WM Katar 2022 und die Arbeit der LGBTQ+ Organisation ‘All Out’

In der aktuellen Printausgabe #140 des Übersteigers haben wir den Schwerpunkt WM in Katar. Eines der Interviews zum Thema führten wir mit Stana Illiev, Kampagnenleiterin der LGBTQ+ Organisation All Out

Mensch mit Regenbogenfahne und Text "Schwulsein in Katar ist immer noch ein Verbrechen. warum also hat die Fifa das Land als Gastgeber der Fußball-WM ausgewählt?"
Grafik: (c) All Out

ÜS: Liebe Stana! Danke, dass du dir Zeit für ein paar Fragen nimmst. Wie ist All Out gestartet?

Stana: All Out wurde 2011 von Andre Banks und Jeremy Heimans, zwei LGBT*-Aktivisten in New York gegründet. Schon am Anfang stand der Gedanke „Power to the People“. Unser Ziel ist es, globale Solidarität für lokale LGBT*-Themen in konkrete Aktionen umzuwandeln. Heute arbeiten wir mit 25 Mitarbeiter*innen auf vier Kontinenten und in 6 Sprachen. Aber der Ansatz ist derselbe. Mit der People Power aus hunderttausenden Mitgliedern weltweit springen wir immer dann in Aktion, wenn wir gebraucht werden, um Druck für LGBT*-Rechte aufzubauen.

ÜS: Über Social Media macht ihr u.a. aufmerksam auf die Situation der LGBTQ+ in Katar, auf die abgesagte Pride in Serbien oder die Petition für eine Gleichstellung nicht heteronormativer Paare in der Ukraine. Was könnt ihr über die Situation für katarische LGBTQ+ allgemein und während der WM, aber auch für die anreisenden Sportler, Betreuer*innen, Pressemitarbeitenden, Besucher*innen sagen?

Stana: Homosexualität ist in Katar immer noch ein Verbrechen, das mit drei bis fünf Jahren Gefängnis bestraft wird – nach der Scharia sogar mit der Todesstrafe. Es ist auch illegal, für LGBT*-Rechte einzustehen oder eine Regenbogenfahne zu tragen. Das heißt: Inländer*innen wie Ausländer*innen, die sich offen als queer bekennen oder sich schlicht für LGBT* aussprechen, machen sich vor Ort strafbar und laufen Gefahr, verhaftet und verurteilt zu werden. Um auf die Situation von LGBT* in Katar aufmerksam zu machen, haben wir Geschichten von Menschen vor Ort (anonymisiert) gesammelt. Die können sich hier angehört werden: https://campaigns.allout.org/de/qatar2022

ÜS: Was sind das für Projekte, die ihr betreut und wie könnt ihr helfen? Konntet ihr Erfolge verzeichnen?

Stana: Immer wenn es einen konkreten Angriff auf LGBT*-Rechte auf der Welt gibt oder die Möglichkeit, etwas zu bewegen, tun wir uns mit Aktivist*innen und Gruppen vor Ort zusammen, um sie zu unterstützen. Das passiert auf drei verschiedene Arten:

  • Internationale Druckkampagnen, die oft als Petition starten, aber auch offline Aktionen und digitalen Aktivismus beinhalten,
  • Grassroots Giving Fundraiser, in denen unsere Mitglieder weltweit mit kleinen Spenden direkt Gruppen und Aktivist*innen in ihrer Arbeit unterstützten,
  • Trainings in digitalem Aktivismus für Aktivist*innen im globalen Süden.

An einem Tag kann es sein, dass wir eine Pride unterstützen, die in Osteuropa angegriffen wird, am nächsten helfen wir dabei, Legislative in Mexico mitzugestalten und wieder am nächsten Tag unterstützen wir eine queer-feministische Studierendengruppe dabei, sich gegen einen homophoben Politiker in Prignitz zu wehren.

Wir haben mit der Hilfe unserer Mitglieder oft wichtige Teilerfolge im Kampf für LGBT*- Rechte erreicht und auch viele ergreifende Erfolgserlebnisse. Diese findet man hier: https://allout.org/de/highlights

ÜS: Habt ihr von offiziellen Stellen (FIFA, offizielle Fußballverbände, UN, Menschenrechtsorganisationen) Unterstützung erfahren?

Stana: Wir arbeiten tatsächlich bei jeder Kampagne immer mit Partner*innen zusammen. In diesem Fall ist das Nas, ein queerer Geflüchteter aus Katar. Auch koordinieren oder kooperieren wir oft mit anderen kleinen und großen Menschenrechtsorganisationen zusammen. In Fällen, in denen unser Petitionsziel nicht bereit ist, mit uns zu kommunizieren, finden wir oft Möglichkeiten, die gesammelten Unterschriften und unsere Botschaften mit anderen Aktionen off- und online zu Gehör zu bringen. Das können Demonstrationen, Guerilla- oder Mailingaktionen sein.

Stana Illiev, Kampagnenleiterin bei All Out
Stana Illiev, Kampagnenleiterin bei All Out

ÜS: Hat die FIFA irgendwas Konkretes und Effektives in die Wege geleitet, um die Menschenrechte und im speziellen die Rechte der LGBTQI+ in Katar zu verbessern?

