Was soll’s oder: Das WARTEN hat ein Ende … Die Rezi und DAS Interview!

1989 bekam ich die CD „Ihre größten Momente“ der mir bis dato unbekannten Band „No Life Lost“ zum Geburtstag geschenkt. Ich war damals eher im Punk beheimatet, hörte aber natürlich auch gerne Reggae und Ska. Und dann das! Da kommt so’ne Band aus Altona und rotzt mal eben eine Mischung aus alldem zusammen raus. Der fünfte Song haute mich dann auch gleich förmlich aus den Puschen: WARTEN! „Der lange dunkle Flur – er führt dich ins Nichts!“. Grandios. Nach dem 4./5. Juli 2009 heute für mich aktueller denn je ...
Doch noch aktueller ist die neue LP von „The NØ vs. No Life Lost“, mit dem schönen Titel „Melodien für Momente“. Ein früheres Album hieß übrigens „Melodien gegen den Abstieg“ – mit Melodien haben sie’s also. Nach zahlreichen Umbesetzungen und der (angeblich endgültigen) Auflösung 2015 (mit einem grandiosen Gig im Hafenklang) gibt es nun Neuigkeiten rund um Sänger Tim und die 2Tone-Band.
Als Aperitif auf das neue The NØ-Album im Sommer gibt’s schon mal ein feines „Best of“ mit 15 Songs und natürlich ganz old school auf Vinyl. Ein Querschnitt des musikalischen Schaffens der Band aus über 35 Jahren. Die Tracks wurde neu abgemischt und klingen irgendwie viel frischer.

Den Anfang auf der „Backbord Seite“ macht der NLL-Smash-Hit „Was soll’s“ und ich muss nicht lange auf meinen Song WARTEN. „Niemand“ ist textlich sogar noch eine Nummer weiter für mich, weil es die Arschlöcher dieser Welt in den Spiegel blicken lässt. Und „15:30“ und „Die Welt ist schlecht“ sind selbsterklärend.
Auf der „Steuerbord Seite“ gibt es gleich mal die Liebeserklärung an „George Best“ und auch „Helga“, sowie meinen persönlichen 1974er-Star „Sparwasser“ (ja, ich war dabei…!).
Die „Night Boat to Cairo“ 62er- Version kannte ich noch nicht, kommt aber genauso fein rüber, wie der Rest der Scheibe.
Die letzten verbliebenen Exemplare gibt’s beim Plattendealer des jeweiligen Vertrauens oder direkt bei der Band unter thenoe@livegigs.de

Das Front- sowie Back-Cover von Matz (matzmainka.com) sind absolute Kunstwerke! „Mir war es ein Fest, das Album zu gestalten“. Chapeau! Und seiner Aufforderung „Spielt es laut!“, komme ich gerne nach, zumal mein Nachbar diese Band auch mag.
Tja, aber welche Band denn nun eigentlich: The NØ oder No Life Lost? Um das zu klären, bat ich die beiden Urgesteine von No Life Lost, Tim und Mole zum Gespräch. Wer wann genau was gesagt hatte, ist in einer langen Nacht leider etwas untergegangen…
Das Interview
ÜS: Die LP ist ja quasi ein „best of“-Album als Vorankündigung für das neue THE NØ! Album im Sommer. Woher stammt denn eigentlich der neue Name THE NØ!?

Das war die Antwort auf die Frage nach der ersten Probe 2019 mit The NØ, ob wir nach der Auflösung von No Life Lost (2015) wieder als diese weitermachen wollen: Nö! – das Ø kam dann als Reminiszenz an das dänische Altona
Sprichst du denn eigentlich Dänisch oder hast du mal überlegt, einen Song auf dänisch zu machen?
ØL smager godt! oder besser noch: Vi er rød, vi er hvide, vi er dansk dynamit… Also nø – leider nur die durchaus überlebenswichtigen Kneipen- und Fußballfloskeln. Aber eigentlich schade, ich mag die Sprache sehr gerne. Vielleicht sollte ich doch nochmal einen Intensiv Sprachkurs „Dansk for begyndere“ belegen.
Spätestens aber, wenn Altona wieder zu Dänemark gehört (und der AFC dann in der dänischen Liga antritt).
Zu deiner zweiten Frage: Ist zwar eine charmante Idee, wir sind aber schon mit unserem Versuch, einen Song auf Chinesisch („China is a Punkrocker“) zu singen, um so ein Milliarden Publikum für uns zu begeistern und reich und berühmt zu werden, mehr als kläglich gescheitert. Ich glaube, wir haben immer noch ein Einreiseverbot ins Reich der Mitte … und ich möchte doch noch häufiger nach Dänemark reisen.
Kommen wir zu meinem Lieblingssong „Warten“. 1989 bekam ich eure CD zum Geburtstag und konnte zunächst wenig damit anfangen. Dann aber dieser Song! Der Text beschreibt irgendwie Depressionen eines Menschen, in seinem „langen, dunklen Flur“, der ihn „ins Nichts führt“. Ist das autobiografisch oder möchtest du dazu lieber nichts sagen?
Klar können wir was dazu sagen. Das Thema psychische Erkrankung und hier natürlich auch Depressionen begleitet uns als Band (sowohl bei No Life Lost als auch bei The Nø!) schon seit Anfang an. Tatsächlich habe ich den Text zu „Warten“ damals eher aus der Sicht eines Angehörigen oder Beobachters geschrieben. Umso interessanter, dass uns viele darauf ansprechen, wie gut der Text dieses Gefühl beschreibt.
Vielleicht liegt das daran, dass ich damals auch schon mit Depression gelebt habe, diese aber nie als solche wahrgenommen hatte. Mittlerweile, aber immer noch recht frisch, sind diese Störungen bei mir diagnostiziert. Ich bin quasi ein „Welpe im Depri-Land“, wie einer meiner Ärzte sagte. Ist genau mein Humor und beschreibt meine Situation absolut treffend.
Ich bin froh über die zahlreichen Hilfen für Menschen mit Depression, muss mich aber noch orientieren, welche Angebote schlussendlich für mich hilfreich sind. Bin natürlich immer froh über gute Tipps.

