von Christoph
Birmingham ist mit 1,2 Millionen Einwohnern Englands zweitgrößte Stadt und damit ein Anker in dem Midlands der Insel. Beheimatet sind dort gleich drei große Fußballclubs: Birmingham City, Aston Villa und West Bromwich Albion. Mit den Wanderers aus der Nachbarstadt Wolverhampton und Coventry City gesellen sich zwei weitere namhafte Teams in der unmittelbaren Nähe dazu und sorgen für einige regionale, interessante Begegnungen. Als die beiden erbittertsten Begegnungen gelten Aston Villa gegen Birmingham City und Wolverhampton Wanderers gegen West Bromwich Albion. Aber auch die anderen verbleibenden Derbys haben es in sich. Nur das Aufeinandertreffen zwischen City und Albion gilt eher als „friendly Derby“.
Die Region um Birmingham und Wolverhampton, einst stolze Bergbau- und Metallindustriegegend, befindet sich, vergleichbar mit dem deutschen Ruhrgebiet, nach dem Niedergang der verarbeitenden Industrie in einer strukturellen und damit schweren Findungsphase. An Bedeutung gewonnen hat auch hier der Finanzdienstleistungssektor und Tourismus. Er kann das entstandene Vakuum aber nicht vollständig stopfen. Der Region geht es nicht gerade rosig, auch wenn die Innenstadt von Birmingham mit ihrem neuen Bahnhof und den Einkaufszentren sich alten Glanz erarbeitet. Leider macht sich das auch für die ansässigen Vereine bemerkbar. Auch hier sind alle vier Clubs auf der Suche nach Stabilität.
Birmingham City, auch „The Bluesnoses“ genannt, machte im Jahre 2014 Schlagzeilen, als sie nach schwachem Saisonstart auf dem vorletzten Platz der zweiten Liga (Championship) stehend zu Hause gegen Bournemouth mit 0:8 verloren. Trainer Lee Clark wurde entlassen, die Spieler wirkten sichtbar lustlos und verunsichert. Die Vereinsschatullen waren leer. Seitdem Geschäftsmann Carsen Yeung aus Hongkong mit seiner Firma 29% Prozent der Clubaktien aufkaufte plagt sich der Club mit heftigen Turbulenzen herum. Carsen Yeung wurde nämlich 2011 wegen angeblicher Geldwäsche verhaftet, was sich unmittelbar auf die Finanzen des Vereins auswirkte. Birmingham wurde in den Jahren danach teilweise mit Transferverboten belegt. Es drohte sogar die Liquidation durch die Football League, dem zuständigen Verband für die Ligen Zwei bis Vier. Der Supporters Trust der Blauen tat alles, um zumindest Teile des Vereins, nämlich das Grundstück samt Stadion zu retten: Sie schafften es 2013 gemeinsam mit den örtlichen Behörden das Grundstück samt Stadion zu einem (übersetzt) „Vermögensgemeinschaftswert“ zu deklarieren. Werte, die das soziale Wohlergehen und soziale Interessen der örtlichen Gemeinschaft fördern und somit nicht so einfach verkauft oder anderweitig genutzt werden können.
Umso erstaunlicher gelang Birmingham City der Sieg im League Cup Final gegen den FC Arsenal im Jahre 2011, obwohl sie in jener Saison gleichzeitig aus der Premierleague abstiegen. Kapital vermochten sie daraus nicht zu schlagen. Als Zweitligist hielten sie sich zwar achtbar, überstanden die Europaleague- Gruppenphase gegen Braga, Maribor und FC Brügge aber nicht. Immerhin war es die erste Teilnahme an einem Internationalen Wettbewerb nach fünfzig Jahren. In den vergangenen Jahren hielten sie sich überwiegend in der Championship League auf, der Abstieg in die Football League One, der dritten englischen Liga, konnte aber 2013 nur so gerade eben vermieden werden. Dabei ließen die Machenschaften der Vereinsoberen die sowieso nicht mehr übermäßig zahlreichen Fans regelmäßig verzweifeln.
