Gastartikel von Ralph Gunesch
(Nachtrag: Das Erlebte in Audio mit Ralph gibt es auch bei MeinSportradio.de (ca. 20min))
Zwei CL-Spiele in zwei Tagen, da könnte man ja mal drüber schreiben.
Also versuchen wir das mal, wobei ich mich weniger auf das Sportliche stürzen werden. Viele/die Meisten von Euch werden genug Bilder, Analysen und Zusammenschnitte gesehen haben.
Los ging es am Dienstag Morgen Richtung London. Nach einem angenehmen Nachmittag (ich brauch Camden-Verbot!) ging es rüber ins Tollington. Ein an Spieltagen hoch frequentiertes Pub direkt am Emirates. Das große Schild am Eingang, dass keine Gästefans an Spieltagen erlaubt sind, hängt da auch nicht nur aus Spaß. An jedem Eingang stand Sicherheitspersonal und ohne Ticket fürs Spiel gab es auch keinen Zutritt ins Pub. Da ich aber ein Ticket hatte (für den Heimbereich) und neutral gekleidet war, wurde ich durchgewunken. Es war jetzt nicht das erste Mal in einem britischen Pub, aber es ist immer interessant und irgendwie dann auch genau so, wie man es aus Film und TV kennt.
Dann machten wir uns eine gute Stunde vor Anpfiff auf dem Weg zum Stadion und trafen dann auf die “Protestgruppe” gegen Arsene Wenger. Drumherum und mittendrin jede Menge Journalisten und Kamerateams und da war mir klar, dass das natürlich in der Berichterstattung ein Thema werden wird. Geschätzt waren es ca 80-100 Protestierende. Das interessante an der Gruppe war, dass 2/3 davon bei der letzten Meisterschaft noch nicht über die Werbebande gucken konnte. Per se sagt das natürlich erstmal gar nichts aus, denn Mitbestimmung und Meinung ist keine Frage des Alters (Kleinkinder ausgenommen). Aber in der Bewertung einer Person wie Arsene Wenger und seiner Bedeutung für Mannschaft und Verein sollte man das vielleicht im größeren (zeitlichen) Kontext sehen und dann bin ich mir sicher, dass sich vieles relativiert. Die generelle Meinung wird sich wahrscheinlich nicht ändern und ich möchte hier auch kein Plädoyer Pro-Wenger halten, das soll bitte jeder für sich entscheiden. Aber die Rufe und Plakate (“bring back our Arsenal“, wo wir wieder bei der Altersfrage wären) hätten möglicherweise einen anderen Ton gehabt.
So, nun aber ab ins Stadion und es war schon am Zuschauerzuspruch zu erkennen, dass irgendwie keiner dran glaubt. Viele leere Lücken auf den Tribünen, welche nach dem 1:2 und 1:3 dann deutlich größer wurden und kurz vor Schluß waren noch ca 50% der Leute da.
Zwischendurch in der Drangphase der 1. Halbzeit war es mal ansatzweise punktuell etwas lauter, ansonsten hörte man, vor allem in der 2. Halbzeit, nur die Bayern Fans.
Alles in allem ja eine sehr deutliche Geschichte und da ein großer Teil das Stadion schon frühzeitig verließ, war es auch nach Abpfiff kein Problem ohne Verzögerung in die Bahn Richtung Hotel zu kommen.
Am nächsten Mittag ging es dann weiter nach Barcelona. An dieser Stelle ein Lob an Norwegian. Mein erster Flug und ich war begeistert – könnte daran liegen, dass ich einen Sitzplan mit viel Beinfreiheit (1. Reihe) zugewiesen bekommen – oder am kostenlosen, wunderbar funktionierenden(!) Wifi während des Fluges. Wahrscheinlich eine Kombination aus beidem.
Im Hotel eingecheckt und direkt los das Ticket abholen. Hat Barcelona in den letzten Jahren sehr, sehr viel Geld in die Modernisierung ihrer U-Bahnen und der Stationen investiert? Das ist schon großes ÖPNV-Kino. Auch wenn ich da sicher kein Experte bin – irgendwoher muss mein Spitzname ja kommen.
Da ich ein Ticket für den Gästeblock hatte, schloss ich mich dem französisch sprechenden Teil der Fans an. Dann ging es auf einmal nicht mehr weiter. Aus einem 15m breiten Zugangsweg wurde trichterförmig eine erste Kontrolle mit 1-2 Personen gleichzeitig – folglich dauerte es. Dann ging es schleusenmäßig weiter und alle 100-150 Personen wurde gestoppt, bis die vordere Gruppe alle Kontrollen passiert hatte.
