Bruderduell an der Dreisam

… und drei Kiezkicker mit Freiburg-Vergangenheit…

Kain und Abel, Romulus und Remus, Jacob und Wilhelm Grimm, oder um zum Fußball zu kommen: Klaus und Thomas Allofs sowie Bernd und Karl-Heinz Förster: berühmte Brüderpaare gibt es viele. Am Samstag empfängt der Tabellendritte SC Freiburg mit Maximilian Eggestein dessen knapp 18 Monate jüngeren Bruder Johannes mit dem FC St. Pauli. Zwischen 2016 und 2022 kickten beide noch gemeinsam bei Werder Bremen, nun geht es gegeneinander. Während Maxi eher im Mittelfeld tätig ist, soll Jojo bei uns bekanntermaßen als Mittelstürmer für Tore sorgen.

Vor knapp zwei Jahren (ausgerechnet am 19.10.) gab es das letzte Duell in Freiburg. In der 2. Runde des DFB-Pokals verloren die Kiezkicker erst in der Verlängerung 1:2. Jojo durfte in der Extra-Time ran, Maxi war bereits zur Pause ausgewechselt worden. Somit ist es am Samstag das erste direkte Duell, sofern beide aufgestellt werden.

Nach 12 Jahren nicht mehr als Trainer an der Seitenlinie: Christian Streich. Schade! Nicht nur als Trainer, auch menschlich und politisch ein topp Typ, trotz Dialekt!
Foto: arigrafie

Mit Ausnahme der Partie bei Bayern München gewannen die Breisgauer alle bisherigen BL-Spiele dieser Saison, zuletzt mit einem 3:0 in Heidenheim. Aktuell ist das Team von Coach Julian Schuster hinter den Bajuwaren und Meister Leverkusen Dritter. Der 39-jährige Trainer übernahm im Sommer das Amt von Christian Streich, der nach zwölf Jahren beim SCF aufhörte. Schuster kickte von 2008 bis 2018 für den SC Freiburg, ehe er mit 33 Jahren seine Karriere als Spieler beendete und in das Trainerteam wechselte. Noch immer als Co-Trainer dabei ist unser ehemaliger Spieler Florian Bruuuuuuns.

Bruns und Ebbe bei ihrem Abschiedsspiel am Millerntor 2013. Foto (c) Arigrafie

Rückblick: Das letzte Aufeinandertreffen beider Teams in der Bundesliga ist gut 14 Jahre her: Als Aufsteiger gewann St. Pauli gleich am ersten Spieltag nach 0:1-Rückstand (78.) in der Schlussphase durch Tore von Fabian Boll, Richard Sukuta-Pasu sowie Fin Bartels noch sensationell mit 3:1. Chapeau!
Der “Kicker” schrieb damals: “Nach acht Jahren Abwesenheit kehrte der FC St. Pauli triumphal in die Bundesliga zurück und siegte zum Auftakt beim SC Freiburg mit 3:1. Die Kiez-Kicker waren dabei über weite Strecken das engagiertere Team, kamen nach der Pause aber aus dem Tritt und gerieten in Rückstand. Doch der Aufsteiger bewies Moral und drehte das Spiel doch noch zu seinen Gunsten“.
Also: Macht es noch einmal…!

Mit Philipp Treu, Carlo Boukhalfa und Robert Wagner haben übrigens gleich drei Kiezkicker eine SCF-Vergangenheit. Aber um dieses Thema kümmern sich ja die Boulevardmedien ausgiebig… Nach der super-duper-klasse Vorstellung unserer Helden gegen Leipzig, wage ich mal einen verwegenen 2:3-Tipp und damit den ersten Dreier!

Und nun kommt Kollegin Rakete angeflogen und hat nostalgisch kulturelles und Tipps im Gepäck… // Hossa

Freiburg im Breisgau – kennsch?

Im Bild: Das Martinstor, gesehen vom Bertoldsbrunnen, wo sich die Punks in den 80ern sammelten. Hinter dem Martinstor gab es das besetzte Dreisameck 1980.

