Rene Schnitzler und die Wettmafia

Na das geht ja schon wieder gut los hier. Da ist noch nicht mal die erste Kalenderwoche des neuen Jahres vorbei und schon schafft es der FC St.Pauli in die landesweiten Medien inkl. Tagesschau (Schnitzler), die regionalen Gerichtsprotokolle (als Unterlegener im Streit mit Upsolut) und verursacht einen anständigen Aufstand in den “social networks” (“Jolly Rouge” – Avatare in Foren, Facebook und Twitter). Ich hatte es ja im Jahresrückblick geahnt: Langweilig wird es nicht…

Rene Schnitzler im Kampf mit der Wettmafia
Der größte Aufreger ist sicherlich das Interview von Rene Schnitzler im neuen STERN. (Auszüge online, im Heft sind es sechs Seiten, davon eine Foto-Doppelseite als Einstieg)
Unterm Strich lässt es sich so zusammenfassen, dass er seit einem Besuch im Spielcasino “Zocker” im Suchtbereich war und dank vergleichsweise hoher Einnahmen als Fußballer eben auch viel Geld dort setzen und verlieren konnte, was er dann auch stetig tat, sowohl im Casino, als auch später beim Pokern oder ähnlichen Dingen.
Über einen Bekannten aus dem Rheinland wurde dann später Kontakt zu “Paul” hergestellt, angeblich einem hohen Tier der Wettmafia, mit bürgerlichem Namen Paul Rooij aus den Niederlanden. Dieser stellte lt. Schnitzler alle im Folgenden genannten Beträge jeweils ihm und jenem Bekannten zu gleichen Teilen zu, der Bekannte hatte den Kontakt hergestellt und begleitete Schnitzler auch zu allen Treffen.

