Das hat mit Fuß und auch mit Ball … irgendwie doch was zu tun

Von Carsten

Freunde, wer den letzten Übersteiger oder auch die Tombola verfolgt hat (nochmals sorry an alle Gewinner:innen die ich benachrichtigt habe, und bei denen mir meine Worterkennung einen Strich durch die Rechnung gemacht hat 😉), der weiß vielleicht noch, dass ich an einer Augenerkrankung leide die schleichend zur Erblindung führt und mittlerweile so fortgeschritten ist, dass ich als blind gelte.

Ich habe daher seit 2 Wochen ein neues Hobby: cremen, streicheln, cremen, fühlen und wieder cremen. Wer nun an einen schmuddeligen 70er Jahre-Streifen auf bayrischen Almhütten denkt, liegt etwas falsch. Auch wenn meine Corona-Frisur mittlerweile an diese Zeit erinnern könnte.
Neben Trikots sammeln und Etiketten für die Gewinner:innen der Tombola kaufen, lerne ich aktuell die Blindenschrift / Punktschrift. Das ist diese Schrift, wo man eiskalt politische Forderungen mit Fingerfarbe des Sohnes an die Fenster schreiben kann und die Nachbarin die kreativen Punktschneeflocken des Kindes lobt. „So hat Picasso auch mal angefangen!“ – So so, Picasso hat also auch „Fuck CSU“ ans Fenster geschrieben. Merken wir uns das doch für die 125.000 Euro-Frage bei Herrn Jauch.
Ich mache also eine berufliche Reha, um nach einem Jahr meinen Beruf wieder aufnehmen zu können. Ihr fragt euch, warum ich euch das erzähle? Weil es in letzter Zeit viele Diskussionen über die Stellung des Fußballs gegenüber den meisten Mitmenschen dieses Landes gab. Und die Äußerungen einiger Funktionäre oder Spieler bringen mich zur Weißglut. Ich könnte auch „Fuck Kalle“ ans Fenster schreiben. Ich will nicht den ersten Stein werfen, habe in jungen Jahren auch nicht alles richtig gemacht, aber Offizielle? Doch fangen wir bei A wie „außergewöhnlicher Auftritt“ an.

Fingerfarben, Blindenschrift, Fenster, Fuck Kalle
Bunte Fingerfarben eignen sich nicht nur für Kleinkinder

Vor ein paar Tagen kam ich also (nach einem Jahr Berufsunfähigkeit) in das Berufsförderungswerk. Ich muss sicherlich keinem sagen, dass die Gesamtsituation mit Erkrankung und Lockdown eine eher uncoole Kombination ist. Zwischen Einsamkeit, Zukunftsängsten und Decke auf dem Kopf ist da alles dabei.

Jetzt komme ich in die Klasse: kein Applaus ob meiner trendigen Schuhe oder Komplimente, über die Feiertage nicht direkt 10 Kilo zugelegt zu haben. Sonst klatscht wenigstens meine Frau, wenn die Jeans von vor 2 Jahren wieder passt, diesmal gähnende Ruhe.

Nun gut, nach anfänglicher Enttäuschung stelle ich aber fest, dass alle Mitschüler:innen, egal welches Leben sie führen, gleich sind. Wir alle fangen bei null an, egal ob alt, ob jung, welche Ausbildung, Religion, sexuelle Orientierung, wir alle müssen jetzt da durch. Und da hilft mir mein neues Lorbeer-Polo auch nichts. Wir sehen uns nicht, oder nur schlecht. Wir dürfen nicht nebeneinander sitzen, uns nur mit Maske begegnen. Keiner darf dem Gegenüber körperlichen Trost spenden, wenn Erinnerungen an Unfälle, Erkrankungen hochkommen, welche die Erblindung hervorbrachten. Wir sind darauf angewiesen, dass uns Menschen wieder ins Leben zurückbringen. Eine neue Situation, der wir uns stellen und wo uns die Coronazeit sicherlich nicht in die Karten spielt.

Nun also wieder der Loop zum Fußball. Warum schaffen es einige höhere Vereinsbosse oder generell Clubs nicht, sich der Situation zu stellen? Ich für meinen Teil empfinde es als Schlag ins Gesicht, wenn ich Aussagen vernehme, die die Beschwerden über Nichtigkeiten sind. Und ich meine das nicht auf finanzieller Ebene, sondern auf menschlicher. Wenn wir als Gruppe von behinderten Menschen mit allen aktuellen Gegebenheiten klarkommen müssen, dann erwarte ich das auch von Teilen des Fußballs. Ich bin froh, dass sich unser Verein da klar positioniert hat, andere sollten ihr Verhalten einfach mal außerhalb ihrer rosa Blase betrachten. Es geht mir gar nicht darum, dass ein wenig Ungleichheit herrscht, geschenkt! Es geht mir darum, dass man den Hals, wie die letzten Jahre so üblich im Fußball, einfach nicht voll bekommt und völlig außerhalb der Realität lebt und den Boden der Glaubwürdigkeit nicht mehr sieht. Da helfen auch keine gestellten Bilder, wie ein Herr Müller nach einem positiven Corona-Befund im Neil-Amstrong-Gedächnisanzug den Flieger verlässt. Wie erkläre ich meinem Sohn eines Tages, dass es unüblich ist, im Raumanzug im Privatjet die Welt zu umrunden. Okay, ich muss ihm auch irgendwie erklären, dass der tollpatschige Dalmatiner aus der Sendung Paw Patrol nicht vorbei kommt, wenn das Haus brennt.

Meine Cookies im Handy verraten mich und ich werde jeden verdammten Tag dazu aufgefordert, Trikots diverser Teams zu kaufen, meinen letzten Cent für Sondertrikots über 120 Euro herzugeben, den ganzen Mist der Vereine zu unterstützen, höher, weiter, schneller.

Wie sagte es doch ein recht bekannter Würstchenhersteller? Man muss auch mal Respekt haben. Gut gebrüllt Löwe. Blöd nur, wenn das eigene Rudel sich selbst nie daran hält.

Und so sitze ich hier, creme meine Finger, denke nach, creme meine Finger und versuche seit geraumer Zeit „Am Arsch die Räuber“ zu lesen. Wäre ich doch Profisportler geworden, ich hätte einen silbernen Anzug für den Notfall und immer die Gerechtigkeit auf meiner Seite. Durch das Eincremen der Hände soll übrigens die Tastfähigkeit der Finger verbessert werden. Mittlerweile gleicht meine Tasche einer Douglas-Filiale und meine Finger vermitteln den Eindruck einer Nivea-Teststrecke. Sollte der Geruchssinn bis dato noch funktionieren, so wird er hier doch arg strapaziert. Schonmal versucht mit eingecremten Händen das Handy zu bedienen? Euer Carsten

PS: Ich wollte immer einen Witz auf meine eigenen Kosten bringen, mein Lieblingsspieler war immer Danny Blind. „Danny, wenn du das liest, dein Trikot fehlt mir noch“.

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