Die Südblockade – Three Days after

Mahlzeit! Es ist Mittwoch, der 31.03.2010. Seit den Vorfällen am Sonntag, beim Heimsieg gegen Hansa Rostock, seit dem ÜS-Blog vom Montag ist einige Zeit verstrichen. Und diese Zeit war gut und wichtig, um einiges zu überdenken und sacken zu lassen.

Zur erweiterten Meinungsbildung vorab mal vier Links:
Stellungnahme von Sven Brux (Organisationsleiter FC St.Pauli) im St.Pauli Forum
Interview mit Sven Brux, Björn Pahrmann und Ronny Galczynski (Übersteiger) auf 11FREUNDE (unten im Artikel kann man weiterblättern)
Stellungnahme des Fanclub-Sprecherrates (FCSR)
Blog von pathos93

Vorab:
Mit Svens Beitrag ist jetzt die Chance einer sachlichen Auseinandersetzung seitens des Vereins gegeben, die ich nach Littmanns Äußerungen („zweifelsohne Nötigung und evtl. Freiheitsberaubung“) zunächst nicht sah (dazu später mehr). Mit dem Fanclub-Sprecherrat hat auch „die andere Seite“ Fehler eingeräumt und damit die Basis für Gespräche gelegt. Die anderen beteiligten Gruppen werden sicher ähnliches in den nächsten Tagen tun. Für den ÜS ist dieser Blog erst mal Sprachrohr, bevor wir am 33.Spieltag mit der Nummer 99 sicherlich auch nochmal im Heft Stellung beziehen werden. Trotzdem bleibt dieser Blog-Eintrag namentlich von mir gekennzeichnet und ist nicht zwingenderweise Redaktionsmeinung, dies fürs Protokoll.
Alles Weitere wird man abwarten müssen. Beide Seiten (auch die Forumsuser) sollten zumindest versuchen, die Sichtweise des Anderen zu verstehen und in der Person Sven sehe ich da auch nicht das Problem. Ebenso sollte klar sein, dass „der Verein“ es von sich aus nicht akzeptieren kann, dass eine ganze Kurve abgesperrt wird. Es ist aber eben auch nicht Aufgabe der Fans, es dem Verein immer recht zu machen, zumindest war dies bisher mein Selbstverständnis als St.Pauli Fan.

Vorab dann auch: Ich distanziere mich sicher nicht von dem Blog-Eintrag vom Montag. Allerdings war dieser in seinen Ansichten bewusst provokant, was aus meiner Sicht aber auch dringend nötig war, um den doch sehr undifferenzierten, unfairen und unsachlichen Beiträgen gegenüber USP mal eine andere Meinung entgegenzusetzen. Das es daraufhin Prügel geben würde, war mir klar und ist auch völlig in Ordnung. Positiv überrascht hat mich (oder auch nicht), dass ich auf direkter persönlicher Ebene fast ausschließlich positive Rückmeldung erhielt, sowohl per Mail als auch über Anrufe, Gespräche und SMS. Lediglich eine Person aus meinem Bekanntenkreis (sei gegrüßt, Frank) wendete sich mit „Die Blockade ist nicht zu rechtfertigen, aber ich akzeptiere Deine Meinung!“ an mich. Jetzt kann man mir natürlich vorwerfen, dass ich die falschen Leute kenne, aber auch damit kann ich leben.
Die Rückmeldung in den Kommentaren hier waren hingegen in der Mehrheit (2/3? 3/4? Egal…) negativ, auch das ist natürlich okay, dafür ist die Kommentar-Funktion ja auch da. Im Gegensatz zum Forum wurde aber hier in den Kommentaren fast ausschließlich ohne Beleidigungen und Bepöbelungen gearbeitet, sich konstruktiv mit dem Text auseinandergesetzt, auch dafür Danke. Ein besonderes Dankeschön daher stellvertretend für viele Kommentare (und auch beim ÜS eingegangene Leserbriefe!) hier an die Person hinter dem Nick „Ulli“; der sich für seinen Beitrag extrem viel Zeit genommen hat. Auch sein Kommentar im letzten Blog sei daher zur Meinungsbildung nochmal ausdrücklich empfohlen. Ebenso danke ich „ring2“ für ein sehr interessantes Telefonat, bei dem wir die unterschiedlichen Meinungen ebenfalls sachlich austauschen konnten. So sollte es unter Erwachsenen ja normalerweise auch möglich sein.

