Übersteiger 118

Der Norden muss still sein

Uwe

Liebe Leserin, lieber Leser, wie viele von euch sind eigentlich in den letzten 15 Jahren über die Feldstraße zum Millerntor angereist? Eigentlich zu wenige.

Liebe Leserin, lieber Leser, wie viele von euch haben eigentlich mal einen ÜS in der Halbzeit auf Block 1 gekauft? Zu wenige?
Ihr werdet es nie nachholen können – es ist vorbei, es wird nicht wieder kommen.

Fehlt es euch schon? Noch nicht, denn erst heute erscheint der erste ÜS seit fast 20 Jahren ohne Uwe, ohne lautstarke Befeuerung des U-Bahnhofs Feldstraße, ohne Durchforstung von B1 oder GG1 nach Menschen ohne Heft.

Uwe ist fort, weg, nicht mehr da, von uns gegangen. Ein Stück Geschichte dieses Heftes, könnte man pathetisch sagen, hat sich verabschiedet. Aber pathetisch drüber reden ist unwürdig. Ich habe meine persönlichen Worte schon gefunden und sprechen dürfen, weil ein Freund, ein mehr als richtig guter Freund uns von einem Tag auf den anderen, einfach so, verlassen hat. Ich durfte meinen Schmerz schon zu Wort bringen, umso schwerer ist es, ein weiteres Kapitel der gemeinsamen Vergangenheit zu öffnen: Thadenstraße 94, ein beliebiger Montagmorgen in den 90ern, der Himmel wird hell, es ist ca. 05.30 oder 06.00 oder so ähnlich. Ein Heft ist fertig, seit neun Stunden wollten wir fertig sein, aber irgendwie fehlte immer was, eine Korrektur, ein Lay-Out, eine Seitenzusammenstellung. Es ist Montag früh, Uwe wollte seit neun Stunden zu Hause sein, und wir erörtern die Frage, wer die Daten zum Drucker bringt. Es klappt natürlich, es ist jemand da, so wie die ganze Nacht jemand da war, damals, seit Benno weg war und wir Halbgaren froh waren, jemanden zu haben, der uns sagen konnte, wie es ging; der es uns auch immer gesagt hat, nicht belehrend-nicht genervt-nicht kopfschüttelnd, sondern immer so, wie es sein sollte in einer von 30 Stunden Lay-Out-Wochenende geschändeten Seele. Der Übersteiger war sein Projekt, seine Seele, sein Ich, da fand er sich wieder, egal wohin es ging, mal mit mehr, mal mit weniger Engagement, aber immer mit dem gleichen Herzen, weil das sein Leben war. Und so hat Uwe auch verkauft, ein Teil von sich, ein Teil seines Lebens, ein Teil echter Uwe. Er hat es nie gesagt, er hat es nie nach vorne gedrängt, er hat sich nie verkauft. Er war einfach da, zu jeder Zeit, und das ist so unendlich viel mehr als viele, wenn nicht alle von uns sagen können…, weil es so einfach war und wir so kompliziert sind. Uwe war Übersteiger, Übersteiger war Uwe, was Ü ohne U ist, wissen wir irgendwann, zur Zeit jedoch noch nicht. Bleib bei uns im Geiste, wir bleiben bei dir. 

Danke Uwe!

Und McTheb, in Erinnerung großer Worte einst im ÜS der 90er

Heil uns davon!
Kannst nichts ersinnen für ein krank Gemüt?
Tief wurzelnd Leid aus dem Gedächtnis reuten?
Die Qualen löschen, die ins Hirn geschrieben?
Und mit Vergessens süßem Gegengift
Die Brust entledigen jener giftgen Last,
Die schwer das Herz bedrückt?

(Mc Beth, 5. Aufzug, von Mc Theb für Uwe)


Es ist vollbracht!

Der Verein gehört uns! Endgültig! Seit der Jahreshauptversammlung im November haben wir wieder einen Fanpräsidenten. Diesmal handelt es sich aber keineswegs um eine Worthülse, sondern Oke Göttlich, Journalist und Unternehmer, kann man guten Gewissens als einen solchen bezeichnen. Die meisten seiner Vizes ebenso. Dazu wurde ein Aufsichtsrat gewählt, von dem man in der Mehrzahl mit Fug und Recht behaupten kann, Faninteressen zumindest wahrzunehmen und gewiss auch zu berücksichtigen. Nach langer männlicher Dominanz wurde dabei Sandra Schwedler nicht nur mit den meisten Stimmen in den Aufsichtsrat gewählt, sondern später auch zu Sprecherin der Räte. Sandra setzt sich seit Jahren auch vereinsübergreifend in verschiedenen Gremien, zuletzt auch bei PRO FANS und der AG Fandialog, für Fanrechte ein. Die Steilvorlage für eine bessere Welt ist gegeben, jetzt liegt es an den Protagonisten diese auch zu verwerten. Wenn’s klappt, sind wir die Größten! Der Übersteiger wünscht schon einmal viel Erfolg!

Viel Erfolg wünschen wir auch der Mannschaft. So langsam werden wir nämlich nervös. Die Spiele gegen Heidenheim und in Leipzig waren eine Offenbarung. Leichte Ansätze zur Verbesserung gab es dann in der zweiten Halbzeit gegen Kaiserslautern, ein tatsächlich besseres Spiel beim VFL Bochum machte ein wenig Hoffnung. Doch dann kam Darmstadt… Der mutlose Auftritt konsterniert. Wieder ein kapitaler Bock in der Abwehr. Das Ergebnis: wieder nix! Jetzt muss dann eben Ingolstadt weggefegt werden (räusper, auch wenn wir denen den Aufstieg gönnen. Zwar nur aus lauter Gehässigkeit der Bundesliga gegenüber, aber dennoch! Überwiegend vorbildlich ist der Umgang der Fans mit dieser Situation. Muss einfach mal gesagt werden. An Unterstützung mangelt es trotz innerlicher Bestürzung mitnichten. Großartige Choreographien und Freitag Abend Bundesliga-Spiel Atmosphäre (zwar wirkungslos) gegen schwarz- gelb. Dreimal Torpogo in Bochum- da werden lang vergessene Emotionen frei! Nur so schaffen wir das. Glaube, Liebe, Hoffnung und so. 

Passend zu Lage der Nation gibt es eine umfassende Analyse zu Rachid Azzouzis Wirken am Millerntor. Ist er an allem Schuld? Fragt sich Mirco. Wir fragen uns, ob man als DDR Bürger St. Pauli Fan werden konnte? Kay liefert uns die Antworten. Komisches aus der Welt der Polizei erfahrt ihr in Leipzig away und der übliche Hopperbericht von CF kommt diesmal aus Portugal. Fuisligo quält uns wieder mit Statistiken (Achtung: Ironie) und Ronny hat mit Stadionsprecher Rainer Wulff einen interessanten Interviewpartner gefunden. Nicht zu vergessen: Das Tagebuch. Ganz aktuell, wie immer, von Frodo. Ganz neu: Hog’s andere Seite und noch vieles mehr. Nicht ins Heft geschafft, haben es diesmal die Döntjes. Wir haben einfach zu viel um die Ohren.

Wir wünschen allen LeserInnen gesegnete Weihnachten, der Mannschaft bis dahin sechs Punkte mehr auf dem Konto (Stand vor Ingolstadt) und allen einen guten Rutsch!

Uwe wünschen wir viel Spaß im Himmel! Let it rock, Alter! Irgendwann kommen wir alle nach. Scheiße, sind wir traurig!

Eure Übersteiger


Das 25jährige Jubiläum von Sven Brux und 
der Gründung des Millerntor Roar (MR!)

“Und warum dafür 5 Seiten?”

Wir kommen langsam in die Jahre. Jubiläen hier da und dort. Wer außer Sven Brux, der seit 25 Jahren am, im und um den FC St.Pauli in sehr vielen Positionen tätig ist (hauptberuflich Leitung Veranstaltungen & Sicherheit), kann jüngeren , aber auch uns alte ÜS-Leser*innen besser die Zeitreise in unserem etwas „altmodischem“ Heft darstellen. Sven, der Kölsche Jung von damals war nicht nur erster Fanladen Mitarbeiter Beim Grünen Jäger, Achtung, nächstes Jubiläum steht vor der Tür, sondern hat in allen Bereichen des FC St. Pauli viel bewirkt.

Und auch der MR!, heute mal die Großeltern aller deutschen Fußball-Fanzines genannt, hat Sven mit aufgebaut. Ein Veteranentreffen wurde im September nach 25 Jahren im Jolly gefeiert.

Die Idee über die Fanzine Entwicklung beim FC und damit ein Interview im ÜS zu machen kreiselte schon länger. Dann fand noch vor diesem schriftlichen Interview der Podcast am 18. September 2014 statt, bei dem acht vereinsnahe Menschen aus dem direkten Umfeld in über zwei Stunden, nicht nur, aber hauptsächlich über MR!, Unhaltbar! und Übersteiger fachsimpelten. Der Podcast ist sehr zu empfehlen, Legendäre Spiele, wie in Uerdingen 1992 können wir hier im Heft nicht liefern, aber der Podcast ist sehr witzig und aufschlussreich. Hört selbst.

28 Ausgaben MR!, Politik in den Fußball tragen, aus Punk-Zine wird das erste zu erwähnende Fußball Fanzine, deren Nullnummer im Juli 89 gegen Bremen erscheint. 1993 dann Schluss und Entstehung von Unhaltbar und dem Übersteiger. Sven weiß viel zu erzählen und man hört ihm gern zu. Hier müsst ihr nun selbst lesen.

ÜS: Sven, du hast seit 25 Jahren hier am Millerntor und auf St.Pauli viel bewegt. Warum als Kölner gerade St.Pauli?
SB: Ich könnte jetzt was von der punkhistorisch gewachsenen Beziehung zwischen Hamburger und Kölner Szene fabulieren, so bspw. die Beziehung zwischen den Razors und den Cotzbrocken, aber das lass ich lieber. Es war vielmehr schlicht so dass ich zum Zivildienst nach Hamburg gezogen bin und im Seemannsheim am Krayenkamp 20 Monate einiges über das Leben lernte und in dieser Zeit auch zum FC St. Pauli fand, was ja, wie wir wissen, die einzige Möglichkeit war und ist…

ÜS: Der Fanladen, er wird im Februar 25 Jahre alt, war dir immer eine Herzensangelegenheit. Du bist der erste Fanladen Mitarbeiter und kannst uns viel über die Gründerzeit erzählen. Wie waren die ersten Tage, Wochen und Monate?
SB: Sie waren vor allem eins: Absolutes Neuland in allen Bereichen, denn eine vergleichbare Einrichtung gab es ja im Fußball noch gar nicht. Die ersten Monate nach Beginn meiner ABM-Maßnahme vergingen den Laden betreffend mit der Suche nach einem passenden Ladenlokal, welches wir schließlich in Form eines alten Frisörladens am Neuen Pferdemarkt fanden. Vielleicht 30 qm klein, Kohleofen und zusammengeklaubtes Sperrmüllmobiliar, aber vor allem eins: Unser! Ein Treffpunkt und organisatorischer Dreh- und Angelpunkt für die Szene auch unter der Woche. Nach einiger Zeit kam auch endlich ein Telefonanschluss hinzu, was die Organisation von Auswärtsfahrten etc. sehr erleichterte. 
Was aber zunächst überwunden werden musste, war der Graben zwischen den unterschiedlichen Fangruppen im Club. Denn nicht ganz zu Unrecht war der Fanladen in den ersten Jahren bei den alten Kutten als Treffpunkt der „Zecken“ verschrien. Mit ein bisschen gutem Willen auf beiden Seiten ging das aber und man näherte sich an. Das ging damals etwas einfacher, weil alles noch viel kleiner war und man bspw. auf den langen Auswärtsfahrten Zeit genug hatte, Probleme auszudiskutieren. Dort musste man ja auch zusammenhalten, weil die Zahl der Auswärtsfahrer gering war und es noch keine Umlandfans in der heutigen Größenordnung gab. Zudem, welch ein Segen in diesem Zusammenhang, gabs noch kein Internet und man musste sich in die Augen schauen, wenn man sich was zu sagen hatte…
Parallel betraten wir den Bereich „Merchandising“ und stellten die ersten T-Shirts, Sticker und Aufnäher her. 

ÜS: Der Millerntor Roar! (MR!) wurde in einer hochpolitischen Zeit gegründet, der Fall des Eisernen Vorhangs inkl. Mauerfall und damit das Ende des Kalten Krieges, das Massaker auf dem chinesischen Tian’anmen Platz, Besetzung und Gründung der Roten Flora als Kommunikationszentrum, oder das Ringen um die besetzten Häuser in der Hafenstraße, um nur ein paar wichtige Ereignisse zu nennen. Warum habt ihr gerade beim FC St.Pauli den MR! gegründet und seid nicht z.B. bei den Rot-Floristen eingestiegen?
SB: Warum sollten wir denn ein Fußball-Fanzine in der Flora raus bringen? Die Frage hätte jetzt auch von jemandem aus der politischen Ecke stammen können, die uns seit jeher vorgeworfen haben, den Fußball nur als Sprungbrett zur politischen Agitation nutzen zu wollen. Und so war es ja keineswegs. Wenngleich viele von uns ja auch parallel in anderen Zusammenhängen tätig waren, ähnlich wie heute. 

