EM kann jeder, here comes Copa América!

Text und Fotos von Rakete / arigrafie.de

Atlanta, 27.06.2024: Ausgerechnet jetzt, wo die EM gerade in Deutschland stattfindet, verpasse ich sie, da ich aktuell in den USA verweile. So war ich sehr erfreut, stattdessen immerhin ein Vorrunden-Spiel der Copa América besuchen zu können. Nämlich Panama gegen USA im Mercedes Benz Stadium in Atlanta.
Über den Eintrittspreis kann ich nichts sagen und möchte es auch gar nicht wissen, denn ich habe das Ticket als Geburtstagsgeschenk erhalten, nachdem ich ziemlich wirksam mit dem Zaunpfahl gewunken hatte.

Mercedes Benz Stadium Atlanta

Aus einem Vorort von Atlanta machen wir uns um 15 Uhr (oder wie man hier sagt 3 p.m.) auf den Weg und kommen verkehrstechnisch ziemlich gut durch. Am selben Abend findet nämlich auch die erste TV-Debatte zwischen Biden und Trump in Atlanta statt und es soll etliche gesperrte Straßen geben. Wir parken gegenüber des Stadions (später erfuhr ich, dass allein der Parkplatz 60 US$ gekostet hat). Einige Leute grillen auf dem Parkplatz und stimmen sich schon mal ein. Ich glaube, das ist in den Staaten nicht unüblich.

Ein Blick ins Stadion

Das relativ neue Stadion (von 2017) mit dem deutschen Automarkennamen, teilen sich das Team von Atlanta United FC (Fußball) und die Atlanta Falcons (American Football). Es ist von der Bauweise relativ geschlossen, mit einem kleinen Dach, welches geöffnet werden kann. An diesem Tag aber ist es zu, Regen ist angekündigt. 
Der Einlass völlig unkompliziert. Keine Schlange, kein Abtasten, keine Fantrennung. In die Tasche wird auch nicht geschaut, aber da diese durchsichtig ist (das wird in den USA tatsächlich öfter mal verlangt, wenn man irgendwo rein will) erübrigte sich das eh.

Ich entschied mich fürs Tropicalia

Ca. 1,5 Stunden vor Anpfiff sind wir also schon drin und besuchen den Bereich mit den Ess- und Getränkeständen. Tatsächlich weiß ich nicht, inwiefern der Verband, der die Copa América ausrichtet, Einfluss auf die Getränkepreise hat (also wie beispielsweise die UEFA auf die Preise während der EM in den Stadien), aber es heißt, das Mercedes Benz Stadium sei allgemein eines der günstigsten, was Verzehrpreise in den USA angeht. Und tatsächlich fand ich zwei US-Dollar für Soda-Getränke und acht bis zehn Dollar für Bier noch verhältnismäßig okay – es sind knapp 0,6l im Becher drin – zumindest verglichen mit den 16,32 Dollar, die ich vor zwei Jahren bei einem Fußballspiel im Yankee Stadium in New York für ein Bier zahlen musste. Gezapft wird die recht breite und tatsächlich leckere Bierauswahl in silberne Alubecher, die man behalten durfte (bzw. Pfandfrei).

Gestärkt machen wir uns auf dem Weg zu unseren Plätzen im unteren Drittel, mittig der einen Längsseite des Stadions, in welchem es wohl ausschließlich Sitzplätze gibt, was aber niemanden daran hindert zu stehen.
Weder beim Einlass noch bei den Plätzen herrscht Fantrennung, sodass die ca. 15-20% Panamaer*innen in Rot sich gleichmäßig unter die USA-Supporter*innen in Weiß mischen. Bis 10 Minuten vor Anpfiff sind lediglich ein Viertel der Plätze belegt und ich fürchte schon, dass das Spiel vor fast leeren Rängen stattfinden würde, aber die Zuschauer*innen sind wohl alle im Fanklub „Last Minute“ und es füllt sich kurz vor knapp doch noch rasch und der Stadionsprecher verkündet schließlich 59.140 Zuschauer*innen, bei 70.000 Fassungsvermögen. Gar nicht so schlecht also dafür, dass es „nur“ gegen Panama geht.

Der stadioneigene DJ und der Stadionsprecher machen ordentlich Stimmung, übrigens immer zweisprachig englisch und spanisch. Ich persönlich mag das ja, wenn fetzige 70er und 80er Disco- und Popmusik zum Einheizen gespielt wird. Ich bin eh super aufgeregt und hibbelig und finde alles toll. Meine Cousine und ihr Mann, die keine Ahnung von Fußball haben, beruhige ich dahingehend, dass sie sich nicht sorgen bräuchten, dass die USA verlieren könnte. Aber es soll sich herausstellen, dass ich eigentlich diejenige bin, die keine Ahnung hat, zumindest habe ich Panama ordentlich unterschätzt.

