Freundschaftsspiel, 15.08.2012:
Schweden – Brasilien 0:3 (0:1)
Tore: 0:1 Leandro Damiao (32.), 0:2 Pato (84.), 0:3 Pato (86., Foulelfmeter)
Zuschauer: 32.781
Ich befand mich am Mittwoch und Donnerstag auf Dienstreise in Stockholm. Wie immer vor solchen Reisen habe ich den Kicker-Matchkalender bemüht, um zu gucken ob es irgendwas lohnendes in Sachen Fußball (oder Handball, Basketball, Eishockey…) gibt. Mit dem Spiel der 1.Damen-Mannschaft von Djurgarden war ich zwar nicht restlos begeistert, aber Groundpoint ist Groundpoint und Champions League / Europa League ist eben erst nächste Woche. Was ich nicht bedacht hatte: Im besagten Matchkalender standen zum Zeitpunkt meiner Suche nur Pflichtspiele.
Beim Mittagsplausch mit der Kollegin deutete ich dann die Überlegung zwischen im Hotel erkältungsbedingt in die Wanne legen und dem Besuch des Frauenfußballspiels an und sie stutzte. “Ja… aber weißt Du denn nicht, dass heute Abend das allerletzte Spiel im Rasunda-Stadion stattfindet, ehe es abgerissen wird? Schweden spielt gegen Brasilien!”
Wumms, der hatte gesessen. So eine amateurhafte Vorbereitung meinerseits.
Zurück im Büro die Seite des schwedischen Fußballverbands aufgesucht und siehe da: Es gab noch Tickets. Nachdem aufgrund des in Deutschland vergessenen Stromkabels just in dem Moment mein Laptop abrauschte, als ich den CVC-Code der Kreditkarte eingegeben hatte, kurz Schnappatmung bekommen, aber das ließ sich dann auch noch beheben und schließlich befand ich mich eine Stunde vor Anpfiff in Solna, einer Gemeinde etwas nördlich des Stadtzentrums von Stockholm, und vor dem altehrwürdigen Rasunda-Stadion.
Für umgerechnet ca. 50,-€ (und das war die zweitgünstigste Kategorie) befand ich mich also auf einem Kurvensitzplatz im mittleren Bereich, recht weit außen und besah mir das Spektakel. Mit Fußball hatte der Abend eher wenig zu tun, es erinnerte eher an eine große Kirmessause.
Man hatte die Endspielteams der WM 1958 zu diesem letzten Spiel eingeladen, das Finale damals war sicher das Highlight in der Geschichte dieses Stadions, in dem bis jetzt neben den Heimspielen der Nationalmannschaft noch der AIK Solna seine Spiele austrug, sowie (lt. Wikipedia) die Stockholmer Stadtderbys der ersten Liga stattfanden.
Von beiden Teams war eine knapp zweistellige Delegation vertreten, und während die Brasilianer allesamt mit stolzgeschwellter Brust herumstanden und fröhlich in die Gegend grüßten, überwogen bei den Schweden Rollatoren und Rollstühle.
Den Vogel schoß natürlich jener Mann ab, dessen Stern bei eben jener WM aufgegangen war und von dem eine Bekannte einmal sagte: “Na, dieser weltbekannte südafrikanische Fußballer… wie heisst der noch gleich… dieser Pelle!”
Ja, Edson Arantes do Nascimento war auch vor Ort, und nachdem der (ohnehin ständig ekstatisch ins Mikro kreischende) Stadionsprecher ihn vorgestellt hatte, brandete nicht nur ein riesiger Jubel auf, sondern Pelé lief auch erst mal spontan eine Ehrenrunde und war dann auch der einzige Brasilianer, der das Interview auf Englisch bestritt. Am Ende lud er selbstverständlich alle Schweden zur WM 2014 und Olympia 2016 ein, wobei er die Reisekosten und Unterbringung nicht erwähnte. Auf jeden Fall musste man den Eindruck gewinnen, die Schweden haben Pelé irgendwann adoptiert, denn bei jeder Erwähnung seines Namens oder Einblendung auf der Anzeigetafel herrschte Kreischalarm.
