17.Spieltag (H) – FSV Mainz 05

FC St.Pauli – FSV Mainz 05 2:4 (1:3)
Tore: 0:1 & 0:2 Andre Schürrle (11. & 28.), 1:2 Matthias Lehmann (33., Handelfmeter), 1:3 Adam Szalai (41.), 2:3 Matthias Lehmann (63.), 2:4 Marco Caligiuri (83.)
Zuschauer: 24.235 (bis zur 83.Minute, danach rasch weniger werdend)

Das war es also, das letzte Spiel des Jahre 2010… ein Jahr, in dem mit dem Aufstieg, den 100-Jahr-Feierlichkeiten (Konzert, Celtic Spiel etc.) und einem wirklich beeindruckenden Start in die Bundesliga doch eigentlich ein breites Grinsen in das Gesicht jedes St.Pauli-Fans zementiert worden sein sollte. Selbst die unverbesserlichen Dauer-Nörgler vom Übersteiger sahen einer besseren Zukunft entgegen, schließlich hat nebenbei auch noch “Uns Corny” sein Cappy genommen.
Doch der Samstag Abend, der die Punkte 18-20 bringen und dann in eine fröhliche Winterpause überleiten sollte, war leider ein völliger Tiefpunkt.

Sportlich, weil die Mannschaft wohl ihre schlechteste Saisonleistung (seit Chemnitz) ablieferte und in der ersten Halbzeit ein Klassenunterschied zu den Mainzer Gästen ersichtlich war. Müßig zu diskutieren, woran es lag, aber wenn der Trainer in der Pressekonferenz vor dem Spiel sagt, dass die Platzverhältnisse die Taktik diktieren, erwartet man natürlich, dass die Mannschaft über die Platzverhältnisse informiert ist. Wenn sie dann aber Klein-Klein-Zaubereien versucht, die eigentlich einen Teppich bräuchten statt nem gefrorenen Acker, so scheint Stani nach der PK wohl keine Gelegenheit mehr gehabt zu haben, seiner Mannschaft mitzuteilen was für ein Wetter in Norddeutschland grade herrscht. Auf dem Platz ist ein technisch anspruchsvolles Kurzpassspiel, wie die Jungs es in der ersten Hälfte versucht haben, zum Scheitern verurteilt… da hätte man auch jeden D-Jugend-Trainer fragen können, der hätte das auch gewusst. Klare Bälle und im Zweifel das Ding nach vorn wichsen und hinterher. Das höchste der Gefühle sind flach Bälle, die man auf den Nachrückenden abtropfen lässt, anzuschauen wunderbar bei den Mainzer Gästen. Ich hab ja das Gelaber von Tuchels Matchplan bisher immer belächelt, aber an dem Abend dürfte der vor lauter Lachen nicht mehr in den Schlaf gekommen sein, so einfach haben wir es denen gemacht.
Da spricht natürlich in erster Linie der Frust eines durchgefrorenen Abends, denn unterm Strich sind 17 Punkte zur Halbserie so etwa das, was man erwarten durfte. Ich will das auch gar nicht schlechtreden oder gar (bevor das jemand aus dem letzten Absatz herauslesen will) ne Trainerdiskussion starten, das wäre völlig unangebracht. Aber diese unnötigen Niederlagen, weil wieder irgendjemand (Hennings (Fehlpass) beim 0:1, Morena (der das Abseits aufhebt) beim 0:2, Oczipka (der die Flanke aus 50 Metern unterläuft) beim 1:3, Hain (mit Fehlpass) beim 2:4) im Tiefschlaf ist, nerven unheimlich.
Auf der anderen Seite hab ich inzwischen eigentlich nur noch ein Saisonziel: Den Derbysieg… und dann absteigen für alle Zeiten, denn “Spaß” macht das “Event Pauli” inzwischen kaum nch, womit wir beim nächsten Tiefpunkt Thema wären.

