wird man nur sehr selten spielen können. Ballbesitzfußball und kreatives Spiel sind in der Regel Träume und Wunschvorstellungen. Die einzige Mannschaft in Deutschland, die fußballerisch in der Lage ist Mannschaften zu dominieren und auseinander zu nehmen, das ist der FC Bayern München. Es sind schon viele Vereine mit überzogenen Konzepten gescheitert.

In den meisten Spielen des FCSP lässt sich aus der Ballbesitzstatistik in dieser Saison sowieso ein gegenteiliges Muster erkennen. In Dresden haben wir bei 27 % Ballbesitz mit 3:1 gewonnen. Während wir in Darmstadt mit 67 % Ballbesitz spielen und 0:3 verlieren. Dieser Trend lässt sich in vielen weiteren Saisonspielen belegen. Da muss man sich die Frage stellen, was man spielen möchte. Und zwar mit der Mannschaft, die zur Verfügung steht und nicht in Zukunft. Das Ziel ist dabei der Klassenerhalt.

Mir ist wichtig, dass die Grundtugenden auf den Platz gebracht werden. Diese sind beim FCSP mehr denn je gefordert. Einsatz, Fleiß, Laufbereitschaft, Körperhaltung, Gestik, Mimik, Spektakel – das ist für mich wichtig. Liebend gerne kann das mit hohen Ballbesitzzeiten und Dominanz geschehen, wird aber schwierig zu realisieren sein.

ÜS: In der Hinrunde wurden gute Spiele der Mannschaft nicht gewonnen. Gab es unter Olaf Janßen eine fußballerische Krise oder eine Ergebniskrise?

US: Ohne da zu sehr ins Detail zu gehen: Wir hatten unter Olaf eine Situation, die sich über mehrere Spieltage entwickelt hat und in sieben Spielen ohne Sieg mit deutlichen Niederlagen gipfelte. Wir haben die Situation im Hinblick auf die Frage analysiert, ob wir diese Situation mit Olaf Janßen wieder ändern können und haben uns dagegen entschieden.

ÜS: Als Reaktion auf die anhaltende Flaute im Angriff wurde mit Dimitrios Diamantakos ein weiterer Stürmer ans Millerntor geholt. So richtig nachhaltig konnte er sich bisher jedoch nicht für Einsatzzeiten empfehlen. Wieso?

US: Das ist eine gute Frage. Ich glaube, dass „Dima“ nach 3 Monaten noch nicht vollständig bewertet werden kann. Ein Spieler muss erstmal ankommen und Einsatzzeiten erhalten. Bei seinen bisherigen Einsätzen konnte er sich noch nicht entscheidend in den Fokus spielen. Der Konkurrenzkampf der vier Stürmer ist groß und wir werden sehen, was Dima noch beitragen kann. Es ist ein enger Wettbewerb.

ÜS: Mit Schneider, Diamantakos und Allagui (und Choi)  ist eine Position im System mit zwei Spitzen ausreichend besetzt. Einen Ersatz für einen Stürmertypen wie Bouhaddouz gibt es jedoch nicht. Klafft da nicht eine gewaltige Lücke im Kader, zumal diese Position im Umschaltspiel von zentraler Bedeutung ist?

US: Es ist ja auch immer eine Frage der Marktsituation. Wir haben für uns festgehalten, dass es Sinn macht aufgrund des Umschaltverhaltens und auch aufgrund des Anlaufens des Gegners mit Dima einen Spieler zu holen, der das Anlaufverhalten gut praktiziert und auch im Umschaltspiel seine Qualitäten hat. Zusätzlich ist er ein sehr variabler Stürmer der sowohl als alleinige Spitze, um die Spitze herum oder ggf. auch als Offensivspieler auf der linken Seite agieren kann. Daher sehe ich Dima schon etwas differenzierter und weniger vergleichbar mit den anderen Stürmern in unserem Kader. Es war bei der Verpflichtung sicherlich von Vorteil, dass Markus ihn sehr gut kannte und ich ihn aufgrund meiner Zugehörigkeit zur 2.Liga auch vom ersten Tag an in Deutschland vor Augen hatte. Dima ist momentan nicht da wo er sein kann. Wir müssen ihm helfen, dass er wieder zu alter Stärke findet.

ÜS: Mal eine etwas allgemeinere Frage zur Entstehung von Transfers: Läuft so ein Transfergeschäft mehr über den Flurfunk, welche Vereine bereit sind Spieler abzugeben oder fällt man bei Vereinen direkt mit der Tür ins Haus?

