Und Kartoffelpürree schmeckt immer…
Zwischen Anwaltskanzlei und Zahnarztpraxis pendelten meine Wege in den nächsten Wochen. Knut, mein Hund, immer an meiner Seite. Meine Nahrung bestand in der ersten Zeit aus Süppchen und Kartoffelpüree. Insgesamt standen in den nächsten Monaten noch fünf OPs aus, bei denen mir unter Vollnarkose fünf Implantate eingesetzt wurden. Dann gab es eine Prothese. In der Zwischenzeit stand ein Termin beim „Dezernat für interne Ermittlungen“ an. Mein Anwalt begleitete mich. Dort wurde mir mitgeteilt, dass wohl die Kamera der Polizei zeitweise ausgefallen war und es deshalb keine Bilder von dem Attentat auf mich gab. Ein anderes Mal wurde erwähnt, dass ja nicht immer alles aufgezeichnet wird und es zu technischen Störungen gekommen ist. Merkwürdig. Ich kann den Zeitraum anhand meiner Anrufliste ziemlich genau bestimmen. Komischerweise fehlen exakt diese Minuten auf dem Video der Polizei. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Die Abteilung wird polizeiintern kurz nur „Die Interne“ genannt, weil E wie ermitteln tun sie (gegen die Kollegen) nicht wirklich… Nach einem Testspiel der Profis gab es eine große Demo gegen Polizeigewalt. Auch einige Spieler liefen dabei mit: Ich glaube es waren u.a. Marcel Eger, Benny Adrion, Florian Lechner und auf jeden Fall war Kommissar Boll dabei! Chapeau!
Vor dem Anpfiff kam ein gewisser Vito Deniz zu mir und schenkte mir als Ersatz ein Dracula-Gebiss. Wie geil war das denn bitte?!! Das hat mich echt aufgebaut!
Die Soli-Aktionen rissen nicht ab! Ein Konzert im Knust und das bereits erwähnte Spiel zwischen den AFC-Frauen und unseren Mädels. Nach dem Spiel war ich am Mikrofon in der Sprecherkabine. Ich wollte mich einfach nur bedanken. Doch mehr als ein „Ich weiß jetzt, was You’ll never walk alone bedeuten kann“ brachte ich unter Tränen nicht heraus.
Meine Hausärztin riet mir zu einer Therapie, also suchte ich im Netz und wurde in Ottensen fündig. Doch nach der ersten „Sitzung“ war mir klar, dass das keine Zukunft hatte. Ich sollte mit den Füßen wippen und über meine Eltern erzählen… Eine Bekannte empfahl mir dann eine Psychologische Psychotherapeutin in Borgfelde. Meine erste Frage war, was denn eine Psychologische Psychotherapeutin sei. „Ich habe keinen Doktortitel„, lautete die sympathische Antwort. In den folgenden zwei Jahren sahen wir uns alle zwei Wochen und letztendlich haben die Gespräche mir viel geholfen. Auch gab sie mir „Hausaufgaben“ mit. So sollte ich mich z.B. in größeren Menschenmengen aufhalten. „Ach, das mach’ ich doch am Millerntor alle zwei Wochen„, sagte ich. Es sollte allerdings auf ungewohntem Terrain stattfinden. Europa-Passage hieß das Ziel. Ich betrat also diesen Konsumtempel und nahm auf einer Sitzgelegenheit Platz. Ich schaute mich erstmal um und drehte mir eine Zigarette. Plötzlich standen zwei schwarze Sheriffs vor mir und pöbelten mich an: „Hier ist das Rauchen verboten„. Ich entgegnete, dass ich doch nicht rauche, sondern nur eine drehe. „Nun werd’ mal nicht pampig„, kam zurück und ich verließ diesen Un-Ort fluchtartig. Experiment gescheitert. Doch nicht ganz, denn ich fuhr nach Ottensen und flanierte total entspannt durch das Mercado…
15 Jahre sind seit dem Überfall vergangen und ich lebe noch. Denn hätte der Schutzmann etwas höher oder tiefer gezielt, dann würde es diese Zeilen gar nicht geben. Wie es mir inzwischen geht? Dank einer großen braun-weißen Familie halbwegs gut. Nur an manchen Tagen tanzt die Psyche immer noch Limbo. Zitat aus meinem Lieblingssong von NoLifeLost „Warten“:
„Der lange dunkle Flur, er führt dich ins Nichts. Und die Tür nach draußen bleibt dir versperrt„.
Danke dafür, Tim. // Hossa
P.S.: Nach fünf Jahren gab es übrigens (zumindest in meinem Fall) eine Gerichtsverhandlung, die natürlich nicht für Gerechtigkeit sorgte. Alle anderen „Verfahren“ wurden bereits nach kurzer Zeit eingestellt. Deshalb kommt nochmals Musik ins Spiel: „Ich glaube eher an die Unschuld einer Hure, als an die Gerechtigkeit der deutschen Justiz“ (Slime).
Links:
Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=DVqtKXeZrsw
TAZ 2014: Haftung für Rambo-Schlag
Übersicht zu zahlreichen Links: https://santapauli.wordpress.com/2009/07/09/wen-sollen-wir-denn-anrufen-110-polizeieinsatz-im-jolly-roger/