Das Drumherum an diesem Abend war nämlich auch mehr als erbärmlich. In Susis Show-Séparée wurde weiterhin getanzt, dies konnte man von der Gegengerade auch ohne Teleobjektiv erkennen. Hier scheint das Präsidium aber damit zufrieden zu sein, sich öffentlich am Nasenring durch die Medien ziehen zu lassen. Auch unser Pressesprecher hält sich bei dem Thema auffallend zurück, obwohl doch sonst so gerne mal “hagelnde Stadionverbote” in die Mikrofone diktiert werden oder zu jedem noch so banalen Thema eine Pressemitteilung veröffentlicht wird. Aber klar, er kann natürlich auch nur das veröffentlichen, was von oben vorgegeben wird, und da ruht anscheinend momentan der See sehr tief. Mag daran liegen, dass vielleicht die zunächst angekündigte Abmahnung nun doch nicht so recht umgesetzt werden kann, weil vielleicht vertraglich da die Grundlage für fehlt… aber all dies ist Spekulation. Und warum kann spekuliert werden? Weil es eben keine klaren Ansagen gibt, ein Teufelskreis. Hier wäre ein mehr an Kommunikation sicher wünschenswert, auch ohne konkrete Vertragsinhalte zu kommunizieren. Die einzige bisher offiziell nach außen gedrungene Kommunikation ist immer noch das Statement des damaligen Vizes und inzwischen Aufsichtsrates Marcus Schulz, dass es einen Stangentanz nicht geben wird, aus dem Mai 2010. Von wegen…
Aber am Samstag Abend hätten wohl die meisten auch zwanzig Stangentänzerinnen in diversen Logen akzeptiert, wenn dafür das viel größere Ärgernis des Tages ausgeblieben wäre: Der “Sponsor of the day”, blau.de, hatte nämlich große LED-Anzeigetafeln im Stadion aufgehangen und auf denen konnte nun der geneigte Fan seine Lebensweisheiten per SMS kundtun. Wer da ein ähnlich intellektuelles Niveau wie bei den Tickern auf Viva oder MTV erwartete, wurde dann auch nicht enttäuscht, gleich die erste bestätigte alles: “Frank, wo bist Du?”. Ich wartete vergebens auf eine zwei Minuten später erfolgende Antwort wie z.B. “Hier, neben dem in der schwarzen Jacke!”. Es folgten dann noch weitere Perlen der öffentlichen Fremdscham inklusive der unvermeidlichen “Ich liebe Dich!”-Varianten, aber auch ein “1312 – Kein Spiel ohne Randale!” rutschte den Textzensoren durch, während “Scheiß Kommerz!” und ähnliches der Zensur zum Opfer fielen. Aber so ein Text-Praktikant wird eben auch nicht um die Bedeutung von 1312 wissen. “Meeske, zieh Bettina bitte etwas an!” soll wohl ebenfalls rausgefiltert worden sein, aber schlußendlich ist mir auch herzlich egal wer da wie und was meinte zensieren zu wollen oder zu müssen. Immerhin sind meine Befürchtungen von diversen “Nur der hsv!” und “Scheiß St.Pipi!” – SMS nicht bestätigt worden.
Warum ich dem Thema so viel Platz hier widme? Weil er eben auch im Stadion leider so viel Platz einnahm. Ich hab mir wirklich schon vor der ersten SMS fest vorgenommen, den LED-Wänden keinen Blick zu gönnen und mich aufs Spiel zu konzentrieren. Leider ist dies in der Praxis kaum möglich, zumindest wenn eben diese einem direkt gegenüber und damit in bestem Sichtfeld hängen. Wer schon mal einen englischen Film mit deutschem Untertitel geschaut hat, dürfte in etwa wissen was ich meine. Und auch wenn man bisher das Ganze natürlich mal wieder bestens in die “Ach, Herrlisch diese verrückten Paulis! Watt die sisch auch imma Einfallen lasse, einfach Kult!”-Schublade packen kann (die inzwischen übrigens ziemlich voll sein dürfte), so verstößt dies doch absolut gegen die Leitlinien des Vereins. Ich zitiere:

[…]14. Das Wesentliche beim Sport ist das Spiel der Mannschaften, deshalb soll dieses auch im Vordergrund stehen. Die Atmosphäre wird geprägt durch die Interaktion zwischen Fans und Spielern. Das Rahmenprogramm zeichnet sich durch Sachlichkeit sowie vereins- und stadtteilbezogene Informationen aus.[…]

