„Keine Atempause – Geschichte wird gemacht! – 30 Jahre Fanladen St.Pauli“

Eine Buchrezension von GeJo

Los geht es in dem Jubiläumsband vom Kapitel über den „Stadionbau“ weiter zur Bedeutung für die gesamte Fan-Szene. Nachzulesen in dem ersten großen Abschnitt „Fanaktionen“: Ob als Support in den unterschiedlichen Bereichen in oder außerhalb des Stadions, oder als Projektform wie etwa der Braun-Weiße(n)-Hilfe als gelebte Solidarität für St. Pauli-Fans, die Opfer von Gewalt wurden oder juristische Hilfe benötigen. Man denke nur an den “Bielefelder Kessel” vor einigen Jahren!

Sie alle haben eine unterschiedliche Historie bis in die Gegenwart und darüber hinaus. Im umfangreichen zweiten Teil behandelt eine reiche Auswahl an “Prägenden Momente(n)”, wie etwa den stets brisanten Zweitligaderbys gegen den HSV oder der ungemein wertvollen Erinnerung für die Zukunft, Gedenkstättenfahrten nach Auschwitz-Birkenau beispielsweise, um zu verhindern, dass sich die Gräuel des Nazifaschismus jemals wiederholen.

Dabei wird immer wieder deutlich, dass sich der Fanladen als Epizentrum herauskristallisiert hat, wenn es um die Vermittlung von Faninteressen unterschiedlicher Couleur, der Vereinsführung oder eben anderen Instanzen geht. Nicht zu vergessen, dass die Faszination während eines Heimspiels das Produkt eines sehr lang ausgefochtenen Ringens und subjektiven Miteinander-am-Strang-ziehens von Faninteressen und Vereinsführung gewesen sein müssen und eben kein von der Natur gegebenes Ereignis.
Wäre ja genauso absurd, als wolle man wieder die dämliche wontorrische Leier vom Freudenhaus der Liga oder der angeblich typischen St. Pauli-DNA aus dem Hut zaubern wollen. Eben ein „work in progress“, dass, wollte man diese jahrelange Entwicklung aussparen, das Erlebnis im Stadion nicht ansatzweise verständlich macht.

Es ist evident und das zeigt dieser Jubiläumsband immer wieder auf, dass sich neue Strukturen nicht gerade über Nacht aufbauen lassen. “Keine Macht den Faschisten”, eine Stadionordnung, die jedem Anflug rassistischer, sexistischer, homophober Verbalexkremente eine klare Absage erteilt, den Leitlinien, der Jugendarbeit im Viertel und die Unterstützung für Menschen, die Unterstützung verdammt gut gebrauchen können u.v.m… all dies ein Verdienst einer über viele Jahre sehr aktiven und gewachsenen Fanszene, die mit sehr viel Herzblut, Engagement, Mut und sicherlich einer gehörigen Portion Frusttoleranz dafür gekämpft haben, dass diese Werte zu einem unabdingbaren und festen Pfeiler beim FCSP geworden sind. Auch wenn es bei der einen oder dem anderen noch nicht angekommen ist. Tja, entweder man fühlt es oder nicht.

Luft nach oben gibt es immer wieder und sowohl der Fanladen, als auch der USP machen keinen Hehl daraus, das nicht immer alle Projekte zum erhofften Erfolg geführt haben. Auch In dieser Hinsicht hebt sich der FC St. Pauli tatsächlich vom Gros der Profivereine hierzulande ab. Dabei ist die Textzeile “Keine Atempause, Geschichte wird gemacht”, (“Es geht voran”) von der Band Fehlfarben aus dem Jahr 1982 durchaus programmatisch zu nehmen.

Hier und dabei verbleibt dann doch so ‘ne kleine Lücke, da sich ein Ereignis, wie beispielsweise der Umzug des Fanladens von der Thadenstraße bis zur Brigittenstraße seinerzeit nicht restlos rekonstruieren lässt. Zumindest kann ich bezeugen, dass es sich um die längste Umzugsschlange (über 400 m) handelt, die ich bis heute gesehen habe. Da staunte ich nicht schlecht. Nun, wie so oft macht eine kleine Kerbe im Gebälk eine Sache richtig rund. So war es jedenfalls für mich. Dafür wurde die ein oder andere Bildungslücke nun geschlossen wie etwa zu den “Sozialromantikern”.