ÜS: Ihr seid so etwa 20 Gründer gewesen, könnt ihr die Zusammensetzung der Fanzinemacher beschreiben?
SB: Naja, es waren schon weniger im ersten Step. Der Großteil der GründerInnen hatte sich im Rahmen der Protestbewegung gegen die damaligen Stadionausbaupläne, Stichwort “Sport Dome”, kennen- und schätzen gelernt. Alle waren logischerweise St. Pauli-Fans und darüber hinaus auch politisch zumindest interessiert, wenn nicht auch engagiert, vornehmlich in den Bereichen Antifa und Hafenstraße, um mal Schubladen zu bedienen. Musikalisch war sicher durchweg eine Affinität zu Underground Mucke vorhanden, damals eher im Bereich Punk. Zum Glück gab’s damals das elektronische Gedudel noch nicht, hähä… Anzumerken ist aber auch, dass es eine gemischtgeschlechtliche Redaktion war. Heute natürlich überhaupt kein Thema. Damals jedoch musste man im Fußball engagierte Frauen mit der Lupe suchen. Neben der Fanzinearbeit wurde im Club auch der Frauenfußball gefordert und durchgesetzt. Nicht ohne Schwierigkeiten bei den damaligen Platzhirschen der Fußballabteilung.

ÜS: Welche Idee steckte dahinter, das Fanzine zu machen?
SB: Grundsätzlich hatten wir nach dem Erfolg der Anti-Sport-Dome Ini das schöne Gefühl, stark genug zu sein, um etwas bewegen zu können. Die Themen lagen ja auch buchstäblich auf der Straße. Den Ausschlag gab schlussendlich jedoch die Weigerung des offiziellen Stadionmagazins, einen kritischen Beitrag über eine vorangegangene Auswärtsfahrt zu den Bayern abzudrucken, in dem das skandalöse Verhalten der Münchener Polizei thematisiert wurde. Die Entscheidung, ein Zine zu machen, haben wir aber nie bereut, denn die Auflage stieg schnell bis auf 3.500 Exemplare und der MR! Wurde zu einer ernst genommenen Instanz rund um den FC. 

ÜS: Stichwort ViVa-St.Pauli Festival am Millerntor. Viel Arbeit, viel Spaß?
SB: Ja, so kann man es sagen, wobei ich hinzufügen muss, dass das Festival kein MR!-Projekt war. Es waren zwar einige von uns involviert, die Zentrale war jedoch im Hafen. Das Festival selbst war natürlich der absolute Burner. Ein volles Millerntor bei einem politischen Musikfestival, komplett ehrenamtlich organisiert, das war so was von klasse. Nur schade, dass es so wenige Bilder davon gibt. Auf der Slime Live-DVD kann man zum Glück einiges davon sehen. 

ÜS: Dann war 1993 Schluss mit dem MR!, was waren die Gründe?
SB: Wie heißt es so schön, wenn Beziehungen zu Ende gehen? Wir hatten uns auseinandergelebt. Grob gesagt gab es zwei Fraktionen, die sich heraus gebildet hatten, ich nannte sie damals immer die Fundis und die Realos, die schlichtweg unterschiedliche Vorstellungen vom Fanzinemachen hatten. Und so haben wir uns halt getrennt und mit dem Unhaltbar und dem Übersteiger zwei neue Projekte gestartet. Ganz ohne Streit und üble Nachrede übrigens. Kann man ja nicht von jedem Beziehungsende sagen…

ÜS: Warum bist du nicht zu Unhaltbar!, sondern hast den Übersteiger mit begründet?
SB: Ganz einfach, weil ich inhaltlich eher der Fraktion zugehörte, die dann eher den Style pflegen wollte, den der Übersteiger repräsentierte. Und zumindest der langlebigere war es ja offensichtlich. 

ÜS: In der Zeit vom Übersteiger bist du auch der “Bürgermeister” im Fanladen und “für den FC St.Pauli” gewesen, für mich der “Macher”, auch heute noch. Was waren so deine für dich großen Erfolge?
SB: Puh, das sollen bitte andere beurteilen. Ich denke jedoch, dass der Fanladen damals den Grundstein gelegt hat für Vieles, was der Szene heute noch nützt. Zum Einen ein Ladenlokal zu haben, was auch unter der Woche als Treffpunkt dient. Dann die organisierten Auswärtsfahrten. Ich glaube, unser Fanladen ist bis heute das einzige sozialpädagogische Fanprojekt, welches derart stark auch organisatorisch tätig ist. Für mich ein Erfolgsmodell. Unvergessen als Beispiel, wie wir nach dem 1:1 im zweiten Relegationsspiel bei den Stuttgarter Kickers, erst morgens aus dem Schwabenland zurückgekehrt, am Nachmittag 2 komplette Sonderzüge zum Entscheidungsspiel auf Schalke ausverkauft haben, das war großes Kino. Schmankerl am Rande: Da war ja auch ne Menge Bargeld im Spiel, wie man sich vorstellen kann. Um das schnell loszuwerden, haben wir uns immer den schimmeligsten Punker ausgesucht, der dann mit 20.000 Mark runter zur Haspa ist und dort Bareinzahlungen gemacht hat. Wir gingen halt davon aus, dass so einer nicht gerade auf offener Straße überfallen wird. Hat funktioniert…

ÜS: Und Niederlagen?
SB: Hm, in welcher Zeit? Ich denke, am Anfang gab’s kaum Niederlagen, da alles nur steil nach vorne ging. Die größte Klatsche gab es, nicht nur für mich sondern für alle, meiner Erinnerung nach am 01. Mai 1998, als zum Spiel gegen Leipzig unerwartet einige hundert Nazis anreisten, weil am Morgen in Leipzig eine Nazidemo verboten wurde. Da waren alle überrascht und die Nazis konnten sich den ganzen Tag ohne Gegenwehr austoben. Das war bitter, wurde aber zum Glück gut und schnell nachbearbeitet, damit so etwas nie wieder geschieht.

ÜS: Dann bist du vom FL zum Verein gewechselt und auch nicht mehr für den ÜS tätig gewesen. Interessenkonflikt, kein Bock?
SB: Für mich stand fest, dass ich weder mir noch den Zinekollegen Situationen zumuten mochte, dass ich bspw. Informationen habe, die dem Heft gut tun würden, jedoch auch einen gewissen Geheimnisverrat dem Arbeitgeber gegenüber beinhalten würden. Das geht auf Dauer nicht gut und somit war es Zeit, einen Strich drunter zu machen.

ÜS: 2013 hatte der ÜS sein 20jähriges Jubiläum. Du bist leider nicht auf der tollen Party im Knust gewesen, warum?
SB: Puh was ne Frage. Weiß ich nicht. Wahrscheinlich habt Ihr mich nicht oder zu spät eingeladen, die Bands waren scheiße, der Eintritt zu teuer und ich hatte was Besseres vor. Irgendwie so was 😉 
(ÜS: Schmoll!)

ÜS: Wie siehst du den ÜS heute, was gefällt, was nicht?
SB: Zunächst ist es toll, dass sich das Heft so lange gehalten hat, während überall sonst im Lande die meisten Zines schon längst das Zeitliche gesegnet haben. In letzter Zeit bemerke ich aber oft große Layout-Lücken oder ellenlange Artikel, wo ich mich frage “Und warum dafür 5 Seiten?”. Da scheinen manchmal ein wenig die Themen zu fehlen. Und auch die Absprachen untereinander. Gekotzt habe ich bspw., als in einer der letzten Ausgaben die Band Cocksparrer nach einem Gig im Docks über den grünen Klee gelobt wurde und ich es echt nicht fassen konnte, dass gerade der sonst so korrekte Übersteiger mit keiner Silbe darauf eingeht, dass beim vorherigen Gig der Band in der Alsterdorfer Sporthalle mit das größte Nazitreffen stattgefunden hat, was es in Hamburg je auf einem Konzert gegeben hat. Und eine Band, die damit offensichtlich kein Problem hat, obendrein ihr gesamtes Merch in schwarzweißblau darbot etc. pp. Es hatte ja schon seinen Grund weshalb bald darauf deren Lied nicht mehr bei uns im Stadion lief.
Aber davon ab, Fehler passieren schließlich überall, glänzt der ÜS nach wie vor durch Perlen wie zuletzt der Text von Mirko zum Thema “Gutmenschentum”, ganz großes Kino! 
(ÜS/hog: Danke Sven, für deine Kritik. Ich war damals nicht in der Sporthalle und dann gerät beim Schreiben manchmal etwas in Vergessenheit.)

ÜS: Kannst du auch etwas zu unseren anderen Fanzines, Kiezkieker, Basch etc. sagen?
SB: Klar, die beiden genannten lese ich immer und mit (meistens) großem Vergnügen. Wenngleich ich logischerweise nicht immer mit dem konform gehe, was so in der Basch steht. Ist klar, ne? Aber hier ins Detail zu gehen würde den Platz sprengen, das muss ich mal mit denen ausdiskutieren…

ÜS: Als Sicherheitsbeauftragter des Vereins bist du auch bei den Sicherheitsbesprechungen vor den Spielen involviert. Hat es bei diesen Veränderungen gegeben?
SB: Äh, nee, was denn für Veränderungen? Nein, eigentlich laufen diese Besprechungen seit etlichen Jahren mit dem gleichen Teilnehmerkreis und nach dem gleichen Schema ab.

ÜS: Was sagst du zum neuen Trainer?
SB: Diese Pöbelwurst, die sich gleich auf die Tribüne schicken lässt? Nee, im Ernst: Meggi ist schon ein Guter und ich drücke wirklich doll die Daumen, dass er es in dieser Position schafft und neben dem sportlichen Erfolg der Truppe auch gewissen St. Paulianische Tugenden einimpft.

ÜS: Was sagst Du zum neuen Präsidium?
SB: Man kann festhalten, dass die Geschichte nach nun 25 Jahren rund wird, denn zum ersten Mal haben wir einen Präsidenten, der selbst der aktiven Fanszene entstammt. Nach dem ersten Fanbeauftragten, weiteren Geschäftsstellenmitarbeitern, Merchandisern, Aufsichtsräten usw. hat die Story vom „anderen Verein“ nun einen Höhepunkt erreicht. Es wird jetzt sehr genau von außen beobachtet werden, was aus dem FC St.Pauli wird. Können wir uns auf lange Sicht im Profifußball behaupten, ohne Werte zu verlieren, die uns immer wichtig waren? Können wir gar neue Wege beschreiten, die uns neue Möglichkeiten eröffnen im kommerziellen Haifischbecken Profifußball? Das wird nicht ohne Konflikte intern und mit anderen gehen. Ich hoffe jedoch inständig, dass wir diese Konflikte mit der nötigen Gelassenheit überstehen und uns nach außen geschlossen präsentieren. Es wäre doch zu schön, wie damals erneut ein Beispiel für andere Vereine zu sein. Ging es vor 25 Jahren darum, dass die Stadien nicht ausschließlich dumpfen Rechten gehören, könnten wir jetzt beweisen, dass man auch heute noch als Verein (!) im Profifußball mitspielen kann, ohne sich vollends den Mechanismen des Marktes zu beugen und sich womöglich reichen Investoren auszuliefern. Zunächst sollten wir aber zusehen, aus dem Tabellenkeller raus zu kommen, was schwer genug wird. Nicht nur als Fan, auch als Betriebsrat des Vereins weiß ich aus bitterer Erfahrung, dass ein Abstieg in die dritte Liga die Hölle ist…

ÜS: Wie sieht deine Zukunft aus?
SB: Bin ich Hellseher? Aber nach 25 Dienstjahren für und beim FC habe ich mich damit abgefunden, dass es hier wohl bis zur Rente weitergeht, soweit gewünscht und möglich. Ist ja auch nicht mehr sooo lange. Und da ich ja auch all die mehr als düsteren Jahre hautnah miterleben musste, ebenso wie den Aufschwung der letzten Zeit, Stadionbau usw., bin ich guter Dinge bzw. lasse den Gedanken zu, dass der uralte Wunsch vieler St. Paulianer noch zu Lebzeiten in Erfüllung geht, wenigstens mal ein internationales Pflichtspiel zu absolvieren, auch wenn es mit unserem Losglück sicher nicht ans Mittelmeer sondern nach Island mit Wintereinbruch ginge. Aber was soll’s. Und Derbysieger sind wir ja bereits und immer noch…

ÜS: Sven, vielen Dank für das Interview und noch mal herzlichen Glückwunsch für die letzten 25 Jahre. Wir wünschen dir für die kommenden 25 Jahre viel Erfolg auf deinem St.Pauli Weg und natürlich auch privat.