Weil ich in der zweiten Hälfte der 80er gute vier Jahre in der Stadt an der Dreisam gelebt habe, fühle ich mich berufen, euch mal was über sie zu erzählen. Ja, ich weiß, das ist erschreckende über 34 Jahre her, aber ist ja nicht so, als ob ich nicht zwischendurch und sogar des Öfteren mal wieder da gewesen wäre.
Die 80er waren eine spannende und großartige Zeit. Freiburg hatte eine stabile und gefestigte Hausbesetzerszene mit so fantastischen Locations wie das Dreisameck, den Schwarzwaldhof, das AZ mitsamt “Crash” (für die Punks), “Müsli-Café” (für die Langhaarigen) und die “Schickeria” (für die New Waver*innen), die ehemalige Gießereihalle Grethergelände, die ‘Erbse’ u.v.m, an deren Namen ich mich nach all der Zeit nicht mehr erinnere.
Es gab das legendäre Radio Dreyeckland, den illegalen Piratensender, der ständig seinen Standort wechseln musste, um nicht aufzufliegen. Für die jüngeren unter euch: Damals konnte nicht einfach jede*r Radio machen, es gab noch kein Internet und die Post(!) vergab die Frequenzen und Lizenzen für Radiosender. Diese vergab sie a) nicht an jeden, schon gar nicht an nicht öffentlich-rechtliche oder nichtkommerzielle Sender, geschweige denn politisch links eingestellte Leute und b) waren die noch richtig teuer.

Ein nicht ganz unbekannter Mann hat seine ersten Funkerfahrungen bei dem Sender gemacht: Georg Restle. Den Sender gibt es übrigens immer noch. Legal inzwischen, aber das schützte ihn nicht vor Razzien und Hausdurchsuchungen, zuletzt erst vergangenes Jahr, weil man zu Indymedia verlinkt hatte! “Verstoß gegen Vereinigungsverbot”. Unglaublich.

NLB Wahlplakat – aus der ‘Freiburger Stadtzeitung’ #98 von Oktober 1984. Foto wahrscheinlich von Marlis Decker.

Oder: laaaaange bevor es die Partei “DIE PARTEI” gab, gab es in den 80ern in Freiburg die überaus politische “Spaßpartei” NLB. Die Abkürzung NLB stand eigentlich für ‘Negative Leistungsbilanz’, aber unter dem Namen wurde die Partei nicht zugelassen und so wurde sie kurzerhand in “Nett Lustig Beliebt” umbenannt und sammelte 1984 u.a. mit dem Wahlspruch “Die Situation ist hoffnungslos – aber nicht ernst” einen nicht unbeachtlichen Wahlerfolg (Immerhin 1,3%. Die Grünen damals allerdings schon sensationelle 17,5%!). Aus der Partei entstand übrigens eine ziemlich klasse Band gleichen Namens (oder aus der Band war die Partei entstanden – die Reihenfolge weiß ich tatsächlich nicht mehr). Leider finde ich im Netz praktisch nichts drüber.

Ich glaube, Freiburg war auch die Stadt, wo deutschlandweit als allererstes der Müll recycelt wurde und bei der Volkszählung 1987 hat man wahrscheinlich nur die Hälfte der Einwohnenden zählen können. (Tatsächlich bin ich überrascht, dass heute angeblich knapp 240.000 Menschen da leben sollen. In den 80ern waren es noch halb so viele, 120.000, davon 20.000 dort stationierte französische Soldaten, u.a. auf dem Vauban-Gelände, welches nach einer Übergangsbesetzerzeit mittlerweile grünes Vorzeige-Nachhaltigkeits-Wohnviertel ist.

Unzählige großartige Konzerte habe ich damals gesehen, legendär u.a. “Union Carbide Productions” im linken Buchladen und Café Jos Fritz (gibt’s noch – Wilhelmstraße 15). Im AZ und später, nachdem es aus bis heute ungeklärten Gründen abbrannte, im von der Stadt quasi als Ausgleich zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten, dem Cräsh (Schnewlinstraße 7), gaben und geben sich das Who’s Who der Punkbands die Klinke in die Hand. UK Subs z.B. spielten in den frühen 80ern schon im AZ und diesen November sind sie auch wieder wie jedes Jahr zu Gast. Das Gleiche gilt für Peter And The Testtube Babies. Jeden Dezember pünktlich auf der Bühne, seit Anbeginn der 80er und auch wieder 2024.

