(Dieser Text erschien erstmals im Print-Übersteiger #121, 16.August 2015.)
von Thees Uhlmann
Meine Tochter findet St Pauli kacke. Das finde ich gut. Das hat St. Pauli nicht exklusiv.
Andere Sachen, die meine Tochter auch noch kacke findet:
- Jungs (YES!)
- Meine Musik (Genau, wie Dicken von Slime)
- Tomaten
- Hippies (ok, »Hippies« wird zu Hause, als Schimpfwort für ALLES benutzt, was schief läuft)
- Verbote jedweder Art (auch wie Dicken).
Ich trug mal ein St. Pauli-Trikot in Berlin und meine Tochter, 2. Klasse, versuchte einmal den Schriftzug des Wappens vorzulesen: FC St. Pauli.
Kann nicht so schwer sein, denkt man sich, aber da die ersten Jahren der Grundschule noch unter dem Motto »Suche den Vokal« laufen und bei FC eben einfach keiner ist, machte sie aus FC einfach »Fuck St. Pauli«. Auf meine Anregung, dass das so nicht gehen würde, meinte sie: »Aber das steht da doch: FUCK St. Pauli!«.
Das HSV-Falke-Leg meines Freundeskreises, dem ich dieses All-Time-Low meiner Erziehung direkt mitteilen musste, war hingerissen.
Nein, meine Tochter findet St. Pauli nur aus zwei Gründen doof.
1.) St. Pauli ist der Grund, warum der Altvordere keine Zeit hat, weg ist, oder schlechte Laune hat. Oder
2.), weil sie das eben gut findet, Sachen kacke zu finden, die ich gut finde. Vatermord, auf die Nerven gehen, Loslösung – die ganze Nummer. Sie verstehen.
Doch es begab sich eine kleine Erschütterung in ihrem Weltbild.
Ich verbringe meine Samstage fast immer damit, meiner Tochter beizuwohnen, wie sie auf alten Kleppern, vor den Toren Berlins, versucht reiten zu lernen.
Der Anpfiff für das Reittraining ist simultan mit dem Anpfiff zu den Samstagsspielen der zweiten Fußballbundesliga. Also sieht ein ganz normaler Samstag an dem St. Pauli spielt für mich so aus, dass ich mit dem linken Ohr Gesprächen mit anderen Pferdemüttern beiwohne (die immer sehr nett sind), mit den Augen auf meine Tochter glotze und mit meinen Daumen signalisiere, wie super ich das alles finde und erstaunt bin, wie gut das schon alles klappt und mit dem rechten Ohr dort einen Knopf halte über den krachend laut das AFM Radio läuft.
(Und wie immer, wenn ich das AFM-Radio erwähne, von hier aus einen riesigen, fundamentalen Dank, für all die Mühen die ihr auf euch nehmt.)
Wie sich alle sicher erinnern und vorstellen können, waren auf meinem rechten Ohr in der letzten Saison Trauer, Verzweiflung, Kopfschütteln, Agonie und Frustration die Gefühle, die sich zwischen Amboss, Steigbügel und Hammer die Hände reichten.
Im Frühjahr merkte sogar meine Tochter, gegen ihre natürlichen Instinkte, dass die Sache mit meinem geliebten Fussballverein ernst wurde.
»Warum hast du so schlechte Laune?«
»St. Pauli!«
»Warum siehst du so traurig aus?«
»St. Pauli!«
»Warum bist du immer auf dieser Internet Seite mit dem großen, weissen „K“ auf rotem Grund und guckst diese ganzen Zahlen an?«
»St. Pauli!«
»Und warum hast du die ganze Zeit »St. Pauli« T-Shirts an, obwohl die immer verlieren?«
»St. Pauli!«
(Da kann man sich ja noch nicht mal selbst verstehen, wenn man den Scheiß jetzt liest!)
»Wir steigen ab, Mädchen. Wir steigen einfach ab!«
»Was ist absteigen, Papa? Erklärst du mir das?«
»Oh guck mal ein Einhorn!«
»Wo?«
Manche Sachen kann und möchte man auch einfach nicht erklären.
Hinter dem Paddock (das ist das, wo die Pferde eingezäunt durch die Gegend laufen), beim Nachbarn, weht aus irgendeinem Grund, eine St. Pauli-Fahne, neben einer Fahne der Sansibar von Sylt. Das muss man sich mal vorstellen: Sylt neben St. Pauli. Wenn das der HSV-Falke-Leg meines Freundeskreises wüsste…
Und dann kam der 09. Mai 2015. Ohne einen Funken Freude, Fun und der Hoffnung auf fragiles Fortune stopfte ich mir beim Reiten meinen Knopf ins Ohr. Auswärts beim designierten Aufsteiger. Das ist inzwischen sogar in Ordnung, wenn ich auf dem Reitplatz: »JA!« schreie. Alle wissen um meine psychische Erkrankung. Der Rest ist Bangen am Eingang zur Hölle der Teufel.
Dann die 47. Minute. TOR. KALLA! Wenigstens die Freude einer Führung.
Man muss demütig sein.
Doch dann. 55. Minute! ELFMETER! TOR! HALSTENBERG! (Was ich in meinem Kopf immer mit dem Wort »Krupunder« vervollständige.) Ein nicht geahntes, fast unbekanntes Gefühl. 3:2 in der 92.Minute würde keinen überraschen. Doch wir halten das Ding.
Wie Totilas galoppiere ich entlang des Reitplatzes.