In diesem Zusammenhang muss ich feststellen, dass sich die PSG sehr, sehr diszipliniert und höflich verhielten. Ein paar Gesänge, ein bisschen gute Laune und hüpfen aber null Aggressivität. Davon war auch rund um das Stadion überhaupt nichts zu erkennen bzw. ich habe bei meinem Weg um das Stadion rum nichts bemerkt.
Die letzte Kontrolle war dann geprägt von viel Körperkontakt mit dem Sicherheitsbeamten, aber alles noch im Rahmen und harmlos, meinem Empfinden nach.
Im Block dann angekommen (den Weg dahin gibts auf meiner Facebook-Seite 🙂 ) konnte ich “Gästeblock aus Google Earth Perspektive” auch von meiner Liste streichen. Ich war schon einige Male in dem Stadion, aber immer relativ weit unten und ich ich hab mich immer gefragt, wir es wohl da oben ist. Jetzt weiß ich es. Jeder der mal im Gästebereich bei Barca stand, wird wissen wovon ich rede. Für ein Fußballstadion schon ziemlich hoch. Von der Perspektive her (Höhe Mittellinie) aber ein ziemlich guter Platz. Mein eigentlicher Platz wäre direkt an der Plexiglasscheibe gewesen. Das wollte ich dann doch nicht, also zog ich ein paar Plätze nach außen und in eine der obersten Reihen.
Im Auswärtsblock herrschte Lockerheit, Vorfreude und das Gefühl des sicheren Weiterkommens. So ein 4:0 Hinspiel-Sieg ist ja schon mal ne gute Vorraussetzung.
Dass Barca von Anfang an Gas geben würde, war jetzt keine Überraschung. So kam es ja auch früh zum 1:0 Führungstreffer, der aber der Stimmung im Auswärtsblock keinen Abbruch tat. “Kribbelig” wurde es bzw. die Minen änderten sich schlagartig beim 3:0 und das Nou Camp wurde wirklich laut – also wirklich wirklich laut. Als Cavani das 1:3 erzielte wurde es schlagartig ruhig auf den Plätzen außerhalb des Gästeblocks. Selten Fans gesehen, die bei einem 1:3 Anschlusstreffer so durchdrehen (Ja, ich weiß. Hinspiel und Auswärtstore und so). Jetzt kommt auch mein spezieller Freund mit dem Verrati-Trikot ins Spiel. Bis zum 1:3 eigentlich nicht existent bestand seine Aufgabe in den nächsten Minuten darin, vor der Trennscheibe mit den Barca-Fans zu stehen. Winken, auslachen, Snapchat höhnisch befüttern, provozieren, beschimpfen. Alles in Perfektion – Respekt an die Barca-Fans die ihn zwar registrierten, sich aber zu nichts hinreißen ließen. Nach einigen Minuten wurde es einem Ober-Ordner (die beiden um ihn rum hatten schon aufgegeben) zu bunt und er machte eine ziemlich deutliche Ansage.
Dann fiel das 4:1 und unser Freund stand auf, drehte sich wieder Richtung Barca-Fans und applaudierte um gleichzeitig immer wieder aufzuzeigen “Ja ist toll, aber ihr braucht noch 2 Tore“. Er hätte Farsi sprechen können und dennoch hätte jeder gewusst, was er sagen will.
Es kam wie es kommen musste. Das Stadion glaubte wieder an seine Spieler und dann kamen die Minuten, die ich noch nie so erlebt habe. Sportlich und auch drumherum.
Elfmeter wurde gepfiffen. Hinter mir stand eine deutsche Familie. Der Vater sagte nur “wenn der reingeht, fliegen wir raus“. Tor, 5:1 und wenn es nach dem 3:0 laut war, war es jetzt sehr laut. Außer in meinem Block.
Wir wissen alle, was dann passiert ist.
Das 6. Tor – und wenn es eben sehr laut war, war es jetzt sehr, sehr unfassbar laut. Wobei “laut” eigentlich das falsche Wort ist. Solch eine Eskalation und Ekstase habe ich in einem
Stadion noch nie erlebt. Mir fällt mir in Ansätzen nur der CL-Siegtreffer von Robben gegen den BVB ein, als ich Menschen übereinander hab herfallen sehen, völlig ohne Kontrolle.
Ich hatte ja einen guten Blick von oben auf den Heimblock. Keiner wusste wohin mit sich, seinen Gefühlen und seinen Emotionen. Es war eine wilde Menschenmenge, Klamotten flogen und alle taten unkontrollierte Dinge.
JA, DAS ist für mich Eskalation und Ekstase ohne bewusstseinserweiternde Mittel. Wir können alle drüber diskutieren, streiten und beschreiben, nachempfinden werden wir es nie können, da in solchen Momenten wahrscheinlich Dinge im Körper passieren, die sich nicht ohne solch eine Dramaturgie erzeugen lassen. Es fällt mir wirklich schwer, das richtig zu beschreiben weil einfach alles in diesen Momenten seinen absoluten Höhepunkt erreicht hat. Es gibt keine Superlative, die diesen Eindrücken von gestern Abend gerecht werden.
