Übersteiger 111

Vorwort

Wenn man in den Niederlanden auswärts unterwegs ist, muss man einiges ertragen. Es ist normal, dass man nur in Verbindung mit einer personifizierten Clubcard überhaupt ein Kombiticket „Busfahrt plus Eintrittskarte“ erwerben kann. Es ist ebenso normal, dass dann einige Kilometer vor dem Zielort, Stuarts des eigenen Vereins in den Bus steigen und alle Anwesenden erst hier gegen Kontrolle der Clubcard und Anmeldung ihre Eintrittskarte erhalten, während der Bus mit Polizeibegleitung zum Stadion fährt. Die Reise endet diesmal in Venlo in einem mit meterhohen Zäunen und Sichtschutz umgebenden Gästeparkplatz von dem es direkt in den Gästeblock geht. Für das leibliche Wohlergehen ist ein kleines Loch in den Zaum geschnitten, um das Durchreichen aus dem Verkaufsstand von nicht alkoholischen Getränken & Co zu ermöglichen. Vermutlich deshalb betäuben sich die Fans unseres Nachbarlandes sofort nach Abfahrt des Busses mit Unmengen diversen Alkoholika und singen dabei „Rosamunde“. Warum erzähle ich das? Weil ich froh bin, ein derartiges Szenario in unseren Landen nicht ertragen zu müssen.

Ich hingegen kann mich wochenlang auf eine (zugegebenermaßen seltener gewordene) Auswärtsfahrt freuen, während derer ich mich frei bewegen kann, mich mit Anderen außerhalb des Stadions treffen und sogar mit den gegnerischen Fans ein Bier trinken darf. So wie in Bochum beispielsweise. Das ist Fußball: Betontribünen, Pissrinnen, schlicht und einfach. Draußen Trinkhallen, Kneipen, Straßenbahnen. Leider vergesse ich vor lauter Vorfreude jedes Mal, dass ich dem FC St. Pauli hinterher fahre und muss mich damit abfinden, dass es in meinem Leben mit Auswärtssiegen nichts mehr wird. Gefühlt zumindest! Vor Neururer hätten vielleicht 11.000 schlecht gelaunte Bochumer eine Heimniederlage gesehen, mit Neururer und St. Pauli zu Gast sehen 26.000 bestens aufgelegte Blau- Weiße einen souveränen Heimsieg. So und genau so fühlt sich jetzt schon diese ganze, zähe Saison an. Und das nicht nur Auswärts!

Die beiden Gegentreffer in den letzten beiden Minuten zur Niederlage gegen diese Proleten aus Berlin sind wie ein Stich ins Herz. Ich soll im Vorwort einen Saisonrückblick verarbeiten, bekomme ich mit auf den Weg. Ja, was denn? Das muss ich selbst erstmal verarbeiten! Habe nur Angst, dass es mit dieser Mannschaft (Spieler wie Funktionsteam) und unseren begrenzten finanziellen Mitteln nächstes Jahr genauso weiter geht. Was lernen wir daraus? Eine neue Tribüne macht noch keinen Sommer. Oder so ähnlich.

Und was haben wir im Heft? Neben jeder Menge altbewährtem, ein großes Interview mit Fanräume e.V., spannendes zu den Ultras in Ägypten und ihren Aktivitäten während der Revolution, einen Reisebericht aus Nordengland, eine Nachbetrachtung unseres großen Auftritts beim 111- mm Filmfestival in Berlin, natürlich wieder Frodos Tagebuch usw. und so fort. Lest doch selbst.

Wir wünschen Euch einen schönen Saisonabschluss und uns allen mindestens Platz 15 (beim Verfassen dieser Zeilen stehen noch drei Spiel aus). 

Wir sehen uns nach der Sommerpause wieder: In unserer Jubiläumssaison! Der Übersteiger wird nämlich 20! 

Eure Übersteigers


Frodos Tagebuch

Liebes Tagebuch, da simma wieder!

Meine Redaktionskollegen haben gesagt, sie geben uns beiden noch ne Chance und ich soll meine Bindung zu Dir in einer weiteren Ausgabe vertiefen. Mein Psychologe sagt das auch. Na denn…

Mittwoch, 06.März 2013

Oh, Tagebuch, wie schön es doch wäre, nur einmal mit St.Pauli international spielen zu dürfen. Erste Runde bei Barfuss Wladiwostok, alle hin da mit dem Bus. Tja, wird wohl vorerst nichts, also bleibt „nur“ Celtic als Ersatzdroge.

Gestern ging es mit Stefan nach Turin, heute Abend war dann das Champions League – Rückspiel bei Juve. Schickes neues Stadion haben die, Stimmung war auch ganz gut, auch wenn die Luft nach der 0:3-Heimniederlage im Hinspiel schon raus war. Die Stimmung im Gästeblock hingegen Weltklasse, in der zweiten Halbzeit („Here we go, ten in a row!“ über 40 Minuten!) gab es sogar zwei Mal Standing Ovations der an den Block anschließenden Kurve und Gerade aus dem Heimbereich für den Gästeblock, sowas hab ich während des Spiels auch noch nie erlebt. 
Weniger schön war die Einlasssituation, wo man eine knappe Stunde brauchte um rein zu kommen und tatsächlich auch sehr penibel die personalisierten Tickets kontrolliert wurden. Viele mussten daraufhin leider tatsächlich draußen bleiben. Alles in allem eine großartige Tour, ich freu mich schon auf die nächste Saison.

Freitag, 08.März 2013

Grad noch bei Juve, jetzt gegen den Jahn, was für Gefühlswelten. Und mal wieder zeigte sich, dass die 18.00h Anstoßzeit nicht nur bestenfalls unglücklich für viele Arbeitnehmer ist, sondern auch extrem beschissen für unseren Heftverkauf.

