Der Fanladen hatte eingeladen und doch sehr viele kamen. Zumindest weit mehr als geplant und weit mehr, als in den alten Ballsaal gepasst hätten. Schätzungen sind sicher schwer, aber so Pi mal Daumen 350 Leute werden es gewesen sein.
Auf dem Podium saßen neben dem als Moderator fungierenden Justus (Fanladen) noch (von links nach rechts) Roger (Aufsichtsrat), Sven (OL), Kaeser (Skins), Jano (Alte Schule), Gerrit (USP), Corny (Präsident), ich (ÜS), Karsten (Fanclub-Sprecherrat und Rene (AGiM).
In Ermangelung der Möglichkeit, auf dem Podium groß mitzuschreiben, fasse ich hier einfach mal subjektiv zusammen, was bei mir hängen blieb, ergänzt durch den ein oder anderen Gedanken, der mir seitdem noch kam.
Es begann mit der Einstiegsfrage, die vorab an die Teilnehmer auf dem Podium verschickt worden war, die da lautete:
„Müssen wir als St.Pauli Fans etwas ändern, damit das Zusammengehörigkeitsgefühl besser wird und die Probleme mit außen (Polizei, Ordner) besser werden?“
Jeder Teilnehmer sollte hierzu ca. 2-3 Minuten lang seine Einschätzung geben, ich schreibe hier der Einfachheit halber mal mein Eingangsstatement auf, welches ich gestern aufgrund der Zeitvorgabe stark verkürzt abgegeben habe:
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Wir sind sicher als FC St.Pauli schon mal einen Schritt weiter als die meisten anderen Vereine, dadurch, dass es bei uns überhaupt so eine Veranstaltung gibt. Wir haben eine Organisation wie den Fanladen, der dazu anstößt, organisiert und einlädt. Der Verein stellt dankenswerterweise die Räumlichkeiten und ist auch bereit, auf dem Podium selbst vertreten zu sein. Und last but not least erscheinen dann auch noch so viele Leute… mit der Anzahl hatte wohl wirklich keiner vorab gerechnet.
Nur: Das ist bestenfalls der erste Schritt, es müssen nach diesem Abend noch einige weitere folgen, wie auch immer diese aussehen.
Aus meiner Sicht gibt es derzeit drei Hauptbereiche, in denen derzeit etwas im Argen liegt:
1. Aggressivität gegen andere Fangruppen und Vereine
Wir waren immer ein guter Gastgeber. Gästefans kamen (und kommen) gerne zu uns, weil sie auch die Atmosphäre rund ums Millerntor schätzen, wo man einfach sich in eine Kneipe begiebt und (auch als Gästefan) nett mit anderen über Fußball und die Welt schnacken kann, ohne doof angemacht zu werden. (Solange man sich auch als Gast benimmt, selbstverständlich)
Bei uns wird das Fanlied der Gäste gespielt, bei der Mannschaftsaufstellung des Gegners nicht „Arschloch“ gerufen und der Torwart beim Abschlag nicht als „Arschloch, Wichser und Hurensohn“ bezeichnet.
Alles Dinge, die Selbstverständlich sind, die man aber meist erst immer dann zu schätzen weiß, wenn man mal mehr oder weniger neutral in einem „normalen“ Bundesligastadion zu Gast war, bei einem Spiel ohne unsere Beteiligung. Das ist ein hohes Gut, und ich möchte es nicht missen.
In letzter Zeit häufen sich aber Vorfälle, wo diese Andersartigkeit verloren geht oder zumindest abnimmt. Das äußert sich im „abziehen“ von Schals oder blödsinnigem Revierverhalten, aber auch in solch simplen und vermeintlich unwichtigen Dingen, wie z.B. einem Pfeifkonzert beim Einlaufen der gegnerischen Mannschaft. (Und ich meine nicht Hansa Rostock, sondern Teams die einem eigentlich egal sein sollten.)