Meine Tochter reitet an mir vorbei und wundert sich. Ich rufe ihr zu:
»Kurze, St. Pauli hat gewonnen. Bei einer Mannschaft, die wir sonst niemals schlagen würden. Vielleicht steigen wir doch nicht ab.«
Und am Hals des riesigen Pferdes ballt sich eine kleine Faust in der Größe eines Tennisballs zusammen und ein achtjähriges Mädchen ruft laut: »JA!« und guckt mich strahlend an.
There´s always Hope!
Der dümmste Fuchs der Welt.
Und dann kam der letzte Spieltag. Es war mir alles scheiss egal. Ich konnte noch nicht mal mehr »SANKT Pauli! Soviel Zeit muss sein.« sagen, wenn irgendjemand von diesem Pauli gesprochen hat. Man hat ja für so was überhaupt keine Zeit mehr, wenn man die ganze Zeit als Agnostiker am beten ist.
Wie die Idioten schrieben Rainer und ich uns jeden Tag SMS, wenn es 19 Uhr 10 war, mit dem Inhalt »1910«.
Ich erfuhr auch keine Freude darüber, dass es dem Vizestadtmeister ähnlich schlecht ging, wie uns. Warum soll man auch Kraft daraus schöpfen, wenn man sagt: »Oh guck mal: Meinem reichen Cousin geht es auch nicht gut.« Das macht Karma-mässig keinen Sinn für mich.
Der Tag war geplant wie ein Angriffskrieg für Zivildienstleistende. Erst reiten gehen, danach eine halbe Stunde dass richtige Outfit auswählen, Böklunder Trikot, 120% Polyester und Histamine bei 30 Grad in der Astra Stube. Das schafft kein Mensch.
Also verlasse ich mich auf die menschenvereinende Geilheit der Internationalität und entscheide mich für das »East River Side Pirates«-TShirt der St. Pauli Fans von NYC (Grüße von hier aus!!!).
Ich bahne mir meinen Weg durch den Karneval der Kulturen in Kreuzberg. Für nicht Kenner, das ist als ob Relegation, Harley Days und Kirchentag auf einen Tag in die Hein-Hoyer-Strasse einfallen. Ich befinde mich inzwischen im höchsten Zustand der Fußball Katharsis. Ich gehe durch das bunte Treiben in einer braun-weissen Blase, die mein Gehirn abschirmt, von den krachend lauten Ethno Beats und 500.000 Menschen, die gefühlt alle sagen: »Eh, Keule, wat drängelste denn hier so rum, ick hol gleich meine Atze!«
45 Minuten vor Spielbeginn berstet die Astra Stube schon aus allen Nähten. »Heute bin ich ein Fuchs! HEUTE BIN ICH EIN FUCHS!«, denke ich mir und bestelle nicht das Bier aus dem Zapfhahn, dass eh gleich wieder leer ist, sondern ich bestelle mir 1-Liter-Flaschen San Miguel. Mit diesem coolen, kleinen Gläsern. Eiskalt. »Kleine Gläser. Da trinkt man weniger. Die sind ja kleiner!«.
Ich lag schon häufig falsch in meinem Leben, aber noch nicht so falsch wie heute. Vor Spielbeginn schon die erste Flasche weg. »Bevor sie warm wird.«, denk ich mir. Dann zack, zwei und drei. Die Spiele des letzten Spieltages laufen. Neben mir sitzt einer von der Hamburger Botschaft in Berlin und guckt mit dem einen Auge auf den Fernseher und mit dem anderen auf seinem Handy, die Konferenz der anderen Vereine.
Tor für Darmstadt.
Ich denke nur noch: »Blinddarmstadt« und ob die eine Städtepartnerschaft mit POtsdam haben. Den ganz normalen Scheiss, den man eben denkt, wenn man fast abgestiegen ist.
Aber es kam wie es kommen sollte.
St. Pauli steigt nicht ab.
Ich umarme meinen Wirt. Was mir als erstes einfällt ist, dass ich gerne als 3. Ligist in der Astra Stube gemeinsames AFM-Radio hören gemacht hätte. Mit 100 Leuten Radio hören. Das wäre doch mal was.
Das zweite, was ich denke ist: »YEEEEAAAAAÖÖÖÖÖÖHHHHHHHH!«
Hysterisches Lachen. Umarmen. Leuten freudig auf den Oberarm schlagen und darauf freuen, wenn die zurückschlagen. Noch ein Bier und »nuuuuur eiiiiiin Schnaps!«.
Ich kontaktiere das HSV-Falke-Leg meines Freundeskreises und rufe »nuooooooooooodähoooooaaaaaesvau!« in mein Telefon und lache hysterisch ermattet.
Bahne mir reichlich schwankend den Weg nach Hause und lege die wahrscheinlich doppelte Distanz zurück, die es eigentlich braucht.
Wenn ich koksen würde, denke ich, würde ich heute die ganze Zeit sagen:
»Ich leg mir noch mal eine Lienen!«.
Ich erzähle Kioskverkäuferinnnen davon, dass mein Verein nicht abgestiegen ist.
Ich kaufe mir noch Bier für zuhause. Finde eine Flasche Weißwein im Kühlschrank. Setze mich in die Küche und gucke mir im Internet jeden Schnippsel an, den ich über Heute und Früher finde, der irgendwas mit meinem Verein zu tun hat.
Ich sehe meinen Präsi, wie er über das Spielfeld öddelt. Ich sehe meinen Trainer, wie er wie eine Mischung aus Adorno und »Kevin allein zu Haus« die Interviewfragen beantwortet. Ich bin frohleichtert.
Das war alles nicht glamourös. Das war auch nicht cool. Das war am Rande von etwas ganz Schlimmen. Aber wir haben das gepackt. Und danach kam die schönste Sommerpause von allen Spielzeiten, an die ich mich erinnern kann.
Ich bin Fußball-Fan. Ich mach das so. // Thees
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