Egal, Gogia und Ginczek schossen uns in Front, das Ding schien eigentlich durch, und dann haut der Ginczek an der Mittellinie derart den armen Christian Rahn um, als wolle er ihn für alle jemals schlecht geschossenen Ecken bei uns bestrafen. Aua und rot, klare Sache, und dann postwendend auch noch der Ausgleich, schönen Dank. Doch in diesem Moment erinnerte sich Florian Bruns wohl an den in der Kabine ausliegenden ÜBERSTEIGER und die Überschrift auf der Mittelseite, die noch vom späten Siegtreffer aus Aalen in der Vorwoche geklaut war: „Du darfst das entscheidende Tor nicht zu früh schießen!“

Tja, muss wohl ein kluger Mensch geschrieben haben, jedenfalls ZACK rein das Ding und 3:2, Schluss, Aus, Ekstasejubel, Bruuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuns!

Freitag, 15.März 2013

Im nächsten Leben werde ich irgendwas bei der Deutschen Bahn und lasse mir „Einmal mit Profis arbeiten!“ auf die Stirn tätowieren. Der Mittags-ICE von Hamburg nach Berlin ist Freitags generell nicht gefährdet sonderlich leer zu sein. Wenn dann zusätzlich zum normalen Pendler- & Wochenendverkehr auch noch eine Gruppenfahrt mit 120 Leuten auf diesen Zug gebucht wurde, was mach ich dann wohl? Na, liebes Tagebuch? Genau, ich lasse die Hälfte des Zuges einfach weg! Und zwar die Hälfte, mit den reservierten Plätzen für die Gruppe! Und dann lass ich die Schaffnerin durchsagen, man möge doch bitte freiwillig die Gänge räumen und wieder aussteigen, sonst könne sie nicht losfahren. All das nehm ich mit versteckten Kameras auf und verkaufe es dann an „Verstehen Sie Spaß?“

Fußball war dann auch noch, fand statt in der leisesten Alten Försterei ever. War immer noch laut, aber kein Vergleich zu den Jahren zuvor, es scheint dort ein Gegengeraden-/Haupttribünen-Problem zu geben. Wäre nur schön, wenn wir das auch sportlich bestraft hätten. Haben wir aber nicht, immerhin hat der Ebbers endlich seine Hundertste Bude gemacht.

Montag, 18.März 2013

Wir werden dem Oscar nie wieder so nah sein. Beim 11mm-Fußball-Filmfestival in Berlin war unser Film „Aufstieg und Fall“ vom Troll in der Endauswahl der nominierten Kurzfilme. Gewonnen haben dann zwar andere, wohl auch verdient, den meisten Spaß hatten wir trotzdem. Und immerhin haben wir jetzt auch mal ein Kino leergetrunken. Besonderen Dank an Nick Howard, der uns immerhin mit einem Punkt auszeichnete.

Dienstag, 19.März 2013

Partizan Minsk war zu Gast, leider auch der Hamburger Winter. Das geplante Spiel gegen die 4.Herren musste daher leider ausfallen, stattdessen wurde im Knust gekickert. Schade, aber zumindest das Spiel in Babelsberg soll wohl stattfinden.

Mittwoch, 27.März 2013

Tagebuch! Alter! Das glaubst Du mir nicht! Ich hab hier die Eier von Patrick Funk! Konnte man ersteigern, bei der HSH-Nordbank! Okayokay, nicht ganz so, wie Du es jetzt denkst, aber es ist die reine Wahrheit! Kurz vor Ostern bemalten nämlich ein paar unserer Profis mit Kindern aus der Millerntor-KiTa Ostereier. Und die konnte man dann, unter Nennung eines Spielernamens, ersteigern. Tja, und nun liegen sie hier vor mir. Die Gesamtsumme wurde dann übrigens von der HSH-Nordbank zu Gunsten des Kinderhospiz Sternenbrücke mal elf genommen und gespendet, schöne Aktion!

Freitag, 29.März 2013

Und wo wir grad bei Osterhasen sind: DFB & DFL, was für Löffel…
Da warnt man doch unseren Verein tatsächlich vor, am Ostermontag gegen Paderborn auf den Rängen das Abbrennen von Wunderkerzen zu unterlassen, man stehe unter Beobachtung. Ach, bei unsachgemäßer Anwendung könnten die gefährlich sein?

Richtiiiiiiiiiiiiiiiiiig, wenn ich denen demnächst mal unsachgemäß meinen Schlüssel ins Auge stecke (ich gucke zuviel SAW…), könnte das sicher auch gefährlich werden, und nun? Von der unsachgemäßen Behandlung eines Schuhs, den man gern mal wo versenken würde, ganz zu schweigen. Erreichen wird man damit hoffentlich nur, dass das Millerntor brennen wird, sachgemäß.

Ostermontag, 1.April 2013

Und ich sag noch… Burn, Baby, burn! Ein Tag, wie gemacht für Geschichts- oder Tagebücher! Vor dem Spiel gab es eine wunderbare Choreo des „Alerta!“-Netzwerks, gegen Homophobie. Großartig sah das aus, hoffentlich sehen das auch die Richtigen. Zur zweiten Halbzeit dann das erhoffte Wunderkerzenmassaker, ohne unsachgemäße Behandlung, ohne tote Kinder.

Und dann? Ja, dann wird bei Paderborn der Saglik eingewechselt und bei asiatischen Wettbüros gehen binnen Sekunden Milliardenbeträge auf die bekannte „Der macht noch eins…“-Wette ein, Quote 1,01. Aber war ne sichere Sache, klappte blind. Apropos blind: Gute Vorarbeit von Naki, Torwart anschießen kann er eben.

Und dann? Ja, wenn nichts mehr geht, passieren eben am Millerntor immer noch die schönsten Geschichten. Ecke, Kopfball Tschauner, Tor, Ekstase!

Samstag, 6.April 2013

Auswärtsspiel in Dresden. Ein Sieg wäre gleichbedeutend mit der Rettung? Ja, merkste selbst, liebes Tagebuch, kein Kommentar.

