Als ich die erste Twitter-Werbung über den Trailer zu “Das ganze Stadion” losschickte, kam da ein etwas hämischer Kommentar eines hsv-Fans zurück, der doch sinngemäß schrieb: “Schon toll dieses Pauli, dass da das ganze Stadion singt, unfassbar…”
Man mag nun glauben, dass es am Millerntor noch immer “anders” ist als in vielen anderen Stadien, oder auch nicht, den Neid bzw. die Häme über die mediale Aufmerksamkeit dieser “Andersartigkeit” kann man aber vielleicht nachvollziehen, die stört ja in Teilen sogar uns selbst.
Dies führte gerade in den letzten Jahren aber eben auch zu einer Vielzahl an mehr oder weniger professionellen Filmen. Wie viele Filme (wichtig: ungleich “sportlicher Saisonrückblick”) fallen Euch denn zu den Bayern, Dortmund, Werder oder dem Verein mit den vielen Stadionnamen ein? Jeweils ein bis zwei? Na, immerhin, wenn überhaupt… und bei uns? Drei bis vier? Von wegen!
Beim FC St.Pauli waren es ein paar mehr und im Zweifel ist die folgende Liste nicht mal vollständig:
- Angefangen 1991 beim vom Übersteiger-Vorläufer Millerntor Roar erstellten “Und ich weiß, warum ich hier stehe“
- die ARD (NDR) – Produktion “Schicksalsspiel“
- das Aufstiegsvideo “Wir waren Absteiger Nummer 1“
- das anschließenden Abstiegsvideo “Irgendwo da unten“
- “Für immer mit Dir“
- “Rausgehen, Warmmachen, Weghauen“
- bis hin zum Kinofilm “Gegengerade” und diversen weiteren Faneigenen Produktionen.
Darunter waren gute und weniger gute Versuche, bei den als “Spielfilm” zur Unterhaltung gedachten “Schicksalsspiel” und “Gegengerade” blieb naturgemäß auch die Realität in (großen) Teilen auf der Strecke, geopfert der dadurch besser vermittelbaren Story, je nach Zielgruppe.
Nun hat sich mit Felix Grimm ein Fan dem Thema “Mythos Millerntor und Fanszene FC St.Pauli” angenommen, der zum einen den beruflichen professionellen Background für eine hochwertige und durchdachte Produktion hat, zum anderen genug Herzblut in das Projekt investiert um eben dieser Fanszene auch gerecht zu werden (hier ein absolut lesenswertes Interview mit ihm in der Basch #4).
Mit seinem Team hat er einen Film geschaffen, der sich angenehm von den meisten bisherigen Werken abhebt. Alles ist echt, ungeschminkt. Aus der Mitte dessen, was sich beim FC St.Pauli unter dem Sammelbegriff “Aktive Fanszene” bewegt, die ja auch immer gerne als Klüngel bezeichnet wird.
“Das ganze Stadion” hatte im Rahmen des Hamburger Filmfestes am Dienstag Abend um 21.30h Premiere im Metropolis und (wenig überraschend) war komplett ausverkauft. Aufgrund der großen Nachfrage gab es danach sogar noch eine zweite Vorstellung um 23.15h, auch nicht alltäglich mitten in der Woche.
Morgen (Freitag) gibt es im B-Movie (Brigittenstraße 5) um 19.00h noch eine Gelegenheit den Film zu sehen und ich kann wirklich nur jedem raten diese zu ergreifen, so es irgendwie geht und man die Vorstellungen Dienstag verpasst hat, derzeit gibt es wohl auch noch Karten.
Wo, wie und wann der Film außerdem noch gezeigt wird, ist noch in Klärung, Details sicher auf der Homepage des Films oder im St.Pauli-Forum.
Ebenfalls ist noch unklar, ob der Film auf DVD erscheinen wird, da die GEMA hier bei den von Fans gesungenen Liedern zu den jeweiligen Original-Melodien die Hand aufhält und das ein nicht unerheblicher Kostenfaktor für einen Film mit doch eher schlankem Budget ist. Allerdings gibt es da bereits Ideen und wenn jemand das noch irgendwie unterstützen will, darf er sicher die auf der Homepage angegebene e-mail Adresse des Regisseurs nutzen.
So, für alle anderen wird jetzt hier geSPOILERt und ich erzähl einfach mal, worum es so im Groben geht und wie das ganze aufgebaut ist.
Der Film erzählt die Geschichte eines (fiktiven) Heimspiels des FC St.Pauli in der Aufstiegssaison 2009/2010, anhand der Spiele gegen Koblenz (32.Spieltag, 6:1, Halbzeit 2:0) und Augsburg (30.Spieltag, 3:0, Halbzeit 0:0). Das erste Halbzeit gegen die TuS Koblenz stellt die erste Halbzeit des Films dar, die zweite Halbzeit übernehmen dann die zweiten 45 Minuten gegen Augsburg und am Ende ist man mit einer Portion künstlerischer Freiheit bei einem 4:0 nach einem 1:0 zur Pause.
Es gibt keine Spielszenen zu sehen, allerdings das ganze Stadion der damaligen Zeit, also mit den drei Tribünen Nord, Gegengerade und Süd, denn die Haupttribüne war ja noch im Bau. Ein Schmunzeln wert ist auch der kurze Besuch im Polizeicontainer, an jenem Tag wohl Euphoriefreie Zone.