Die „Night Boat to Cairo“-Version hatte NLL aber nie veröffentlicht, oder?
Doch! Die „Fähre nach Finkenwerder“ gab es mal 2005 auf einer 7“ Single, mit einem sehr schönen The Specials / Madness -Look Alike- Cover. Ist aber leider schon lange vergriffen. Ich besitze selbst kein Exemplar mehr und bei den Dødels von discogs werden mittlerweile Mondpreise dafür verlangt. Also falls noch jemand eine davon zuhause liegen hat – immer her damit!

Es gab in den letzten 36 Jahren zahlreiche Umbesetzungen und alle ehemaligen 23 Bandmitlieder werden auf der aktuellen LP erwähnt. Wann hattet ihr die „perfekte“ Band?
Die aktuelle Band ist natürlich immer die perfekteste! Tja, 23 Ehemalige und es besteht zu fast allen noch Kontakt. So eine Band, die auch noch über so einen langen Zeitraum existiert, ist so ein bisschen wie Familie: Ob du willst oder nicht, du bleibst immer ein Teil dieser Verbindung!
Vor etlichen Jahren habt ihr einen Vier-Tage-Marathon gemacht. Wie sind deine Erinnerungen an den „Vier Gigs an vier Abenden in vier Clubs“, wie z. B. „Astra-Stube“?
Uff, kann mich daran nur noch rudimentär erinnern. Das waren doch Konzerte in der „MeanieBar“, „Treibeis“, „Astra Stube“ und im SC Sternschanze Clubheim, oder? Dazu hat Mole noch lecker Labskaus mit Spiegeleiern gekocht und das wurde allen Besucher*innen vor dem Konzert serviert (und die meisten haben es „drinbehalten“). War bestimmt gut.
Wir machen allerdings solche Aktionen immer noch regelmäßig. So zum Beispiel unser „Weltrekord“ mit 26 Auftritten in drei Tagen beim „This is Ska“ in Rosslau 2022, ohne auch nur ein Stück verfaultes Obst in die Fresse bekommen zu haben.
Oder während der „Infantino Festspiele in Katar“ haben wir im Rahmen unsere „Stromlos Erfolglos“ Konzerte zahlreiche unplugged Gigs in Hamburger Fußball-Vereinsheimen als Alternative zum schlechten (Fußball-) Fernsehprogramm gespielt.
Nur am Rande: Im St. Pauli Clubheim waren damals mit ca. 20 Leuten (inklusive Band & Tresenleute) die wenigsten Besucher*innen dieser Konzertreihe. Wir wollen das Ganze im Frühjahr/Sommer wiederholen und hoffen dann mal – sollten wir dort wieder spielen – auf einen größeren Zuspruch.
Bestimmt. Und ich bin dabei! Bei dem Song „Was soll’s“ versingst du dich textlich auch gerne mal beim Konzert und brüllst „Freitagabend, Viertel nach zehn, St. Pauli hat verlor’n (!!!), ich konnt’ nicht mehr steh’n“ ins Mikro. Deine Liebe gilt eher dem FC St. Pauli oder Altona 93 oder kannst du das „verteilen“?
Es ist, wie es ist. Gefühlt gehe ich schon immer zum AFC, als Butsche mit meinen Brüdern und meinem Vater, als Jugendlicher dann immer noch regelmäßig. Nebenbei gab es erst den HSV (76-84), dann eine sehr intensive und aktive (was Auswärtsspiele u.ä. angeht) Zeit bei St. Pauli (1985-2002). Die – für mich damals als peinlich empfundenen – Retteraktionen haben dann diese Beziehung deutlich abkühlen lassen (Dauerkarte nicht verlängert, AFM Mitgliedschaft beendet …oder habe ich einfach meine Beiträge nicht mehr bezahlt?!?) und ich bin ab dann wieder vermehrt zum AFC gegangen.
Hinzu kam noch ein Interview im Übersteiger, welches viele St. Pauli Fans damals als Frontalangriff eines Frustrierten an ihre Fußballliebe empfunden haben. Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht mehr, was ich damals genau gesagt habe, das ganze hatte aber nachhaltige Auswirkungen.