//hog


Warum führt der Repressionsapparat seine Übungen eigentlich an Fussballfans durch?

Warum fuerht der Repressionsapparat seine UEbungen eigentlich an Fussballfans durch

„Bürgerkriegsähnliche Zustände“ stellte der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende der „Deutschen Polizeigewerkschaft“ fest! Plünderungen, Sachbeschädigungen und – schlimmer noch – Angriffe auf Polizeibeamte seien spieltäglich in deutschen Innenstädten gegenwärtig. Nicht einmal die deutsche Provinz bleibe verschont, denn die Gewaltspirale „drehe sich weiter bis in die Kreisligen“.

Derlei Populismus vermeintlicher Interessenvertreter der Polizeibeamten ist der Zeitungsleser weithin gewohnt. Da hierzulande bürger-kriegsähnliche Zustände seit Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda tatsächlich eher selten auftreten, könnten solch tumbe Phrasen berufsständischer Populismus-Beauftragter zum Kichern animieren. Könnten. Denn ihr politisches Echo hallt bedrohlich laut. Mit martialischen Mienen treten profilsuchende Landesinnenminister vor die Kameras und verlangen nach scharfen Lösungen, um die Überlebens-wahrscheinlichkeiten ihrer Beamten im Konflikt mit Fußball-Paramilitärs signifikant zu erhöhen. Schneidige Maßnahmen müssten her! Kurzer Prozess zur schnellen drakonischen Verurteilung müsse möglich werden!
Nicht einmal die polizeiliche Kriminalitätsstatistik gibt objektiv Anlass zu solcher Dramatisierung. Denn selbst diese offiziellen Zahlen zeigen, dass Fußballstadien sicherer als Dorfschänken sind, oder das jährliche Münchner Oktoberfest. Dennoch begegnet der – sich selbst Ultra nennende, von der Staatsmacht üblicherweise als „Problemfan“ gebrandmarkte – Intensivfußballspielbesucher seit der WM 2006 einem stets wachsenden und massiver angewandten Portfolio von hoheitlichen Maßnahmen, die kurz dargestellt werden sollen. Angesichts der objektiv zu vernachlässigenden Gefahr, die vom gemeinen Fußballfan für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, ist es dringend geboten, die Motive für diesen Eifer des Sicherheitsapparates zu reflektieren.

Es ist schwerlich zu übersehen, dass die langanhaltende Phase ressourcenbedingten Rückbaus des Staates am „Sicherheits- und Ordnungsapparat“ relativ spurlos vorbeigezogen ist. Mittel zur Ausrüstung der „kämpfenden Truppen“ der Administrative werden offenbar ausreichend zur Verfügung gestellt – während zur gleichen Zeit wertvolle und notwendige soziale Projekte mit dem Hinweis auf fiskalische Notwendigkeiten zu Grabe getragen werden. Es drängt sich der Verdacht auf, dass die erheblichen gesellschaftlichen Verwerfungen, die als Folge der sich zuspitzenden volkswirtschaftlichen Verteilungsungerechtigkeiten allerorts zu beobachten sind, wohl eine profunde Angst vor „Aufruhr“ auslösen. Die Exekutive zeigt unverbrämt ihr Dogma, dass die Aufrüstung des Staates zur Kontrolle, Abwehr und Bekämpfung des Bürgers prioritär sei. 

Übungen am lebenden Fan

Aus dieser Perspektive ist die Militarisierung der „Sicherheitsverwaltung“ natürlich auch zu erproben: Sei es nun die Übung, 2.000 Menschen in Bussen von dem einen in den anderen Käfig zu verfrachten (dazu unten mehr), die logistische Mammutaufgabe, 400 Personen auf einmal erkennungsdienstlich behandeln zu können (um so Daten dauerhaft in eine Vielzahl behördeninterner oder verbundener Dateien einzuspeisen) oder die Aufgabenstellung, große Personenansammlungen in Gewahrsam zu nehmen: All dies können die Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit Fußballspielen am lebenden Fan üben. Die dort gewonnenen Erkenntnisse lassen sich leicht im Falle jedweder Art des Aufbegehrens gegen staatliche Exzesse nutzen. Die Angst der herrschenden Klasse vor „aufrührerischen Umtrieben“ (etwa zur Erstreitung größerer Verteilungsgerechtigkeit, zum Schutze der Grundrechte oder einfach, um einen überdimensionierten Bahnhof zu verhindern) fordert Maßnahmen der Sicherheit. Diese vermeintliche Sicherheit verlangt aber auch ständige Übung. Denn einerseits müssen die praktischen Fertigkeiten geprobt sein. Noch wichtiger mag es jedoch sein, dem vermeintlichen Souverän („Volk“) beizeiten schon die Muskeln zu zeigen.

Aber das sind nur die Symptome. Die faktischen Gewaltmittel verlangen im so genannten Rechtsstaat grundsätzlich eine Ermächtigungsgrundlage: Der Staat darf in die Rechtssphäre des Einzelnen nur aufgrund bestimmter gesetzlicher Erlaubnisse eingreifen. Grundlage für den präventiven (gefahrenabwehrenden) Einsatz der Polizei sind die jeweiligen Polizeigesetze der Länder beziehungsweise das Bundespolizeigesetz BPolG für die Beamten der Bundespolizei.

Schon seit den 1990er Jahren ist eine Tendenz zur Ausweitung dieser Eingriffsrechte zu beobachten. Verdachtsunabhängige Kontrollen werden in immer weiteren Bereichen des öffentlichen Raumes zum Normalfall – neuerdings werden gar ganze Stadtbezirke zu Gefahren-bereichen erklärt, so geschehen Anfang 2014 Hamburg. Diese grundrechtseinschränkende Ausweitung staatlicher Zugriffsrechte ist in der Öffentlichkeit nur vor dem Hintergrund von Katastrophenkulissen widerstandslos durchzusetzen, seit einiger Zeit funktioniert die Dramatisierung auch mit dem „Problemfußballfan“. Dieser, so lesen wir in den von den Presse-stellen der Polizeibehörden und diversen Polizeigewerkschaften veranlassten Presseberichten, verwandelt die deutschen Innenstädte spieltäglich in Bürgerkriegsregionen, in denen die Rechts-güter braver Bürger nur durch den Einsatz kämpfender Polizeihelden geschützt werden können, die hierbei regelmäßig ihr Leben aufs Spiel setzen. Mangels klarer Definition dieser Klassifizierung mag man streiten, wer diesen „Problemfans“ im Einzelnen zuzurechnen ist. „Ultras“ sind jedoch in den Augen der Polizei unstreitig Kern und Keimzellen dieser vermeintlichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung (hierzu unten mehr).

Die vorgeschriebene Begründungsintensität 
wird ignoriert

Hervorzuheben sind insoweit folgende Maßnahmen: Alle Polizeigesetze sehen vor, dass Polizei-beamte Bürger aus bestimmten Bereichen des öffentlichen Raums, sogar aus privaten Räumlich-keiten verweisen dürfen, wenn festzustellen ist, dass von dem mutmaßlichen Störer zeitnahe rechtswidrige Handlungen zu erwarten sind. Mag auch feststellbar sein, dass diese Maßnahme häufig zur „kosmetischen“ Aufwertung der hochpreisigen Fußgängerzonen missbraucht werden, indem Obdachlose und Bettler von dort vertrieben werden, ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass der Staat Gefahren abwehrt, bevor Straftaten verübt werden. Droht der trunkene Ehemann etwa seiner Frau Gewalt an, so muss es erlaubt sein, ihn bis zur Ausnüchterung hoheitlich „des Platzes zu verweisen“. Hier stehen konkrete Gefahren regelmäßig unmittelbar bevor. 

Schwieriger sieht es bei dem großen Bruder des Platzverweises, dem „Aufenthaltsverbot“ aus. Hier wird dem Betroffenen bereits im Voraus durch eine Polizeibehörde – durch einfachen Verwaltungsakt, nicht etwa aufgrund richterlicher Entscheidung – verboten, sich in bestimmten Zeiträumen in einem zu bestimmenden Gebiet aufzuhalten, weil sonst – nur aufgrund seines Aufenthalts in diesem Gebiet – erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bestünden. Der Eingriff in das Freiheitsrecht des Bürgers wie auch seine Stigmatisierung sind ungleich größer. Ihm wird die Freiheitsbeschränkung nur aufgrund seiner vermeintlichen allgemeinen Gefährlichkeit und nicht mehr aufgrund konkret wahrgenommener Konfliktlagen schon für die Zukunft auferlegt.
Wegen der erheblichen Eingriffstiefe verlangt das Gesetz hier – eigentlich – auch eine entsprechende Begründungsintensität. Nur aufgrund einer individuellen Gefahrenprognose, die auf bestimmten Tatsachen und nicht etwa auf Vermutungen oder vermeintlichen Erfahrungen gründet, darf (oder durfte) eine solche Verfügung gegen einen Bürger verhängt werden. Wegen dieser hohen Schwelle waren derartige Verfügungen im Bereich der „Fußball-Gefahrenabwehr“ höchst unüblich. Während der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland gab es zwar solcherlei Verfügungen verschiedener Behörden, die aber von (jedenfalls manchen) Verwaltungsgerichten sogleich wieder ob ihrer Rechtswidrigkeit aufgehoben wurden.

Die Polizeistrategen suchten sodann für viele Jahre ihr Heil in einer Privatisierung des Gefahrenabwehrrechts: Die Spielbetriebsveranstalter („Vereine“) wurden (unserer Einschätzung nach unter Verletzung des Dienstgeheimnisses) von der Polizei darüber in Kenntnis gesetzt, dass ein Ermittlungsverfahren gegen einen Betroffenen „in Zusammenhang mit einer Fußballveranstaltung“ eingeleitet wurde und somit augenzwinkernd aufgefordert, privatrechtliche Hausverbote zu erteilen, die nur der zivilgerichtlichen Kontrolle unterliegen.

Seit Monaten indes schwappen ganze Wellen von Aufenthaltsverboten über die Fankurven der Republik. Offensichtlich konzertiert üben sich die Polizeibehörden derzeit darin, das Aufenthaltsverbot durch massenweise Verhängung zu normalisieren. Hierbei stellen wir üblicherweise das folgende Muster fest: Kommt es in Zusammenhang mit Fußballspielen zu gewaltgeladenen Konflikten zwischen Fans und/oder Beamten oder Ordnern, wird wahllos der Anfangsverdacht von Landfriedensbruchdelikten (v)erkannt und gleich gegen jedermann, der sich – gegebenenfalls auch unfreiwillig – in der Nähe des Konfliktherds aufhält, Strafanzeige erstattet. Schon diese Verfahrenstatsache – also ohne dass etwa die Staatsanwaltschaft Gelegenheit gehabt hätte, als zuständige Behörde selbst zu entscheiden, ob im Einzelnen ein Anfangsverdacht gegen einen Bürger erkannt werden kann – wird in die „Legende“ eingetragen, also in die Vorfalldateie für so genannte „Problemfans“ bei den Szenekundigen Beamten (SKB). Obwohl die Tatsache, dass ein Polizeibeamter einen Anfangsverdacht einer Straftat erkannt haben mag, prozessual ohne Belang ist und die Unschuldsvermutung nicht anficht, werden hierauf neuerdings Aufenthaltsverbote gestützt, die nicht selten ganze Stadtgebiete des Wohnorts, oder den gesamten (auswärtigen) Spielort umfassen. Dies Maßnahme findet teilweise gegen dutzende Betroffene gleichzeitig statt.

Beklagenswert ist insoweit, dass die Verfügungen regelmäßig erst so spät zugestellt werden, so dass dem Betroffenen der Weg zu den Verwaltungsgerichten faktisch erheblich erschwert ist. Wenn er wegen fehlender Zeit nicht gar verunmöglicht wird.

Wer geht schon zum Verwaltungsgericht?

Insgesamt entsteht der Eindruck, dass die Polizeibehörden schlicht testen wollen, wie viele der Betroffenen überhaupt das Kostenrisiko einer Klage zum Verwaltungsgericht auf sich nehmen. Denn fechten die Betroffenen den Bescheid der Behörde nicht an, so wird er bestandskräftig – egal wie schreiend rechtswidrig er sein mag. Wenn Gefahren für „sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland“ (§ 7 Passgesetz) zu erkennen sind, darf einer Person sogar die Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland verboten werden. „Sonstige Belange“ sollen dabei die Beschädigung des Ansehens des Staates im Ausland sein. So grotesk dies auch sein mag, so wahr ist: Mit dieser Ermächtigungsgrundlage wird tatsächlich die Ausreise von Fußballfans unter- sagt, wenn die Teilnahme an „Fußballkrawallen“ (etwa anlässlich von Länderspielen und aufgrund von Vorkommnissen in Deutschland) gemutmaßt wird. Dies selbst dann, wenn der Betroffene Fußballfans nachgewiesen sich bei früheren Auslandsreisen nichts hat zu Schulden kommen lassen. Es versteht sich (fast von selbst), dass Holocaust-Leugner hingegen ungehindert zu Nazikongressen reisen dürfen.