US: Das ist immer ein Mix aus einem bestehenden Netzwerk, die mich kontaktieren oder von meiner Seite kontaktiert werden. Wir als Verein haben eine Marktkenntnis über bestimmte Bereiche. Wir gehen dabei in die einzelnen Ligen rein, besuchen die Spiele und haben eine entsprechende Datenbank mit einer Vielzahl an Spielern, die in den letzten Jahren ausgearbeitet wurde. Dann schauen wir welche Positionen bei uns vakant sind oder in der nächsten Saison werden. Und natürlich können über Kontakte oder persönliche Angebote Dinge intensiviert und in Augenschein genommen werden.

ÜS: Wie wichtig ist dabei das persönliche Netzwerk das ein Sportchef hat?

US: Es kann natürlich nie von Nachteil sein, wenn man ein gutes Netzwerk hat.

ÜS: Andreas Rettig musste bei seinem Wechsel nach Köln sein Adressbuch bei Rainer Callmund lassen…

US: Das eine ist das Adressbuch, aber die Leute kennt man trotzdem.

ÜS Inwiefern werden denn Tools wie Wyscout oder InStat für das Scouting genutzt?

US: Das sind Tools die bei uns im dauerhaften Einsatz sind. Wir können uns damit sehr schnell einen sehr intensiven Überblick über das Verhalten der Spieler in verschiedenen Situationen verschaffen. Wir können die Spieler im Kopfballspiel, Torabschluss, Anlaufverhalten, Standardsituationen etc. beobachten und erfassen. Dadurch kann man über die Angebote die reinkommen zügig Aussagen treffen, ob der Spieler für uns interessant ist oder nicht.

ÜS: Bereits vor der Winterpause war klar, dass mit Miyaichi, Buchtmann und Möller Daehli  drei zentrale Figuren im Mittelfeld längerfristig ausfallen. Mit Thibaud Verlinden wurde jedoch einzig ein Nachwuchsspieler verpflichtet, der in der Rückrunde noch überhaupt keine Rolle gespielt hat. Wieso wurde auf weitere Verstärkungen im Mittelfeld verzichtet? Wurde dem Kader insoweit vertraut, dass er diese längerfristigen und schwerwiegenden Verletzungen auffangen kann?

US: Ja.

ÜS: Konnte der Kader diese Verletzungen auffangen?

US: Welche Perspektiven hatten wir im Winter? Wir hatten mit Cenk Sahin, Waldemar Sobota und Sami Allagui Spieler, die diese Positionen besetzen können. Wenn wir damals schon gewusst hätten, dass zusätzlich Waldemar Sobota acht Spiele in der Rückrunde nicht zur Verfügung steht, dann hätten wir vielleicht anders entschieden. Grundsätzlich haben wir aber dem Restkader vertraut, auch in dem Wissen, dass wir Diamantakos auch eine Reihe hinter den Spitzen hätten spielen lassen können. Wir sind davon ausgegangen, dass der Kader das auffängt. Mit dem Start in die Rückrunde, dem Sieg in Dresden und den 7 Punkten aus den Spielen gegen die Top Vier kann man sagen, dass wir die Zeit mit den verletzten Spielern ganz ordentlich überbrückt haben. Die schlechtere Phase ist nun in der jüngeren Vergangenheit zu sehen.

ÜS: War es nicht in gewisser Hinsicht zu erwarten, dass wir gegen Teams wie Dresden, Nürnberg und Kiel, die Ballbesitz-Fußball spielen gute Ergebnisse erzielen und uns gegen Teams wie Sandhausen und Aue schwerer tun, da diese auch auf Umschaltfußball setzen und bei solchen Aufeinandertreffen der erste Fehler verliert?

US: Letztendlich spricht das Ergebnis für sich. Sowohl in der Hin- als auch in der Rückrunde. Wir haben z.B. gegen Nürnberg vier Punkte geholt. Wenn wir mit denen ähnlichen Ballbesitzfußball hätten spielen wollen, dann hätte es im Ergebnis wahrscheinlich nicht zu vier Punkten gelangt.

ÜS: Ich meine auch eher die Spiele gegen tiefstehende Mannschaften…

US: …Sandhausen und Aue warten mit ihrem Umschaltspiel nur auf den einen Moment. Da muss man schon sehr vorsichtig sein. Dafür ist die Liga zu eng als dass man sich dort Fehler erlauben darf. Wenn man erstmal gegen Sandhausen oder gegen Aue in Rückstand gerät, dann wird es schwierig, weil die Mannschaften mittlerweile alle defensiv gut organisiert und strukturiert arbeiten. Das Spiel ist inzwischen sehr taktisch geprägt. Gerade wir haben es ja zum Ausdruck gebracht, dass kleinste Fehler genügen – siehe die Spiele gegen Kaiserslautern, Sandhausen oder Aue. Wir sind im Moment einfach zu fehlerbehaftet und das kannst du dir in der Liga nicht erlauben.

ÜS: Wie schaffen es denn dann Teams wie Nürnberg den Gegner in der 2.Liga mit Ballbesitz zu dominieren?