Donnerstag, 11.April 2013

Der St.Pauli CSC und die BASCH hatten in den Fanladen geladen, zu einer Infoveranstaltung der Green Brigade, der Ultra-Gruppierung bei Glasgow Celtic. Es war okay besucht, hätte allerdings mehr Zuhörer verdient gehabt. Thema war zum Einen das Entstehen der Gruppe, zum Anderen die Repressionen, die sie derzeit in Schottland zu erleiden haben. 
Fazit des Abends für mich: Fußballfan-Dasein in Deutschland ist kein Honigschlecken, und die Kommunikation des FC St.Pauli mit seinen Fans könnte in Teilen besser sein. Aber: Verglichen mit dem, was die Jungs und Mädels da drüben derzeit durchmachen, ist das Jammern auf allerhögschdem Niveau! Die völlige Schikane der Polizei ist auf einem ganz anderen Level als bei uns, das bloße Singen von Songs (selbst im Ausland) reicht schon zur Verhaftung aus. Und die Art und Weise, wie der Club mit seinen Fans umgeht, hätte bei uns schon lange zur Gründung des AFC St.Pauli geführt, da bin ich mir sehr sicher.

Samstag, 13.April 2013

Magic am Millerntor? Können wir, liebes Tagebuch. Ich sollte Dir generell nur noch von Heimspielen berichten, für die Auswärtsspiele nehm ich dann einen Punching-Ball. Schlag ich meinem Therapeuten mal vor. Jedenfalls war dieser grausame Unsympathen-Club aus München zu Gast, der vor zig Jahren mal sympathisch war und jetzt in etwa auf einem Niveau mit dem hsv, Rostock, Aachen und Braunschweig auf meiner persönlichen Antipathie-Tabelle rockt. Inklusive Chaos wegen Investor und so weiter, die dürfen den Club gern abwickeln und die (ja durchaus auch vorhandenen) netten Leute dort fangen einfach von vorn an. TSV 2013 München klingt zwar nicht mehr so sexy, aber schlimmer werden kann es kaum.

Jedenfalls waren sie alle wieder da, diese „Ohgoddogodd, wir holen keinen Punkt mehr!“-Pessimisten. Wie sehr ich mir das doch eigentlich wünschen würde, um endlich mal wieder Relegation spielen zu dürfen. Aber nein, nichts da, zuhause sind wir ne Macht und verderben denen zumindest die letzten Aufstiegshoffnungen.

Und überhaupt: Zwei Tore von Fin Bartels? Jaja, kann schon mal passieren. Aber eins davon mit dem Kopf? MIT DEM KOPF? Ich sag Dir, Tagebuch, wenn Du den mal sehen könntest, Du würdest Dir auch an den Kopf packen. So als wäre Horst Hrubesch ein Filigran-Techniker gewesen…

Und dann war da ja auch noch ein Spiel, denn die U23 durfte dank der Weitsicht der Hamburger Polizei quasi zeitgleich in der Arena der vielen Namen antreten. Und nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit wurden neue Derbysieger geboren, 2:1-Sieg in letzter Minute! Und wieder stand Bene im Tor, der hatte anschließend auch auf Facebook sichtlich Spaß.
Und abends war dann auch noch Celtic-Party im Knust, was für ein Tag…

Freitag, 19.April 2013

Auswärtsspiel in Bochum. Ein Sieg wäre gleichbedeutend mit der Rettung. Ja, merkste selbst, liebes Tagebuch, kein Kommentar.

Samstag, 20.April 2013

Ja, Tagebuch, eher so ein suboptimaler Tag. Die Rugby-Frauen hatten ihr Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft, leider ging es ebenso verloren wie das Spiel der Handball-Herren, die sich dadurch doch noch einen Krimi am letzten Spieltag verschafft haben.

Immerhin die U23 hat es rausgerissen, die gewann nämlich gegen den SC Victoria das zweite Derby innerhalb einer Woche durch zwei sehr späte Tore eher glücklich mit 3:1 und hat den Klassenerhalt damit so gut wie in der Tasche.

Samstag 27.April 2013

Derbysieger! Ja, Tagebuch, ich weiß, langsam wird es langweilig, hast ja recht. Heute also die A-Jugend, die gegen den abstiegsgefährdeten hsv am Königskinderweg in Schnelsen mit dem Pausenpfiff durch Mannschaftskapitän Drinkuth 1:0 in Führung ging. In Hälfte zwei flog dann noch ein gegnerischer Innenverteidiger wegen Meckerns mit Gelb-Rot und wir hätten den Sack zumachen können. Aber wenn man den Gegner nochmal hoffen lässt und ihm in den letzten zehn Minuten zig Chancen gewährt, die er einfach nicht nutzt, schmeckt der Sieg natürlich doch immer besser als nach nem unspektakulären 3:0. Sauber, Jungs!
Und Abends gab es dann noch mehr Grund zum Jubeln, und zwar für die Handball-Herren! Mit einem 25:23-Sieg bei Bad Schwartau II. schaffte man zum zweiten Mal in Folge den Klassenerhalt in der Oberliga Hamburg/Schleswig-Holstein, erneut mit Zieleinlauf am letzten Spieltag. Letzlich wäre der Sieg gar nicht nötig gewesen, denn die Konkurrenten aus Herzhorn und Hohn/Elsdorf (was für Namen…) verloren zeitgleich, aber so war die Freude noch größer. Am Ende Platz 9 in der 14er Liga, Glückwünsch! Jetzt am Mittwoch noch den Pokalsieg eintüten… und wenn ich Mittwoch nicht schreibe, gehe davon aus, dass sie verloren haben.

Sonntag, 28.April 2013

Liebes Tagebuch, es gibt so Tage… ja, da fällt das Schreiben schwer. Man würde gerne anderen Leuten die Wok-Pfanne durchs Gesicht ziehen, so doll ärgert man sich. Soll vorkommen. Konkret ist es gar nicht so schlimm, gegen den Tabellenführer der 2.Liga zu verlieren. Auch ne 2:3-Niederlage nach 2:1-Führung in der 85.Minute ist zwar kein Grund zum Jubeln, aber kann passieren, ist halt Fußball. Aber gegen diesen beschissenen Unsympathenclub aus der Hauptstadt, mit einem guten Anteil Fans die mit der Bezeichnung Arschloch noch zu nett betitelt sind? Nee, das kotzt einen schon an.

