Offener Brief des Ständigen Fanausschusses nach Gespräch mit Präsidium

Nach dem großen Jolly Rouge-Samstag fand am Dienstag Abend das turnusmäßige Treffen des Ständigen Fanausschusses (StFa), welchem auch der ÜBERSTEIGER angehört, mit dem Verein statt, welches natürlich durch die jüngsten Ereignisse eine größere Brisanz als normalerweise hatte. Sogar so groß, dass sowohl der Verein als auch der StFa eine Einladung zu Hamburg 1 in die Sendung “rasant” am Tag zuvor bekamen… aber richtigerweise auch ablehnten, um den internen Gesprächen nicht vorzugreifen.

Die Hamburger Presse war von derlei schweigsamem Vorgehen sichtlich irritiert und begann wahlweise zu mutmaßen und mit Halbwissen zu glänzen (bspw. das Abendblatt, welches wissen wollte, dass auch die Sozialromantiker am Gespräch teilnehmen würden) oder verfolgte eine fragwürdige Strategie, die nach einem Mix aus FC St.Pauli Pressearbeit und Good Will gegenüber Anzeigenkunden klang (BILD und MOPO). Bspw. wurde wiederholt (auch schon vor dem Freiburg-Spiel)behauptet, derlei Streitigkeiten würden auf dem Rücken der Mannschaft ausgetragen. Dies durfte beispielsweise Walter Frosch formulieren, in völliger Ignoranz einer wirklich guten Stimmung am Samstag, die selbst vom Freiburger Spieler Buttscher als (sinngemäß) einschüchternd bezeichnet wurde.

Gestern trat dann der Verein per Pressetext und Video (keine Registrierung notwendig) auf einer Pressekonferenz an die Öffentlichkeit und ich persönlich bin ja schon dafür dankbar, dass Stefan Orth jetzt endlich mal auch in der Öffentlichkeit Stellung bezogen hat. Über Teile seiner Sichtweise lässt sich sicher trefflich diskutieren, im Großen und Ganzen aber ist es ein Anfang, auf dem man zwar aufbauen kann, dem jetzt aber auch Taten folgen müssen. Und natürlich ist es positiv, dass es in unserem Verein überhaupt möglich ist, als Fanszene so direkt (als StFa) mit dem Präsidium kommunizieren zu können, dass dürften sich viele andere Fans in Deutschland wohl auch wünschen.

Mitnichten aber ist alles Friede, Freude und Eierkuchen, dies wird nicht nur bei Orth zwischen den Zeilen klar, sondern auch und besonders wenn man den folgenden Offenen Brief des Ständigen Fanausschusses liest: (// Frodo)

Offener Brief des Ständigen Fanausschuss
An alle Fans und Mitglieder des FC St. Pauli

Am 18. Januar fand das turnusmäßige Treffen zwischen dem Ständigen Fanausschuss und dem Präsidium des FC St. Pauli statt. Gemäß der von uns vorgelegten Agenda wurden verschiedene Themen besprochen, wobei das Thema der Vermarktung erwartungsgemäß den größten Raum einnahm. Das Präsidium bezog zu den verschiedenen Forderungen der Sozialromantiker-Initiative Stellung. Die Aussage des Präsidiums in der gestrigen Pressekonferenz, alle Vorwürfe seien geklärt und entkräftet, ist aus unserer Sicht nicht zutreffend. In manchen Punkten blieben wir verschiedener Meinung, andere gilt es weiter zu diskutieren oder zu beobachten. Im Übrigen war kein Vertreter der Sozialromantiker anwesend und schon deswegen steht es uns nicht zu, die Petition als geklärt und entkräftet zu bezeichnen. Seitens des Präsidiums wurde angekündigt, ab sofort eine Gruppe aus Vereinsverantwortlichen zu installieren, welche alle neuen Werbemaßnahmen bereits im Vorfeld kritisch überprüfen soll. Außerdem wurde durch das Präsidium die dringend notwendige Verbesserung der Kommunikation zwischen den zweimonatlichen Treffen zugesagt.

Die intensive Diskussion hat uns verdeutlicht, dass der aktuelle Konflikt zwischen Vereinsführung und Fans sich nicht an einzelnen Sachfragen festmachen lässt, sondern sich auf einer anderen Ebene bewegt: Für Teile der Vereinsführung ist der FC St. Pauli ein Wirtschaftsunternehmen, eine „Marke“ und ein Hobby. Für viele Fans im Stadion ist der Verein jedoch weit mehr als dies: nämlich ein Stück ihres Lebens und ihres Lebensinhaltes und somit keine rationale, sondern eine Herzensangelegenheit. Insofern können die Festlegungen in den Leitlinien allenfalls als Entscheidungshilfen, jedoch nicht der formaljuristischen Auslegung dienen.

Wir sehen das Präsidium in der Pflicht, nicht nur nach wirtschaftlichen Aspekten zu entscheiden, sondern das emotionale Befinden der Fanszene in allen Entscheidungen zu berücksichtigen. Die Proteste beim Heimspiel gegen Freiburg waren für uns kein störender Nebenschauplatz, sondern ein eindrucksvolles Zeichen gelebter St. Pauli-Kultur. Ebenso sind nach unserem Verständnis politische Äußerungen im Stadion elementare und konstituierende Bestandteile des Vereins. Gleichzeitig verwahren wir uns gegen die aus verschiedenen Bereichen des Vereins zumindest unterschwellig erhobenen Vorwürfe, die Unterstützung der Mannschaft werde unter den aktuellen Streitigkeiten leiden – wir alle haben am Samstag das Gegenteil bewiesen und erwarten, dass diese und ähnliche Verknüpfungen des Protestes mit anderen Themen künftig unterbleiben.

Das nächste Treffen zwischen Vereinsführung und Ständigem Fanausschuss wird Ende März stattfinden. Wir halten die positiven Signale aus dem Präsidium für anerkennenswert und werden auf dem nächsten Treffen ein erstes Zwischenfazit bezüglich der Zusagen des Präsidiums ziehen. Selbstverständlich werden wir auch in der Zeit bis zu diesem Treffen Entscheidungen und insbesondere Maßnahmen der Vermarktung kritisch begleiten und, falls nötig, intern oder öffentlich Stellung beziehen.

Hamburg, 20.01.2011
Ständiger Fanausschuss

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