US: Grundsätzlich kann man Äpfel nicht mit Birnen vergleichen. Vielleicht würden wir auch einen anderen Fußball spielen, wenn wir immer die Spieler zur Verfügung gehabt hätten, die für gewisse Spielweisen von Nöten gewesen wären. Bei Ballbesitzfußball ist es sicherlich von Vorteil, wenn uns Christopher Buchtmann zur Verfügung steht – und das natürlich über die ganze Saison, da er ein zentraler Verbindungsspieler mit Abschluss- und einleitenden Qualitäten ist. Wenn ich mir anschaue welche Spiele er bestritten hat und wie viele davon ohne Schmerzen, dann kommt man da nicht auf 50% der Spiele. So zieht sich das wie ein roter Faden durch die Saison. Wir hatten in der Spitze bis zu elf oder zwölf verletzte Spieler. Dann passt so ein Puzzle eben auch nicht mehr. Mit einer Kadergröße von 27-28 Spielern muss man so eine Anzahl an Ausfällen erst einmal kompensieren und dass auch noch über einen längeren Zeitraum.

ÜS: Der rote Faden der vielen Verletzungen zieht sich ja auch etwas länger in die Vergangenheit.  Gibt es da Überlegungen mit individuellen Trainingsplänen oder anderem Athletik-Training entgegenwirken kann?

US: Wir sind von den Mitarbeitern im Bereich des Athletik-Trainings komplett überzeugt. Vordergründig kümmern sie sich um Stabilisation und Prävention. Was unsere Verletzungshäufigkeit angeht muss man differenzieren und kann nicht pauschalisieren. Wir hatten bis vor kurzem noch so gut wie keine Muskelverletzungen in dieser Saison, sondern Verletzungen, die über Zweikämpfe oder aufgrund von Rücken- oder Bandscheibenproblematik zustande gekommen sind. Wir haben diese Thematik für uns aufgearbeitet und es ergab sich ein divergentes Bild, ohne Struktur. Wenn wir 25 Muskelverletzungen gehabt hätten, dann wären für mich die Dinge klarer gewesen.

ÜS: Gehen wir mal von einem Verbleib in der zweiten Liga aus: Nachdem der Kader der letzten Saison zusammengehalten werden konnte, stehen die Zeichen dieses Mal auf Umbruch. Zwar wurden die Verträge der „alten Hasen“ verlängert, aber Spieler wie Buchtmann, Sahin, Neudecker und Möller Daehli könnten den Rufen aus der 1.Bundesliga erliegen. Wie stehen die Chancen bei diesen Spielern auf einen Verbleib?

US: Sowohl Buchtmann als auch Neudecker haben einen Vertrag bis 2019, Sahin sogar noch länger. Wir haben uns nicht nur um die 2018 auslaufenden Verträge gekümmert, wir befinden uns mit Teilen der 2019 auslaufenden Verträge schon in intensiven Gesprächen. Man muss abwarten was die Dinge in der Zukunft bringen. Wir wissen um die Situation und um die Entwicklung der Spieler und wollen natürlich mit den Spielern von denen wir überzeugt sind, auch über 2019 hinaus arbeiten.

ÜS: Der Kader besteht momentan aus 30 Spielern, ist also prall gefüllt. Nach dem Verlauf der Saison ist damit zu rechnen, dass es Verstärkungen geben soll. Für Neuzugänge müsste im Kader jedoch erst einmal etwas Platz geschaffen werden.

US: Das ist natürlich richtig. Wir werden sicherlich Ausschau halten nach Spielern, die uns qualitativ anheben und dann werden wir sehen, ob wir aktiv werden können. Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass Spieler den Verein, möglicherweise auch über eine Ausleihe, verlassen werden. Ich widerspreche Ihnen aber, denn eine Kadergröße von 27+3 ist im Verhältnis zu den anderen Teams eher eine mittlere Kadergröße. Die anderen Mannschaften bewegen sich eher zwischen 26 und 35 Spielern. Es ist aber nicht unser Ziel mit 27+3 in die Saison zu gehen, da wir die talentierten Nachwuchsspieler, wie z.B. Luis Coordes und Jakob Münzner, in hohem Maße begleiten und unterstützen wollen und daher auch mit diesen Spielern in die Saison gehen wollen.

ÜS: Mit Lasse Sobiech wird ein sehr wichtiger Spieler den FC St.Pauli zum Saisonende verlassen. Wem aus dem aktuellen Kader trauen Sie zu diese Rolle im Defensivverbund  und allgemein die Rolle in der Mannschaft zu übernehmen?