Weil jedoch auch hier die rechtlichen Hürden – grundsätzlich – sehr hoch sind, übt sich die Polizei auch in einer Art Guerilla-Taktik: Sie erlässt keine Verfügung, wirkt jedoch darauf hin, dass in den einschlägigen Zeiträumen Reisende zu Spielorten intensiv überprüft werden – Schengen hin, Schengen her. Reisende, die in der zweifelhaften „Datei Gewalttäter Sport“ Aufnahme fanden, werden im Zweifel so lange am Flughafen „kontrolliert“, bis ihr Flieger bereits in der Luft ist. Gleiches kann ihnen aber auch an der Landesgrenze passieren. Wenn die Behörden im In- und Ausland kooperieren, ist der Rechtsweg zur Anfechtung sehr lang.

Neben den rechtswidrigen Kooperationen mit den Spielbetriebsbetreibern im Bereich der Stadionverbote gibt es zahlreiche weitere Varianten: Die Bahn spricht auf Weisung der Polizei Transport- und Betretungsverbote aus oder den Spielbetriebsunternehmern wird gleich vorgeschrieben, ob oder wie sie ihre vertraglichen Verpflichtungen erfüllen dürfen.

Ein Beispiel aus jüngster Zeit ist die zwangsweise Busanreise zu einem Auswärtsspiel von Hannover 96 bei Eintracht Braunschweig. Die anreisenden Fans sollten ihre Karten erst am Spielort nach ihrer Identifizierung ausgehändigt bekommen und mussten zusätzlich eine geregelte Anreise mit den – polizeilich vollkontrollierten – Sonderbussen nachweisen. Diese Vorgehensweise sollte auch für Dauerkartenbesitzer gelten, unabhängig von Alter, Wohnort und Gesundheitszustand. Diese Vorgehensweise war jedoch nicht etwa eine Idee des privaten Spielveranstalters, sondern erfolgte auf Vorschlag und Druck des niedersächsischen Innenministers Pistorius. Die Polizei-gesetze geben eine solche Vorgehensweise nämlich nicht her. 

In vorauseilendem Gehorsam wurde die Maßnahme dann von Hannover 96 genauso umgesetzt, wie es das Innenministerium favorisiert hatte. Dafür gab es offenes Lob des Innenministers, der am Tag nach dem Spiel die Presse verkünden lies: „Ich danke an dieser Stelle den Verantwortlichen der Vereine und insbesondere denen von Hannover 96, die bei der Umsetzung dieses Modells mit vielen Vorbehalten zu kämpfen hatten.“ (vgl. Stellungnahme Innenminister Pistorius vom 6. April 2014) Mit diesen „Vorbehalten“ waren wohl die Zivilgerichte gemeint. Das Amtsgericht Hannover hat nämlich sämtlichen Eilanträgen von Jahreskartenbesitzern gegen den Bus-Zwang stattgegeben und den Bus-Zwang für rechtswidrig erklärt. Der per Gericht (AG Braunschweig Az: 555 C 2955/14) zur Kartenherausgabe verpflichtete Verein beziehungsweise dessen ausgegliederte Ticketgesellschaft gab schließlich die Eintrittskarten erst nach Beauftragung eines Gerichtsvollziehers heraus.

Warum eigentlich die Ultras?

Warum aber zielen die genannten Maßnahmen vorrangig auf die Ultra-Szene beziehungsweise muss vor allem diese Szene als Begründung für die dringende Notwendigkeit harten polizeilichen Durchgreifens herhalten? Hier lohnt der Blick auf das Objekt: Bei den Ultras handelt es sich um eine zahlenmäßig relativ große Gruppe von Menschen mit einem hohen Organisationsgrad und einer ausgefeilten vernetzten Kommunikationsstruktur sowie hoher Mobilität. Misstrauen erweckt diese Gruppe sicher auch, da sie sich gegenüber staatlichem Einfluss kategorisch abgrenzt und kaum Einblick von außen zulässt. Zuweilen soll sogar beobachtet worden sein, dass sich ihre Mitglieder wehrhaft gegen polizeiliche Maßnahmen gezeigt haben.

Dieses Maß an Intransparenz und fehlender Demut gegenüber der Exekutive muss auf Widerstand stoßen in Zeiten, in denen jedermann als relevantes Sicherheitsrisiko für den Staat wahrgenommen wird, so dass seine Telekommunikation, sein Portrait, seine Fingerabdrücke und am besten gleich auch seine DNA verdachtsunabhängig gespeichert werden sollen und die Legislative und endlich auch die Judikative den Forderungen des Law-and-Order-Blocks zunehmend folgen, statt sie mit Verfassungsbedenken zu blockieren.

Es ist wohl auch die Angst vor „Kontrollverlust“, die vereinzelt Ermittlungen wegen des Verdachts der Gründung krimineller Vereinigungen motivierte. Der Einsatz von V-Leuten, der in letzter Zeit in einigen Fankurven bekannt wurde, erfordert einen solch hochgehängten Vorwurf. Noch tiefere Einblicke sind sonst nur mit nachrichtendienstlichen Methoden zu gewinnen.

Sollte es so sein, dass die Exekutive die Gruppe der Ultras auserwählt hat, um an ihrem Beispiel erweiterte Ermächtigungsgrundlagen zur Kontrolle und Bekämpfung größerer Bevölkerungsgruppen einzufordern und zu erproben, dann sollten auch andere nonkonforme Strömungen der Gesellschaft Obacht geben: Einmal etablierte Mechanismen der Kontrolle und Steuerung werden stets gewohnheitsrechtlich inflationiert – wie etwa an der unentwegt steigenden Zahl der Telekommunika-tionsüberwachungen abzulesen ist. 

Lesenswert:

Prof. Dr. Gunter A. Pilz, Leibnitz-Universität-Hannover, in einer Stellungnahme an den Landtag Nordrhein-Westfalen vom 28. März 2014:

In ihrer Studie zur Gewalt und Gewaltbekämpfung im deutschen Fußball kommen Anthony/Emrich & Pierdzioch 2013 zu der Erkenntnis, dass statistisch gesehen in Deutschland die Gefahr, Opfer von Rohheitsdelikten und Straftaten gegen die persönliche Freiheit zu werden, bei 1,074 Prozent; Opfer von Unfallverletzung 0,6 Prozent; Verletzter bei Verkehrsunfällen 0,4744 Prozent; Opfer ein Straftat 0,023 Prozent; Opfer einer Körperverletzung 0,0069 Prozent und Verletzter beim Besuch von Spielen der 1. und 2. Bundesliga bei 0,00061 Prozent liegt. Die Verletzungsgefahr bei aktiven Fußballspielern liegt bei 10,3 Prozent, womit die Gesamtzahl verletzter aktiver Fußballspieler die Gesamtzahl verletzter zuschauender Personen bei Fußballspielen um das 1688-fache übersteigt. Die Frage, ob ein Bundesliga-Stadion ein Risiko-Ort ist, muss für die Zuschauer im Vergleich verschiedener Ereignisrisiken eher verneint, für die aktiven Spieler jedoch eher bejaht werden. Damit soll die Problematik der Zuschauergewalt im Fußball nicht verharmlost werden, sondern in ein realistisches Licht des Gefahrenpotenzials gesetzt werden. In diesem Kontext wäre dann – besonders auch auf Grund der Erfahrungen mit Kommunikations- und Konfliktmanager-Modellen – auch der kontinuierliche Anstieg der eingesetzten Polizeikräfte bei Bundesligaspielen kritisch zu hinterfragen. Mehr Polizei bedeutet nicht unbedingt mehr Sicherheit, vor allem dann, wenn auf der Gegenseite ein ausgeprägtes Feindbild Polizei vorhanden ist.

„Fundstelle“:

Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) in einer Stellungnahme an den Landtag vom 2. Mai 2014:

Im Zusammenhang mit Fußballveranstaltungen hat sich das organisierte Gewaltverhalten von Straftätern nach Art und Umfang gravierend verändert. Tatbegehungsformen sind inzwischen vielfach durch die Verwendung von Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen (USBV, insbesondere illegale pyrotechnische Laborate und Vorrichtungen) als Tatmittel, das organisierte Zusammenwirken von gewalttätigen Gruppen beim Einschreiten von Ordnungsdienst und Polizei, durch so genannte Block-und Platzstürmungen sowie durch Gewalttaten und Landfriedensbruch bereits auf den Reisewegen gekennzeichnet. Die Intensität der Gewalt einzelner Gruppen und Personen hat dabei erheblich zugenommen. Sie sind in Teilen hoch organisiert und nutzen traditionell friedliche Fan- und Eventkulturen als „Deckung“ für eigene kriminelle Zwecke, wobei oft die Gewalttaten selbst ausschließliches Ziel solcher Straftäter im Zusammenhang mit Fußballveranstaltungen sind.

Arbeitsgemeinschaft Fananwälte im Dezember 2014


„Ich wurde ins kalte Wasser geworfen“

Anlässlich der Veröffentlichung des Hörbuchs „Vom Runden ins Eckige“, dessen Verkaufserlös komplett in die Finanzierung unseres Vereinsmuseums gesteckt wird, sprachen wir mit unserem scheinbar ewig jungen Stadionsprecher Rainer Wulff (71) über seine Klubsozialisation, wie er zum Millerntor-Conférencier avancierte, die geplanten Vereinsschauräume und einiges mehr…

ÜS: Rainer, du bist seit dem 22. September 1986 (5:1-Heimsieg vor 4.500 Zuschauern gegen RWO) Stadionsprecher beim FC St. Pauli. Lass unsere Leserinnen und Leser doch bitte daran teilhaben, wie du das geworden bist und wie dein erster Arbeitstag am Millerntor ausgesehen hat…
Rainer Wulff: Bei einer Premierenfeier im damaligen Macadam-Theater lernte ich 1986 Otto Paulick kennen, der in der Deichstraße zwei Kleinkunstbühnen betrieb. Er war ja viele Jahre auch Präsident unseres FC St. Pauli. Als ich mich als Fan outete, fragte er, ob ich nicht mal den Stadionsprecher spielen könnte. Er würde dort gerne bei einigen Spielen einen NDR-Profi am Mikro haben (Ich war damals Leiter der Magazinredaktion von NDR 2 und beschallte schon seit zwei Jahrzehnten das Radiopublikum). Eine Woche später sollte ich bei einem Heimspiel nur mal zugucken, um die Abläufe kennen zu lernen. Aber mein Vorgänger war wenig begeistert von der Idee, den Arbeitsplatz teilen zu müssen, zumal man ihn vorab auch gar nicht über meinen Besuch informiert hatte – recht unsensibel. Er stand auf und ging, wobei er mir das Mikrofon und eine Musikkassette hinterließ. Ich wurde also ins kalte Wasser geworfen. Aber die Abläufe waren damals ja weit weniger komplex als heute im Zeitalter von Stadion-Ritualen – die fast schon an kirchliche Liturgie erinnern – und Videowandeinspielungen und Werbeorgien.

Bereits seit Beginn der 1980er Jahre warst du regelmäßiger Besucher der Heimspiele am Millerntor. Wie ist eigentlich diese Liebesbeziehung entstanden?
Ich antworte auf diese Frage mal mit einem Zitat aus einer im Hörbuch veröffentlichten Geschichte: „Ende 1977 war ich von Kiel nach Hamburg gezogen und (ich gestehe!) zunächst hin und wieder Gast auf einer Sportanlage weit draußen vor den Toren der Stadt im fernen und unwirtlichen Volkspark. Als sich jener Verein 1983 die Meisterschale holte, moderierte ich am Abend sogar die große Jubelfeier auf der Moorweide vor weit über hunderttausend Menschen. Aber immer häufiger zog es mich schon bald ans Millerntor. Das Spielgeschehen hautnah. Alles recht familiär und übersichtlich. Leider auch eine Anzahl braun-weißer Fans, die wir heute als Asis oder Spacken bezeichnen würden. Die inzwischen gültige Stadionordnung gab es noch nicht. Ich empfahl ihnen den Club mit der Raute!“

Drei Jahrzehnte beim FC St. Pauli bedeuten für dich sicherlich auch dutzende skurrile, witzige und dramatische Anekdoten. Passten die wichtigsten denn überhaupt alle auf eure Dreier-CD? Oder war das gar nicht euer Anspruch?
Es ist keineswegs ein reines Fußball- bzw. FC St. Pauli-Hörbuch geworden, weil ich bei Lesungen ein ganz gemischtes Publikum habe, manchmal übrigens auch HSV-Fans, die dann einiges erdulden müssen. Die Texte stammen aus dem Spielfeld meines langen Lebens, sehr bunt, immer mit überraschenden Wendungen, selbstironisch (ganz wichtig!) und hoffentlich amüsant. 