Und soll ich Dir mal sagen, wer daran Schuld hat, dass wir verloren haben? Die Rabauken! Ja, dieser unschuldig aussehende kleine Kinder-Fanclub des Vereins. Die stellen nämlich immer die Einlaufkinder, und heute durfte mein Junior mit einlaufen. Bisherige Einlauf-Bilanz: Beim Heimspiel seines eigenen lokalen Vereins: Mit dem Heimteam eingelaufen, 8:0 gewonnen! Beim St.Pauli-Spiel gegen Aue: Beim Gast mit eingelaufen, der gewinnt 3:0. Und jetzt halt heute, erneut das Patschehändchen eines Herthaners, erneut gewinnt der Gast. Drei Spiele, 14:2 Tore, drei Siege. Wenn den Rabauken der Club also tatsächlich am Herzen liegt, ist die Hand von Philipp Tschauner für die 17 Heimspiele nächste Saison schon vergeben und 51 Punkte sind uns dafür sicher.
Das wäre es dann mit uns, liebes Tagebuch, genieß die Sommerpause! 

// Frodo

P.S.: Sonntag, 5.Mai 2013

(vorformulierter Eintrag, da nach Redaktionsschluss dieses Tagebuchs:)
Auswärtsspiel in Duisburg. Ein Sieg wäre gleichbedeutend mit der Rettung? Ja, merkste selbst, liebes Tagebuch, kein Kommentar.


Raumgewinn

Der Vorstand von Fanräume e.V. plaudert mit dem Übersteiger über das was ist, das was kommen soll und das, was war.

Zwei Tage nach Tschaunis Kopfballtor treffe ich zwei Vorstandsmitglieder von Fanräume e.V. im Clubheim, um über Chancen, Hoffnungen und Gefahren des Projektes zu sprechen. Monika Lüttjohann (ML), seit rd. elf Jahren mit Dauerkarte beim FCSP fand das Projekt Fanräume nach der Initialisierung 2008 durch Norbert Harz und Heiko Schlesselmann spannend und nachdem diese beiden sich aus der Leitung zurückzogen, war sie plötzlich “irgendwie” im Vorstand. Jens Holtorff (JH) ist seit “ziemlich genau 16 Jahren” FC St.Pauli-Anhänger, nachdem er – wie bei so vielen von uns – mal ein Spiel sah und das Erlebnis wiederholen wollte. Zu Fanräume stieß er ganz am Anfang und in dem kleinen e.V. (19 Mitglieder) wollte er gerne Verantwortung übernehmen und tat dies ebenso wie Monika durch Engagement in deren Vorstand.

Nachdem Tschaunis Tor und die darauf folgende Reaktionen aus allen Perspektiven intensivst beleuchtet wurden, wenden wir uns der Arbeit zu.

In die Tiefe des Raumes

ÜS: Wie geht’s mit dem Projekt Fanräume weiter? Wie ist der Stand? Was kommt?

ML: Vorbehaltlich noch einiger Unsicherheiten wegen baulicher Verzögerungen wird am 01. Juni 2013 der Fanladen die Fanräume beziehen. Das ist so ne ganz schicke Geschichte, die sich da einige Fans ausgedacht haben. Am selben Tag findet das Fanclubturnier und Sommerfest statt. Die Turnierteilnehmer machen da so eine Art Marathon zum Fanladen, dann Kiste untern Arm geklemmt und ab zur neuen Unterkunft und der Fanladen zieht so auf die Art und Weise um.

ÜS: Was wird uns denn in Fanräume überhaupt erwarten. Welche Räume finden wir denn da vor? Welche Institutionen ziehen da ein? Was passiert da für mich als Fan?

JH: Zum einen zieht natürlich der Fanladen ein um halt im Stadion zu sein. Die AFM zieht mit ein und als großen Veranstaltungsraum gibt es dann noch einen Saal, den man dann für diverse Dinge nutzen kann.

ÜS: Kann man den mieten und da Parties feiern?

JH: Es wird dort nicht die klassische Geburtstagsparty geben können. Wir wollen ja auch keine Konkurrenz zum Clubheim werden. Wenn aber ein Fanclub sein Jubiläum feiern möchte, dann ist das dort möglich. Kurz gesagt: Ein Fanclub kann dort sein Jubi feiern, der Fanclub-Präsi möchte sich aber für seinen Geburtstag bitte an das Clubheim wenden.

Fanräume ist eben keine Kneipe. Es sollen dort ausschließlich Veranstaltungen stattfinden, die Bezug auf den Verein nehmen und keine Privatparties.

ÜS: Man munkelt auch was von einem Biergarten?

ML: Vor und nach dem Spiel werden sicherlich Bierbänke aufgebaut, da dann immer die AFM den Saal mit Bierausschank betreiben wird. Der ursprüngliche Plan eines Biergartens an der Ecke zur Süd wurde durch den Umzug von Fanräume in die Mitte der Gegengrade verworfen, aber es gibt eine schöne überdachte Fläche mit Blick aufs Heiligengeistfeld. Ein klassischer Biergarten als Dauerinstitution ist es jedoch nicht.

ÜS: Also nur zu Spieltagen und besonderen Anlässen?

ML: Es gibt für Fanräume folgende Aufgaben: Die AFM hat unter anderem ihre Mitgliederverwaltung, der Fanladen hat sein alltägliches Geschäft und Fanräume e.V. hat satzungsbedingt mehrere Aufgaben: Nämlich die Verwaltung der Räumlichkeiten, allen voran aber tatsächlich Jugendarbeit und Jugendförderung im Viertel, eben gemeinnützige Arbeit. Letztlich Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Und zu guter Letzt: Fussballkultur. 
Wenn also Veranstaltungen stattfinden, dann müssen sie mit diesen satzungsgemäßen Zielen übereinstimmen. Das kann dann auch mal ein Abend mit Fussball- aber ohne FC St.Pauli-Bezug sein. Wobei ich nicht glaube, dass viele hsv-Institutionen bei uns anfragen werden. Aber es gibt ja genug Themen wie Lesungen, Vorträge, Tagungen und aktuelle Diskussionen. So kann so etwas wie die Wunderkerzen von vorgestern Abend einen wunderschönen Diskussionsabend nach sich ziehen.

Es gibt auch einen Konferenzraum, der vollständig ausgestattet ist mit Projektionstechnik und 16 Plätzen, der ist für jeden nach Absprache themenbezogen nutzbar. 