Zur Sache:
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass es bei der Aktion am Sonntag Fehler gab, die aufgearbeitet werden müssen. Aus meiner Sicht gab es zwei große Fehler, ohne die wahrscheinlich die jetzige Situation hätte vermieden werden können.Die Aussperrung der SitzplätzeMangelnde Kommunikation im VorfeldU.a. durch diese Fehler wurden dann leider auch Leute verprellt, die der eigentlichen Idee positiv gegenüber standen und stehen, sich an der Umsetzung aber störten. Auch dies ist schade und auch bei denen kann man sich entschuldigen bzw. versuchen die Gründe dafür darzulegen um wieder gemeinsam nach vorne blicken zu können. Ähnlich wie der FCSR bleibe ich (persönlich, subjektiv) aber bei der Überzeugung, dass ein Absperren einer gewissen Anzahl Plätze in einer Fankurve grundsätzlich ein völlig berechtigtes Mittel eines Fanprotestes ist. Dies gab es in der Vergangenheit schon oft und bei vielen Vereinen. Anzahl und Ort der Plätze sowie das Mittel der Umsetzung lasse ich bei dieser Aussage bewusst frei. Ich hoffe, zumindest hierbei besteht ein Konsens.
Die Frage ist jetzt, wie es im Einzelfall umzusetzen ist, (nur Teilsperrung, ausschließlich freiwillige Basis etc.) und hierbei wird es wahrscheinlich keinen Konsens geben, dass hat die Diskussion der letzten Tage gezeigt. Ich werde hier jetzt auch keine „Wenn man das so und so gelöst hätte…“ Debatte führen, denn das Kind liegt eh im Brunnen.Unstrittig auch: Wie auch immer dieses Absperren erfolgt, dürfen dadurch keine Personen zu Schaden kommen. Das von Sven aufgeführte Beispiel des älteren Herren ist natürlich schon ein Beispiel zu viel, so etwas hätte nicht passieren dürfen. Bei diesem Herren (und ggfs. weiteren Personen) muss aus meiner Sicht eine persönliche Entschuldigung seitens der „Verantwortlichen“ erfolgen. Hier sei aber auch nochmal erwähnt: „Verantwortlich“ war nicht USP alleine, da standen mehrere Gruppen dahinter, u.a. auch der Übersteiger.

Es gibt nach wie vor die zwei Ansichten:
A) Eine komplette Absperrung der Stehplatz-Bereiche in der Süd ist rechtens.
B) Nein, ist sie nicht.

Ganz ehrlich, mit bleibt da beim Blick in die Zukunft nur ein resignierendes Schulterzucken. Ich persönlich stehe nach wie vor, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind, zu Möglichkeit A).
Wer mir aufgrund dieser Meinung(!) aber jegliches Recht zur Diskussion abspricht, den werde ich in diesem Leben nicht mehr erreichen können, da ist der Graben dann offensichtlich zu tief.
Eine „Verurteilung der Blockade“, wie von einigen gefordert, wird es von mir (persönlich, subjektiv) nicht geben. Damit bin ich vielleicht nicht „Mehrheitsfähig“, aber genau das kann eben in einer Demokratie auch mal passieren und ich bitte zumindest darum, diese Meinung zu akzeptieren auch wenn man sie nicht teilt.
Erneut: Ich bestreite nicht, dass Fehler passiert sind. Auch Fehler, für die man sich entschuldigen muss. Nur: Viel von dem Wirbel, der jetzt im Nachhinein entstanden ist, mag zwar den Sonntag als Auslöser nehmen, liegt aber doch viel tiefer begründet. „Scheiß USP“-Rufe gab es auch schon am Sonntag von der Gegengeraden aus… von Leuten, die garantiert nicht alle über die Zustände in der Süd informiert waren, sondern denen es eine willkommene Gelegenheit war, mal wieder auf die verhassten Ultras einzuprügeln. Wer z.B. bei “Twitter” den “richtigen” Leuten folgt, konnte da schon am Sonntag morgen sehen, dass diese mit geschwilltem Kamm der Konfrontation mit USP entgegenfieberten und ihnen die sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema scheißegal war.
Auch viele Beiträge im Forum deuten darauf hin, dass hier in erster Linie alte Rechnungen mit USP beglichen werden sollen. Dies ist auch deswegen schade, weil es die (durchaus berechtigte) Kritik an dieser Aktion verwässert und unnötigerweise zu einem „USP vs. Rest des FC St.Pauli“ Kampfes verkommen lässt… und da springen eben beide Seiten schnell zurück in die bekannten Gräben. Auch hierbei schließe ich mich ausdrücklich ein, obwohl ich nicht zu USP gehöre, ihnen aber eben deutlich näher stehe als denen, die am Sonntag zu ebenso unglaublichen Handlungen kamen, wie von Sven beschrieben.