Welche erlebten Storys rund um den FC St. Pauli erzählst du am liebsten? Und sind die auch auf dem CD-Paket zu finden?
Ich werde natürlich immer wieder nach dem legendären 5:0 gegen den FC Homburg mit verfrühtem Platzsturm der Fans gefragt, so oft, dass die Geschichte es nicht ins Hörbuch geschafft hat. Ein Lacher ist aber z.B. immer ein Text über ein Heizöfchen in der alten Sprecherkabine, das nach Abpfiff nicht ausgestellt worden war und eine lange Winterpause nutzte, um die Kabine zu „Daeth-Valley“-Temperaturen aufzuheizen. Nichts konnten wir in der glühend heißen Kabine anfassen, nachdem Schnee und Eis endlich geschmolzen waren, so heiß waren Türgriff, Mikro, Stühle und die Holzwände. Man sieht: Mit etwas Glück wären wir schon viel früher zu einem neuen Stadion gekommen!

Du hast drei Co-Leser: Christoph Nagel kennen wir alle, aber wie bist du auf deine anderen beiden Mitsprecher Liefka Würdemann und Thomas Nast gekommen?
Thomas und Liefka, Gründer der Hamburger Lesebühne LÄNGS, hatten mich 2013 zu einer Lesung eingeladen. Ich hatte aber seit meiner Pensionierung keine Satiren oder Glossen mehr geschrieben. Also habe ich mich an die Arbeit gemacht. Beiden verdanke ich also mein „Comeback“, wenn man so will, und damit auch dieses Hörbuch. Vor allem aber schätze ich sie als pointenreiche Erzähler. Beim Schnitt habe ich jede Geschichte naturgemäß mehrfach hören müssen und konnte jedes Mal wieder lachen. Gleich drei amüsante Gastautoren, die das Hörbuch noch abwechslungsreicher machen! So sind wir zusammen ein satirisches Quartett, stilistisch recht unterschiedlich. Ich habe wirklich Glück gehabt, etwa so wie auch schon mit der Zusammensetzung unserer Stadionsprechercrew! Das passt!

Das Ganze wurde zugunsten unseres geplanten Vereinsmuseums aufgenommen. Bist du dort auch Vereinsmitglied?
Von Anfang an! Nur dadurch kann ich doch aktiv verhindern, nach so vielen Jahrzehnten als Stadionsprecher dort eines Tages mumifiziert selbst ausgestellt zu werden. Es gibt genug geeignetere Fossile! 

Welches Exponat müsste für dich auf jeden Fall im Museum zu sehen sein?
Ich weiß nicht, welche Schätze in den kleinen Sammlungen der Fans noch verborgen sind. Ich hoffe auf die Einsicht der Besitzer, dass so manche „Reliquie“ in unserem Museum besser zur Geltung kommt, als auf dem eigenen Boden. 

Einfaches Vereinsmitglied bist du seit wann?
1987, als ich schon gut ein Jahr lang Stadionsprecher war, fiel mir auf, dass ich noch nicht Vereinsmitglied war. Das habe ich dann aber nachgeholt. 

Die aktuellen Aufsichtsrats- und Präsidiumswahlen sind ja bekanntlich gerade gelaufen: Hast du jemals selbst mit dem Gedanken gespielt, dich für ein Amt wie im AR oder im Präsidium zu bewerben? Bzw. wurdest du diesbezüglich schon einmal gefragt?
Gefragt ja, aber ich habe es nie ernsthaft erwogen, weil ich weiß, dass man im Präsidium, aber natürlich auch im Aufsichtsrat eines Vereins, der auch im Profifußball aktiv ist, fundierte Kenntnisse und Erfahrungen im Bereich Wirtschaft & Finanzen haben muss. Ich lese in Zeitungen sehr intensiv die Politik-, Kultur- und Sportseiten. Die Wirtschaftsseiten überfliege ich nur. Deshalb würde ich mich nicht mal selbst wählen. 

Einmal angenommen, du würdest – was sich momentan wohl noch kaum jemand vorstellen kann – irgendwann das Stadionmikrofon für immer bei Seite legen: Ginge es für dich dann gelegentlich wieder in die Schauspielerei, wie bei deinem Auftritt als “Don Juan” bei den Eutiner Festspielen? Oder womit würdest du uns stattdessen lieber überraschen wollen?
Während meiner NDR-Zeit habe ich mich jeden Tag auf meine Arbeit gefreut und immer wieder Neues ausprobiert: erst Politik und Zeitgeschehen, später Unterhaltung, am Ende Klassik und Kultur. Als Pensionär bin ich noch freier, arbeite wie auch im Stadion häufig ehrenamtlich, suche mir aber nur Jobs aus, die mich wirklich reizen. Das waren und sind noch Festspielauftritte, vor allem aber auch ein internationaler Opern-Gesangswettbewerb, den ich seit 2000 organisiere, inzwischen auch als Chef der Jury, in diesem Jahr wieder mit Teilnehmern aus rund 20 Nationen. Und immer kommt Neues hinzu, wie das Projekt „Lesungen & Hörbuch“. Vor weiteren Überraschungen ist niemand gefeit, nicht mal ich selbst! 

Letzte Jokerfrage: Was würdest du als Stadionsprecher-Novize heute völlig anders machen, als es Rainer Wulff in der Vergangenheit getan hat?
Möglicherweise würde ich dann wie meine jüngeren Kollegen als Maskottchen verkleidet verbal La-Ola-Wellen anschieben, nach Toren „eins“ und „nuuuuull“ schreien, „Bitte“ und „Danke“ rufen und damit zumindest als extrem höflicher St. Paulianer in die Vereinsgeschichte eingehen – der aber vermutlich nur ein einziges Heimspiel im Amt überstehen würde! Mit Recht!

// Ronny


St. Pauli at its best!

Vom Möglichen und Notwendigen, von Zeitlichkeit 
und dem Griff nach den Sternen. 
Die einzige Möglichkeit St. Pauli ist!

„Nicht fehlt es am Einwand gegen das was hilft/So leben wir im Gruselkabinett der Ängste/Doch leichter ist es, dieses auszuhalten/Als was uns bringt das dunkle Unbekannte/Nicht die Probleme sind’s, die uns belasten/Sondern sie aufzulösen ist die Mühe/So irren wir umher und üben guten Vorsatz statt zu handeln – verfehlen die Tat/Das Feld bleibt Jungfrau ohne Saat – wir leiden/Wir leben und wir sterben wie die Alten/Tun schuldlos uns an ihre Sünden halten/Doch wer sich nimmt und ganz sich nimmt/Der stellt sich auf den Platz, der ihm gebührt!“

Liebe Leserinnen und Leser, liebe St. Pauli-Fangemeinde, liebe Mitbewohner dieses Fleckchens Erde, liebe Kosmopoliten. Dass der Stadtteil St. Pauli, der diesen Namen erst seit weniger als 200 Jahren inne hat, kaum zu fassen ist, deutet sich schon in der Tatsache an, in der Woche recht beschaulich daherzukommen und spätestens zum Wochenausgang hin überzuborden – in all seiner Konsequenz. Wer sich darauf einlässt und die Momentaufnahme zu verlassen versucht ist, findet sich in der Zeit wieder, will sie/er wenigstens ansatzweise verstehen, was es bedeutet, St. Paulianer zu sein. Und damit ist zuvorderst das Anteilnehmen am Leben hier gemeint, in dessen Horizont sich selbstredend auch der FC bewegt.

“St. Pauli war früh schon auserkoren, 
eigene Wege zu gehen”

Um St. Pauli auf die Spur zu kommen, ist ein Blick zurück vonnöten, denn so erfährt der Ausspruch „St. Pauli ist die einzige Möglichkeit“ erst Leben, der in der widerständigen Zeit unseres geliebten Fußballclubs Flügel gewann, sprich sich irgendwann an einer Hauswand in diesem Quartier wiederfand (Oz, warst Du es? R. I. P.!). Die Strahlkraft, die sich hinter diesem plakativen Statement verbirgt, kann gar nicht genug hervorgehoben werden, besagt sie doch nichts anderes, als dass dieser Mikrokosmos aufzeigt, wie es im großen Ganzen laufen kann UND sollte, will man Leben schöpfen und nicht zerstören. Zugegeben, man muss eine gesunde Portion Naivität gepaart mit utopischer Vorstellungskraft aufbringen, um sich darin zu Hause zu fühlen. Meine Wenigkeit, die hier wohnt, tut es, genießt die Freiheit und das Miteinander, welche dieser Verbund von Menschen, Kulturen, Vorstellungen und Relativitäten möglich macht. Sicher, gerade am Wochenende nehmen Stadtteil und Ortsansässige die Last auf, die tausendfach hier abgeladen wird, bewegt sich Vieles in einem schwer erträglichen Rahmen. Und damit ist nicht nur Müll gemeint (Stadtreinigung, meiner einer weiß das zu schätzen, was du hier immer wieder für Wunder vollbringst), den Viele hier zurücklassen, sondern im metaphysischen Sinne auch die Sorgenlast, die mehr oder weniger drückt und die sich für einen Moment der Schwerelosigkeit scheinbar hier aufzulösen vermag. Das mag schicksalshaft mit diesem Areal verbunden zu sein. Denn lange bevor der Apostel Paulus nicht nur der Kirche am Pinnasberg seinen Namen verlieh, war St. Pauli quasi dazu auserkoren, eigene Wege zu gehen, befand man sich doch vor den Toren der bürgerlichen Hansestadt Hamburg, in der nicht jedermann willkommen war, hatte er das nötige Kleingeld nicht in der Tasche, um dort Fuß zu fassen. So stand der Korridor hinterm Millerntor all denen offen, die in ihrer Gemeinsamkeit wenig hatten und erst mal auch nicht viel brauchten. Nach Westen hin ging es im benachbarten und lange dänisch geprägten Altona schon toleranter zu, zeugt gerade die Straße Große Freiheit von der Großzügigkeit Altonas gegenüber zunftlosen Gewerbetreibenden und Konfessionen, die ebenso in der nahen Hansestadt unerwünscht waren. Das ist heute für mich, der eigentlich aus dem Rheinland kommt und hier über Umwege angekommen ist, mit Grund dafür zu sagen, ich bin St. Paulianer und nicht Hamburger. In Einbezug dieser Rückbetrachtung kann mich Hamburg nämlich mal, auch wenn St. Pauli längst Teil der Hansestadt ist.

“Nicht zuletzt ist es auch der Erfolg des widerständigen Geistes der alternativen Szene der 80er Jahre, der durch die Hafenstraße wehte.”

So ist es also kaum verwunderlich, dass hauptsächlich Menschen ihren Weg nach St. Pauli fanden, deren Ansehen woanders gering geschätzt wurde. Und darin lag und liegt die große (unausgesprochene) Einigkeit der Leute, die hier ihr Zuhause fanden und noch finden werden oder sich nur auf der Durchreise als Was-auch-immer befanden/befinden. Die Zeit, die das schon dauert, zeugt im Keim von Zeitlosigkeit, ja Ewigkeit. Das sollte nie vergessen werden als Hinweis auf die oben erwähnte Möglichkeit, gerade im Hinblick auf wahre Gleichheit und Stände-, ja Klassenlosigkeit. Für mich ist gerade DAS das Privileg, warum ich hier sein kann. Ansonsten gebe ich wenig auf Privilegien und vermeintlich Privilegierte!

Wenn man das also als Basis nimmt, kann der Spagat inmitten eines mehr und mehr unwirtlichen Geschäfts gewagt und in seiner Gänze geschafft werden. Man muss es so deutlich sagen: Viel Gutes ist bei unserem Verein auf den Weg gebracht worden, viel ist von dem eben beschriebenen beim FC St. Pauli zuhause, was nicht zuletzt auch der Erfolg des widerständigen Geistes ist, der inmitten der bunten alternativen Szene der 80er Jahre durch die Hafenstraße wehte, irgendwann einen relativ bürgerlichen Verein veredelte und nun leibhaftig angekommen ist. Im Präsidium des FC St. Pauli. Nur so kann ich den Weg durch die Institutionen verstehen, was sicherlich Viele so teilen, die Fan dieses Vereins geworden sind. Und nun gilt es, das in Stein zu meißeln, gilt es, den Garten mit dem zu bewirtschaften, was unser ist, was uns ausmacht und dennoch nicht außer Acht lässt, dass auch dieser Verein Teil eines Höheren ist und der diese unbequeme Wahrheit, die Leben anstatt Verderben, Zerstörung, ja Tod und Endlichkeit stiftet, auf seiner Fahne in die Welt trägt, mal rebellisch und unbequem, aber immer ehrlich, authentisch und niemals sich selbst überhöhend. Die Seele, am Millerntor beheimatet, lässt sich zuvorderst nur organisch erspüren, ist in keinem Geldspeicher zu Hause. Das mag dem ein oder anderen als rhetorischer Kunstgriff in Abstraktion abzugleiten. Doch denke ich, dass in Worte gewandelte Bilder in ihrer Wirkmächtigkeit den Menschen am ehesten in seinem Wesen berühren und diese eine Sprache sprechen, die auch ohne den Sinn des eigentlichen Sehens auskommt. Ein Mensch ohne Augenlicht wird bei der Vorstellung eines blühenden Gartens und mit der Zuhilfenahme seiner anderen ausgeprägten Sinne womöglich noch intensiver von Gefühlen der fortwährenden Erneuerung und Vitalität gepackt. Muss man denn sehen können, um ein Verständnis der Schönheit des Lebendigen zu entwickeln?
Schnitt (wir werden auf den Garten in seiner Vielfältigkeit zurückkommen, auf die zu verrichtende Arbeit, auf die Pflege des Vorhandenen, auf das Saatgut, den Samen, der alles in sich trägt, doch der nur recht gedeihen kann, wenn der Boden gut ist).