Alles unter dem Stichwort: Mehr Raum für Fans und das möglichst kostengünstig.

Und, ganz ehrlich….Natürlich wird man dort auch sein Bier trinken können, aber es ist eben keine Kneipe.

Und schließlich haben wir noch das Archiv. Aus meiner Sicht weltweit einmalig, dass im Vereinsumfeld eines Profivereins ein Archiv mit Fanzines, Büchern etc nur zum Thema Fussball entsteht.

ÜS: …nicht nur zum FC St.Pauli?

ML: Nein, Fussball allgemein. Da gibt’s dann Schnittmengen mit den Kollegen vom Museum. Wir haben uns mit denen ausgetauscht und versuchen da die Trennlinien zu schärfen und gleichzeitig das Gemeinsame zu betonen. Wir haben jetzt gerade z.B. von einem Fan aus England eine Bücherspende erhalten, die er extra im Flieger mit nach Hamburg gebracht hat. Der kam bei uns vorbei und hat uns ne Tüte Bücher über englischen Fußball in die Hand gedrückt. So was kann man sich dann vor Ort anschauen oder ausleihen.

ÜS: …wie ne Bücherei?

ML: Nein, Archiv triffts besser. Da gibt’s dann auch einen Arbeitsplatz und man kann dort wissenschaftlich arbeiten. Wir werden nach und nach versuchen, sämtliche Fanzines zu digitalisieren um raumsparend zu bleiben.

ÜS: A propos Museum. Hier gibt es vermutlich einige Wissenslücken. Was habt ihr mit dem Museum zu tun?

ML: Im Prinzip erst mal nichts. Weder räumlich noch institutionell. Auf den zweiten Blick haben beide natürlich ne ganze Menge miteinander zu tun, weil sie sich ganz wunderbar ergänzen. Wenn das Museum dann wirklich da gebaut wird, wo es alle gerne hätten, gibt es einen wunderbaren Tag, den man auf St.Pauli verbringen kann: Erst geht man ins Museum, dann wird man das Gesehene in den Fanräumen besprechen, dann ne Stadionführung und am Ende des Tages ins Clubheim auf ein Bier. Und dann am besten n Flutlichtspiel und dann ein Kiezbummel. Welcher Verein hat so was schon zu bieten? In der zentralen Lage! Im Volkspark gehste ausm Stadion raus und bist aufm Friedhof!

Das ganze Stadion

ÜS: Wem gehören die Fanräume?

ML: Die Fanräume gehören der Millerntorstadion-Betriebsgesellschaft (MSB), der auch das ganze Stadion gehört. Die Fanräume sind in Form eines Baukostenzuschuss fest für 20 Jahre angemietet und im Voraus bezahlt. An diesen 400.000,- EUR trägt die AFM einen Teil von 100.000,- EUR ihrer Miete für 20 Jahre. Der Fanladen ist mietfrei und wird durch Fanräume e.V. subventioniert, um den immer klammen Fanladen von Fixkosten zu entlasten.

Und jetzt kommt etwas gaaaanz Einmaliges….unserer Recherche nach sogar weltweit. Mit der Unterschrift unter den Mietvertrag hat Fanräume e.V. dem Verein FC St. Pauli ein Prozent der MSB abgekauft und ist gleichzeitig Kommanditist in der MSB.

ÜS: Ich bin ganz aufgeregt. Äh,was bedeutet das?

Was das bedeutet? Wir sind zwar Mieter der Fanräume aber gleichzeitig gehört Fanräume e.V. diese ganze Kiste hier (zeigt aufs Stadion), in der wir gerade sitzen. Nochmal langsam zum mitschreiben: Das Stadion gehört somit juristisch auch den Fans! Das gibt’s in ganz Deutschland nur hier. Vielleicht sogar weltweit.

ÜS: Wie ist denn Euer Verhältnis zum Verein FC St. Pauli?

JH: Es gab sicherlich auch mal Meinungsverschiedenheiten, die man dann ausdiskutieren musste. Aber eigentlich läuft es sehr gut. Der Verein hat Fanräume nie in Frage gestellt. Eher sogar unterstützt. 

ML: Gerade seit dem Päsidiumswechsel zum aktuellen Präsidium ist die Zusammenarbeit hervorragend. Stefan Orth ist ein großer Unterstützer. Er ist sehr engagiert und sitzt auch im fünfköpfigen Beirat von Fanräume. Der hat neulich sogar angerufen und uns seinen Wagen für den Umzug angeboten.

We just can’t get enough!

ÜS: Fanräume kommt jetzt in die heiße Phase. Kann man sich nun anderen Dingen zuwenden, weil Ihr ja “fertig” seid?

ML: Die 400.000,- EUR Miete haben wir zusammengesammelt und uns damit die Räume geschaffen. Aber wir haben laufende Kosten und wir haben das Problem, dass die satzungsgemäße Umsetzung nicht ehrenamtlich geschehen kann. Der Vorstand kann als Ehrenamtsgremium der Umsetzung der Satzungsziele nicht im Sinne der Räume und im Sinne des Vereins gerecht werden.

Wir haben viele Projekte für Kinder- und Jugendlichenförderung. Zum Beispiel soll ein internationales Kinderfussballturnier organisiert werden, wo auch der Verein FC St. Pauli sich finanziell und organisatorisch beteiligen wird und auch die Infrastruktur stellt.

Um Personal- und Projektkosten decken zu können haben wir aus diesen Gründen einen Bedarf von 40-50.000,- EUR im Jahr.

Wenn Ihr Übersteiger-Leser uns helfen wollt, könnte Ihr z.B. Fördermitglied werden um das Projekt über die Startphase hinaus am Leben zu halten.

Dazu am besten auf www.fanraeume.de unter “Fördermitgliedschaft” gucken, unterschreiben und ab zu uns. Das kostet minimal 5,- EUR im Monat und nach oben gibt’s keine Grenzen. Gerne auch noch vier Nullen dran hängen….

Wir haben auch gerade mal bummelich 30 Fördermitglieder. Da geht also noch was.