Da wurde also so ziemlich alles falsch gemacht, was man überhaupt falsch machen kann, herzlichen Glückwunsch.
Beim Thema Susi gab es ja noch Personen, die das alles nicht so dramatisch sahen, hier ist die Empörung dieses Mal aber auch im Forum doch recht einhellig.
Klar, es war ja nur ne einmalige Sache, werden jetzt einige sagen… aber jedes dieser Dinger ist ein weiterer Sargnagel in das, was den FC St.Pauli positiv einzigartig gemacht hat.
Es gab schon vor Jahren immer mal wieder Leute aus der Fanszene, die sich gegen ein Spielen in der ersten Liga ausgesprochen haben, und bisher hab ich diese zwar immer inhaltlich verstanden, konnte deren Meinung aber nicht teilen. Ich spiele halt gerne gegen Vereine wie Werder, Dortmund, Bayern oder den hsv und meinen Lebenstraum von einem internationalen Pflichtspiel mit dem FC St.Pauli sehe ich eben in der ersten Liga immer noch als wahrscheinlicher an als als Zweit- oder Drittligist, und sei es durch die Fair-Play-Wertung.
Nur: Bevor ich so ein Heimspiel noch einmal erleben muss, wünsch ich mir lieber wieder zugige Freitag Abende in der nicht überdachten und viel zu weit vom Spielfeld stehenden Kurve im Oberhausener Niederrhein-Stadion. Das war furchtbar und deprimierend, ein 90-minütiger “Das hat mit Fuß-, das mit Ball-, das hat mit Fußball nichts zu tun!”-Gesang wäre an diesem Abend die einzig korrekte Antwort gewesen und dies explizit nicht auf das Sportliche bezogen.

“Das ist nicht mehr der mein FC St.Pauli!” wurde in der Vergangenheit schon öfter mal gesagt, mal mit Augenzwinkern, mal bitter ernst auf dem Weg in die Adolf-Jäger-Kampfbahn. Samstag Abend dürften einige eben dies wehmütig auf dem Weg nach Hause gedacht haben. Mach so weiter, liebe Vermarktung, liebes Präsidium, und der Flair wird verloren gehen. Nicht sofort, nicht in den nächsten 2-3 Jahren, wo es sicher noch genug Event-Zuschauer geben wird, aber mittelfristig. Am Samstag haben jedenfalls viele Aktive ein gehöriges Maß an Resignation verspürt.

Ein Wort noch zu der Abwanderung der Business-Seats nach dem 2:4 in der 83.Minute: Es war am Millerntor immer ein ungeschriebenes Gesetz, dass man bis zum Ende des Spiels bleibt und die Mannschaft dann noch (je nach Spielverlauf) gebührend verabschiedet, dies gebietet eigentlich auch der Respekt. Gerade am Ende des Jahres 2010 sollte dies eigentlich eine absolute Selbstverständlichkeit sein. Klar wird es immer mal wieder Einzelpersonen geben, die dann früher gehen müssen oder wollen, gerade bei so einem Spielverlauf und den Außentemperaturen, auch auf der Süd, der Nord oder der Gegengeraden. Aber eine zu (ca.) 1/3 leere Tribüne fünf Minuten vor Schluß ist ein Unding am Millerntor und hat dementsprechend auch die entsprechenden Gesänge (“Ihr seid scheiße, wie der hsv!“) nach sich gezogen. Das sich dies nicht an die richtete, die noch auf der Haupttribüne ausharrten, versteht sich von selbst, vielleicht hätte man an der Stelle statt zu rufen ein paar SMS an blau.de schicken sollen um komplexere Gedankengänge darzulegen, etwa: “J4I, wer jetzt geht darf auch gerne wegbleiben! Thx an die Oldtras und alle anderen die noch da sind!” – “Ich hab in die Shrimps gepinkelt. Gez: Euer Koch!” – “P.S. Susi, pack Deine Möpse ein!” Aber zumindest letzteres wäre dann sicher wieder zensiert worden.

Ein Wort noch zu den Mainzer Fans: Die sind nett… im Wortsinne, also sie fallen eben nicht wirklich auf und stören nicht. Man stelle sich mal vor, was ein derart voller Gästeblock bei einem derartigen Spielverlauf (ständig zwei Tore vor, als totaler Liga-Underdog auf Platz zwei landend) bei anderen Vereinen veranstaltet hätte. Aber nett sind sie halt, dazu passen dann auch die “Sankt Pauli, Sankt Pauli!”-Rufe bei der Verabschiedungsrunde der Mannschaft.

Schön, dass endlich Winterpause ist. Sowohl sportlich als auch intern dürfte es einiges zum Aufarbeiten geben. Frohes Fest, man sieht sich dann am 29./30. Dezember in Alsterdorf, alle mit Totenkopf! // Frodo

Links:
Fotos Stefan Grönveld
Neunzehnhundertzehn: Aufbaugegner
pathos 93: Das ist nicht mehr mein Pauli
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