“Der Roar kommt einem Schmelztiegel gleich, 
da in der Hitze des Geschehens alles in Rauch aufgeht, was trennend wirkt.“

Heute ist Heimspieltag. Und nichts ist so gut wie der Tag des Spieles, um mit einer Analyse des Bestehenden zu beginnen und die Ganzheit in Ansätzen zu beschreiben. In allen Ecken naher Stadt- und Landstriche und weit darüber hinaus regt sich etwas. Es schmeißt sich Mensch in Schale und sagt sich los von dem, was ihn unmittelbar umgibt. Und so entsteht ein sternenartiges Strömen, das sich mit zunehmender Nähe zum Ersehnten verdichtet und Strahlkraft besitzt. Der Pfiff ertönt, der Ball rollt. Jeder, der beginnt, ans Millerntor zu pilgern, wird ihn irgendwann erleben – den Roar. Dieser vielbeschriebene und vielbeschworene Moment, den herbeizuführen nur die Eigenart eines Spieles vermag – man könnte Vorzeichen wie Flutlichtspiel oder eine besondere Konstellation wie klein gegen groß im Pokal nennen und hätte ihn dann womöglich doch nicht erlebt, weil eben das Spiel den Roar erst erwachsen lässt -, dieser Moment kommt einem Schmelztiegel gleich, da in der Hitze des Geschehens alles in Rauch aufgeht, was trennend wirkt: Name, Geschlecht, Rang, Reputation, etc. pp., all das verflüchtigt sich, ist der Reinheit abträglich. Und dieser Moment beschreibt nichts anderes als die Einheitserfahrung, von der Mystiker unterschiedlicher religiöser Herkunft Bericht zeugen. In diesem Augenblick des Seins bewahrheitet sich die absolute Annahme, Eins zu sein, nicht getrennt, nicht zwiegespalten. All das nicht zu sein, was einem das menschliche Leben in seiner bipolaren Ausrichtung aufgibt und sich unser Ich darum konstituiert. Die Mystiker sprechen im allgemeinen von einer ausgesprochenen Verbundenheit zur absoluten Wirklichkeit, dem Einen, das auch wir in uns tragen, das aber im Menschen mittels der realen Begebenheiten Verschleierung erfährt, und für das, je nach religiöser Schau, verschiedenste Begrifflichkeiten gefunden wurden: der nicht-duale Geist der Buddha-Natur, die Gottesschau, der Urgrund des Daseins, die Einheit von Atman und Brahman, Erleben des Ewigen in der Befreiung des göttlichen Urlichtes, um nur einige zu nennen. Sicherlich, ausgesprochene Rationalisten verneinen diesen Hintergrund menschlicher Vorstellung und verbannen diesen in das Reich der Einbildung und sagen, dass dem Menschen halt wohlbefindlicher ist, wenn sich da noch was befindet, wo unser Bewusstsein die Segel streichen muss. Geht diesen Seelen nicht der Segen, das Heil und die Gnade ab, in diesen kostbaren Schätzen des in die bewusste Welt Gekommenen das zu finden, was uns ausmacht und Einbettung in dieses große Ganze, ja Kosmische gibt? Und sind die ins Felde geführten Argumente nicht unzureichend, konstruiert und anmaßend ggü. einer absoluten Annahme? Es fällt schwer, den Dialog offen, rein und fair zu halten, doch er sollte immer wieder versucht werden. Denn schlussendlich fällt auf, dass auch die ausgefeilte Ratio ins Reich des Glaubens greift, ja greifen muss. Und muss man weitere Glaubensrichtungen schaffen, wenn es so schon schwer fällt, den Überblick zu behalten, den ich, zugegebenermaßen, neben dem „Erkenne-Dich-Selbst“ als wichtigsten Auftrag im Menschenleben empfinde, um so gerecht zu werden (oder sich der Vorstellung von Vollkommenheit wenigstens zu nähern im Laufe eines Seins)? Und wenn das Bild in seiner Gänze Beschreibung gefunden hat, bleibt es nicht doch nur eine Momentaufnahme, die vorläufig nichts von Zeit und Raum beschreibt, in der sie fest gehalten wurde?

“Ist der Mystiker in seiner meditativ kontemplativen „Arbeit“ dem Höchsten auf der Spur, ist der Roar ein Hohes. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.“

Wie dem auch sei, zurück zum Thema. Hin und wieder muss man vorsichtig sein, will man nicht als Spinner gelten, den keiner mehr versteht. Und das, glaube ich, erlebt an dieser Stelle die ein oder andere Leserin/der ein oder andere Leser und man fragt sich, was will der uns eigentlich vertellen?! Und ganz ehrlich, eine Vorstellung davon habe ich zwar, nur weiß ich (noch) nicht, ob ich es schaffe oder scheitere. Aber egal, Versuch macht klug. Zurück zum Erleben des Roars, des Verschmelzungsritus, in dem sich die „St. Pauli, St. Pauli“-Rufe in einem immensen Getöse auflösen, und in dessen Klangwelle die Mannschaft angespornt über den Rasen fegt. An diesem Punkt gilt es inne zu halten, weil für die weitere Analyse deutlich werden muss, das die Einheitserfahrung vom Mystiker und die des Tosen tausender sich überschlagender Kehlen unterschiedlichen Stellenwert genießt. Versucht der Mystiker das Einssein auf ein Absolutes hin, einer Erleuchtungserfahrung gleich, meist durch einen stillen Akt des Sich-Herausnehmens aus aktiver Anteilnahme am geschäftigen Leben zu schaffen (Meditation, Kontemplation, Yoga, Gebet, etc.), kommt die sich kundtuende Liebe, die alle St. Paulianer zum Spiel ihrer Mannschaft eint und die sich im Roar offenbart, laut daher. Sehr laut. UND sie hat einen relativen Charakter! Ist der Mystiker in seiner meditativ kontemplativen „Arbeit“ dem Höchsten auf der Spur, ist der Roar ein Hohes. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. In ihm sind wir eins, haben wir all die Kontroversen, das Trennende, hinter uns gelassen. Anlass genug, was er uns als Denkaufgabe mit auf den Weg gibt, wenn es gilt, den Verein hin auf das Wesentliche auszurichten, ja um ihm ein Gesicht zu verleihen, das in seiner Kollektivität erkannt und geschätzt wird und sich nicht im monetär Machbaren niederschlägt sondern in der Einbettung in einer Welt, in der die Wertschätzung aller als Maxime gelten muss. Denn was St. Pauli (ob Stadtteil oder Verein) ist, hat nichts damit zu tun, was einer hat sondern was allgemein im Leben zählt und im Besonderen von diesem Fleckchen Erde erzählt. Und sind das nicht Solidarität, Verbundenheit, Kontinuität und ein Gemeinwesen, das sich einer gemeinsam erstrittenen Philosophie (oder einer „Idee“ wie ein ehemaliger Fanbeauftragter es mir nannte) unterzuordnen versteht? Und die sich genau hier verortet, weil sie gut ist, weil sie St. Pauli nicht nur sehr nahe kommt, nein diese die Menschen auch verstehen und auf der Zunge tragen? Kann ein Fan es noch fassen und willkommen heißen, wenn sich der Erfolg nur noch über das Kapital definiert und dabei alles auf der Strecke bleibt, was ihm lieb war? Um es frei nach Matthäus 6, 24 zu sagen (ist jetzt kein Zitat von Lothar), kann man nicht zweierlei dienen – dem Geld und einem höheren Anliegen. Es ist der oben genannte Boden, auf dem alles fruchten kann, findet er gute Bereitung. Und „Erstritten“ getreu der Liedzeile von Bots „…dann müssen wir streiten, keiner weiß wie lang, ja für ein Leben ohne Zwang…“ sollte hier durchaus positiv verstanden werden. Denn wenn der Streitpunkt die Sache betrifft, die es lebendig zu halten und herauszuarbeiten gilt, dann ist dem gemeinsamen Geist Vorschub geleistet. Und wenn wir es schaffen, den offenkundigen Streit so zu kultivieren, dass sich Berührungsängste auflösen, ist schon viel geschaffen, viel Verständnis füreinander entwickelt worden, das in einem gemeinsam erarbeiteten Konsens sogar noch gipfeln kann, den wir dann gestärkt nach außen tragen können. Arbeiten wir uns aber aneinander ab und verlieren den eigentlichen Fokus für das Zuschaffende, verstricken wir uns unwiderruflich in ein egozentrisches Machwerk, an dessen Ende wir auseinanderfallen und nichts in der Hand halten außer unserem dadurch noch mehr zerrütteten Selbstbildnis. Der aufgelöste Vereinscharakter des HSV lässt grüßen!

„Die Beziehung ist Basis für die erfolgreiche 
Umsetzung etwas Lebendigem.“

Nochmalig zurück zum Spiel und dem Hohelied des Roars. Auch wenn wir unserem Urgrund, die spielende Mannschaft, mit der sich verschmelzenden Anfeuerung huldigen und zum nötigen Achtungserfolg verhelfen wollen, kann das Spiel nur laufen, weil da noch jemand ist. Ein anderes Team! Das mag jetzt eine Binsenweisheit sein, aber vielleicht schaffe ich es ja, die Wegstrecke mit eben solchen zu füllen, um das vorläufige Ziel dieser romantischen Reise im Weg schon zu beschreiben. Zwei sind also nötig, damit das Spiel vonstattengehen kann. Diese Beziehung ist Basis für die erfolgreiche Umsetzung etwas Lebendigem. Was nun aufgehen sollte, ist zum einen, dass der Roar immer wieder möglich ist, dieser mystische Moment des Einsseins, er sich aber wiederfinden muss in der Relativität des Lebens. Wenn das andere nicht mehr ist/nicht mehr sein kann, ist man selber auch nichts mehr. Im identitätsstiftenden Sinne hat man an vollem Wert verloren, weil nichts mehr da ist, was einem diesen Wert, die Möglichkeit des relativen Einsseins, bestätigt. Und das betrifft den Austausch generell – ob im Vereinsleben oder darüber hinaus.

Wie oben angedeutet, bewegen wir uns in einem höchst religiösen Rahmen, denn in der eigentlichen Bedeutung des Wortes religio wird uns nur vermittelt, dass wir uns rückzubinden wissen, ja Rückbetrachtung Bestandteil unseres Lebens ist, weil wir eben Menschen sind (in all seiner bewussten Konsequenz). Reflektieren wir über die Frage, warum wir diesen Verein ins Herz geschlossen haben, finden wir selbstredend Gründe dafür. Und so gründen wir.