Hallo Kollegas!

Dann positionieren sich die ganzen Foto- und Kameraleute (in rosa Leibchen, hallo liebe Kolleg*innen!) am Spielertunnel und die Mannschaften kommen raus. Die Nationalhymnen werden gespielt. Das Publikum ist weniger enthusiastisch am Mitsingen als befürchtet, was mich ein wenig beruhigt. Überbordenden Patriotismus finde ich mehr als befremdlich. Banner hängen übrigens auch keine.

18 Uhr: Anpfiff. Alle stehen auf den Rängen. Die erste Halbzeit direkt überaus turbulent. Erst wird in der 5. Minute ein Tor für die USA vom VAR aberkannt, in der 12. Minute wird der US-Torwart in einem spektakulären Luftstunt gefoult (kollektives „WOOOAH“ und Luft anhalten im Stadion) und es folgt eine längere Verletzungspause, in der Keeper Matt Turner behandelt wird. In der 18. Minute bekommt Tim Weah wegen einer völlig überflüssigen Tätlichkeit erst eine gelbe Karte, die nach VAR-Überprüfung durch glatt Rot ersetzt wird. Selten dummes Foul. Die USA also fortan nur zu Zehnt.

Toooor!

Bevor beide Teams sich der neuen personellen Situation überhaupt anpassen können, steht es auf einmal schon 1:1. Zunächst AS Monaco Spieler Balogun mit einem sehenswerten Treffer für das US-Team, nur vier Minuten später gleicht Panama aus. Mannmannmann… Und dann lediglich fünf Minuten Nachspielzeit.
Halbzeit. Keine Schlange vor dem Frauenklo (obwohl sehr viele Frauen im Stadion anwesend sind, aber glücklicherweise eben auch ausreichend Toiletten). Bei den Waschbecken der überdimensionierteste Papierkorb, den ich je gesehen habe, aber dafür quillt er auch nicht schon in Halbzeit eins über, wie sonst so üblich in den Stadien, die ich kenne.
Die Schlange vorm Bierstand ist kurz, die nächste Runde geholt. Pünktlich zum Wiederanpfiff sitzen wir zunächst wieder auf unseren Plätzen, bevor dann doch wieder alle aufstehen.

Coach Greg Beerhalter hat sein System nochmals umgestellt, sogar den Torwart und noch zwei weitere Spieler zur Halbzeit ausgewechselt. Doch sein Team – obwohl überlegen – kommt irgendwie einfach nicht überzeugend ins Spiel und Panama macht ununterbrochen Druck. Dann wird Elfmeter zugunsten USA gepfiffen. Der VAR nimmt das aber wieder zurück. So langsam sind die meisten im Stadion really pissed vom VAR, der andauernd eingreift, und ich plädiere lautstark für dessen Abschaffung. (Obwohl mir komplett egal ist, wer da heute Abend gewinnt). Die Stimmung ist aber insgesamt durchgehend gut. Es gibt zwar wenig Gesänge, aber es wird dennoch supportet und geklatscht und es ist definitiv laut im Stadion, was bei knapp 60.000 und der geschlossenen Bauweise des Stadions vielleicht auch keine so große Kunst ist. Meine Verwandten versichern mir – selbst darüber überrascht – dass die Stimmung viel besser ist als sonst beim American Football.

Glückliche Canaleros

Die USA haben noch 2-3 gute Chancen, das 2:1 machen in der 83. Minute dann aber die „Canaleros“, die übrigens vom Dänen Thomas Christiansen trainiert werden. In der 88. Minute kassiert Panama noch eine rote Karte, was aber den USA in den letzten zwei Minuten + 4 Minuten Nachspielzeit auch nicht mehr hilft.

Das Maskottchen und ich

Friedlich und zügig leert sich das Stadion, die Panamaer mit dem breiteren Grinsen im Gesicht als die Anderen, die aber auch nicht allzu geknickt aussehen. Beim Copa America-Maskottchen mache ich Halt für ein paar Fotos. Es wirkt weniger euphorisch als ich.

Auf dem Parkplatz wird noch immer oder schon wieder gegrillt. Auf der Heimfahrt stehen wir gefühlt drei Stunden im Stau.
Zu Hause angekommen, spulen wir die TV-Debatte auf Anfang. Nach 20 Minuten gebe ich fassungslos auf. Trump lügt wie gewohnt ununterbrochen hanebüchenen Blödsinn (Beispiel: „Die Demokraten befürworten Abtreibungen NACH der Geburt!!“) und die Moderation von CNN macht keinerlei Faktenchecks, reagiert darauf gar nicht. Und Biden stammelt völlig verloren vor sich hin. Gute Nacht USA.
Gute Nacht USA übrigens auch was die Copa América angeht. Vorrundenaus für den Gastgeber, nachdem er auch gegen Uruguay verliert (0:1). // Rakete

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