Euro 2012: Gr.B – Dänemark

„Bjarne Riis! Bjarne Riis!! Bjarne Riis !!! Bjarne Riis !!!!“

Tja, der hat zwar wenig mit Fußball zu tun, aber er war da, kam siegte und blieb mir in Erinnerung, blieb für immer als er am 16. Juli 1994 die 13. Etappe der Tour de France von Bagnères-de-Bigorre nach Albi gewann. Damals war das sympathische Midtfyns Festival in Ringe, das immer eine Woche vor dem Bekannteren aber nicht größerem Roskilde Festival startete, man konnte also durchfeiern. Einige Genossen der Nachtkultur schafften 14 Tage am Stück, was ein Sommerstart, und es dauerte an. Damals war Doping öffentlich noch nicht verpönt und Helden auf dem Fahrrad gab es in Dänemark auch schon, Rolf Sørensen, Bo Hamburger (was ein geiler Name für einen Radler!!!) und Konsorten, aber Bjarne Riis, einen Etappensieger wie ihn, der Knaller!
Und das zeigten und sangen die vielen dänischen Festivalbesucher. Auf der Leinwand neben der Hauptbühne wurde Wechselweise mal “die Tour” übertragen oder eben Fußball WM. Dazu der Bringen Sommer Hit der Band „Shu Bi Dua“ live, „Kylling og Soft-Ice og Pølse“ (Hähnchen mit Soft Eis und Würstchen) konnte man kaufen und essen –  Remake auf „Killing me softly with this song…”.
Festival, Zelten, leckeres Dosenbier, Hering in Tomatensaft auf Schwarzbrot mit Bonekamp zum Frühstück. Um das Ganze über ein Woche noch magenfreundlich zu gestalten, diente die Klinikpackung Bullrich Salz dazu, gelegentlich in einer Trinkpause den Mageninhalt zu „neutralisieren“. Diese „B“-Tablette („Bei Völlegefühl, das ist der Hit, hält Bullrich Salz den Magen fit!“) konnte man vor Ort auch noch für andere Zwecke verkaufen. Und Prost ging es schon auf der Fähre bei zollfreiem Einkauf von Gelting nach Faaborg, mal eben im guten alten „StrichAcht“ rüber ins gelobte Nachbarland. So trifft man einen gut gewürfelten Haufen Freunde, Bekannte unter denen sich auch ein geneigter Fan der DFB Elf befand, dazu jedoch erst später mehr.

httpv://www.youtube.com/watch?v=baQtdd8J16k

Also die Massen waren alarmiert, die Party in vollem Gange, aber da die Jungs der „Danske Boldspil-Union“ die Qualifikation der ’94er WM verpasst hatten waren die Spiele eher Nebensache. Verständlich, denn hatte sich doch vor 2 Jahren erst das dänische Team mit Peter Schmeichel, Mogens Krogh, Lars Olsen, John Sivebæk, Kent Nielsen, Claus Christiansen, Torben Piechnik, Kim Christofte, Henrik Andersen, John Jensen, Kim Vilfort, Henrik Larsen, Johnny Mølby, Peter Nielsen, Morten Bruun, Brian Laudrup, Flemming Povlsen, Lars Elstrup, Torben Frank und Bent Christensen um Trainer Richard Møller Nielsen -aus dem Urlaub berufen mit reichlich Bier und Zigaretten ausgestattet- unsterblich gemacht! Als sportlich nicht qualifizierter Nachrücker stellte die DBU fix weg noch einen Kader zusammen und reiste als krasser Außenseiter anstatt der jugoslawischen Mannschaft auf das Europäische Turnier ins benachbarte Schweden. Sie schrieben dort nicht weniger als eine mehr als sympathische Fußballgeschichte: Die Europameisterschaft mit einem 2:0 Finalsieg über die Deutschländer Würstchentruppe!

Das war für mich als Landei und Neu-Flensburger der Knaller, im TV2 mit dänischem Kommentar ein Finale sehen und sich mit den neuen Nachbarn freuen. Humør, Humør. Humør!

1994 im besagt legendären Ringe auf Fünen ging es dann mit ein paar Fußballfans vor eine Leinwand neben einer kleinen Bühne. Klar bekam man als „gammler Tyske“ immer noch gerne den 2:0 Finalerfolg vorgehalten und war, mit genügend Häme bedacht, ein nicht bei allen wirklich gern gesehener Gast. Zum beliebten Nachbar wurde man aber spätestens wenn klar wurde, dass man eben ums Eck aus Flensburg angereist kam, denn das gehörte ja quasi zu Dänemark dazu, also alles gar kein Problem und doch von Respekt und gegenseitiger Achtung geprägt. Der Kleine eben gegen den Großen, ein Thema welches mich nie mehr in Ruhe lassen sollte und immer noch den stärksten Reiz auf meine Fußballassozialisation ausübt!

