Du musst dein Kind von Anfang an mit ins Stadion ziehen, haben sie gesagt. Er wird das St. Pauli Fansein quasi mit der Muttermilch aufsaugen, haben sie gesagt. Er wird nichts anderes mehr tun wollen, haben sie gesagt…
Gesagt – mit Verspätung – getan. Denn durch das DFL Ansetzungsbingo fiel das Spiel in Dortmund auf einen Freitagabend, und jeder der in Dortmund mal war weiß: vor 23 Uhr bist du aus dem Laden nicht raus. Und zum Spiel in Hoffenheim kam eine Nullluststimmung des Kleinen hinzu. Nun also Frankfurt. Sommer, Sonne, Sonnenschein und zugegeben, ich hätte mir ein Spiel gewünscht, welches nicht diese sportliche Brisanz an den Tag legen würde. Innerlich hoffte ich auf Union Berlin am Samstag gegen Heidenheim. Allerdings, von Union erwarte ich grundsätzlich nichts Gutes. Also muss der magische FCSP dann halt doch in Frankfurt punkten.
Das Gute an späten Nachmittagsspielen ist, man kann früh aufstehen und den ganzen Tag mit spielen verbringen, während man innerlich alle Fingernägel dieser Welt kaut.
„Warum sitzen wir nicht im Frankfurt Block?“, fragte mein Sohn. Ich erklärte ihm, weil wir für das Gute sind und es grundsätzlich auch keine anderen Karten gab und ich das auch nicht will. Ich konnte ihn mit Not dazu überreden, nicht zwingend für Frankfurt zu jubeln. „Ist ein Bayern Trikot okay?“
Auf der Vereinsseite der SGE fanden wir den Passus, dass Kinder bis sechs Jahre noch freien Eintritt haben und über eine Schoßkarte in den Block kommen. Gut, ein Blick in den Pass meines Sohnes: FÜNF. Ich gehe da lieber auf Nummer sicher und gucke ein zweites Mal hin. Immer noch fünf. Glück gehabt.
Kurz vor Abfahrt dann Nervosität. Wie kommen wir eigentlich vom Parkplatz P9 an das Ticket für den Kleinen? Fanshop? Ticketcounter? So richtig konnte ich nichts finden, mag es doch ein wenig schwierig sein, mit einem doch recht agilen Kind und mir als Blinden durch Fanmassen zu stolpern, um ein Ticket zu bekommen. Idee: Ich frage den Fanladen (der sich seit Stunden im Sonderzug befand und wahrscheinlich nur meinetwegen zu spät kam, da man irgendwo einen Zwischenstopp machen musste, um Handynetz zu bekommen, um sich um mein Problem zu kümmern).
Es kam die Antwort aus dem Zug: „Laut Frankfurt braucht man keine Karte für Kids.“
Ich ging allerdings auf Nummer sicher und rief die kostenlose Hotline der SGE an. Die freundliche Dame erklärte, dass man für den Heimbereich keine Karte bräuchte. Gute Frau, wir sitzen aber Auswärts. Da hatte sie nun auch keine Ahnung und verwies auf den FCSP. Muss man nicht verstehen, da die Stadionordnung ja Frankfurt unterliegt. Wir beschlossen also es einfach zu versuchen und notfalls zu dritt (Frau, ich blind und 5-jähriges Kind) das Stadion zu stürmen. Gut, das wir alle schwarz trugen. Ich instruierte meinen Sohn: „Einfach laufen, wir treffen uns drinnen am Bierstand… Verstanden? Jahaaa, da gibt es auch eine Fanta!“)
Wir kamen auf P9 an, zeigten dem guten Herrn am Eingang meinen Blindenstock und durften wohlgemerkt an vorderster Stelle des Parkplatzes parken. Näher ging es nicht. Freundlich wurde gefragt, ob meine Frau es schaffen würde, nah am Zaun zu parken. „Ich mache das“, sagte ich dem Herrn und zeigte nochmals auf meinen Stock. Allerdings bin ich mir sicher, dass der nette Herr das gar nicht so meinte, wie man es hätte verstehen können. Was mir auffiel: alle Ordner sehr freundlich. Und auch am Eingang, es musste nicht gestürmt werden, denn es interessierte gelinde gesagt keine Sau, ob mein Sohn ’ne Karte hat, auch ein Blick in seinen Ausweis blieb aus. Es wurde uns ein gutes Spiel gewünscht und zack waren wir auf dem Stadionvorplatz. Entspannter Einlass bei uns, kaum Trubel auf dem Vorplatz und keine langen Schlangen an den Getränke- oder Essensständen. Sogar einen Spielplatz für Kinder gab es, welchen wir ein wenig nutzen. Wir impliziert: Ich trank einen Appler und versuchte so zu tun, als ob ich auf meinen Sohn aufpassen würde. Der kam kurzerhand zurück: „Papa, die haben alle andere Trikots an, da traue ich mich nicht zu fragen, ob ich mitspielen darf.“ „Sag einfach, dein Vater zwingt dich.“

Die Aufregung war allerdings so groß, dass wir auf Anordnung meines Sohnes bereits 45 Minuten vor Anpfiff unsere Sitzplätze einnehmen. Nach 5 Minuten machte sich erste Langeweile breit. Gut, kann passieren. Die spielen ja auch miese Musik hier und im Block war es auch sehr ruhig und bis dato sehr leer. Wir hatten also genügend Platz.
