Dialog zweier ÜS-Redakteure am späten Freitag Abend, in der Alsterdorfer Sporthalle zu Hamburg.
„Schreibst Du was dazu?“ – „Nee, danke. Ich kann mir schon gut vorstellen wie das in den Medien ab morgen dargestellt wird. Zeit für die Moderation der dann nötigen Diskussion, wenn wir das richtigstellen, hab ich derzeit nicht, ich hab ja auch noch ’nen Job.“ – „Hmmm… Mist, geht mir ähnlich.“
Okay, es sind inzwischen zweieinhalb Tage ins Land gezogen, den Job haben beide immer noch und die öffentliche Diskussion über den Freitag Abend ist tatsächlich noch schlimmer geworden, als es sich die beiden am Freitag ausmalen konnten.
Insofern danken wir schon mal denen, die ebenfalls vor Ort waren (was man bei den Schreibern einiger Presseberichte und den Kommentaren des Einsatzleiters zumindest in Zweifel ziehen kann…) und schon vor uns Zeit zum Schreiben fanden.
Insbesondere denen, die nicht selbst vor Ort waren, legen wir jeden einzelnen dieser Texte ans Herz, wenn Ihr sie nicht eh schon gelesen habt. Allein schon, um die teilweise haarsträubende öffentliche Berichterstattung zu korrigieren.
1. Magischer FC (inkl. Polizeitaktischulung und dem Versuch einer chronologischen Abhandlung)
2. Lichterkarussell (über die vielerorts getätigte Gleichsetzung von Angriff und Verteidigung, insbesondere gegenüber Faschos)
3. Publikative.org (mit dem vielleicht einzigen Artikel einer Nicht-Fanseite zum Thema überhaupt, der es wert wäre in einer Zeitung abgedruckt zu werden)
4. neunzehnhundertzehnblog (mit dem beneidenswert nüchternen Blick von außen, und einem Seitenblick auf web 2.0)
Getreu dem Motto, es wurde schon alles gesagt, nur noch nicht von jedem:
Wenn eine Gruppe Nazi-Hools, die in relativ kurzer Zeit schon die komplette Bandbreite von Rassistischem und Homophobem Gedankengut verbreiten konnte, von verhältnismäßig wenig Mutigen in die Schranken gewiesen wird, weil die 2 1/2 anwesenden Hundertschaften der Polizei dies nicht auf die Reihe kriegen, dann ist genau DAS mein St.Pauli. Die Zeiten, in denen St.Paulianer bereitwillig die andere Wange hinhielten, wenn Nazis sie angriffen, sind zum Glück schon lange vorbei.
Wenn „St.Pauli Fans gegen Rechts„-Aufkleber provozieren, bin ich gerne Provokateur.
Wenn man nach Stuttgart 21 immer noch blind jedem Polizeistatement glaubt und diese unsägliche „Na, irgendwas werden sie schon gemacht haben…„-Denke an den Tag legt, wünsche ich demjenigen, dass vielleicht doch noch ein Video auftaucht, in dem die Szenen gezeigt werden, die viele gesehen haben und die anfangs bei Sitzblogade erwähnt werden.
Wenn Polizisten Schlagstockeinsatz und Pfefferspray als „erfolgreich“ bezeichnen, fehlen mir die Worte.
Es gibt sicher Dinge, die dann auch bei uns im Folgenden nicht optimal gelaufen sind, aber nach den Vorgeschichten an diesem Abend ist das alles nicht mal annähernd erwähnens- oder diskutierenswert.
Jeder, der an diesem Abend nicht in der Halle war, sollte mit seinem Urteil sehr vorsichtig sein. Ich fahre seit knapp 30 Jahren zum Fußball und habe gerade bei St.Pauli-Spielen schon sehr viele Angriffe anderer Fans und furchtbar schlechte Polizeieinsätze erlebt, ebenso sinnlose Polizeigewalt.
Der Angriff an sich am Freitag war zwar da, wäre aber zum Einen von der Polizei simpel zu verhindern gewesen, wenn man seine Hausaufgaben gemacht hätte und hätte zum Anderen gänzlich ohne Polizei nur einen absoluten Bruchteil an Verletzten ergeben, von denen es im Zweifel ein Großteil wenigstens verdient gehabt hätte.
Wozu gibt es „Szenekundige Beamte“ (auch in Lübeck), wenn diese von den Veranstaltern im Vorfeld nicht kontaktiert werden können?
Warum weiß da keiner, dass 100 Karten für Freitag gekauft wurden, aber keine für Samstag?
Warum können die Lübecker beim Betreten der Halle schon versuchen die erste Polizeikette zu stürmen und sich danach unbehelligt bewegen?
Warum ist es einer kompletten Hundertschaft wichtig, die Helme aufzuziehen um den zwei Meter-Gang zwischen der ersten Reihe des St.Pauli-Blocks und dem Spielfeld freizuräumen, während die da bereits deutlich als Aggressor auftretende Gruppe weiter mehr oder weniger unbewacht das „U-Bahn-Lied“ singen und sonstige Scheiße verbreiten darf, ehe man sich dann auf den Weg machte um den eigenen Angriff zu starten?
Wieso darf die Polizei weiter mehr oder weniger unwidersprochen behaupten, die Gewalt beim Fußball steigt, wenn ein wichtiger Indikator dafür, nämlich die Verletztenzahlen, zu einem unfassbar großen Teil Verletzte durch Polizeigewalt sind, wie ja auch jetzt wieder?
Unser Verein hat eine Stellungnahme angekündigt, die voraussichtlich heute um 13.00h auf einer Pressekonferenz vorgestellt wird. Als Vorlage dient dafür hoffentlich (zumindest in Sachen Stoßrichtung) die deutliche Stellungnahme von Wacker Burghausen nach deren Auftritt in Chemnitz, als sich der Verein deutlich gegen die Polizeigewalt äußerte.
Nachdem es unser Verein auch weiterhin „hinter den Kulissen“ versucht, mit der Polizei die Vorfälle rund um den Angriff auf das Jolly von 2009(sic!) aufzuarbeiten, ist wohl langsam eine andere Marschrichtung fällig.
Sobald die oben genannten Fragen geklärt sind, kann meinetwegen auch gerne öffentlich über unsere Rolle diskutiert werden (was intern übrigens bereits passiert). Vorher ist dies nur der tumbe Versuch, von den eigentlichen Verursachern und Schuldigen abzulenken, und diesen Gefallen wird zumindest der Übersteiger der Polizei ganz sicher nicht tun. // Die Redaktion
P.S. Der MagischeFC-Blog hat heute früh noch einen Beitrag hinterhergesetzt, der auch die eigene Rolle kritisch andiskutiert. Genau wie dort geschehen, gehören diese Vorfälle aber eben in den Kontext eingebettet und nicht so einseitig dargestellt, wie es in der Öffentlichkeit gerade geschieht.
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