Schön halt auch, dass es so vieles NOCH IMMER gibt und sich kaum verändert hat. Radio Dreyeckland, Jos Fritz, Cräsh, die Biergärten Feierling und Schlossberg (wobei das Wetter am Wochenende eher durchwachsen sein soll), das Café Atlantik mit unglaublich günstigem Mittagstisch (unter 6€!) und Late Night Spaghettis (Schwabentorring 7), viele Läden im Stühlinger, darunter u.a. die Egon 54 (Egonstr. 54), das urige Litfass (Moltkestraße 17), das Café Einstein (Klarastr.) oder der Geier (Belfortstr. 38), dessen Name eigentlich “Reichsadler” war, aber von Punks gekapert wurde.
Inzwischen heißt der Laden “Bodega Geier” aber, wie die Badische Zeitung charmant schreibt: “Das Traditionslokal Bodega Geier, ursprünglich der Reichsadler, eine wilde Kneipe, das Wohnzimmer von Hausbesetzern und Linken, von Intellektuellen und Trinkern oder trinkenden Intellektuellen. Seit 2012 herrscht mediterraner Hedonismus im Geier. Die Bodega Geier, ein Ort, wo sich viele Menschen wohlfühlen“.

Das Litfass. Foto: arigrafie

Da die meisten ja wahrscheinlich über Nacht bleiben oder eh das ganze Wochenende: Das Stühlinger ist eh ein nettes Pflaster zum Ausgehen. Zahlreiche Kneipen, darunter so einige St. Pauli-affine. Oder das “Zur lockeren Schraube” (Klarastr. 7). In Richtung des ehemaligen Dreisamstadions findet man das Flamingo (ehemals Walfisch vom Freiburger Urpunk Mitch, jetzt Punk-Biergarten unter Palmen, Schützenallee 1) und daneben das Swamp (Talstraße 90). Freiburg ist überdies eine wirklich schnucklige Stadt mit viel historischem Altstadt-Anteil und natürlich den BÄCHLE! Sie stammen noch aus dem 12. Jahrhundert und versorgten die Freiburger*innen damals mit Trink-, Brauch- und Löschwasser. Heute sind sie einfach nur schön, erfrischend, beruhigend, aber auch nicht immer ganz ungefährlich, wenn man sie nicht gewohnt ist und u.U. einen im Tee hat. Also Obacht.

Und auf den Münster die 335 Wendeltreppen-Stufen hochklettern, oben schön ‘ne Tüte durchziehen und wieder 335 Stufen in engen Kreisen runtermüssen: nicht empfehlenswert, been there, done that, es war furchtbar! (Also der Münster ist toll, hochgehen auch, aber kiffen – obwohl inzwischen legal – eher keine gute Idee!).
(Anm. d. Lektor: “Fly Rakete, fly!”)

Und wenn wir schon in Erinnerungen schwelgen: Im August 1995 war nach unserem damaligen Aufstieg unser erstes Auswärtsspiel gegen Freiburg. Morgens um 8 Uhr ging es vom Millerntor mit dem Fanbus los. Bis 12 Uhr war es im Bus noch sehr ruhig und gesittet. Punkt 12 hörte man dann eine Kakophonie von aufploppenden Bierflaschen und -Dosen und es wurde zunehmend lauter, lustiger und chaotischer. Um 19 Uhr kamen wir schließlich an (höchste Zeit, die Bustoilette war randvoll) und ich konnte den Sieg in sehr angenehmer Atmosphäre nur noch mit einem zugehaltenem Auge verfolgen. Ich erinnere mich aber an den tollen Blick auf den Berg hinterm Stadion und an die “Spiiitzenreiter, Spiiitzenreiter, Hey! Hey!”-Gesänge!
An diesem Samstag werde ich leider nicht dabei sein können. Sehr schade eigentlich. Ich wünsche allen Auswärtsfahrenden viel Spaß und warum nicht auch wieder drei Punkte! //rakete

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