Übrigens können auch Fanclubs oder Vereinsabteilungen Fördermitglied werden. Die Triathleten sind da seit Dezember ein gutes Vorbild als erstes Fördermitglied von Fanräume.

ÜS:…und wenn ich keine Kohle habe. Kann man sonst helfen?

ML: Ja, für Projekte, Aktionen, Orga. Von Tresenschichten bis hin zu Helfer bei Turnieren geht alles. Wer da grundsätzlich Bereitschaft hat, kann uns einfach anmailen.

Sachspenden helfen übrigens auch. Wir suchen aktuell zwei Computer, einen als Arbeitsplatz fürs Archiv, einen für das Fanräume-Büro. Wer da was hat, kann das für einen tollen Zweck bei uns loswerden. 

Out of the Middle of the Viddel

ÜS: Der Fanladen wird nun das Viertel verlassen und ins Stadion ziehen. Ist das nur Chance oder auch Risiko?

JH: Der Vorteil der Zentralisierung überwiegt aus unserer Sicht. Wir haben es aber natürlich diskutiert. Vieles wird einfacher. Man kann mal eben vor oder nach dem Spiel seine Auswärtsfahrt organisieren. Und die Verwechslungen von Fanshop und Fanladen dürften dann auch aufhören.

Zudem darf man nicht vergessen, dass der Fanladen demnächst mietfrei ist. Mehr Geld für die eigentliche Arbeit. Und die derzeitige Miete ist hoch!

ML: Ich kann den Einwand verstehen. Ich bin so häufig im Fanladen. Ich bin immer so gerne genau in diesen Fanladen in der Brigittenstraße gegangen. Und ein wenig wehmütig werde ich schon, wenn ich an den Flair denke. Andererseits sind die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter da unten in diesem Keller eine Katastrophe. Als Besucher ist das ganze ziemlich romantisch, wenn Du da jeden Tag ohne Tageslicht und Sauerstoff arbeiten sollst, hat sich das mit der Romantik ganz fix erledigt. Aber natürlich wird die Umgewöhnung ein wenig dauern. Die Fans und Fanclubs müssen kommen. Die müssen den Laden in Beschlag nehmen.

Aber es ist alles doch eine riesige Chance. Viele, die bislang den Fanladen gar nicht kannten, werden ihn zum ersten mal sehen. Fanclubs von Außerhalb werden um Heimspiele herum öfter mal vorbeischauen können. 

Wenn ich alleine an die tolle Küche denke, die im Fanladen eingerichtet wird. Die Suppenabende nach Heimspielen bisher waren immer ein irrer Aufwand mit zu Hause kochen und mitbringen und warm halten etc. Jetzt kann ein Fanclub in die Fanladenküche gehen und für alle Kochen.

Ist das noch mein St. Pauli?

ÜS: Dass Altes sich verändert betrifft ja nicht nur den Fanladen, sondern seit einigen Jahren den gesamten Verein FC St. Pauli. Wir haben ein fast fertiges neues Stadion, sind wirtschaftlich solide, alles ist effektiv, professionell und vernünftig. Verliert es auch seine Identität und seinen Charme?

ML: Ich fang mal einfach an: Die Klos sind jetzt einfach besser! 
Aber wenn beim Flutlichtspiel die Abendsonne durch die Bretter der alten Gegengrade schien, das werde ich nie vergessen. Das sind Momente, die ich immer vermissen werde. Sowas werde ich in der neuen Gegengrade niemals wieder haben. Das ist eben weg.

Aber es sind die Menschen, die die Atmosphäre machen. Und wenn der Verein bei den Menschen und Fanclubs bleibt und die nicht verliert und ihnen die Chance lässt, sich in Ihren Gruppen und Clubs zu verwirklichen und zu gestalten, dann ist das Gebäude egal. 

JH: Die alte Gegengrade als romantische Perle des deutschen Fussballs wurde abgerissen. Aber durch Fanräume besteht die einzigartige Chance für alle Fans und Fanclubs, sich das ganze neu zu erobern und neu zu ergründen. Die alten Momente mag es nicht wieder geben, dafür kommen neue. Denk an Tschaunis Tor vorgestern, wo mir die Ohren geplatzt sind. Ich habe es in einem Stadion noch nie so laut erlebt.

Die Entwicklung des Vereins ist Gefahr und Chance und wir als Fans müssen es gestalten und Fanräume ist ein Werkzeug dafür.

Wenn das alles angenommen wird und klappt und die Fans und die Clubs kommen und das Stadion beleben, dann wird es einzigartig und dann wird es etwas, um das uns Fussballdeutschland beneiden wird.

Die alte Zeit war schön und sie ist abgeschlossen, aber viele bekommen wohl gerade erst eine Ahnung davon, dass das was jetzt kommt anders geil wird. Und wenn wir unserer Räume haben dann erst Recht. Wie sagte ein Fan in unserem Teaser-Film? “Schön müssen sie werden, groß, bunt, laut und es müssen unsere Räume werden”.

Interview: Mirco


Aufstieg und Fall – And the winner is (not)…?

Aus den dunklen Sümpfen ins Rampenlicht 

Was bisher geschah:

Im Spätsommer des vergangenen Jahres entwickelte sich die zugegebenermaßen völlig kranke Idee, als erstes Fanzine der Welt, die unendlichen Weiten des Kosmos zu erobern. Nach einer knappen Analyse der finanziellen und technischen Machbarkeit, ärgerten wir uns mit einem wahnsinnig kleinkarierten Behördenmitarbeiter herum, den wir aber letztendlich aufgrund der herrschenden Gesetzeslage mit süffisanter Ignoranz bedachten.
Und so machte sich unser Käpt’n Klaus im Oktober auf, vom Anstoßpunkt des Millerntorstadions die Stratosphäre zu rocken. Dabei stieg er, nur begleitet von einer Kamera, an einem Wetterballon bis in eine Höhe von ca. 25.000 Metern auf, um anschließend an einem winzigen Fallschirm zurück in den Schoß von Mutter Erde zu gleiten.
In einer wahrhaftig lebensbedrohlichen Rettungsaktion bargen unsere Redakteure Troll sowie der unerschütterliche und todesmutige Jean Eck Picard die Videoaufzeichnung unseres Fluges aus den tiefsten Sümpfen im dunkelsten Ostdeutschland.
Die ganze Geschichte lest ihr im ÜS #109 oder in unserem Blog unter http://blog.uebersteiger.de/2013/03/04/ubersteiger-goes-filmfestival-das-making-of/ 