  • 18.Mai 2008, 34.Spieltag: FSV Mainz 05 – FC St.Pauli 5:1
    Schnitzler krankgeschrieben auf dem Sofa, kassiert hatte er bei einem ersten Treffen kurz zuvor 15.000,-€, nach dem Spiel noch 10.000,-€ als Bonus.
    Für St.Pauli ging es nichts mehr, Mainz musste auf einen Ausrutscher Hoffenheims zuhause gegen Fürth hoffen (zu dem es nicht kam) und selbst sein Spiel gewinnen um noch auf den Aufstiegsplatz zu springen.
    Da fragt man sich als St.Pauli-Fan schon, warum jemand da wirklich noch Geld zum manipulieren ausgeben sollte, die Niederlage war auch ohne Manipulation mehr als nur zu erwarten, da hätte ich auch Geld drauf gesetzt… allerdings kann ich mir auch nicht vorstellen, dass es da sonderlich viel Geld für zurück gab. Vielleicht fehlen hier aber auch wichtige Details der Wette, denn ab prophezeiten 2-3 Toren Unterschied sehen die Quoten natürlich schon wieder anders aus.
  • 26.September 2008, 6.Spieltag, FC Hansa Rostock – FC St.Pauli 3:0,
    Schnitzler 90 Minuten auf dem Platz, 30.000,-€ hatte er im Voraus bekommen.
    Im Kicker-Spielbericht (Führung für Hansa nach 30 Minuten, dann zwei späte Jokertore zur Entscheidung) taucht Schnitzler mit keiner Silbe auf, von “Offensiv-Problemen” wird gesprochen, die Note 5 für den einzigen nominellen Stürmer tut ihr Übriges. Aber: Auswärtsniederlagen ohne Chance sind für den FC St.Pauli ja nun auch nicht so ungewöhnlich, als das man gleich betrug wittern muss.
  • 19.Oktober 2008, 8.Spieltag, FC Augsburg – FC St.Pauli 3:2
    Schnitzler 90 Minuten auf der Bank, 15.000,-€ hatte er im Voraus bekommen.
    Das Spiel dürfte aufgrund einer Verkettung von Ereignissen die meiste Aufmerksamkeit nach sich ziehen. Schnitzler bekommt 15.000,-€ im Voraus und fordert (zusammen mit jenem Bekannten aus dem Rheinland) 10.000€ im Vorfeld on Top, “um auch St.Paulis Torwart zu bezahlen“.
    St.Pauli geht zweimal in Führung. Tatsächlich geht das Spiel in der Nachspielzeit durch einen unfassbaren Patzer von Hain verloren, der einen eher ungefährlichen Freistoß von Thurk durch die Arme rutschen lässt. Ich weiß noch ziemlich gut, wie ich damals fuchsteufelswild herumgesprungen bin und fassungslos war.
    Schnitzler beteuert natürlich, dass die 10.000,-€ nie für Hain gedacht waren und diesem auch nie angeboten worden sind, dass es also alles nur ein schier unglaublicher (für ihn glücklicher) Zufall war.
  • 29.Oktober 2008, 8.Spieltag, MSV Duisburg – FC St.Pauli 1:2
    Schnitzler erneut 90 Minuten auf der Bank. Genaue Summen werden im Artikel nicht genannt, aufgrund finanzieller Probleme sollen hier aber wohl langsam “die Forderungen” höher geworden sein.
    Nach einem 0:0 zur Pause schoß Duisburg (zu dem Zeitpunkt 4. der Tabelle mit 10 Punkten aus vier Heimspielen, St.Pauli hingegen 10. mit vier Auswärtsniederlagen in vier Spielen) die erwartete Führung in einem ausgeglichenen Spiel, verlor dann aber in der 68.Minute Serge Branco durch eine berechtigte Gelb-Rote Karte. Und Stanis Joker Bruns und Hennings drehten das Spiel, letzterer nach einem sehr schnell durchgeführten langen Abschlag von Hain.
  • 23.November, 14.Spieltag, FSV Mainz 05 – FC St.Pauli 2:2
    Schnitzler wird in der 75.Minute bei 1:2 Rückstand eingewechselt, in der letzten Minute gelingt St.Pauli nach einer Ecker der Ausgleich. Genaue Summen werden erneut nicht genannt, allerdings ging es wohl auch eher um Wiedergutmachung für das “mißlungene” Duisburg-Spiel.
    In Erinnerung dürfte den meisten das Spiel noch aufgrund des Schiedsrichters sein. Nicht, weil dieser besonders gut oder schlecht gepfiffen hätte, sondern weil sich Schiri Metzen mit der “Cowboy”-Aktion, zwei gelbe Karten gleichzeitig zu ziehen, unsterblich machte.
    Die Pausenführung unserer Jungs durch Ludwig dreht Mainz durch zwei Tore von Borja innerhalb von vier Minuten, und in der letzten Viertelstunde tritt Schnitzler trotz Einwechslung kaum in Erscheinung. Nach einer Ecke in der Schlußminute köpft Gunesch aufs Tor und Rothenbach packt die Pille aus kurzer Distanz ins Netz.

Schnitzler beteuert, dass er das Geld zwar genommen hätte, aber nie auch nur irgendwie manipulativ eingegriffen hätte. Das ist aus Fansicht dahingehend glaubwürdig, dass ich auch jederzeit Geld dafür annehmen würde, wenn ich nur zusichern sollte, dass St.Pauli das nächste Auswärtsspiel in der Liga verliert… denn dafür braucht es ja in der Regel keine Manipulation, dass geht seit zig Jahren auch so wunderbar.
Aber Spaß beiseite: Beim Lesen des Artikels richten sich einem schon die Nackenhaare auf. Gerade das Beispiel des ersten Spiels, wo nun wirklich kaum eine Notwendigkeit der Manipulation nötig war, wenn man auch nur annähernd Ahnung von Fußball hat, zeigt, wie da gearbeitet wird. Es geht um das sukzessive in Abhängigkeit bringen von Leuten, die selber leicht manipulierbar sind und die man mit Geld locken kann.
Ich selbst habe Schnitzler bei einem privaten Anlass zumindest für einen Tag kennengelernt und kann seine geäußerte Selbsteinschätzung “In den Beinen Weltklasse, im Kopf Kreisklasse!” insbesondere für den zweiten Teil des Satzes nur als “Glaubwürdig” einstufen. Und genau solche Menschen in jungen Jahren sind dann besonders anfällig für derartige Dinge. Wenn man dann merkt, wie “leicht” man da ans große Geld kommt, sind derartige Manipulationen natürlich sehr verlockend, insbesondere wenn es intelektuell mit dem Überblicken der Konsequenzen und Langzeitfolgen vielleicht etwas schwierig ist. Nebenbei fallen im Artikel interessante Einblicke in den Bezug von Fußballprofis zu Geld, was sich u.a. im fremdfinanzierten Mercedes für 105.000,-€ niederschlägt, der dann unter finaziellem Druck von Gläubigern für 30.000,-€ verkauft werden muss, ohne dass der Fahrzeugbrief den Besitzer wechselt, denn “Besitzer” ist nach wie vor eigentlich die Bank.

