Filmkritik „Gegengerade“

Ein unschätzbarer Vorteil von Twitter ist es, schnell und unkompliziert mit Fans anderer Vereine in Kontakt zu kommen. So kam es auch, dass wir einen Gastschreiber für eine Kinokritik des neuen Films „Gegengerade“ gewinnen konnten, der den Film beim Filmfest in Saarbrücken am Mittwoch Abend bereits in Augenschein nehmen konnte. Hier wir (bzw. er) gehen, von unserer Seite nochmals vielen Dank!

Gegengerade

Fußball ist „in“, Fußballfilme sind es noch nicht ganz. Es sei denn, es ist ein Fußballfilm über Gewalt unter Fans: „The Football Factory“,Hooligans“ oder zuletzt „66/67 – Fairplay war gestern“ haben das bewiesen. Und wenn ein Verein dann noch allgemein als „Kultverein“ oder „Mythos“ umschrieben wird, dauert es nicht mehr wirklich lange, bis es den Film zum Mythos gibt: „Gegengerade“ von Tarek Ehlail übernimmt diese Aufgabe beim FC St. Pauli.

Harte Schnitte, ein Techno-Remix von „Hells Bells“, grobpixelige Bilder von Schlägereien in Stadien: Schnell wird klar, dass „Gegengerade“ versucht auf der Welle der Gewaltfilme zu reiten. Auch die drei Hauptfiguren, Magnus, Arne und Kowalski, haben Spaß an Raufereien, an Fußball, Sex und Alkohol, was es ihrem privaten Umfeld nicht leicht macht. Magnus Freundin steht vor einer Karriere als Immobilienmarklerin, hat aber Vorbehalte gegenüber der Gentrifizierung, Arne steht vor seiner Abschlussarbeit, einem Film über das Leben seiner Freunde und Kowalski ist im Visier der Polizei. Daneben gibt es Rahmenhandlungen mit kernigen Charakteren, etwa dem Budenbesitzer, der immer einen Rat für die drei Jungs übrig hat. Der Arzt, der in Zuhälter-Kluft über den Kiez streift. Der korrupte Staatsanwalt, der selbst aus der Anti-Atomkraft-Bewegung hervorgegangen ist und nun auf der „anderen Seite“ steht.

Die Handlung hat Tempo, die Charaktere sind zwar klischeehaft, aber gerade deswegen auch wieder witzig. Auch das Starangebot mit Mario Adorf, Katy Karrenbauer oder Claude-Oliver Rudolph wirkt beeindrucken. Das macht aus dem Werk von Tarek Ehlail einen kurzweiligen, amüsanten Film. Die Darstellung der Fans insbesondere ist aber fragwürdig: Die drei Hauptfiguren sollen zwar wohl optisch an Ultras oder zumindest „erlebnisorientierte Fans“ angelehnt sein, treten aber nur in ihrer kleinen Dreiergruppe auf. Einen Fanclub, dem sie angehören, gibt es nicht. Man wird also nicht etwa mit dem Innenleben einer Fangruppe als Fangruppe, sondern mit drei Charakteren konfrontiert, die am Spieltag zwar im Millerntor-Stadion stehen, aber sonst wenig Bezug zur Fanszene zu haben scheinen. Eher scheinen Magnus, Arne und Kowalski den Kick in Krafttraining, Saufabenden und Prügeleien mit Nazis zu suchen.

Zwischendurch gibt es immer mal wieder Einblendungen von Choreographien im Stadion, von Aufklebern in der Stadt – halt das, was man optisch am Ehesten mit Ultras verbindet. Auch Probleme wie Gentrifizierung oder Polizeigewalt gegen Fußballfans werden im Film dargestellt, als kleine Häppchen zwischendurch. Umso fragwürdiger erscheint die immer wieder geäußerte Kritik am Staat und Kommerzialisierung im Film, wenn man die große Dankesliste an verschiedene Sponsoren im Abspann des Films liest: Neben Nike und anderen Ausstattern, wird auch „Red Bull“ gedankt, was für Fußball-Fans schon fast unfreiwillig komisch wirken muss.

Im Endeffekt wirkt „Gegengerade“ wie ein bunter Zusammenschnitt, welcher Außenstehenden vermitteln soll, warum der „Mythos St. Pauli“ so ist, wie er ist. Das Publikum von „Hooligans“ oder „The Football Factory“ wird in der Tat Spaß an „Gegengerade“ haben und den FC St. Pauli, wenn sie ihn eh nicht vorher schon „cool“ fanden, jetzt mögen. Ob die Fans des Vereins mit dieser Darstellung glücklich sein werden, steht auf einem anderen Blatt. // Jean Bart

P.S. Ein Interview mit der Produzentin ist in der taz nachzulesen.

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