Doch konnte der Club nach dem schlechten Saisonstart in 2014 den als hoffnungsvoll geltenden Nachwuchstrainer Gary Rowett für sich gewinnen, der obendrein von 1998 bis 2000 seine Fußballschuhe im St. Andrews schnürte. Das weckte auch bei den Fans neue Hoffnung. Seiher geht es in Birmingham für die Citizens tatsächlich stetig nach oben. Momentan kratzt man sogar an den Relegationsplätzen für die Premier League. Rowett, der mit einem ziemlich geringen Budget auskommen muss, gilt auch deswegen als einer der besten Trainer der zweiten englischen Liga.
Wolverhampton Wanderers –Birmingham City 0:0, 01. November 2014, 25.000 Zuschauer
In jener schlechten Zeit besuchte ich Ende Oktober 2014 das Derby der Bluesnoses bei den Wolverhampton Wanderers. Ebenfalls ein Club, dessen Erfolge schon weit zurück liegen. In den fünfziger Jahren gelangen dem Gründungsmitglied der englischen Football League gleich drei englische Meisterschaften. Danach folgten durchschnittliche bis schlechte Jahre bis die „Wolves“ (die Wölfe) sogar 1986 Bankrott gingen und komplett unter dem Namen „Wolverhampton Wanderers F.C. (1986) Limited“ neu gegründet wurden. Seither wird in der ehemaligen Industriestadt offensichtlich besser gewirtschaftet. Konnten die Schwarz- Goldenen seitdem sogar zweimal in die Premier League aufsteigen. Trotzdem gab es in der Saison 2012/13 einen kleinen Betriebsunfall, nämlich den Abstieg in die 3. Liga, der aber postwendend repariert werden konnte. Die Fans der Wolves gelten als treu und mitunter stimmungsvoll. So waren wir gespannt, was uns nach der kurzen, aber vollen Zugfahrt von Birmingham in die Nachbarstadt erwartete. Unsere Begleitung Chris Sanderson, Birmingham City- sowie St. Pauli Fan und Mitglied der Birmingham Boys in Brown, „wäre mit einem guten Spiel seiner Mannschaft und einem Unentschieden nach der schwierigen Zeit mehr als zufrieden“, erklärte er uns auf dem Weg zum Stadion. Ein paar Tage vorher klang das in diversen ausgetauschten Mails noch anders: „Sie haben vor Jahren unseren Clubbesitzer verhaftet, unser Club ist chronisch klamm, der Verband hat uns mit Strafen belegt, jetzt stehen wir auf einem Abstiegsrang und haben keinen Trainer mehr. Wir sind verzweifelt! Es muss dringend etwas passieren!“
Durch die hügelige Topographie Wolverhamptons hat man vom Bahnhof kommend einen guten Blick ins Molineux, der heute 30.000 Zuschauer fassenden Heimstätte der Wolves. Vor dem Umbau Anfang der Neunziger kamen regelmäßig bis zu 50.000 Fans in das bullig wirkende Stadion. Wer, wie wir, stehen und so etwas wie Stimmung erleben möchte, ist im Heimbereich auf dem Sir Jack Hayward Stand gut aufgehoben. Von dort hat man den besten Blick auf den Unterrang des Steve Bull Stand, der bei großem Fanaufkommen komplett als Gästebereich genutzt wird. Normalerwiese werden die auswärtigen Fans in der Ecke der gegenüberliegenden Tribüne untergebracht, die Fans aus „Brum“ (Birmingham) heute eben nicht. So steht gegenseitigen Verwünschungen und Beleidigungen nur ein Zaun im Wege. Die Stimmung war für ein Derby recht gut, auch die Gäste wagten sich aufgrund einer besseren Leistung auf dem Platz gesangstechnisch aus der Deckung. Vorher wurde, wie immer um diese Jahreszeit, mit irgendeinem Trompetensolo den gefallenen britischen Soldaten gedacht. Eine Zeremonie, die wir schon häufig erlebt haben, an die wir uns aber nie gewöhnen werden. Man stelle sich mal in Deutschland – und im speziellen bei St. Pauli – neben dem Stadion parkende Militärfahrzeuge mit anschließendem Einmarsch auf den Platz vor. Kann man nicht!