US: Ich glaube, dass Philipp Ziereis jemand ist der das übernehmen kann. Bernd Nehrig als jetziger Kapitän sowieso, Johannes Flum ist sicherlich auch zu erwähnen. Aber die Struktur der Mannschaft ändert sich. Vielleicht gibt es ein Gefüge, das wir heute noch gar nicht absehen können. Fakt ist, dass wir mit den drei Genannten Spieler haben, die die Rolle auf dem Feld ausfüllen können.

ÜS: Das NLZ hat eine klar formulierte Philosphie, die den Jugendspielern beigebracht wird, die auf Grundprinzipien beruht. Gibt es auch eine Uwe-Stöver-Philosophie was die Art des Fußball-Spielens betrifft?

US: Ja, aber das ist ja nicht von Wichtigkeit. Wichtig ist, dass der Verein eine klare Philosophie hat und an der habe ich mich zu orientieren. Es wäre fatal als Zeichen eines Vereins, wenn mit dem Anwerben einer Person eine völlig neue Situation entsteht.

(Markus Kauczinski betritt den Raum)

US: Du kannst ruhig reinkommen, wenn Du willst.

(Begrüßungsrunde)

US: Es ist wichtig, dass ein Verein eine klare Richtung hat, mit Zielen und Visionen.

ÜS: Im Tagesgeschäft kann ja auch durchaus mal der Blick für das große Ganze verloren gehen. In Unternehmen werden Unternehmensberater zur objektiven, weil externen Bewertung herangezogen, damit Trends nicht verpasst und eingefahrene Strukturen aufgelöst werden. Warum ist das in Fußballvereinen nicht so?

US: Ich denke, dass der FC St.Pauli sehr viel Fußballkompetenz in seinen Reihen hat. Das geht über Mitarbeiter im NLZ, die als ehemalige Profis fungiert haben, über regelmäßige Lehrgänge, Fortbildungen und Ausbildungen. Wir haben ein sportliches Beratungsgremium mit der Qualität von mittlerweile fünf Fußballlehrern, mit sechs-sieben ehemaligen Spielern. Auch Andreas Rettig ist als Fußballlehrer unterwegs und hat mittlerweile den einen oder anderen Verein kennengelernt. Ich glaube, das ist schon eine Kompetenz, die man in anderen Vereinen erstmal suchen muss. Und da wir hier im Verein einen sehr intensiven Austausch pflegen, in unserer Konstellation auch ein Stück weit unterschiedlich sind und kontrovers diskutieren, befruchtet das und hält einen immer wach. Ich denke, dass wir da so wissbegierig sind, dass wir auch keine Trends verpassen.

ÜS: Was ist denn der Trend im Fußball der 2.Liga? Ich habe den Eindruck, dass wieder mehr Fokus auf das Fußballspielen gelegt wird, wie es z.B. in der 1.Bundesliga der Fall ist.

US: Ja, aber was heißt mehr Fußball spielen? Welche Art des Fußballs?

ÜS: Ich meine mit mehr Fokus auf eigenen Ballbesitz…

US: Was wir spielen wollen und wie wir das gerne hätten, ist das eine. Das andere ist, das was wir haben. Sowohl was das Personal betrifft, als auch die Situation. Es gab in der Vergangenheit viele, die sehr gute Ideen hatten und diese auch gnadenlos durchziehen wollten, dann aber erfahren haben, dass es eigentlich gar nicht möglich ist. Und viele dieser Leute sind entweder nicht mehr als Trainer, oder eben nicht mehr in dieser Größenordnung auf dem Markt. Ich hätte auch gerne die eierlegende Wollmilchsau auf elf Positionen. Aber das ist leider nicht so. Wir haben einen Kader mit dem wir einen Fußball spielen müssen, der Ergebnisse bringt, gerade zum jetzigen Zeitpunkt. Eine grundlegende Philosophie ist wichtig, aber wenn man sich nur in diesem Tunnel bewegt und nichts von außen zulässt, dann wird es problematisch.

MK: Und egal was ich tue, es ist ja berechenbar. Wenn ich immer dasselbe mache, immer meinen Ballbesitzfußball spiele, hat das gewisse Muster, gewisse Schemen. Der Gegner stellt sich darauf ein und dann merke ich, dass ich an meine Grenzen komme und muss es doch wieder anders machen. Wir fischen alle im gleichen Teich was die Spieler angeht. Auch ist es notwendig, dass die Spieler deine Philosophie umsetzen können. Da musst du sehr stringent sein, das braucht Zeit und ich habe immer wieder Dinge und Ideen ändern müssen, weil man eben irgendwann an eine Grenze kommt. Das bedeutet in diesem Geschäft, dass man dann auch weg ist. Man muss also immer auf der Hut sein und erkennen, wann man was verändern muss. Wenn es jetzt den Trend zum Ballbesitzfußball gibt, dann gibt es in ein paar Monaten wieder etwas Anderes.

ÜS: Vielen Dank für das Interview. // timbo & flippa

 

 

 

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