Viele von euch werden sich bestimmt an unseren Artikel aus dem ÜS #109 erinnern und wahrscheinlich haben die meisten auch schon unser cineastisches Meisterwerk mit dem Titel „Aufstieg und Fall“ auf YouTube genossen. Wie aber aus mehr als vier Stunden Rohmaterial dieser filmische Brillant heraus geschliffen wurde und mit welchen Unwegsamkeiten wir uns nach der Bergung unserer Kamera herumschlagen mussten und wie viel Fahrt unser Machwerk im Nachhinein noch aufnahm, davon möchte ich euch heute erzählen. 

Als ich unser Fluggerät samt Filmaufzeichnung nach schier endlosen drei Wochen endlich wieder in meinen Händen hielt, ging es nun darum, aus dem Rohmaterial einen möglichst geilen Film zu schneiden. Irgendwie – so viel war klar – sollte es eine Art Musikvideo werden. Auch die Idee, einige Fanszenen dazwischen zu schneiden, war hier schon existent. 
Also begann ich, verschiedene Musikstücke auf unsere Bilder zu packen. „Fearless“ von Pink Floyd und „Space Oddity“ von Bowie sollten auf jeden Fall dabei sein. Ich habe dann mal zwei, drei Musikverlage angerufen und mich nach den Möglichkeiten erkundigt, wolle man so etwas legal machen. Wie bereits so oft in diesem Projekt fing ich mir zunächst einen herben Dämpfer ein. Pink Floyd gebe niemandem seine Rechte, egal um was für eine Idee es sich handle und bei Bowie sei es Verhandlungssache, je nachdem in welchem Rahmen man das fertige Produkt abschließend vermarkten wolle. Aber mit einer Summe im mittleren fünfstelligen Bereich müsse man trotzdem rechnen – für einen Song wohlgemerkt! Diese lächerliche Budgeterhöhung bekam ich dann beim Übersteiger nicht durch. 

Lizenzfreie Klassik oder befreundete Bands? 

Mein schlauer Kollege Zwille machte mich darauf aufmerksam, dass es im Internet auch massenhaft lizenzfreie Mucke zum kostenlosen Download gebe. Ohne hier weiter ausholen zu wollen, aber diese sogenannte „Musik“ ist nicht grundlos lizenz- und kostenfrei…
Aber dann hatten wir’s, wir nehmen Klassik! Die Musik von Komponisten, die bereits seit mindestens 70 Jahren den Radieschen von unten beim Wachsen zuschauen, ist nämlich ebenfalls nicht geschützt. Nun kann ich nicht behaupten, in der klassischen Musik wirklich beheimatet zu sein. Und auch den anderen Redaktionsmitgliedern schien es ähnlich zu gehen. Jedenfalls hielten sich die meisten – nein alle – bei den Vorschlägen zur Auswahl der Stücke vornehm zurück. Fündig wurde ich dennoch. Aber leider sind weder Carl Orff noch Maurice Ravel lange genug tot. Richard Wagner passte als bekennender Antisemit irgendwie nicht so recht zu unserem Image, und Richard Strauss hat schon einen legendären Sci-Fi Streifen begleitet. Blieb also nur der gute alte Ludwig van Beethoven und der „Triumphmarsch“ aus Giuseppe Verdis Oper „Aida“. 

Also suchten wir nach Alternativen. So machten wir uns daran, befreundete oder zumindest St. Pauli affine Bands abzuklappern und für unser Projekt zu begeistern. Als bald hatten wir mit Stücken von LAK, Sibbe, den Ärzten und Kettcar einen hammergeilen Soundtrack beisammen. Im Nachhinein muss ich sagen: „Scheiß auf Pink Floyd, Bowie & Co!“ 

Seid nicht böse, wenn ich hier nicht im Detail ausbreite, wie unsere Deals mit den einzelnen Musikern und auch den Machern vom Film „Das ganze Stadion“ aussahen. Nur so viel: Alle haben sich super fair und unbürokratisch verhalten. Dafür nochmals unseren aller herzlichsten Dank! 

Jetzt also hatten wir alles beisammen und ich knallte meiner Freundin Melanie, die unseren Film schneiden sollte, die Bilder des Fluges, diverse Schnipsel aus verschiedenen Handykameras mitsamt einer DVD von „Das ganze Stadion“ mit den Worten ‚Mach ma!‘ auf den Tisch. Tja, und jetzt wurde ich pedantisch. Denn als ich die erste Schnittversion gesehen hatte, fand ich das Ding so unglaublich geil, dass ich das jetzt auch perfekt haben wollte. Und so kam es zu endlosen kleinen Änderungswünschen. 

„Mach das mal so und jenes so. Hier eine andere Sequenz aus diesem Song und dort eine andere Blende. Ach nee, vorher war doch besser“, und so weiter und so fort. Die Hingabe, mit der Melanie jedes noch so kleine Detail auf dem Weg zur Perfektion einarbeitete war schier unfassbar. Mitte Januar waren wir dann soweit, als jemand gehört hatte, dass es in Berlin ein Filmfestival nur für Fußballfilme gäbe. Nach kurzer Internetrecherche stellte ich fest, dass wir noch zwei Tage Zeit hatten, um unseren Film beim 10. internationalen Filmfestival 11mm einzureichen. Ein paar Tage später war das Undenkbare Wirklichkeit. Aus mehr als 80. Einsendungen hatten uns die Festivalmacher als einen der sechs Finalisten auserkoren. 

Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin! 