Aktuelles Beispiel, was ich als völlig unnötig empfand: Das Auspfeifen von RW Ahlen bei der Vorstellung der Mannschaften in Alsterdorf. Das kann mir auch keiner mit „Aber da spielt doch der Kirschstein!“ begründen, der Typ fühlt sich durch sowas doch nur aufgewertet, den sollte man komplett ignorieren. Insgesamt ne Kleinigkeit, klar, aber genau mit solchen Sachen fängt es doch an.
2. Asoziales Verhalten auf Auswärtsfahrten
Das Thema ist uralt und leider doch immer wieder aktuell. Plakativ fällt mir bei dem Thema immer das ÜS Cover 93 ein, auch der damalige Titelartikel hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt und ist immer noch sehr lesenswert.
Diese Fanszene hat (in Teilen) ein schweres Alkoholproblem, und mit höherem Pegel fallen eben auch die Hemmschwellen. Diese äußern sich schnell in homophoben oder sexistischen Äußerungen, teilweise auch in rassistischen.
Aber auch Leute die zu besoffen sind um derartiges noch zu äußern und stattdessen vollgepisst oder vollgekotzt im Block liegen oder mit ner vollgeschissenen Leggings herumlaufen, will hier sicher keiner.
Auch der gern genommene Hinweis auf die „Südzecken“ (womit nicht der Fanclub gemeint ist) oder die „Westpunks“ greift zu kurz. Klar gibt es in beiden Gruppen solche Leute, aber wenn man die „Munition“ betrachtet, mit der die Busse und Züge in Hamburg bestiegen werden, kann man auch nur zu der Auffassung kommen, dass es ab drei Promille auf den Elbbrücken (auf der Hinfahrt) irgendeinen Bonus gibt.
Um es auch klar zu sagen: Es gibt auch Leute, die viel trinken und sich trotzdem im Griff haben… nur leider ist das eher die Ausnahme.
3. Aggressivität gegenüber Polizei und Ordnern
„ACAB“ ist ein schön plakativer Slogan, den man sicher auch mal raushauen kann, wenn die Cops oder der Ordnungsdienst (mal wieder) über die Strenge schlägt. Das dies oft genug geschieht, wird keiner ernsthaft bezweifeln, der regelmäßig (und organisiert, also nicht per PKW) auswärts fährt. Traurige Highlights wie das Relegationsspiel unserer U23 in Kiel oder der Angriff auf das Jolly beim Schanzenfest ragen heraus, doch auch die „alltägliche Repression“ ist nicht nur nervig sondern auch in der Durchsetzung durch die Staatsmacht allzuoft fragwürdig bis grenzwertig.
Nichts desto trotz, hoffe ich, dass niemand diese vier Buchstaben für die absolute Wahrheit hält, denn genausowenig wie alle St.Pauli Fans Engel sind, sind ALLE Polizisten Arschlöcher oder ALLE Ordner scheiße.
Ich will auch nicht, dass man die andere Wange hin hält, wenn besagte Scheiße durch Team Green passiert, da muss man versuchen alle erdenklichen Möglichkeiten zu ergreifen, sich zu solidarisieren und nach Möglichkeit auch zu wehren.
Aber: Es gibt auch oft genug Situationen, in denen wir froh sein dürften, dass die Polizei da ist und ihren Job macht. Beispielweise nach Rostock würde sonst sicher keiner mehr fahren.
Was ich schön fände: Wenn wir auf Polizisten treffen, die einfach nur da sind, weil sie ihren Job machen, und sich dadrüberhinaus so verhalten, wie man es von Polizisten in einem Rechtsstaat erwarten sollte, so sollten wir denen auch normal und gelassen gegenübertreten.
Normalerweise sollte man natürlich von der „ausführenden Staatsgewalt“ erwarten dürfen, dass diese souveräner und intelligenter ist als „Fußballfans“. Und in den meisten Fällen dürfte dies auch tatsächlich so sein. Nur erhoffe ich mir, dass wir St.Pauli Fans es schaffen, dies umzukehren und zu zeigen, dass wir die intelligenteren sind und dann eben auch dementsprechend auftreten und uns nicht von jeder kleinen Provokation einfangen lassen. Denn genau das ist doch auch das Ziel solcher Aktionen, dadurch rechtfertigen sie ihre eigenen Einsätze und letztlich ihre Existenzberechtigung. Und dass die Medien im Zweifel eher der Pressemitteilung der Polizei glauben, sollte inzwischen auch keinen mehr überraschen.