Protagonisten sind aber eben die Fans, die bei beiden Spielen mit einer Kamera verfolgt wurden und zudem verkabelt waren, insgesamt waren bis zu 15 Kameras und Aufnahmegeräte bei den Aufnahmen im Einsatz (und haben die Bierduschen wohl alle überstanden).
Der Reiz dieses Films liegt darin, dass eben diese handelnden Personen, die Fans, ihr innerstes nach außen kehren und das gesamte Spiel über eben das Spiel so verfolgen, wie Fans es nunmal tun: Emotional, mit Herzblut, Glaube, Liebe und Hoffnung, Leiden, Glück und Ekstase.
Und all das ist aufgenommen worden, insgesamt gab es über 80 Stunden Material aus denen jetzt diese 63 Minuten zusammengeschnitten wurden.
In der Süd begleitet man A., Vorsänger von USP, die Kamera hierbei direkt aufs Megaphon geklebt, was durchaus ungewohnte Einblicke gibt.
In der Gegengeraden sind mit J., M. und N. gleich mehrere bekannte Personen zu sehen, die natürlich viel mehr Zeit zum fluchen, pöbeln und entsetzt aufschreien haben als A., der ja auf dem Zaun auch eine Aufgabe hat.
Im Norden begleitet das Team zwei Protagonisten von Nord-Support, mutmaßlich Mutter und Sohn. (Schon mal ein großes Sorry, wenn dem nicht so sein sollte, ich komm noch zur Indizienkette wieso ich das schlußfolgerte.)
Grob gesagt eben ein schöner Querschnitt des Stadions, wie es ihn womöglich in so einer Form auch nur am Millerntor geben kann, da es eben auf allen (damals drei und heute vier) Tribünen Fanclubs oder Gruppen gibt, die sich explizit den lautstarken Support auf die Fahnen geschrieben haben… sei es USP, Nord-Support, Alte Schule, Last Minute St.Pauli, diverse weitere Fanclubs auf der GG inkl. dem Block 1 oder eben neuerdings den Oldtras auf der Haupttribüne.
Mag sein, dass es bei anderen Klubs auch so ist, vielleicht fehlt mir da etwas der Überblick. Wem andere Vereine einfallen, wo das ebenso ist, ergänze dies bitte in den Kommentaren.
Und ebenso klar kommt durch ständiges Schneiden zwischen den Tribünen während einer Situation auch gut die jeweilige Identität der jeweiligen Tribüne heraus, auch wenn diese sicher nicht für alle deren Besucher exemplarisch ist, so aber doch für einen Großteil.
Während das AFM-Radio der beiden Spiele den groben zeitlichen erzählerischen Rahmen vorgibt, kommen die sportlichen Halbzeiten ohne Erzählung oder “Story” aus. Die Gesichter, Reaktionen, Gesänge, Sprüche und O-Töne, sie sprechen für sich und erzählen das Spiel, wie es eben ein Fan erlebt.Dabei gibt es natürlich allerlei zum Lachen, wenn beispielsweise besagte Fanin im Norden bei der (etwas angepassten) Textzeile “Unser ganzes Leben, unser ganzes Geld!” stutzt, ihren (meine Vermutung) Sohn anschaut und sagt: “Wieso eigentlich unser ganzes Geld? Doch wohl eher meins…”
Situationskomik, die man schlecht schildern kann, die aber eben auch diesen Film ausmacht.
Zusätzlich werden an den passenden Stellen einleitend, begleitend und abschließend von den handelnden Personen noch Statements aus dem Hintergrund eingespielt, die Kontexte erklären (Entstehung/Bedeutung der Sozialromantiker z.B. oder auch die Sicht auf USP im Vergleich zu anderen Ultraszenen Deutschlands) oder auch grundsätzliche Konflikte wie die Kommerzialisierung im Profifußball im Allgemeinen oder dem FC St.Pauli im Speziellen beleuchten.
Die dort geäußerten Dinge sind vielleicht für die Gesamtaussage des “Erlebnis Millerntor” auf den ersten Blick nicht so wichtig, machen den Film aus meiner Sicht aber eben erst richtig rund, da nur durch sie auch der Unterschied zu anderen Stadien in Deutschland herauskommt.
Wie schrieb User diamondback im St.Pauli-Forum: “Ich werde versuchen alle meine Freunde mit in den Film zu nehmen, die nicht verstehen, warum ich Den FCSP so liebe. Wenn sie es danach noch immer nicht wissen, kapieren sie es nie.”
Dürfte so sein, wenn man auch abholt und das ein oder andere erklärt.
Gleichzeitig ist aber damit auch die Zielgruppe des Films schon benannt: Jeder St.Pauli-Fan, der schon mal am Millerntor war dürfte hier viele bekannte Gesichter sehen und in diverse Situationen sich selbst wiedererkennen und diesen Film lieben.
Auch Fans anderer Vereine werden sicher Spaß an “Das ganze Stadion” haben. Und genau mit diesen zwei Gruppen dürfte das Team des Films schon mehr als zufrieden sein, vielleicht ist dies sogar schon mehr, als sie erhofft hatten.
Für jemanden, der mit Fußball (und speziell dem FC St.Pauli) nichts verbindet, dürfte der Film nichts sein, aber das ist sicher zu verschmerzen.
Großes Kino, im wahrsten Sinne! // Frodo
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