Kurzum liest sich das Fanladenbuch wie ein langes spannendes Abenteuer, dass immer weiter geht. An Selbstironie und kritischer Reflexion fehlt es nicht, was meinen Lesegenuss merklich steigert, weil es erfrischend offen und ehrlich rüberkommt. Untermalt mit eindrucksvollen Bildstrecken und Zeitdokumenten, die mich z. Bsp. davon Zeuge werden lassen, warum am Stadionnamen bis heute nicht gerüttelt werden darf. Oder wie ist es etwa dazu gekommen, dass unterhalb der Gegengerade ein Museum statt einer Domwache seinen heutigen Standort gefunden hat – es liest sich wie ein Krimi – und für die Schaffung der Fanräume 400.000 (!) € an Spenden gesammelt wurden?

Meine persönlichen Favoriten sind sicherlich der Erlebnisbericht zum Testspiel gegen den SC Heerenveen 2019 in “Ein ganz normaler Arbeitstag” mit Schenkelklopfer-Alarm oder das leidenschaftliche Plädoyer für den USP in “Ab in den Süden.” Zuletzt genanntes zugleich der Name für die gleichnamige Faninitiative, die es sich einst zum Ziel machte für Jugendliche in relevanten Stadionbereichen ein Platz zu finden, der nicht, wie um die Jahrtausendwende und danach sofort mit Dauerkarten ausverkauft ist.

Zum anstehenden Heimspiel gegen „Angstgegner“ Rostock geht es sinnigerweise wieder zurück zu den eigenen Wurzeln und wird als gemeinsames vom USP, Fanladen und Vereinsführung getragenes Südkurvenkonzept um die ersten sechs Sitzplatzreihen oberhalb der Stehplätze erweitert. Unterdessen verzichtet Hansa Rostock auf sein Karten-Kontingent beim FC St. Pauli. Jo, kann man halten wie ein Dachdecker. Und rosarote Brille hier oder unkend aus der Spelunke dort, tönt es vielerorts schon, dass sich der FC St. Pauli in der gegenwärtigen Verfassung eh nur selbst schlagen könne. Wobei noch nicht einmal ein Drittel der gesamten Saison absolviert ist. So what!

Duelle gegen, ihr wisst schon, standen immer schon vor einer besonderen Herausforderung. Auch hierfür empfiehlt sich der Blick in das Fanladenbuch zur „Rostock-Blockade“ Ende März 2010 im gleichnamigen Kapitel. Es skizziert wohl einen Meilenstein, wenn es sich trotz Repressionen und Klötze-zwischen-die-Beine-geworfen-zu-bekommen alledem lohnen kann für die eigenen Fanrechte zu kämpfen, anstatt tatenlos mit anzuschauen, wie ebendiese in überbordendem Maße soweit beschnitten werden, dass man irgendwann überhaupt nicht mehr zum Fußballspiel kommen kann; ein existenzielles Grauen.

Letztlich, so ist es zumindest mir gegangen, fällt kein Kapitel neben einem anderen ab. Und der beschwingte Duktus macht den FCSP-Kosmos für den und die Leser*in um mehr als ein Stück erlebbar. Es würde mich nicht wundern, wenn hie und da der Funke durchaus bei einem nicht-affinen St. Paulifan überspringt. Aber das ist nicht meine Baustelle!

Im Grunde genommen gibt es in meinem Fazit über dieses wunderbare Buch kein Haar in der Suppe. Ist so. Also holt Euch das Ding! Für jeden Cent werte 19,90 € im Fanladen direkt vor Ort oder online. Auf Nachfrage ebenfalls über das Museum beziehbar.
Ihr werdet es nicht bereuen! Chapeau Fanladen! //Gejo

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