Das Spiel endete 0:0. Die Blauen waren damit ganz zufrieden. Die Fans der Wolves wurden nun zum Ende hin des Spiels deutlich herausfordernder und schmissen diverse Gegenstände bis hin zu mit gelber und dreckiger Flüssigkeit gefüllten Plastikflaschen in Richtung des Rivalen. Irgendwann beruhigte sich die Lage aber wieder. Auf dem Weg zurück zum Stadion wurden die Brummies diesmal mit einem Polizeiaufgebot begleitet, waren jetzt doch diverse Rennereien und kleine Scharmützel zu beobachten. Nachdem wir Chris wiedergetroffen hatten, waren wir im Nu wieder im Zug. Irgendwie ist es ja doch fast überall in England so, dass die Besucher zum und vom Stadion regelrecht hetzen, als wäre man besonders ungern dort. Daran werde ich mich nie gewöhnen! Eigentlich in Aussicht auf ein gutes Essen in der Innenstadt von Birmingham landeten wir mit Chris und einem zwischenzeitlich dazugekommenen weiteren St. Pauli Fan aus Birmingham im Stadtbekannten Wellington Pub und kompensierten den Hunger landestypisch „auf die Schnelle“ mit ein paar Gläsern Flüssignahrung. Am nächsten Tag wartete dann Aston Villa auf uns. Dazu dann im zweiten Teil mehr.
Birmingham City- Tottenham Hotspur 1:1, 04. Dezember 2010, 25.700 Zuschauer
Das St. Andrews, Heimstätte von Birmingham City seit dem Jahre 1905 mit derzeit 30.000 Plätzen, besuchte ich beim Spiel gegen Tottenham Hotspur im Jahr 2010. Den Namen verdankt das Stadion der benachbarten Kirchengemeinde St. Andrews, dessen Kirchturm hinter der alten, erhaltenen Haupttribüne, hervorsticht. Auf dem Weg zum Stadion sind ein paar Höhemeter zu überwinden. Es sei denn man fährt mit dem Bus dorthin. Direkt am Bahnhof Bordesley, den man aus der Stadt von der Station Snow Hill erreicht, führte der Weg an einem Heimpub vorbei in und vor dem sich die für Gästefans eher unfreundlichen Genossen aufhalten. Deswegen genehmigen sich die Gästefans meist in der Innenstadt von Birmingham bereits ihr Pre-Match Bier und verhalten sich am Stadion weitestgehend unauffällig. Schließlich trieb früher eine bekannte Schlagkräftige Truppe namens „Zoulus“ dort ihr Unwesen.
Die beiden Teams trennten sich damals 1:1, obwohl nominell die Londoner u.a. mit Garet Bale, Luca Modric und Jermain Defoe als das Stärkere in die Midlands kam. In Folge dessen war auch die Stimmung beider Seiten dem nicht gerade aufregenden Spielverlauf angepasst. Lediglich mit ihrer Hymne konnten sich die Blues Fans auf sich aufmerksam machen: Keep right on at the end oft he road! Klingt wirklich gut, ist aber (typisch England) eine Hommage an einen gefallenen Soldaten. Tottenham machte, wie so oft, mehr im Inneren der Tribüne Alarm als im Gästesektor des Railway Stands. Immerhin war er mit rund 2500 Mitgereisten gut besucht.
Zuende ging der Nachmittag damals bei Ska und Bier mit einigen der Birmingham Boys in Brown in einem coolen Pub in der Innenstadt, bevor ich in den Genuss des größten, deutschen Weihnachtsmarktes außerhalb Deutschlands in der City of Birmingham kam: German Bratwurst und „Gluehwine“ untermalt von „heimatlichem“ Liedgut: Die Engländer waren (und sind) verrückt danach. Der Markt muss sich nicht vor den Hiesigen verstecken. Es lassen sich dort nicht nur die gleichen Buden und Fahrgeschäfte finden, sondern auch das komplette kulinarische Angebot. Der Weihnachtsmarkt hat sich bis heute tatsächlich etabliert. // Christoph
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