Nachdem dann die wohl unvermeidbare Sambatruppe übers Feld getänzelt war, liefen dann endlich die Mannschaften ein und die Nationalhymnen sollten gespielt werden. Und siehe da: Mein ganz persönlicher Kreischmoment folgte, denn Hendrik “Henke” Larsson war ebenfalls vor Ort und wurde (wie auch einige andere ehemalige Schwedische Nationalspieler) bei diesem letzten Spiel im Rasunda geehrt. Mangels schwedischer Sprachkenntnisse muss ich den Grund dafür leider offen lassen, war mir aber auch egal. Nachdem ich das Treiben bis dahin eher gelangweilt über mich hatte ergehen lassen, klatschte ich nun fast ebenso frenetisch, wie vorher die um mich rum sitzenden es bei Pelé und der Sambatruppe gemacht hatten, was mir irritierte Blicke meiner Sitznachbarn einbrachte.
Den Anstoß durfte dann selbstverständlich nochmal Pelé höchstselbst ausführen.
Schweden: 1 Andreas Isaksson – 7 Sebastian Larsson, 4 Andreas Granqvist, 3 Jonas Olsson, 5 Behrang Safari – 16 Pontus Wernbloom, 18 Samuel Holmén – 6 Rasmus Elm, 11 Ola Toivonen, 21 Christian Wilhelmsson – 20 Marcus Berg
Brasilien: 1 Gabriel – 2 Daniel Alves, 3 Thiago Silva, 4 David Luiz, 6 Alex Sandro – 7 Ramires, 8 Paulinho, 5 Romulo, 10 Oscar – 9 Leandro Damiao, 11 Neymar
Auch wenn Brasilien durchaus mit einer ernsthaften ersten Elf angetreten war, musste ich doch schnell folgenden Twitter-Dialog bestätigen:
@deruebersteiger Du gehst zu den Harlem Globetrotter des Fussballs? Und das als St.Pauli Fan? 🙂
— Thomas (@Aimar_HH) August 15, 2012
Die Brasilianer spielten eine extrem nervige Version von “Hacke, Spitze, eins, zwei, drei” und schon nach wenigen Minuten hoffte ich nur noch, dass die schwedischen Verteidiger endlich mal die Keule auspacken um zeigen, dass das hier kein Kinderfasching ist.
Leider umsonst gehofft.
Das es um das Publikum kaum besser bestellt war als um den Stadionsprecher, zeigte sich auch schnell, viele waren offensichtlich eben nur wegen der Folklore gekommen. Bei jedem Ballkontakt von Neymar kreischten die weiblichen Teenies um die Wette, bei jedem der (wie erwähnt zahlreichen und oft brotlosen) Kabinettstückchen ging ein “Oooooooooh” durch die Ränge, wie man es sonst nur aus dem Zirkus kennt.
Als Brasilien dann ein Tor erzielte, welches ganz offensichtlich Abseits war und vom Schiedsrichter auch deutlich als solches identifiziert wurde, feierte meine Sitznachbarin mit der Brasilien-Fahne noch minutenlang wild auf und ab hüpfend, bis sie dann zehn Minuten später irritiert auf die Anzeigentafel deutete und ihren Partner irgendwas fragte.
Für mich neu war hingegen die interaktive Nutzung der Anzeigetafel, denn neben der fragwürdigen Foulstatistik inkl. Einblendung des jeweiligen Verursachers wurden auch alle 15 Minuten die aktuellen Live-Wettquoten zum Spiel eingeblendet. Dies hatte ich so bisher noch nirgends gesehen.
Der Rest war dann Kirmes, Schweden haute nicht entschieden genug dazwischen und nutzte die wenigen Chancen nicht konsequent genug. Brasilien bekam kurz vor Schluß noch ein Tor, welches aus meiner Sicht eher Abseits war, sowie einen schmeichelhaften Elfmeter, bevor das Rasunda dann seinen letzten Abpfiff erlebte.
Ein Stadion, welches vom Komfort und sonstigen Gegebenheiten ganz sicher nicht dem modernen Standard entspricht, allerdings durchaus Charme und “Stadionatmosphäre” hatte, in dem man dank der Architektur innerhalb des Stadions auch immer wissen würde, in welchem Stadion man sich denn grade befindet, was in den Einheitsarenen der letzten Jahre ja zunehmend schwieriger wird..
Ab Oktober wird dann die neue “Friends Arena” eingeweiht, die sich ebenfalls in Solna befindet. Mach’s gut, Rasunda! // Frodo