„Es ist die exemplarische Verständnislosigkeit, die mangelnde Empathie füreinander, die unnötige Gräben aufreißt und deren Aufarbeitung Kräfte aufzehrt, welche woanders gut gebraucht werden könnten.“

Obwohl die Liebe zum Verein und die Liturgie (also die Ordnung und die Gesamtheit der Zeremonien und Riten) am Spieltag im Wesen an einen Gottesdienst erinnern – Zusammenkommen in einem „Tempel“, huldigende Gesänge, Anbetung, eigene Symbolik und Zeigen dieser, etc. -, sollte man Gewahr darüber sein, die Relationen nicht aus den Augen zu verlieren. Und ich zweifele nicht, dass die meisten Gestandenen dies auch tun, also die Dinge ausgewogen betrachten. Es sind eher die jungen Wilden, zu denen man ebenso mal gehörte (das sollte nicht vergessen werden), deren Sicht auf die Dinge, naturgemäß, noch unbedarfter als die eigene ist und die schneller übers Ziel hinaus schießen, weil sie es eben, Kraft ihrer Zeit, können, und doch häufig mit Unverständnis der Alten konfrontiert sind. Es ist die exemplarische Verständnislosigkeit, die mangelnde Empathie füreinander, die unnötige Gräben aufreißt und deren Aufarbeitung Kräfte aufzehrt, welche woanders gut gebraucht werden könnten. Und es muss die Frage erlaubt sein, ob nicht wir, die Alten, zu aller Erst diesen Verständnisvorschub leisten sollten, weil wir es eben aufgrund unserer Lebenserfahrungen und gewachsenen Weisheit können, möge man meinen. Und immer muss man hinter dem Handeln Motive annehmen, warum es so gekommen ist. Doch die etablierte Hand erkennt das häufig nicht und sanktioniert. Es sind wiederkehrende Mahnungen, der sprichwörtliche Zeigefinger, bis hin zu strafrechtlichen Konsequenzen. Ja, es ist gelebte Lieblosigkeit, mit der jungen Menschen und ihrer Sache begegnet wird (Stichwort Bengalos im Stadion, ein unausgegorener Sachverhalt mit hochemotionalem Anstrich, der uns noch beschäftigen wird und der auch hier wieder zweierlei Potential bereithält: Verbindendes oder Trennendes). Der Fluss versiegt, und in der Zeit kann, nein wird das erheblichen Schaden anrichten. Dessen sollten wir uns immer und immer wieder bewusst sein – im Akt der wiederkehrenden (Selbst-)Reflexion. Daran werden wir gemessen, bis zum irdisch Tod. Wie also können wir vermitteln, so dass der Ewigkeit im Leben kein Abbruch getan wird? Die Frage war schon immer da, seid es Menschen gibt. Und nur wenn wir uns vorderst schützend vor die jungen Wilden stellen, Verständnis aufbringen und doch die Konsequenzen maßlosen Handelns vermitteln können, geschieht das Wunderbare. Es ist der Dialog auf Augenhöhe, das Zuhören, was den anderen bewegt, was das Eis bricht. Dann werden wir Alten angenommen, und das gemeinsam Erarbeitete reitet in die (Fußball-)Landschaft vor. Im Gepäck ein Angebot und Überzeugungskraft. Frei von eitler Bewegtheit. Es ist doch ein großes Heil, den kommenden Generationen zu vermitteln, dass sie Teil eines wundervollen Sinnzusammenhangs sind, der aber nur dadurch Lebendigkeit erfährt, wenn es dem Einzelnen, der das Ganze mitgestaltet, gut ergeht. Das ist die größte Aufgabe und Herausforderung, die sich der Mensch im 21. Jahrhundert, hier auf St. Pauli und auch sonst wo, verschreiben kann und sollte! Und dabei gilt es, sich auch rückzubinden, zu schauen, was speist diesen Lebensfluss und was gräbt ihn ab. Es ist mitunter nicht einfach, zerstörerische Kräfte auszumachen in diesem Wirrwarr von Meinungen und Vorhaltungen, und wir drohen, immer wieder zu fallen. Doch wenn wir darauf vertrauen, dass unser Dazutun den Sinn des Lebens stärkt, wird klarer, welche Maxime diesem Handeln zu Grunde liegt: Man muss wenigstens nach Gold gegriffen haben, um Silber zu erlangen, oder wie sagte es mein charismatischer, ehemaliger Redaktionskollege, der mich jüngst zu diesem Artikel ermutigte, der unermüdlich über den Verein Bericht erstattet und seine sich mehrende Lebenserfahrung in weiser Ausgewogenheit einbringt (wie so viele in ihrer unnachahmlichen Art und Weise): Der „Utopia“ ein Stückweit entgegen segeln – auf dem Likedeeler-Flaggschiff FC St. Pauli (siehe Übersteiger-Blog vom dritten November). Weil wir es können, weil die Sache viel zu wichtig, ja weil sie gut und gerecht ist. Dennoch muss betont werden, dass ein Fußballverein kein Absolutes darstellt, dass der Einzelne eine ordentliche Bauchlandung hinlegt, wenn er etwas über alles andere stellt, was nur relativen Charakter hat, und er im Extrem der Umwelt mit enormer Gewalt begegnet. Und genau da müssen wir Alten ebenso ansetzen.

„Was ist gut und gerecht und nachvollziehbar? 
Und ist eine Transparenz geboten, die von innen 
nach außen strahlt.“

Ein paar Punkte sollen nun genannt werden, ja kurz herausgearbeitet sein, um der Möglichkeit der Auseinandersetzung, was eigentlich für uns von Bedeutung sein könnte, Genüge zu tragen. Dabei gilt es zu schauen, was in vielfältiger Art und Weise auf den Weg gebracht wurde. Es ist so viel, dass man mir verzeihen möge, das mit Allgemeinplätzen zu belegen und sich dem zu widmen, was meines Erachtens mehr in den Fokus gerückt werden müsste. Eine Bestandsaufnahme könnte im Rahmen einer größer angelegten Kampagne Erarbeitung finden, bevor man sich ans Ausgemachte heran pirscht. Je nach dem, was in einer Vereinsstruktur überhaupt möglich und umsetzbar ist. Man muss gewillt sein. In sozialer, ökonomischer und ökologischer Hinsicht sind Wege beschritten worden, die dem oben umschriebenen Geist, der St. Pauli umweht, und der sich im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung in die Ansprüche unserer Zeit einfügt, schon gerecht wird. Nichtsdestotrotz gilt es zu schleifen und zu polieren, will man nicht nur bestehen sondern leuchten.

Ein Thema brennt schon seit längerer Zeit unter den Nägeln und betrifft das Arbeitsentgelt aller Angestellten des Vereines, Spieler eingeschlossen, betrifft also die soziale aber auch die ökonomische Ausrichtung. Wie wird mit dem erwirtschafteten Geld umgegangen, sprich wie sind seine Flüsse? Was ist gut und gerecht und nachvollziehbar? Und ist eine Transparenz geboten, die von innen nach außen strahlt?

Also: Um sich dem Thema Geld zu nähern, fällt mir der Auftritt Uli Hoeneß bei Günther Jauch ein, gar nicht so lange bevor seine Steuerhinterziehung ans Licht der Welt kam und die etwas aufleuchten ließ: Scheinheiligkeit. Mit von der Partie war Sahra Wagenknecht, Die Linke. Anfangs alles gut. Uli bezieht Stellung für den kleinen Mann, erzählt von seinem Aufstieg, etc. Dann geht es um Managergehälter, was wohl auch Thema der Sendung war, soweit ich mich erinnere. Sahra Wagenknecht erwähnt den Vorschlag, Managergehälter innerhalb einer Unternehmung auf das Fünffache der Entlohnung der Personen zu begrenzen, deren Jahreseinkommen am Niedrigsten ist. Hoeneß läuft, wie man es kennt, rot an und ihm platzt der Kragen. Und warum geschieht das? Weil er in sich verkracht ist? Ist naheliegend. Wie so häufig, wenn sich jemand wie Beelzebub gebärdet. Vorher eigentlich in der Sache mit Sahra Wagenknecht vereint, aber nun geht es ja im übertragenden Sinne um seine Abermillionen, geht er zum Angriff über und wird persönlich. Inhaltlich etwa: Das wäre ja eine Katastrophe, dann würden alle Manager Deutschland den Rücken kehren, wie stehe man denn da und es ist gut, dass so eine Partei wie die Linke so wenig das Sagen hat. Das muss man dem Uli lassen. Die Fragen zu stellen, wo man dann stünde und welche Bedeutung, ja Strahlkraft das hätte, sind genau die Ausgangsfragen, die auch wir uns beim FC St. Pauli stellen sollten. Und eine weitere Frage muss sein: Wie viel braucht ein Mensch zum Leben? Es wird klar, dass ich mich in meinem Anliegen bei Sahra Wagenknecht wieder finde und dass mir Scheinheiligkeit abgeht, man sich freilich im reflektorischen Sinne selbst immer wieder hinterfragen muss, wo Heiligkeit im Scheine untergeht. Machen wir doch mal eine Rechnung. Ein Angestellter des Vereins hat 30.000 Euro im Jahr. Damit lebt er zwar über dem Existenzminimum aber nicht weit davon entfernt. Er kann damit leben, stellt bescheidene Ansprüche ans Leben. Hauptsache es gibt was auf den Tisch und hin und wieder kommt man auch mal raus. Alles in seinen erdachten und gewollten Maßstäben. Jemand nun, Spieler oder Manager, bekommt demnach 150.000 Euro im Jahr. Ist das nun wenig oder viel, und was lässt sich damit machen? Klar, im Vergleich von Spieler- oder Managergehältern gesehen, wird das eher Peanuts sein. Aber ist das tatsächlich wenig? Ausgangsfrage war, wie viel ein Mensch zum Leben braucht. Es wird gerne argumentiert, dass ein Spieler zum Beispiel nur eine kurze Zeit hat, in dem er mal so richtig in die Vollen gehen kann und er ja was braucht, für die Zeit nach der Karriere. Bei Managern ist die Sachlage noch belastender, denn da fällt man scheinbar immer wieder auf die Füße, ja wird für hinterlassene Misswirtschaft noch fürstlich abgefunden. Das geht mir, ehrlich gesagt, nicht ein. Denn besteht für den Spieler nicht die Möglichkeit, auch nach der Karriere als Fußballer einen Weg zu beschreiten, der ihm Einkommen also Sicherheit bringt? Und wie viel braucht ein Mensch eigentlich zum Leben? Worauf will ich hinaus? Ich persönlich finde es nicht verwerflich, wie die Linke es tut, einen gewissen Rahmen zu setzen, in denen sich Gehälter bewegen. Es wird uns nicht nur gerecht, im Sinne des oben skizzierten St. Pauli, nein es schafft auch etwas: Glaubwürdigkeit. In einer vom Kapital haltlos beeinflussten Welt. Mit Mentalitäten wie Gier, Neid, Hass und Eifersucht. Oberflächlichkeit und Diskontinuität. Ganz ehrlich, der erste hat eben gedacht, dann können wir einpacken und finden uns in der Oberliga wieder, sprich neben Spielern laufen uns die Führungskräfte weg. Wie Uli. Aber: Ist dem so? Und was wollen wir? Ich persönlich finde es, gelinde gesagt, zum Kotzen, wenn sich vordergründig am Monetären orientiert wird. Nochmals: Wie viel braucht ein Mensch zum Leben? Spieler und Manager sollen gut bezahlt werden, ja, aber zu welchem Preis? Was ist da vertretbar? Um uns gerecht zu werden, in unseren Grundsätzen, könnte es da nicht heißen: Wenn Dir das nicht reicht, dann passt das hier nicht hin. Weil eine wesentliche Lektion nicht verstanden wurde. Und erneut höre ich jemanden sagen, dann finden wir uns bald in Liga vier bis sechs wieder. Ich glaube tatsächlich, dem ist nicht so. Vielmehr denke ich, dass wir Spielerpersönlichkeiten bekommen und auch ausbilden werden, die wissen, was es bedeutet, sich hier einzufinden und für was Höheres zu arbeiten. Klar, es mag idealistisch anmuten, aber hat man das je öffentlich und transparent besprochen und ausprobiert? Wissen wir es, ob es fruchten kann, weil der Boden gut ist? Diese 30.000 und 150.000 waren nur ein Beispiel. Lass es das Zehnfache sein (inklusive der Dynamik von Gehaltsentwicklung und Inflationsrate, aber einen gewissen Rahmen nicht sprengend), um im Wechselspiel des Marktes mit zu halten. Aber ein wie-viel-fach tut noch gut, sind wir?

“Die Krise war taghell da, und es gaben sich viele die Klinke in die Hand, bevor man endlich wieder Profil gewann.“

Genau das Gleiche also auch auf Ebene des administrativen/funktionellen Bereichs. Warum bewegt man sich nicht transparent und öffentlich, so dass jeder weiß, woran sie/er ist? Meiner bescheidenen Meinung nach sollten wir offengelegte Gehaltsstrukturen haben, ähnlich wie im öffentlichen Dienst. Keine stillgetroffenen Gehaltsvereinbarungen zu Beginn eines Arbeitsverhältnisses sondern eine klare Lohnlinie (auch bei den Spielern) mit Aufstieg nach gewissen Kriterien. Bindend für Arbeitnehmer und leitende Angestellte. Was das schafft, brauche ich wohl nicht groß zu erklären, oder? Und was vermieden wird? Stichworte: unnötige Geheimniskrämerei, Neid und Missgunst, etc. Und genauso wieder: Wem das zu wenig ist, gehört er dann hierher? Soll die Schere auch bei unserem FC St. Pauli auseinander gehen?