In diesem Sinne: ich hoffe auf eine Mottofahrt oder was ähnliches, wo bei der Ankunft in der Stadt des Spiels alle St.Paulli Fans lächelnd den Bus oder den Zug verlassen und dem anwesenden Team Green jeweils freundlich eine Blume überreichen. Das ist die Form von Ironie, die uns seit Jahrzehnten auszeichnet.
Abschließend nochmal: Polizeigewalt ist vorhanden und nicht hinnehmbar, aber nicht jeder Polizeieinsatz ist auch gleich gewalttätig.
Leider führt diese vorherrschende Grundaggression gegen die Polizei dazu, dass bei eventuell sogar berechtigten Aktionen im Gästeblock (wie beim Pokalspiel in Bremen) im Zweifel eine falsche Solidarität mit Leuten gezeigt wird, die es nicht verdient haben, und stattdessen die Polizei angegriffen wird, obwohl diese in dem Fall vielleicht wirklich mal zurecht eingreifen wollte. Dies führt dann dazu, dass man auch bei den unter 1. und 2. beschrieben Punkten den Ordnungsdienst eigentlich nicht einschalten kann, weil sonst durch Punkt 3 die Situation noch weiter eskaliert.
Niemand will Polizei in unserem Block, aber wenn wir diesen Teufelskreis nicht langsam mal durchbrechen, dreht sich die Spirale der Gewalt eben immer weiter, und besser wird es definitiv nicht.
All das würde ich gerne ändern, aber die goldene Lösung dürfte es nicht geben, zu der wird man auch an diesem Abend nicht kommen.
Aus meiner Sicht müssen wir versuchen, weiterhin eine Fan-Öffentlichkeit zu schaffen und die Leute für diese Themen zu sensibilisieren, sei es durch Flyer, Fanzines oder über das Internet.
Fehlverhalten (welcher Art auch immer) muss konsequent angesprochen werden, hierfür muss wieder ein Klima herrschen, in dem man sich traut dieses anzusprechen. Ohne gleich Angst haben zu müssen, dass man am Ende selber auf die Fresse bekommt oder gar per Stadionverbot rausfliegt.
Mittelfristig wünsche ich mir einen runden Tisch mit Vertretern von Verein, Fanszene und der Polizei, denn nur durch offene Gespräche kann die Spirale der Gewalt langfristig durchbrochen werden.
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Die weiteren Eingangsstatements waren vom Grundtenor meist ähnlich, alle waren sich einig dass es NICHT NUR um das Thema Gewalt gehen darf.
Einziger konkreter Lösungsansatz war eine Idee des Fanclub Sprecherrates, so etwas wie „Ansprechpartner“ im Block zu etablieren, die bei Problemen helfen, wenn man sich alleine eine Lösung nicht zutraut. Die Idee ist nicht ganz neu, in den Sonderzügen des Fanladens gab es ähnliches schon, und natürlich ist dies ein schmaler Grat zur Fanpolizei und damit dem oftmals bereits angesprochenen Machtmissbrauch, der mit so einer Position einhergeht. Ich will das jetzt auch nicht als Allheilmittel verkaufen, aber ich denke zumindest, dass dies eine Möglichkeit wäre, über die es sich lohnt nachzudenken.
Die folgende Diskussion hier wiederzugeben würde den Rahmen sprengen und mir fehlte auch die Möglichkeit mitzuschreiben, aber insgesamt lässt sich aus meiner Sicht als Fazit festhalten:
Der Abend verlief (bis auf einen Redner und sehr wenige Zwischenrufe) sehr diszipliniert und konstruktiv, wenn auch in Teilen kontrovers, auch wenn kein konkretes Ergebnis erarbeitet wurde, was allerdings auch niemand vorab erwartet haben dürfte.
Der erste Schritt ist getan, weitere werden sicher nötig sein. // Frodo
Links:
Granamor-Blog
Thread zum Abend im St.Pauli-Forum
Erstes Resümee des Vereins