Come on you boys in green oder: Endlich wieder mitfiebern
Ich gehöre ja nun gewiss nicht zu den „Also wenn WM/EM ist, dann schau ich auch mal gerne Fußball“-Menschen. Aber man muss ja gestehen, dass diese Turniere schon ihren Reiz haben. Ich bemühe mich dann auch durchaus, jedes Spiel zu sehen, egal wer da gegeneinander antritt. Aber so richtig rund wird es doch erst, wenn auch eine Mannschaft dabei ist, mit der man mithoffen und -leiden kann.
In meinem Fall trifft das auf das Team aus dem südlichen Teil der irischen Insel zu. Die Gründe für meine Hinwendung zur zumeist grün gewandeten Mannschaft hier aufzuführen, würde zu weit führen, ausschließlich fußballerische sind es sicher nicht. Aber die sind es bei unser aller Lieblingsclub ja nun auch nicht unbedingt, nicht wahr?
(Ein paar weitere persönliche Anmerkungen dazu gibt es in diesem Text von 2002: http://www.uebersteiger.de/ausgaben/wm02/irland.html )
Da muss erst ein Engländer kommen
Die Football-Association of Ireland (FAI) wurde 1921 gegründet, als Abspaltung der wesentlich älteren Irish Football Association (IFA, seit 1880). Die IFA sollte seitdem und bis heute nur noch den britisch besetzten Norden vertreten. Sportlich war sie zunächst der erfolgreichere Verband: 1958, 1982 und 1986 nahm das nordirische Team an der Weltmeisterschaft teil. Von derartigen Höhenflügen waren die Spieler der Republik Irland zumeist weit entfernt.
Nach der internationalen Premiere bei den olympischen Spielen 1924 (ein 1:0 gegen Bulgarien) gab es nicht mehr viel zu feiern. Für Aufsehen sorgte 1949 immerhin ein 2:0-Erfolg im Londoner Wembley-Stadion, der ersten Heimniederlage Englands gegen ein nichtbritisches Team. Zeitlich passend im Übrigen zu der endgültigen Gründung der Republik Irland und dem Austreten des Landes aus dem Commonwealth.
Mitte der 60er-Jahre gab es dann etwas Hoffnung. Bei der EM 1964 schied man im Viertelfinale gegen den späteren Titelträger Spanien aus, 1966 war wiederum Spanien der Gegner im verlorenen Entscheidungsspiel um die WM-Teilnahme. Aber sonst? Ein Herumdümpeln im Niemandsland des europäischen Fußballs. Die höchste Länderspiel-Niederlage setzte es 1982 mit einem 0:7 in Brasilien. Ein Jahr später gab es aber auch den Rekordsieg, ein 8:0 gegen Malta.
Aber erst als 1986 ein neuer Trainer die Nationalmannschaft übernahm, wendete sich vieles spürbar zum Guten. Dieser war mit Jackie Charlton zwar Engländer (als solcher im Übrigen Weltmeister von 1966), aber er eroberte die irischen Herzen in Windeseile. Seine Herangehensweise an die Kaderzusammenstellung war eine sehr pragmatische. Er ließ bei vielen in Frage kommenden Spielern den Stammbaum durchforschen, um mögliche irische Vorfahren zu ermitteln. So wurde das Team nach und nach mit starken Spielern aufgefüllt, die in England oder Schottland kickten und in diversen Fällen auch dort geboren waren.
Das Tor von Stuttgart
Der Qualität des irischen Fußballs, dessen heimische Liga bis heute ein eher kümmerliches Dasein im teilweisen Halbprofitum fristet und entsprechend übersichtliche Europacup-Erfolge vorzuweisen hat, tat dies ungemein gut und so war schon die erste Qualifikation unter Charlton von Erfolg gekrönt. 1988 nahm man an der EM in Deutschland teil und bereits im Auftaktspiel in Stuttgart kam es zum legendären Sieg über England durch einen Treffer des in Glasgow zur Welt gekommenen Ray Houghton.
Von da an wurde die Mannschaft von den zahlreichen Anhängern auf Händen getragen und schwebte auf einer für irische Verhältnisse ungemeinen Welle des Erfolges. Bei der WM 1990 kam erst im Viertelfinale gegen Gastgeber Italien das Aus, vier Jahre später schied man im Achtelfinale gegen die Niederlande aus. Letztmals bei einem großen Turnier waren die Iren 2002 bei der WM in Asien vertreten, auch da kam man bis ins Achtelfinale, wo Spanien im Elfmeterschießen siegte.
