Griechenland im Vorfeld der Euro 2012
Vielleicht blickt Griechenland nicht auf die längsten, stetigsten und ruhmreichsten Auftritte bei den bisherigen Europameisterschaften zurück, aber sicherlich hatte es einige der bemerkenswertesten. Der Triumph des David gegen den Goliath des euopäischen Fußballs in Portugal im Jahre 2004 führte zu einem Ausbruch an Emotionen und einer seltenen – und auch kurzen – landesweiten Euphorie und Einmütigkeit in dem kleinen Mittelmeerland, das im Fußball auf europäischer Länderebene bis dato keine großen Erfolge feiern konnte. Ganz im Gegensatz zum anderen in Griechenland überaus beliebten Mannschaftssport, dem Basketball.
Bei der erst zweiten Teilnahme an der Endrunde nach 1980 schaffte es das hartnäckige Team von Otto Rehhagel, Mannschaften wie Spanien und Rußland den Gang ins Viertelfinale vorzuenthalten, im Eröffnungsspiel den Gastgeber Portugal zu schlagen, in der Folge den amtierenden Meister Frankreich und Tschechien zu besiegen und sich in einem historischen Finale abermals gegen Gastgeber Portugal die Trophäe zu sichern. Ein wahrhaftiges Fußballwunder, das sich nur schwer mit anderen vergleichen lässt. Vielleicht noch am ehesten mit dem Erfolg der dänischen Mannschaft in den Stadien von Schweden bei der Europameisterschaft 1992.
Die traumhafte Vorstellung gab der Mannschaft Aufwind und brachte sie im internationalen Vergleich auf eine neue Ebene. Das Selbstvertrauen der Mannschaft ist ungleich höher und der Charakter des Teams deutlich ausgeprägter und stärker. Solide Abwehr, Druck machen, Manndeckung, 1:0 und ab dafür! Sicherlich keine Mannschaft, die fantastisch-mitreißenden Fußball kredenzte, aber eine Mannschaft, die wusste was sie will und wie sie dieses Ziel erreichen kann. Das Spiel mit Kampfgeist, mit der Unterstützung und mit dem Respekt der Fans im Rücken und mit Leidenschaft beherrschen. Es folgte 2008 in Österreich und der Schweiz ein weiterer Auftritt in der Endrunde der Europameisterschaft sowie 2010 die Teilnahme an der Weltmeisterschaft – das zweite Mal nach 1994 – in Südafrika.
In den Stadien Polens und der Ukraine wird Griechenland nun das erste Mal seit einer Dekade ohne die Anweisungen des großen Reformers, Initiators und Schöpfer dieser Mannschaft antreten – ohne Otto Rehhagel. Sein Nachfolger ist seit 2010 der Portugiese Fernando Santos, der vorher Porto und verschiedene große griechische Mannschaften trainierte. Er vollzog mit der schrittweisen Verjüngung der Mannschaft etwas, das Otto Rehhagel der öffentlichen Meinung nach stets verpasst hat. Er verband so jedoch nach und nach die Erfahrung der älteren mit dem Talent und dem Enthusiasmus der jüngeren Spieler des griechischen Fußballs, sowohl der in Griechenland selber, als auch der, die im Ausland spielen.
Die direkte Qualifikation für Polen in einer Gruppe, in der auch Kroatien spielte, zeigt, dass man sich auf einem guten Weg befindet. Die Vorzeichen laden zum Träumen ein. Die Auslosung in die Gruppe A, in der Griechenland mit den Polen erneut auf den Gastgeber trifft und gegen das es im Eröffnungsspiel spielen wird, wie auch das Spiel gegen Russland, auf das Griechenland im dritten Spiel der Gruppenphase (zum dritten mal in Folge bei der Europameisterschaft!) treffen wird, bedeuten viele Gemeinsamkeiten und führen zu vielen schönen Erinnerungen an die Euro 2004.
Es gibt natürlich auch Unterschiede, denn alle anderen Mannschaften kennen den Stil der griechischen Mannschaft nun sehr gut und werden sich entsprechend vorbereiten. Ein Weiterkommen über die Gruppenphase hinaus wäre nicht die völlig unerwartete Mega-Überraschung wie vor acht Jahren. Und genau die Dinge, die das Team sich bisher in Hinblick auf das fußballerische Erbe erarbeitet hat, führen vor dem Hintergrund, dass es keinen absoluten Favoriten gibt, doch zu kleinen Erwartung und zu einem Hoffen auf eine abermalige Überraschung.