Nächstes Thema und das greift wieder in den Spielbetrieb, ja ins Sportliche. Da hilft eine Rückbetrachtung. Was hatten wir für ein Team, als wir „Absteiger Nummer 1“ waren (2000/2001)? Und wie weit kamen wir mit ihm?! Wer Namen braucht, hier sind sie: Ältere Recken st. paulianischer Prägung wie Stani und Truller, Spieler mittleren Alters mit dieser Prägung wie Meggi, Spieler der jungen Generation wie Klasnic, Bajramovic, Baris, Rahn, Gerber ergänzt um Typen wie Rath, Patschinski, Lotter, Bürger, Wehlage. Das waren längst nicht alle, und in der Summe stand ein 24-köpfiger Kader zur Verfügung, mit dem, wir wissen es noch, aufgestiegen wurde. Und was kam dann? Und wer waren die handelnden Protagonisten? „Die, die das Haus gebaut hatten, sollten nun auch einziehen“, wurde gesagt. Sie zogen mit ein und noch einige mehr, in der Summe 33 Spieler! Klar, man wurde Weltpokalsiegerbesieger, und es bringt gar nichts, dem durchaus möglichen Klassenerhalt nachzutrauern. Es ist halt so gekommen. Die Mannschaft zerbrach nach dem Abstieg großteils, finanziell ging der Verein in die Knie und einige kochten ihr eigenes Süppchen und holten, was zu holen war. Eine Saison später war man in Liga drei. Die Krise war taghell da, und es gaben sich viele die Klinke in die Hand, bevor man endlich wieder Profil gewann. Stani und Truller und einer starken, identitätsstiftenden Truppe sei Dank. Sicher, diese Nahtoderscheinungen im sportlichen und wirtschaftlichen Bereich haben uns zusammen geschweißt und nicht zuletzt hat diese Zeit gezeigt, welchen Faustpfand der FC eigentlich mit seinen Fans hat. Nur muss man das immer wieder herausfordern und überstrapazieren? Oder kann man das Vergangene nicht als Anlass nehmen, um im Hier und Jetzt die nötigen Dinge anzugehen und die Sache rund machen? Klar, ob meine, wohlgemerkt spärliche Analyse recht ist, muss jeder Einzelne selbst beurteilen. Ich bin aber guter Dinge, dass diese Sicht geteilt wird. Und noch was: Warum sollte man nicht einen guten Boden bereiten, auf dem richtig gearbeitet werden darf, egal wer ihn bestellt? Man findet ihn vor und sät. Will heißen, der sportliche Bereich unterliegt ebenso Maximen, die sich an den zu formulierenden Grundsätzen zu orientieren haben. Kommt ein neuer sportlicher Leiter, weiß dieser, was zu tun ist und was nicht. Kein wesentlicher Paradigmenwechsel bei Veränderung in sportlicher Leitung, was Sichtung und Käufe von Spielern anbelangt, um es nur kurz zu umschreiben (wer bin ich auch, dass ich dahingehend tiefer blicken kann). Eine Transferpolitik also, die den genannten Grundsätzen angemessen erscheint.

“Der Kapitalismus kann uns mal am Hobel blasen.“

Ein weiterer Punkt betrifft die Ausbildung (nicht nur in sportlicher Hinsicht sondern ebenso in ethischer Mission) und Durchlässigkeit aus dem Jugendbereich in die U-23 und dann in den Profibereich hinein. Mit Thomas Meggle ist einer Persönlichkeit der Weg geebnet worden, die genau das verkörpert. Warum muss man nicht groß erzählen, wenn man seinen Werdegang kennt. Das weckt so viel Vertrauen, und man ist voller Hoffnung, mit ihm den richtigen Partner für die mittel- ja langfristige Zukunft zu haben. Ich bin mir sicher, dass man in der Dynamik von Saison zu Saison eine Truppe beisammen haben wird, welche sich gut ergänzt, was die Altersstruktur betrifft, über kurz oder lang Erfolg hat und die ökonomische Belastbarkeit für den Verein minimiert, ja von Effizienz geprägt sein wird.

Punkte wie die ökologische Verantwortung müssen ebenso auf die Agenda. Denn auch hier sollte geschaut werden, was machbar ist. In Zeiten der Ressourcenverknappung von Öl, Gas, Kohle, etc. einerseits (ferner politisch motiviert, siehe Konflikt EU und Russland) und Verteuerung andererseits sollte man sich mit erneuerbarer Energienutzung noch intensiver als Verein auseinandersetzen. Was kann getan werden, um dem Autarkiegedanken auf die Spur zu kommen? Wie kann man sich unabhängiger machen? Photovoltaikanlagen auf dem Dach der Haupttribüne sind ein eröffneter Weg. Gibt es Ausbaumöglichkeiten? Und wären Kleinwindkraftanlagen auf den Dächern der Tribünen nicht ebenso ein Thema? An Wind mangelt es nicht um das Heiligengeistfeld herum. Und inwieweit kann man den Arbeitsalltag effizienter gestalten, um dem ökologischen Gedanken – im wahrsten Sinne des Wortes – Rechnung zu tragen? Denn schlussendlich rechnet es sich. Was die nachhaltige Entwicklung anbelangt, sollte man generell hin Wege beschreiten, deren wirtschaftliche, soziale und ökologische Ausrichtung unverkennbar Kontinuität und Erfolg versprechen (Stichwort EMAS oder ISO 14001). Das kreative Potential der Fans noch gar nicht genannt, welches einem Kessel mit Zaubertrank gleichkommt, in den der Verein nur hineinfallen muss. Der zu erstellende Katalog an Möglichkeiten und Optionen sollte allen offen stehen und mit breiter Basis muss zur Erarbeitung einer Agenda geschritten werden. Die Mühen könnten sich lohnen. Die Ideenwelt des Präsidiums ist schön und gut, doch muss man ihnen helfen und sie müssen bereit sein, diese Hilfe auch anzunehmen. Damals hat man Leitlinien verabschiedet. Vorausgegangen war ein intensiver Diskurs, an dessen Ausgang sich eben diese wieder fanden. Nun ist es an der Zeit, sich neuen Herausforderungen zu widmen, an dessen Ausgang noch umfangreicher an dem gearbeitet werden soll, was wir sind und was wir wollen. Es ist möglich, wenn nicht gar notwendig, um nicht nur zu bestehen sondern zu leuchten. Das kann man nicht oft genug betonen. Rund um das Millerntor herum liegen diese Themen den Fans und Freunden des FC auf der Seele und finden ihre Wege in deren Münder, ja beschäftigen auch mich. Und ich werde das Gefühl nicht los, dass der Zeitpunkt gekommen ist, dass sie offenkundig in der Südtribüne durchbrechen tun. Das neue Präsidium wird sein Übrigens dazu beitragen, davon bin ich überzeugt.

Eingangs blickten wir auf den Stadtteil und finden, dass sich markante Wesensmerkmale schon früh entwickelten und bis heute spürbar sind. Sie lasten nicht auf der Seele der St. Paulianer, nein, im Gegenteil, es ist wie der wohltuende Duft einer Blume, der ausströmt und wahrgenommen werden möchte. Der FC St. Pauli, mit allen seinen Fans, Freunden und Sympathisanten, mit all seinem kreativen Reservoir, tut gut daran, sich seiner Tragweite und Verantwortung und seiner Verortung hier im Viertel so habhaft zu werden, dass uns der Kapitalismus mal kann. Am Hobel blasen nämlich! „Würde es gehen, würde ich Dich umarmen“, singt der gute Thees. Man kann, will ich meinen – ob den Nachbarn oder im übertragenden Sinne. Lasst uns Begangenes weiter erkunden und neues Areal erschließen, „Lasst uns auf die Reise gehen, um anderes Land zu suchen“, wie Witthüser und Westrupp einst sangen, denn der Weg ist das Ziel. Im Sinne eines psychedelischen Trips, der verspricht, dass Grenzen und Mauern fallen und alles im Roar verschmilzt. St. Pauli at its best!

Gastartikel vom pelstinho


NEUES VON DEN ALTEN

Im Probetraining beim SV Ried (Erstligist in Österreich) war Anfang Dezember PETAR FILIPOVIC, der seinerzeit vom FC St. Pauli zum damaligen kroatischen Erstligisten HNK Cibalia Vinkovci gewechselt war und im Sommer 2013 zum Erstligisten Slaven Belupo Koprivnica (ebenfalls Kroatien) ging. Ohne Probetraining kam STEFAN STUDER aus, der ab 2015 bei Fortuna Düsseldorf als “Leiter Scouting” beginnt und somit Bayer Leverkusen als Scouter verloren geht. Studer unterschrieb bis Ende 2016 bei den rheinischen Jecken. Als Interimscoach beim ambitionierten Niedersachsen-Landesligisten Heeslinger SC fungiert seit Mitte Oktober WOJCIECH BOBROWSKI, der dort für Sören Seidel einsprang. Im Gespräch als neuer Trainer war und ist dort jetzt HANSI BARGFREDE, St. Paulis U17-Übungsleiter. Ebenfalls in Niedersachsen ist MORAD BOUNOUAaktiv: Gemeinsam mit seinem Bruder Jamal, der als Chefcoach agieren wird, wird er nun nach der Winterpause als spielender Co-Trainer beim Bezirksligisten VfL Visselhövede die Fußballschuhe wieder auspacken. Wieder im Geschäft ist auch DIETMAR DEMUTH, der, nach seiner Entlassung beim Berliner AK Mitte September, Ende Oktober beim Nordost-Regionalligisten ZFC Meuselwitz anheuerte. Ebenfalls wieder dabei ist FRANZ GERBER, der von Ende November an für einige Wochen für den vom Abstieg gefährdeten Nord-Regionalligisten BSV Schwarz-Weiß Rehden eine Kaderanalyse vornimmt und währenddessen zudem die beiden Interimstrainer Daniel Gunkel und Heinrich Neddermann unterstützen wird. Nur sehr kurz war MARTINO GATTI nach dem Rücktritt von Volkan Uluc als Interims-Chefcoach beim Regionalligisten BFC Dynamo Anfang November am Werk, bevor Thomas Stratos das Traineramt übernahm und Gatti damit wieder zum Co-Trainer machte. Weder Co-, noch Chef-, sondern wieder Ex-Trainer ist inzwischen auch ACHIM HOLLERIETH: Germania Halberstadt (RL Nordost) gab “Ho, Ho,Hollerieth” Mitte/Ende November nach nur gut einem halben Jahr Cheftrainer-Dasein den Laupass. Es scheint ordentlich was los zu sein bei den Viertligisten des Nordostens – insgesamt sieben Trainerwechsel noch vor der Winterpause: nicht schlecht… Nicht eben erfolglos, aber doch ein wenig enttäuschend verlief die Trainertätikeit von ERWIN TÜRK beim FC St.Pauli, der am 12. November seinen 80. Geburtstag feiern durfte. Zwischen 1968 und 1971 gelang ihm mit der Manschaft zwar einmal der Einzug in die Aufstiegsrunde zur 1. Bundesliga, doch auch das schmachvolle 0:1 in der Qualifikation zum DFB-Pokal gegen die eigenen Amateure fiel in “Ata” Türks Amtszeit. Türk lebt heute mit Ehefrau Wilma in Leer/Ostfriesland. In Schottland gelandet ist Keeper ARVID SCHENK, der sich dort Ende Oktober Dundee FC angeschlossen hat. Schenk war zuletzt ohne Klub, weil sein Kontrakt beim VfL Wolfsburg II im vergangenen Sommer nicht verlängert wurde. Zum 1. Januar 2015 beginnt JETON ARIFI beim stark abstiegsgefährdeten Oberligisten FC Elmshorn. Interims-Coach SVEN TEPSIC ist nach der Installation des neuen FCE-Trainers Florian Gossow somit wieder “nur” Spieler des Tabellenletzten. Ziemlich am Ende ist auch DENIZ NAKI, der Ende Oktober nicht nur von seinem Verein Genclerbirligi Ankara suspendiert worden (andere Meldungen sprechen von einer von Naki initiierten Vertrafsauflösung), sondern zudem Anfang November in Ankara von Unbekannten auf der Straße attackiert und verletzt worden. Hintergrund des Ganzen: Deniz äußert sich als Alevit öffentlich politisch zu den Taten der IS-Islamisten und wird seither sowohl gefeiert, als auch angefeindet. Der Spieler soll inzwischen bei seinen Eltern in Düren weilen, und nicht wenige erhoffen sich nun in der Winterpause eine Rückkehr des aus der Vergangenheit als unstet bekannten Aktiven ans Millerntor. Wohl auch aufgrund der sehr angespannten Lage im Torhüterbereich hat der FC Bayern München HEINZ MÜLLER dort mit ins Boot geholt. Offiziell als Praktikant trainiert Müller aber wohl ganz normal mit dem restlichen Bayernteam – besitzt aber keinen Vertrag. Pep Guardiola jedoch hat bereits angedeutet, dass er im Notfall auf Müller im Bayern-Tor setzen würde: Er betrachte Müllers Anwesenheit als “beruhigend”, so die “Süddeutsche Zeitung”. Beunruhigend hingegen ist für unseren Ex-Präsidialen TJARK H. WOYDT mutmaßlich das Geschehen im Hamburger CDU-Wirtschaftsrat: Woydt war eigentlich als neuer Vorsitzender ausgeguckt, sah sich dann aber bei der Wahl Mitte November überraschend einer Gegenkandidatin gegenüber, die schließlich sogar die Wahl gewann. Seither hagelt es Rücktritte und toben Richtungskämpfe in diesem konservativen Gremium. Wie’s mit Woydt weitergehen wird? Keiner weiß es. Was man aber weiß: MARC-KEMO KRANICH ist nun doch beim Landesligisten SV Lurup gelandet, wo Cheftrainer BERKAN ALGAN inzwischen recht erfolgreich auh mit einigen ehemaligen St. Paulianern arbeitet. Beim US-Klub “UCLA Bruins” (University of California Los Angeles) ist St.Paulis ehemaliger U23-Spieler LARRY JONATHAN NDJOCK gelandet, der zuvor fürs Collegeteam der Loyola University Maryland aufgelaufen war.

// Ronny

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