So saßen wir nun an diesem Montag im März bei katastrophalen Wetter- und Straßenverhältnissen zu viert im Auto und folgten der Einladung zum Finale des Fußballfilmfestivals 11mm. Uns war klar, dass wir etwas gänzlich anderes gemacht hatten, als die fünf weiteren Finalisten. Die klassischen Anforderungen an einen Film gab es bei uns nicht. Weder einen Regisseur noch Schauspieler oder gar ein Drehbuch im herkömmlichen Sinne hatten wir anzubieten. Vielmehr war es „mehr Performance als Film“, wie es die Berliner Morgenpost so treffend formulierte. Somit gab es eigentlich nur Hopp oder Topp. Entweder rocken wir das Festival und holen den Pokal ans Millerntor oder wir landen abgeschlagen unter ferner liefen. Euphorisiert von den durchweg positiven Kritiken im Freundeskreis ging ich selbstredend von ersterem Szenario aus. Folglich bastelte ich in meinem Kopf schon fleißig an meiner Siegesrede. Allerdings gebe ich unumwunden zu, außer Acht gelassen zu haben, dass wir in Sachen St. Pauli unterwegs waren. Da fährt man nun mal nicht so einfach zu einem Finale und holt sich die Trophäe ab. Da ist erst einmal Leiden und Enttäuschung angesagt, ehe schlussendlich doch noch alles gut wird. 

Es war eine Sekundenentscheidung, als vor uns eine schwarze Rauchsäule empor stieg. 

Ich am Steuer: „Was ist das da vorne?“
Stimme von der Rückbank: „Da brennt es.“
Ich am Steuer: „Soll ich runter von der Bahn?“
Stimme von der Rückbank: „Nee, da kommen wir noch irgendwie rechts dran vorbei.“ 

Klassische Fehleinschätzung nennt man sowas wohl. Vor uns hatte sich dank der glatten Autobahn ein Gefahrguttransporter um einen Brückenpfeiler gewickelt und stand nun in Flammen. Vollsperrung vor uns, Vollsperrung hinter uns. Nun war unser Zeitpolster aber nicht so großzügig bemessen, als das ich wirklich locker hätte bleiben können. Also überlegten wir, ob wir nicht ein Franzbrötchen als Blaulichtimitat auf das Dach legen sollten, um dann perfekt als Zivibullen getarnt, rückwärts durch die Rettungsgasse zur Ausfahrt zurückzufahren. Da aber Ute zu diesem Zeitpunkt schon sämtliche Brötchen weggespachtelt hatte, blieb uns nichts als zu warten. Und nach einer knappen Stunde löste die Polizei dann tatsächlich den Stau von hinten(!) auf. 

Irgendwie haben wir es dann doch noch geschafft und standen pünktlich um halb sieben im VIP-Bereich des Babylon-Kinos in Berlin-Mitte, wo wir bei Schnittchen und Champagner mit allerhand wichtigen Leuten bekannt gemacht und uns der Ablauf des Abends nahe gebracht wurde. Man kann vereinfacht sagen, uns wurde reichlich Puderzucker in den Arsch geblasen. 

Ein Sternchen von Nick Howard 

Dann ging es los. „Aufstieg und Fall“ lief im ersten von zwei Blöcken. Neben mir saß der Film- und Medienwissenschaftler Jan Tilman Schwab, der ein einzigartiges Archiv für Fußballfilme aufgebaut hat. Noch während der Vorstellung gratulierte er mir zu unserem „großartigen“ Machwerk.
Alsdann kam es zur Jurywertung. Zuerst waren die beiden langweiligen wie austauschbaren Berliner Profis Fabian Lustenberger (Hertha) und Michael Parensen (Union) an der Reihe. 0 Punkte! Dann kamen Elke Ritt (British Council) und Nick Howard (Teenieschwarm & Gewinner von „The Voice of Germany“) auf die Bühne. Jawoll, Nick dekorierte uns mit einem Sternchen! Ausgerechnet Nick Howard, über den wir im Vorfeld doch hier und da ein wenig gewitzelt hatten. Und so stolperten wir über unsere eigenen Vorurteile. Nick war begeistert und hegte sofort den Plan, beizeiten das Wappen seines Lieblingsclubs Crystal Palace ins All zu schicken. Alles hing jetzt am letzten Jurorenpaar. Die Schauspielerin Jasmin Tabatabai (Qualifikation: „Ich habe auch schon mal ein Spiel im Fernsehen gesehen“) und Thees Uhlmann (Teenieschwarm & ÜS-Kolumnist) schritten auf das Podest. Tilman neben mir rechnete eifrig mit. „Wenn ihr jetzt zwei Punkte von Jasmin bekommt und abschließend drei von Thees, seid ihr Zweiter und somit in der Publikumsabstimmung.“
Nun, wir erhielten keine zwei Punkte von Jasmin, geschweige denn eine Wertung von Thees… 

Thees rechtfertigte sich anschließend, er könne keinen Film nach vorne wählen, in dessen Abspann ihm explizit gedankt wird. Kann ich verstehen. Mit einigem Abstand betrachtet, teile ich indes seine Meinung nicht, die Konkurrenz sei zu stark gewesen. Unser Film war mindestens so gut wie die anderen. Bloß bildete ein Filmfestival augenscheinlich nicht den richtigen Rahmen. Das beweisen die über 3.000 YouTube-Aufrufe binnen 24 Stunden, sowie all die Superlative, mit denen ihr uns in den sozialen Netzwerken überschüttet. Unser Film ist einfach anders, wie eben auch der FC St. Pauli anders als andere Vereine ist. Trotzdem hat er fast alles, was auch ein klassischer Film braucht – emotionale Momente, eine Prise Humor, überwältigende Landschaftsaufnahmen, einen klasse Soundtrack und einen fantastischen Schnitt. Das einzige, was eventuell fehlt ist die weibliche Hauptrolle. Aber offensichtlich war weder diese Jury noch das Berliner Publikum an diesem Abend bereit für diesen Film. Somit teilen wir uns die Ränge vier bis sechs mit „Die Sprache des Rasens“ (DEU 2012), und „Halfline“(KOR 2012). 

Amüsiert haben wir uns trotzdem königlich und streben jetzt eine Fanfreundschaft mit den Fans von Nick Howard an. Und einen Erfolg können wir dann doch noch vermelden: Der Übersteiger ist das erste Fanzine, das ein Kino trocken getrunken hat!

//Troll

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