Kompliziert wird der Artikel im STERN durch zwei Nebenschauplätze, die Schnitzler eröffnet.
Am auffälligsten natürlich jener Part bzgl. Hain, für den Schnitzler Geld organisiert haben soll und Hain dann sogar tatsächlich spielentscheidend patzt. Ich bin nie ein wirklicher Fan von Hains Torhüterleistungen gewesen, wie den Stammlesern dieses Blogs bekannt sein dürfte, aber auch ohne ihn persönlich zu kennen halte ich ihn für einen absolut integeren Sportsmann, der genügend Lebenserfahrung hat um sich auf eine derartige Scheiße niemals einzulassen. Umso fahrlässiger ist es dann, wenn Schnitzler diesen Part auch noch an den STERN weitergibt. Denn das es für die Autoren dann ein gefundenes Fressen ist, diesen Bereich zumindest unterschwellig mit Fragezeichen zu versehen, ist doch logisch und auch normal. Das läuft sehr schnell auf eine häßliche Geschichte hinaus, denn bei solchen Sachen bleibt immer irgendwie ein Restzweifel in der Öffentlichkeit hängen und es gibt für den Beschuldigten keine einzige Möglichkeit, seine Unschuld zu beweisen. Hain selbst hat auf den Artikel absolut souverän reagiert, u.a. in der MoPo nachzulesen. Viel mehr bleibt ihm auch nicht übrig, schlimm genug.
Der zweite Part der noch Folgen haben könnte, ist ein Besuch in Scheveningen nach dem Duisburg – Spiel, als ihn “Paul” auffordert, die Spieler mitzubringen, die Schnitzler angeblich inzwischen “im Boot” habe, denn auch dafür sei das Geld gedacht gewesen. Schnitzler soll zwei Mitspieler (“Zockerkollegen”) gebeten haben mitzukommen und ihnen jeweils 5.000,-€ dafür gegeben haben. Bei dem Treffen fiel dann auch der Satz, dass man ihn in der Elbe an einen Pfosten binden und auf die Flut warten würde, wenn er das gegen Mainz nicht wieder grade biegen würde. Die beiden Spieler seien dem STERN bekannt, einer hätte die Darstellungen auch bestätigt. Kommt da noch was nach? Fallen die beiden Namen evtl. vor Gericht und werden dann noch öffentlich? Stehen die noch bei uns unter Vertrag? Fragen, die sich leider anbieten…
Was bisher noch nach klassischem Krimi im Mafia-Milieu klingt, wird danach überraschend “langweilig”, denn nach dem Mainz-Spiel wird Schnitzler nur noch zweimal für zusammen 18 Minuten eingewechselt, der Vertrag wird aufgelöst und auch “Paul” meldet sich trotz angeblicher 400.000,-€ “Schulden” von Schnitzler nicht mehr wirklich vehement bei ihm.

Die Reaktionen des Vereins bisher erscheinen absolut vernünftig, aber natürlich ist dies weitere Aufregung in einem Verein, der momentan doch schon sehr mit sich selbst beschäftigt ist.

Fazit: Eigentlich will ich derartiges gar nicht bis ins Detail wissen, wenn ich ehrlich bin. Mir ist die Illusion lieber, da laufen elf Leute hinter einem Ball her, die im Zweifel auch noch ein bißchen durch unsere Gesänge motiviert werden, in erster Linie aber aufgrund ihres pünktlich eingehenden Gehalts dem Verein absolut treu und loyal sind, solange der Vertrag gilt und sich für den Verein darum auf dem Platz zerreissen. // Frodo

Döntje des Tages
“Die sind sonst nie da!” – Jetzt kriegt der FC Hansa sogar schon Geldstrafen für seine Anhänger bei A-Jugend – Spielen.

P.S. der Part wurde jetzt schon so lang, dass mir für Upsolut und die Sozialromantiker die Zeit fehlt, aber ich versuch das mal am Wochenende nachzuholen.

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