Hier half mir dann ein Gespräch, welches ich gestern mit dem Schweizer Journalisten Daniel Ryser führen durfte, der zu einer Reportage zufällig an diesem Wochenende beim FC St.Pauli zu Gast war und der die Vorfälle in der Süd auch selbst mitbekommen hatte. Sein erster Satz war: „Ich leide unter extremer Platzangst!“ und mir schwante Böses. Allerdings folgte als nächstes: „Aber das war überhaupt kein Problem am Sonntag, man konnte ja jederzeit der Enge da entfliehen.“ Das soll nicht heißen, dass es nicht eben auch solche Situationen gab, wie von Sven beschrieben. Nur waren diese eben nicht die Regel, sondern die Ausnahme, auch wenn natürlich jede Ausnahme eine zu viel ist.
Ansonsten äußerte er seine Begeisterung darüber, dass es bei St.Pauli so etwas wie einen Kampf um Fanrechte überhaupt noch gibt. Wobei er hier übrigens erstaunliche Übereinkunft mit Sergej Barbarez hatte, der beim Verlassen des Platzes, wo er zum sky-Interview war, mit Blick auf die leeren Süd-Plätze sagte: “Ich find das toll!”. Da muss man sich schon Zustimmung zu Fanrechten bei Schweizern und hsvern holen…
Daniel erzählte auch von seinen Gesprächen mit USP Mitgliedern, die er als „außergewöhnlich selbstkritisch und sich selbst reflektierend“ wahr nahm. Irritiert zeigte er sich hingegen von der Heftigkeit der Proteste im Internet am Tag danach, für die er keine Erklärung fand. Ebenso schilderte er von Fans in der Süd, die Zitate brachten wie „Jetzt dürfen die Nazis mal nicht zum Spiel und jetzt beschweren sich die Ultras auch noch darüber!“, um im nächsten Satz USP selbst in Zusammenhang mit dem Dritten Reich zu bringen, was auch bei ihm nur erstauntes Kopfschütteln brachte.
Wie schon eingangs erwähnt, auch noch ein Wort zum Zitat unseres Präsidenten, welcher am Montag verlautbaren ließ: „Es handelt sich zweifelsohne um Nötigung und wir werden überprüfen, inwieweit es sich um den Tatbestand der Freiheitsberaubung handelt.“. Man kann ja gerne mal beide Begriffe (Nötigung und Freiheitsberaubung) bei Wikipedia eingeben und wird schnell erkennen, dass letzteres im juristischen Sinne geradezu lächerlich grotesk ist, da es sich um eine Blockade und nicht um ein Einsperren handelt. Ersteres (Nötigung) ist hingegen bei Blockaden juristisch mehr als umstritten, von daher ist sein „zweifelsohne“ mal wieder mit Vorsicht zu genießen und ich bin jetzt schon sehr gespannt, wie viele Prozesse der Verein denn diesbezüglich tatsächlich anstrengen und dann auch mit einer Verurteilung abschließen wird. Aber die öffentliche Wirkung hatte er natürlich mit dieser Äußerung zunächst und mehr war wohl auch nicht beabsichtigt. (Ist ja auch sein gutes Recht, keine Frage, das Spiel auf der Medienklaviatur beherrscht er.)

Interessant wäre sicher die Beantwortung folgender Frage: Wie viele Süd-Stehplatzbesucher hielten die Blockade am Sonntag für absolut unrechtmäßig und wollten sich ihr widersetzen?
Leider wird es dazu keine verbindliche Antwort geben, ich glaube aber schon, dass die absolut überwiegende Mehrheit der Stehplatz-Besucher diese Absperrung an dem Tag ertragen hätte. Sicher nicht alle, und im Zusammenhang mit den ebenfalls ausgesperrten Sitzplätzen hat genau das dann auch zu den Problemen geführt. Ich schmeiß jetzt mal die Zahl 150-200 in den Raum, also knapp 10% der Süd-Stehplatz-Besucher. Kann ich ebenso wenig belegen, wie man es mir widerlegen kann, insbesondere, da ja auch die Sitzplatz-Besucher noch dazukommen. Trotzdem entspricht dies meiner gefühlten Temperatur, aus den selbst erlebten Gesprächen in der Situation vorm Anpfiff in und vor der Süd, sowie den Gesprächen danach.

Und damit sind wir dann auch wieder bei der Frage, ob die Aussperrung dieser Fans gegen ihren Willen berechtigt war oder nicht… womit wir wieder bei den zwei oben angeführten Meinungen sind, die sich nicht vereinbaren lassen werden.

Es wird in den nächsten Tagen sicher noch Stellungnahmen und hoffentlich auch Gespräche geben, deren Ausgang man sicher gespannt erwarten darf. // Frodo

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