So sitzt man denn so da auf einer Bank und denkt sich noch: „Was macht eigentlich Preben Elkjær Larsen´s Fusballschuh heute so?“ und nebenan lümmelt sich einer mit deutscher Mütze und Fahne vor dem Bildschirm und fiebert als echter Fan der deutschen Nationalmannschaft gepflegt mit. Ich denk immer zu an die sympathischen Dänen und deren Hang zu Getränk und Gesang und es schwirrt und summt, wenn Bjarne Riis im Wiegetritt die Berge der Alpenpässe überwindet.

Ich fand das in Dänemark alles so entspannt anders war als in der Heimat, die netten Menschen, kein Stress und keine Gewalt, entspannte Großveranstaltungen die von vielen organisiert gemeinsam mit viel Liebe zum Detail zelebriert worden, wenig Kommerz und keine Ordner oder übertriebenen Sicherheitsmaßnahmen. Ich mag die Sprache, diese heiße Kartoffel im Mund, die sympathische Art ein Bier zu bestellen: Mein Pidgin Gedächtnis erinnert noch: “Vull wäre yo sog friely og geier me tree fadöl? mage takk! je skow!“ Und sicher gehören auch die vielen bunten Gummistiefel der schönen Däninnen in schicken Röcken zu einem Festival nun mal dazu, sind das Salz auf Hot Dog und Pølse.

Gelegentlich erinnert sich auch noch mal einer an den ’86er Gesang vom rot weißen Dynamit, stimmt diesen vor der Leinwand an und Zack macht der Jordan Letschkow im entscheidenden Achtelfinale doch glatt das 2 zu 1 gegen Häßler und Co. Leichter bis starker Jubel brandet bei den Dänen auf und mich störte es nicht im Geringsten, denn das blasse Auftreten der Kicker überzeugte nicht. So plätscherte die Partie weiter vor sich hin und neben mir guckte ein immer traurig werdender Mensch mit schlaffer Fahne und deutscher Mütze dümmlich aus der Wäsche. Als das grauselige Spiel endlich abgepfiffen wird, denke ich noch, na Super nun widme dich mal den Festivalfreuden des Sommers, kühles Fad Öl  und so ne nette Unterhaltungen mit Däninnen beim Tanz an der Hauptbühne. Doch da übertönt das heulende Schluchzen des DFB Fans den dänischen Jubelgesang. Deutschland ist ausgeschieden, für ihn ein Grund um richtig zu heulen und richtig schlecht Wetter zu machen!

So ist das, nimm das man nicht zu tragisch“ entfährt es mir, „wer so verliert hat es nicht anders verdient, Scheiss doch drauf die waren eben schlecht!“ Mein Herantasten an diese Realität und Befindlichkeit hätte ich wohl besser für mich behalten. Der Riss war nicht mehr zu kitten, immerhin sei es doch mein Heimatland, welches nun aus dem Turnier als amtierender Weltmeister ausgeschieden ist, das wäre wohl eine Frechheit so lapidar damit umzugehen, und ab und zu drang zur Unterstützung seiner Worte noch ein Tränchen salziges hinterher. Die meisten Freunde gepflegter Musik widmeten sich schon wieder den wichtigen Dingen des Lebens – Bier. Diese Art von Patriotismus konnte ich noch nie für dieses Land empfinden, in das ich auch wie so viele andere ungefragt hineingeboren worden bin.

Wenn sich bei mir so etwas wie Patriotismus einstellt dann für das Dorf mit dem ich mich verbunden fühle, dann der Underdog für den es sich zu kämpfen lohnt, so wie ein wenig Gerechtigkeit die es zu verteidigen gilt. Aber Stolz auf eine Nation oder ein Land? Merkwürdigerweise kann ich mich für die Kleinen freuen wenn sie die Großen sportlich schlagen, also auch für Dänemark, wenn Sie mal wieder menschlich für eine neue Turnierüberraschung sorgen. Davon ist selbstverständlich auszugehen. Skål fra Danmark! //JE

Dansk Boldspil-Union
DBU Allé 1
2605 Brøndby
www.dbu.dk

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