Sie kam so unscheinbar daher, die Einladung zur Pressekonferenz. Verschickt am Tag des Achtelfinales der (ohne FC St.Pauli-Spieler angetretenen) Nationalelf, einladend für den Morgen danach.
Thema des Mediengespräches ist die aktuelle Situation im Präsidium des FC St. Pauli. Als Gesprächspartner steht Ihnen Präsident Stefan Orth zur Verfügung.
Tja, keine Verpflichtung von Lasogga & Calhanoglu, oder zumindest Lionel Messi, nicht mal Suarez.
Die Gerüchteküche ging dann trotzdem vorsichtig ins köcheln über.
Die Fakten: Auf der JHV im Herbst läuft die Amtszeit des aktuellen Präsidiums aus, es wird neu gewählt. Bernd-Georg Spies hat ja seinen Verzicht auf eine erneute Kandidatur aus beruflichen Gründen eh schon bekannt gegeben, Tjark Woydt ist es (satzungsbedingt) aus Altersgründen nicht erlaubt nochmal anzutreten.
Was würde also passieren? Tritt Orth (sowie die weiteren Präsidiumsmitglieder Stenger und Duve) jetzt auch zurück, weil ihm die Rückendeckung des Aufsichtsrats fehlt? Oder stellt er sein neues “Schattenkabinett” vor? Man durfte also gespannt sein.
Orth betrat den Raum, mit ihm das restliche Präsidium. Auf dem Podium nahm er allerdings (neben Christoph Pieper) alleine Platz.
Man hätte heute zwei wichtige Neuigkeiten für den FC St.Pauli, beginnt Orth.
1. Die Nordkurve wird nach dem Heimspiel gegen den FC Ingolstadt nun endgültig abgerissen und neu gebaut, dies wurde in den letzten Wochen mit der Stadt verhandelt. Dies gehe einher mit der endgültigen Entscheidung für eine externe Domwache und für den Bau des 1910 e.V. Vereinsmuseums in der Gegengerade.
Einschub: Muss man an der Stelle auch mal sagen: Nach den Fanräumen ein zweiter immenser Sieg für Verein und Fanszene, für den man ja nun schon über zwei Jahre gekämpft hat.
Dafür ein großer Dank, an alle Beteiligten.
2. Der Aufsichtsrat hat Orth letzte Woche im persönlichen Gespräch mitgeteilt, dass man das aktuelle Präsidium nicht erneut zur Wahl nominieren würde. Die Begründung, die inzwischen auch auf der Vereinshomepage nachzulesen ist:
Zack.
Erst mal sacken lassen.
Ist das völlig überraschend? Nicht unbedingt, Kritik an Orth und seinem Team gab es in der Vergangenheit auch aus der Fanszene genug, wenn auch auf ganz anderem Level als in den Jahren zuvor. Insgesamt wurde die Arbeit von außen wohl als solide und ruhig betrachtet, aber vielleicht fehlten die positiven Ausreißer nach oben, was ja auch in der offiziellen Begründung durchklingt.
Hätte man so weitermachen können? Ja, sicher. Auch für die weitere Einbindung von Tjark Woydt als Finanzfachmann gab es Gedankenspiele.
Der Aufsichtsrat aber hat sich anders entschieden, auch in Ordnung.
Insgesamt war es für mich ein sehr gelungener Auftritt. Von Stefan Orth. Vom Verein. Und auch vom Aufsichtsrat.
Man sieht derzeit recht gut an anderen Beispielen, wie Öffentlichkeitsarbeit in Profivereinen auch gehen kann, oder eben auch nicht. Ähnlich, wie es bei uns 2007 war, als man sich schlammschlachtend durch den Boulevard bewegte.
Hier hingegen wurde alles ruhig und sachlich hinter den Kulissen geklärt. Fristgemäß, ohne Aufregung.
Ich nehme Stefan Orth absolut ab, dass er enttäuscht ist und gerne weitergemacht hätte, und es ist auch absolut sein gutes Recht, dies so zu äußern. Ebenso ist es das gute Recht, wenn nicht sogar die Pflicht des AR, sich Gedanken zu machen, wen sie nominieren wollen und ob es Alternativen gibt.
Orth wirkte so, wie man ihn sich vielleicht im öffentlichen Auftreten öfter gewünscht hätte. Ruhig, sachlich, unaufgeregt, mit sich und seinem Amt im Reinen.
Und auch Nachfragen, die ggf. Gelegenheit gegeben hätten, populistisch Werbung in eigener Sache zu machen, ließ er mit Hinweis auf das Wohl des Vereins verstreichen. Die Verdienste des Präsidiums der letzten Jahre wurden aufgezählt, und da gibt es mit der finanziellen Konsolidierung und gleichzeitigem Durchführen der Bauprojekte Stadion, Kollaustraße und Brummerskamp ja auch genug.
Die Nachfrage, ob er sich jetzt nicht als “lame duck” fühle und dies gerade auch im Bezug auf das Projekt Nordtribüne gefährlich sei, verneinte er ebenfalls souverän. Man habe in den letzten Wochen und Monaten konzentriert und verlässlich gearbeitet, ebenso nach dem Gespräch letzte Woche mit dem AR, sonst sei ja auch die Verkündung des Nordtribünenumbaus nicht mehr möglich gewesen. Sein Team stehe nicht für Aufgeben, sondern werde konzentriert bis November weitermachen, dafür sei man ja auch gewählt worden.
Gefiel mir sehr. Ruhig, sachlich, verbindlich, ohne gekränkte Eitelkeit.
In den letzten Wochen gab es eine Trikotpräsentation, bei der das Trikot vorher nicht bekannt wurde, einen Trikotsponsor, der bis zum Morgen der Veröffentlichung geheim blieb, sowie eben heute eine brisante Pressekonferenz, bei der der Inhalt ebenfalls mehr oder weniger vorher unbekannt war, zumindest öffentlich.
Das Innenleben des Vereins (im Bezug auf Diskretion) funktioniert also, das hatten wir in den vergangenen Jahrzehnten in der Zeit vor diesem Präsidium und diesem AR nur selten bis nie.
Nun ist der Aufsichtsrat am Zug. Es ist noch genug Zeit bis zur JHV im November(?), der Zeitpunkt des Gesprächs mit Orth erscheint für mich absolut sauber und fair. Ich gehe davon aus, dass man sich in den nächsten Tagen ebenfalls äußern wird, was von der Reihenfolge her (nach Orth selbst) ebenfalls souverän und professionell aussieht. So sollte man miteinander umgehen, auch wenn man in der Sache dann eben auch mal unangenehme Dinge entscheiden muss.
Wenn dann, wenn man zeitnah an die Öffentlichkeit geht, auch noch bereits ein neues Team/neue Namen vorgestellt werden können, so wäre dies natürlich ebenfalls wünschenswert und dürfte dafür sorgen, dass auch eine saubere Übergabe gewährleistet ist.
Nachtrag, 2.Juli: Inzwischen ist Oke Göttlich als neuer Kandidat des AR vorgestellt worden. Die offizielle Verlautbarung des Vereins findet Ihr hier, einen lesenswerten Text zum Gesamtvorgang hier bei sportal.de.
Ich bin gespannt, aber insgesamt hat mich das heutige Geschehen mit viel Vertrauen in den Gesamtverein zurückgelassen. // Frodo
Kommentare sind geschlossen.