„Wann geht es los Papa?“
„45 Minuten.“
„Ist das lang?“
„Na, 45 Minuten halt.“ Fünf lange Minuten später: „Und jetzt?“ Memo an mich: Dringend die Uhr lernen.
Auch im Umlauf der Tribüne Oberrang war es extrem leer, am Klo keine Schlange und auch die Wurstbude suchte dringend Käufer:innen. Nun ging es allerdings endlich los, der Sonderzug schien auch angekommen zu sein, der Fanladen fragte persönlich in Form von Nils bei uns nach, ob alles geklappt hatte und dann: Zack 0:1. Mein Sohn jubelte zum Glück nicht. Ich hatte mir vorsorglich einen Schlachtplan zurechtgelegt, falls er für Frankfurt jubelt. Farbenblind und so, vererblich Blabla, aber gut, ich brauchte ihn nicht. Die beiden Plätze neben uns blieben übrigens frei. Was uns natürlich zugutekam, da wir so einfach mehr Platz hatten. Kaum die erste Träne getrocknet, eskalierte unser Block beim Ausgleich. Freude, Jubel, und auch mein Sohn ballte die Beckerfaust und wedelte mit seinem Schal. Guter Junge! DAS ist mein Sohn!!!
Fünf Minuten später nörgelte es aber an der rechten Schulter. „Boah, das ist so langweilig, und hier nur sitzen ist ja auch blöd.“ Also ging meine Frau mit meinem Sohn an den Wurststand. Auf dem Rückweg fiel das 1:2 und die Würstchentragenden standen genau auf dem Podest zum Unterrang. Eskalation pur, und ich glaube, für ein 5-jähriges Kind ist es dann doch ein Schock, wenn alles so abgeht und auch wirklich laut ist. Die restliche Zeit der ersten Halbzeit verbrachte der Nachwuchs dann am Handy, und nein, ich finde das nicht gut. Aber es ging nicht anders. In der Halbzeit forderte mein Sohn den Spielplatz, meine Frau ging mit, ich blieb im Stadion. Hoffentlich kommen sie auch zurück, bevor ich aufs Klo muss. In der Pause kamen zwei Typen mit Frankfurt Trikot und hatten unsere Plätze im Visier. Der gute Mann hinter uns passte aber auf und erklärte ihnen, dass Block M woanders ist (obwohl wir Block M waren). Egal, sie kamen nicht wieder.
Das Spiel wurde wieder angepfiffen, von meiner Familie allerdings keine Spur. Nach geschlagenen 10 Minuten kamen sie dann wieder. Mein Sohn hatte eine fabelhafte Idee: „Papa, ich habe einen Plan. Wir gehen nun aus dem Stadion und dann unten auf den Spielplatz, dann kannst du das Spiel auch hören.“

Ein Blitz durchdrang jeden Körperteil. Das kann ich nicht tun, nicht bei dem Spiel, nicht in dieser Saison. Ich verhandelte, vergeblich. Meinem Sohn, und das kann ich dann doch verstehen, war es einfach zu laut. Und es war teilweise wirklich ohrenbetäubend laut. 90 Dezibel sagt die Smartwatch. Was willst du da machen, nach weiteren 10 Minuten ließ ich mich ohne Murren, zumindest keinem sichtbaren, breitschlagen das Stadion zu verlassen. Unten angekommen fiel das 2:2. Ich verspürte ein wenig Trauer in mir. Der Spielplatz war dann mehr oder minder gesperrt, weil die Frankfurter Reiterstaffel ihn als come together nutzte. Also ab ins Auto, Radio an und sich zumindest innerlich über das Spiel freuen. Was lernen wir daraus: Mit fünf ist das alles noch nichts für ein Kind, zumindest nicht für meins. Ach und: Klassenerhalt! Mega gut!
Hatte ich in einem früheren Blogtext übrigens AB unterstellt keinen Spieler verpflichtet zu haben der +5 Tore schießt diese Saison, da lag ich falsch. Ich habe in meinem Leichtsinn eine Kiste Bier drauf gewettet, könnte aber auch gegen Wein tauschen. Herr Bornemann möge sich bitte melden. Ich würde den fachlichen Unsinn meinerseits gerne begleichen. //Carsten