Jackie Charlton, mittlerweile irischer Ehrenbürger(!), war da schon nicht mehr verantwortlich, 1995 gab er seinen Posten nach neun Jahren ab. Aber sein Wirken hat die Grundlage gelegt für die heute bekannten Leistungsmöglichkeiten. Auch wenn nicht alles rund gelaufen ist seitdem, der irische Fußball hat seinen Platz gefunden im erweiterten Kreis der europäischen Top-Teams.
Was das Ganze für Fans wie mich auch so sympathisch macht, ist das oftmals knappe und unglückliche Scheitern kurz vor dem Ziel, denn auch das verbindet ja manchmal mehr, als der ständige Erfolg. Vor den Europameisterschaften 1996 und 2000 scheiterte man erst knapp vorher in den letzten Relegationsspielen, gleiches gilt für die WMs 1998 und zuletzt 2010, wo dann ja im Endeffekt nur die Hand von Thierry Henry im Wege war.
Das Team der Jetztzeit
Was ist zum Team zu sagen? Zunächst sticht natürlich der Trainer heraus. Giovanni Trapattoni, auch in der Bundesliga kein Unbekannter, ist mittlerweile 73, hat aber nach nunmehr vier Jahren auf der irischen Bank noch immer nicht genug. Er kann auf einige Routiniers bauen, wie Torhüter und Rekordnationalspieler Shay Given, die Verteidiger Richard Dunne und John O’Shea, Flügelspieler Damien Duff und natürlich Stürmer Robbie Keane, der inzwischen in Los Angeles mit Herrn Beckham zusammenkickt.
Biographisch interessant sind zwei weitere Akteure. Aiden McGeady, ein Celtic-Eigengewächs und nun bei Spartak Moskau unter Vertrag, wurde in Glasgow geboren, entschied sich aber nicht für die schottische Auswahl, sondern die irische seiner Vorfahren. Das hat ihm zu seiner Zeit in der Scottish Premier League nicht nur Freunde eingebracht.
Ähnliches gilt für James McClean vom AFC Sunderland. Er wurde in Derry geboren und lief zuvor auch ein paar Jahre für Derry City auf. Nach einigen Einsätzen in der nordirischen U21 hat er sich erst kürzlich für die Republik entschieden und im Februar dieses Jahres im A-Team debütiert. Seine öffentlich geäußerte Freude über die EM-Nominierung hat ihm nun Morddrohungen eingebracht. Sicherlich nicht zwingend ernst zu nehmen, aber dies drückt doch die noch immer heikle politische Lage in derartigen Fragen auf der irischen Insel aus.
Was kann man erwarten?
Die Iren haben eine äußerst schwere Gruppe mit Welt- und Europameister Spanien, Italien und Kroatien erwischt. Da erscheint ein Sieg gegen die Kroaten als Muss und ein mehr als guter Tag gegen eine der anderen Mannschaften als unabdingbar, will man bei der EM mehr als die Vorrunde erleben. Die Hoffnung meinerseits ist natürlich unzweifelhaft vorhanden, wenngleich eine etwas nüchternere Betrachtungsweise doch eher ein vorzeitiges Ausscheiden vermuten lässt.
Denn auch wenn fast alle irischen Spieler in der englischen Premier League kicken, sie tun es ausnahmslos nicht bei den Top-Teams. Da liest man dann eher Namen wie West Bromwich oder Absteiger Wolverhampton. Auch ein paar Zweitliga-Spieler sind dabei und immerhin doch einer aus Glasgow, nämlich Celtic-Verteidiger Darren O’Dea. Der wiederum hat aber den Großteil der Saison bei Leeds United verbracht, also auch in der englischen zweiten Liga…
Unterstützung ist gewiss
Aber ich für meinen Teil bin einfach nur froh, dass die Iren überhaupt mal wieder bei so einem Turnier mitwirken dürfen. Am Support der Fans sollte das ganze Unternehmen sicherlich nicht scheitern, denn die Iren bzw. die Anhänger der irischen Nationalmannschaft, die aus aller Welt stammen, sind ja bekannt reisefreudig.
Logistisch günstig finden die drei Vorrundenspiele in Polen statt, zwei Mal in Poznan, einmal in Gdansk. Das ermöglicht zum Beispiel auch Tagesfahrten, wie sie unter anderem von Berlin aus geplant sind. So erspart man sich die schwierige und kostspielige Hotelsuche am Spielort.
Somit bleibt die Hoffnung auf schöne und möglichst erfolgreiche Spiele und dann vielleicht doch noch eine Reise in die Ukraine, wo das entsprechende Viertelfinal-Match ausgetragen würde. Ich für meinen Teil freue mich auf die EM, mindestens auf diese drei Spiele der Boys in Green. Aber auch alles andere werde ich selbstverständlich beobachten, vielleicht ist da ja der kommende Finalgegner dabei, man muss ja auf alles vorbereitet sein.
// Gastartikel von Thomas Glöy
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