Heute gehe ich unregelmäßig zu den St. Pauli Spielen. Meine Frau hat eine Dauerkarte und wenn sich die Gelegenheit bietet, begleite ich sie.
Wir sind ja inzwischen alle etwas in die Jahre gekommen. Wie lange machst du noch Musik und gehst auf Tour?
Ich mach da mal lieber keine Aussage zu. Das „I hope I’ll die before I get old“ kann ich mittlerweile wohl nicht mehr für mich geltend machen.
Tim, wenn du am Millerntor bist, in welchem Block könnte man dich finden?
Seitdem es nicht mehr möglich ist, mit dem Team die Seiten zu wechseln (uiuiui… das muss schon sehr lange her sein), stehe ich in der Meckerecke. Auch heute ist dort immer noch ein Großteil meiner damaligen St. Pauli Bezugsgruppe beheimatet.
Amateur-Fußball, wie z. B. beim AFC ist ja heute auch kein Amateur-Fußball mehr, denn dort verdienen die Kicker ja auch Geld. Selbst Jugendliche bekommen schon Kohle. Wie siehst du das?
Okay, schwieriges Thema. Natürlich ist der Amateur-Fußball von heute zu großen Teilen nicht mehr vergleichbar mit dem früherer Zeiten. Fast alle Spieler des AFC Kaders und vor allem Andi (Bergmann) bekommen vom Verein Geld. Punkt!
In der Oberliga Hamburg gehört der AFC bestimmt zu den „reicheren“ Vereinen. In der Regionalliga ist das Verhältnis zwischen „Arm“ und „Reich“ noch extremer. Klar, das ist dann irgendwie auch eine krasse Wettbewerbsverzerrung. Das wird zudem befördert durch die teilweise hanebüchenen Auflagen des DFB und seiner Regionalverbände. Das zieht sich durch den ganzen deutschen Amateurfußballbereich.
Um perspektivisch erfolgreich in den höheren Ligen des Fußballs zu bestehen, brauch es heute einen Sponsor, der nachhaltig in einen Club investiert. Das fördert nicht nur den Einstieg einiger dubioser Investoren (siehe Teutonia), sondern wirbelt auch den kompletten Fußballsport durcheinander.
Solche Konstrukte wir RB oder auch der Erfolg von Vereinen wie Leverkusen, Wolfsburg (schon früher), Hoffenheim, Heidenheim (aktuell) sind im Enddefekt nur möglich, weil sich die Vereine – 50 +1 hin oder her – in die volle Abhängigkeit von Großinvestoren (das Wort Sponsoren wähle ich hier bewusst nicht!) begeben.
Das gilt natürlich auch für die Ligen unterhalb des offiziellen Profifußballs. Übrigens: Der Hamburger Fußball Verband und hier vor allem sein Präsident Christian Okun (CDU und großer Teutonia 05 Fan) stehen in ihrer direkten Einflussnahme auf den Hamburger Fußballsport und dessen „Vermarktung“ dem DFB in nichts nach.
Beispielhaft dafür steht unter anderem, dass der HFV dem selbstfinanzierten, sehr erfolgreichen und mittlerweile mit großer internationalen Reichweite bedachten Streaming Team von Altona 93 eine Weiterarbeit an ihrem Projekt unmöglich machte. Was bleibt, ist der langweilige HFV Stream, der angeblich reichlich Sponsoren-Gelder in die Hamburger Fußball Landschaft spülen soll. Wer’s glaubt …
Ach so: Ich wage mal als Kenner des Vereins zu behaupten, das Jugendspieler*innen bei Altona 93 kein Geld bekommen.
Zum Abschluss: Glaubst du an den Klassenerhalt des FC St. Pauli?
Ey Hossa! Abstieg? Groß denken! Für den internationalen Fußball qualifizieren und dann aus Protest gegen die UEFA einfach nicht antreten. Das wäre dann wieder „mein“ St. Pauli ;-))
Vielen Dank für das Interview und eure Zeit. Danke, Tschüss, auf wiederseh’n! // Hossa
(Alle Bilder von The NØ vs. No Life Lost)
Danke Dir für die schöne Rezi, Hossa!
Tim & The Nø!
Danke für das tolle Interview ;-))
Schönes Interview!
Sehr sympathisch!