Die griechische Mannschaft wird dabei wahrscheinlich nicht mehrere tausend Fans hinter sich haben. Die Wirtschaftskrise und die schlimme Rezession, die Griechenland seit zwei Jahren schwer zusetzt, in Verbindung mit den exorbitanten Preisen der Hotels – etwa 300 Prozent über den gewöhnlichen Preisen – machen eine mehrtäge Reise nach Warschau und Breslau, die Städte, in denen das griechische Team antritt, besonders schwer für die durchschnittlichen Griechen. Dazu muss man auch wissen, dass die Heißblütigkeit der Fans für die griechische Nationalmannschaft, obgleich sie in den letzten zehn Jahren durch die Erfolge und die Teilname an den großen Turnieren stark gestiegen ist, sehr deutlich hinter dem unendlichen Fanatismus zurückbleibt, die die griechischen Fans für ihre Vereine aufbringen. Für diese wären sie sofort bereit, weit mehr Opfer zu bringen, um mit ihnen reisen zu können. Das Gleiche gilt für die griechische Basketballmannschaft, die die “Offizielle Geliebte” genannt wird. Man geht von drei- bis fünftausend Fans aus, die Griechenland nach Polen begleiten werden. Diese Zahl würde sich wohl verdoppeln, sollte Griechenland die Gruppenphase überstehen, denn bekanntermaßen braucht es nicht viel, um bei den Griechinnen und Griechen übermäßige Begeisterung (bekannt ist vielleicht das Video von der WM-Qualifikation gegen Russland 1993, als die griechische Mannschaft sich das erste Mal für die Weltmeisterschaftsendrunde qualifizierte, siehe Absatzende) aber auf der anderen Seite auch übermäßigen Frustration wegen sportlicher oder anderer Entwicklungen auszulösen.
Begeisterung:
httpv://www.youtube.com/watch?v=x9Nl2rwd8QU
Frustration:
httpv://www.youtube.com/watch?v=CuJRDomdQ84
Die größte und bekannteste Fanvereinigung der Nationalmannschaft nennt sich Galanolefkos Faros (“Blau-Weißer Leuchtturm”, www.galanolefkosfaros.gr) mit Sitz in Chania auf der Insel Kreta. Ein Verbund von Fans, die die griechische Nationalmannschaft mit gesundem Sportsgeist bedingungslos unterstützen wollen. Die Bemühungen sind bemerkenswert. In Zusammenarbeit mit dem griechischen Fußballverband EPO (Elliniki Podosferiki Omospondia, www.epo.gr) hat diese Vereinigung ein hübsches und an Ausstellungsstücken reiches Museum über die Nationalmannschaft geschaffen, eins von nur fünf dieser Art weltweit.
Allerdings ist bei den Gruppen, die die Nationalmannschaft unterstützen, auch nicht alles golden. Seit Beginn des neuen Jahrtausends haben rechtsradikale Gruppen begonnen, bei Spielen der Nationalmannschaft aufzutauchen. Eine Niederlage gegen Albanien im September 2004, kurz nach dem Triumph von Portugal, führte zu rassistischer Gewalt in vielen Teilen des Landes und einer “schwarzen Nacht”. Der jetzt verbotene Fanclub der Nationalmannschaft “Galazia Stratia” (Blaue Armee) bestand hauptsächlich aus einem Kern von Mitgliedern der neonazistischen und faschistischen Partei Chrisi Avgi (Goldene Morgenröte), die durch einen dramatischen Zuwachs an Stimmen bei der letzten Wahl zu einer parlamentarischen Größe geworden ist und die das Stadion als Rekrutierungsfeld genutzt hat und nutzt. Auf ihr Konto gehen vielfältige Aktionen, deren Gemeinsamkeiten vor allem rassistische und nationalistische Gewalt und Hass sind. Höhepunkt war das öffentlichkeitswirksame Auftreten im Stadion beim Spiel gegen die Türkei in der Qualifikation zur Weltmeisterschaft im Herbst 2009, bei dem es zu heftigen Spannungen und Schlägereien auf den Tribünen des Karaiskaki-Stadions im Hafenviertel Piräus kam, als andere Fans sich gegen die Aktionen der Neonazis wehrten. Die Ausschreitungen führten zu Reaktionen des Fußballverbandes EPO und zu der Entscheidung, dieser Vereinigung keine Tickets mehr zur Verfügung zu stellen. Es ist leider sehr wahrscheinlich, dass sich Mitglieder dennoch in den polnischen Stadien befinden werden, genauso wie die gesellschaftliche und wirtschaftliche Lage und die explodierenden sozialen Spannungen im Land solchen krankhaften Entwicklungen begünstigen.
Klar ist aber auch, dass der mit weitem Abstand größte Teil der griechischen Fans in keiner Weise etwas mit diesem Abschaum zu tun hat – genauso wenig wie mit den organisierten Fans innerhalb des Landes. Es sind normale Menschen und Fans, die sich entschieden haben, die Mannschaft zu unterstützen, die sie so viele Male in den letzten Jahren stolz gemacht hat. Der Beweis, dass Harmonie und Zusammenarbeit zu einem guten Ergebnis führen können – nicht unbedingt das Paradebeispiel für etwas Griechisches. Doch die Menschen suchen auch in dieser Europameisterschaft etwas, mitten in diesen sehr schwierigen Zeiten für das griechische Volk. Sie suchen einen Grund, sich zu freuen, einen Grund zu feiern und etwas fröhlicher und optimistischer in den kommenden Tag zu gehen. Etwas, das sie zurzeit wirklich nötig haben.
// Gastartikel von Michalis & Christian
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