Stana: Die FIFA hat nichts getan.
In der Menschenrechtspolitik der FIFA heißt es: „Die FIFA verpflichtet sich, alle international anerkannten Menschenrechte zu respektieren und sich für den Schutz dieser Rechte einzusetzen sowie „ein diskriminierungsfreies Umfeld zu schaffen und jegliche Art von Diskriminierung zu verbieten“, einschließlich der sexuellen Orientierung und des Geschlechtsausdrucks. Jetzt, nachdem zwei Weltmeisterschaften in Folge von Ländern ausgerichtet wurden, die gegen LGBT* sind, wo bleibt da die Rechenschaftspflicht?

ÜS: Ist der Druck, der hätte ausgeübt werden können, angesichts des Angriffskriegs Russlands geschwächt, da Katar nun für Europa ein wichtiger Flüssiggaslieferant ist?

Stana: Selbstverständlich ist das ein Grund für die deutsche und andere europäische Regierungen, ihre diplomatischen Druckmittel gegenüber Katar weniger einzusetzen. Auch gegenüber der FIFA ist Kritik von Regierungsseite weniger geworden, bleibt aber nicht komplett aus. Die FIFA ist aber dadurch keineswegs eingeschränkt und hat ihre Entscheidungen zum Austragungsort ja lange vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine geplant. Auch andere Fußballinstitutionen, zum Beispiel der DFB oder die FA in England, sind hier nicht unter Druck und könnten, wenn sie wollten, viel mehr gegenhalten.

ÜS: Was können einzelne Fans, Fanklubs, Vereine etc. konkret tun und beisteuern, um einen Wandel der Menschenrechte inkl. LGBTQ*-Rechte in Katar voranzutreiben? Und zwar vor, während und nach der WM? Reicht ein TV-Boykott der Spiele?

Stana: Zunächst einmal kann jede und jeder die Petition an die FIFA mitzeichnen und teilen. Die Unterschrift sollte man dann auch teilen und die FIFA und den DFB darin taggen. (https://campaigns.allout.org/de/qatar2022) Außerdem ist es unheimlich wichtig, immer und immer wieder klar Stellung zu beziehen. Privatpersonen, Mitglieder in kleinen Fußballligen und Vereinen, Sponsoren und Partner müssen deutlich sagen, dass ein Austragungsort wie Katar nicht akzeptabel ist.
Sponsoren der WM sollten auch in die Verantwortung gezogen werden. Ein Fernsehboykott kann also durchaus Wirkung zeigen, aber auch eine kritische Auseinandersetzung mit Unternehmen, die die WM unterstützen.

ÜS: Ist die WM eurer Ansicht nach auch eine Chance für einen positiven Wandel der Rechte von LGBTQ+ in Katar?

Paar umschlungen mit Regenbogenfahne. Grafiktext: "LGBTQ*-Besucher*innen die zur Fußball-WM reisen, werden von der katarischen Regierung aufgefordert, öffentliche Zuneigungsbekundungen zu vermeiden".
Grafik: (c) All Out

Stana: Wir denken, dass das durchaus der Fall ist. Die Augen der Welt sind momentan auf Katar gerichtet. Genau jetzt ist also ein guter Zeitpunkt, das Thema LGBT*-Rechte auf die Tagesordnung zu setzten. Es sollte in den Medien besprochen und immer wieder von den Teilnehmenden angesprochen werden.

ÜS: Werden eurer Kenntnis nach LGBTQ+ Personen an den Spielen teilnehmen bzw. als Fans hinfahren? Wenn ja, wie können diese geschützt werden?

Stana: Selbstverständlich werden unter den Teilnehmenden und Zuschauer*innen auch LGBT* Menschen sein. Bereits jetzt erreichen uns Nachrichten, dass beispielsweise Hotelzimmer für gleichgeschlechtliche Paare verweigert wurden. Wichtig ist es, seine Rechte zu kennen und sich im Vorfeld gut zu informieren. Beispielsweise sollte man wissen, wohin man sich wenden kann, wenn ein Problem auftritt. Zum Beispiel die eigene Botschaft. Auch sollte man es vermeiden, Regenbogensymbole außerhalb der unmittelbaren Austragungsorte zu tragen oder öffentlich mit einem gleichgeschlechtlichen Partner oder Partnerin aufzutreten. Das ist leider die Realität.

ÜS: Ist die WM und der ungewöhnlich große Unmut verschiedenster Ebenen gegen die Vergabe in solch ein Land auch eine Chance für einen Wandel zu mehr Verantwortungsgefühl und weniger Korruption bei der FIFA?

Stana: Alle sportlichen Großveranstaltungen, zum Beispiel auch die Olympischen Spiele müssen ihre Verantwortung für den Schutz und die Einhaltung von Menschenrechten viel mehr wahrnehmen. Änderung wird es dann geben, wenn das nicht nur von nationaler und internationaler Politik, sondern eben auch durch die Sportler*innen selbst und Zuschauer*innen eingefordert wird!

Danke Stana und viel Erfolg für All Out!

Am 12. November sorgte All Out vor dem FIFA-Museum in Zürich mit einer Demonstration, einem “Kiss In” und einem Film auf Großbildleinwand für weitere, notwendige Aufmerksamkeit für LGBTQ+ Rechte:

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