Aber da war ja noch unser Freund. Gefühlt stand der komplette angrenzende Block auf ein Mal an der Trennscheibe und er bekam jetzt alles, wirklich alles, zurück. Und dann muss ich sagen, reagierte er mega cool: Er stand auf, verbeugte sich, entschuldigte sich, applaudierte, entschuldigte sich wieder und ging zur Trennscheibe um mit einem Barca-Fan abzuklatschen. Das war ziemlich groß von ihm. Und nahm der ganzen Sache auch das Feuer. Während rechts von mir einfach nur Euphorie und auch Ungläubigkeit herrschte, war die Reaktion der PSG-Fans auch spannend zu sehen.
Keine Wut, kein Ärger. Nur fassungslose Resignation. Dieser Abend war so unglaublich, dass auch die unterlegenen Fans einfach nur ungläubig auf ihren Plätzen sitzen blieben. Es wurde kaum gesprochen. Aber es war keine Trauer wie nach einem verlorenen Finale – ich glaube, sie wussten noch gar nicht wirklich was da eben passiert ist. Ja, man ist raus. Aber wieso? Warum? Wie konnte das passieren? Da war kein Platz für weiter Gefühle außer “WTF?”.
Wir mussten ca 30 Minuten warten bis wir langsam den Block verlassen durften. Im Umlauf wurde dann langsam angefangen, das Spiel zu analysieren. Mein Schulfranzösisch reicht noch aus um ein bisschen was zu verstehen. Viel Kopfschütteln, weiterhin viel Ungläubigkeit aber nicht mehr und auch nicht weniger.
Als Letzte dann raus aus dem Stadion und wie ich dann leider feststellen musste, fuhr keine Bahn mehr Richtung Flughafen, also mit dem Taxi ins Hotel.
Beim kleinen Mitternachtssnack war ich immer noch sehr perplex ob der ganzen Eindrücke. Ich war eigentlich relativ neutral bei dem Spiel. Aber wenn man als Fußball-Fan sowas miterlebt, sind das sehr intensive Eindrücke, egal welche Vereinsfarben man trägt. Zum Einen freute ich mich, diese Emotionen (das Wort ist eigentlich viel zu schwach um das zu beschreiben) der Barca-Fans zu sehen. Zum Anderen reicht ein Blick nach links um zu denken “Wow Leute, ich will nicht wissen wie ihr euch fühlt.”
Bitte fangt keine “es ist nur Fußball”-Diskussion an. In dem Kosmos “Barca – PSG, CL-Rückspiel” ist jede dieser Reaktionen nachvollziehbar und verständlich.
Alles in allem zwei sehr spannende und aufregende Tage. Gerade dieses Erlebnis in Barcelona war absolut einzigartig und ich glaube, in vielen Jahren wird man von einem historischen Abend sprechen.
Das sind Spiele für die Vereinschroniken. // Ralph Gunesch
P.S. (mit einem Tag Abstand):
Ich würde mich eher als pragmatisch-sachlichen Menschen beschreiben. Dennoch versuche ich das Erlebte auch etwas einzuordnen. Ich suche keine neuen Superlativen, keins würde dem gerecht werden.
Und sowieso werden die Protagonisten Barcelonas auf Grund der letzten Jahre ihren festen Platz in der Vereinschronik haben neben Namen wie Cruyff, Zubizarreta, Segarra und Co. Aber dieses eine Spiel? Von diesem einen Spiel werden all die aktuellen und zukünftigen Eltern ihren Kindern und Enkeln erzählen. Jeder Barca-Fan, der in den nächsten 50 Jahren geboren wird lernt zu allererst das Wort „Messi“ und bekommt dann den Spielverlauf und das Ergebnis des 8.3.2017 beigebracht – noch bevor es die Zahl 2017 überhaupt einordnen kann.
In 50 Jahren wird jede/r 20jährige Barca-Fan cooler als die anderen sein, wenn er/sie jmd kennt, der an diesem Abend persönlich im Stadion war. Man wird zusammensitzen und nach dem 3. Bier in 30 Jahren war „sowieso klar, dass wir das schaffen“ um sich dann lachend einzugestehen, dass es das Verrückteste war, was man je im Stadion erlebt hat. Ja, es wurde Vereins- wenn nicht sogar Sportgeschichte geschrieben. Sie haben dafür (noch) keinen Pokal bekommen – aber das war größer als jeder eiskalt gewonnene Pokal mit 2:0 Hin- und 3:1 Rückspiel-Sieg.
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