Abschied vom Boleyn Ground – Frühjahrstour in London

Die Haupttribüne des Boleyn Ground

West Ham United – Tottenham Hotspur 1:0, 02.März 2016

In diesem Jahr gilt es mal wieder Abschied von einem traditionsreichen Stadion zu nehmen. Diesmal ist der alt ehrwürdige Boleyn Ground, so der eigentliche, richtige Name des Stadions von West Ham United dran. Manche nennen ihn aber auch Upton Park. Einfach abgerissen wird das inmitten eines Wohnviertels im Londoner East End liegende 1904 erbaute Stadion. Ein Jammer! Entstehen werden dort bis zum Jahre 2018 ein neues Wohngebiet mit rund 800 Wohnungen, Geschäften und Freizeiteinrichtungen. Angeblich sollen von den 800 Wohnungen sogar fünfundzwanzig Prozent „bezahlbar“ werden. Auch gibt es Initiativen im Stadtteil, die für eine Bereitstellung von sozialen Einrichtungen und Projekten kämpfen.

West Ham United, seit rund sechs Jahren im Mehrheitsbesitz der beiden schwerreichen Eigentümer David Sullivan und David Gold (der Waliser Sullivan kam vor allen Dingen in der Pornobranche zu seinem Reichtum und ist seit jeher West Ham Fan), möchte expandieren. Anders kann man das nicht nennen. Sie bewarben sich erfolgreich um die Nachnutzung des neu erbauten Olympiastadions in im Stadtteil Stratford gelegenen Queen Elisabeth Olympiapark, welches zur neuen Saison 2016/17 nach umfangreichen Umbaumaßnahmen als Heimstätte der Hammers eröffnet wird. Rund 60.000 Zuschauer wird die neue Heimstätte dann fassen und damit jede Menge neue und mehr Besucher als bisher im lediglich knapp 36.000 Personen fassenden Boleyn Ground anziehen. Ob und wie West Ham United als ein Stadtteilverein das ganze verkraftet und welche Auswirkungen die Größe der Schüssel auf die schon oft eher maue Stimmung im alten Ground hat, kann man sich ja ausmalen. Ich bin auf jeden Fall gespannt. Was garantiert fehlt, ist die traditionelle Umgebung des, sagen wir mal, nicht ganz so hübschen aber charakteristischen Londoner East End. Jeder an England interessierte Fußballfan kennt den Namen Green Street mit seinen Pubs und Flächen aus zahlreichen Publikationen, die über diesen Traditionsverein veröffentlicht wurden. Alles ist dort wie früher: Halb verfallene Reihenhäuser direkt gegenüber dem Stadion. Der samstägliche, pakistanisch / indische Markt auf der Freifläche des hässlichen sechziger Jahre Gebäudeensembles. Das Queens, der an für Raufereien strategisch günstiger Stelle gelegene Pub. Immer wieder erwähnt in allen einschlägigen Hooligan Büchern und wo man bis vor kurzem auch mal ein Bierchen mit Hooligan Legende Cass Pennant trinken konnte. Hinter dem Stadion auf der linken Seite der große Boleyn Pub, in dem auch mal bei guter Laune mit Bier gesudelt wird. Wenn Millwall kam, wurden die Fenster mit Brettern gesichert. Am Ende der Straße auf der Insel des Kreisverkehrs die Statue, die Bobby Moore in Jubelpose mit den Mannschaftskollegen Hurst, Peters und Wilson zeigt. Eines DER Fotomotive für Groundhopper am Boleyn Ground aus aller Welt. Die Green Street selbst, die durch die zahlreichen Besucher vor und nach dem Spiel heillos verstopft ist und auf dem schmalen Gehweg von den vielen typischen Fanartikelständen gesäumt wird.

Im Gegensatz dazu führt demnächst der Weg von der Stratford Bahnstation durch eine leblose Betonwüste zum Stadion. Das Boleyn versucht zu retten, was zu retten ist und bietet seinen Stammgästen für rund 170 Pfund eine Jahreskarte für einen Busshuttle zwischen dem Pub und dem ca. 4 Kilometer entfernt gelegenen Stadion.

Ich esse ein letztes Mal direkt an der erst besten „working class“ Fischbude traditionelle Fish and Chips und warte im Dunkeln auf die Ankunft der Tottenham Fans, die an dieser Kreuzung zum Gästeblock geleitet werden. Bei Derbys auch aufgrund der Enge dort immer ein mehr oder weniger großes Spektakel, denn die beiden Fangruppen mögen sich natürlich nicht. Heute bleibt das Spektakel eher unspektakulär, es sorgen vielleicht Einhundert Personen für etwas Unruhe und Schiebereien. Da ich keine Gästekarte bekommen konnte, mache ich mich mit den Hammers auf den Weg zum Bobby Moore Stand und lasse in Mitten der Heimfans all die Schmähungen und Songs gegen die Spurs kommentarlos über mich ergehen. Was mir bei den Hammers aber nicht allzu schwer fällt, war es doch bisher ein ziemlich cooler Verein. Die Stimmung war für den „Verein der drei Lieder“, wie ihn Cass Pennant in seinem Buch mal benannte, ziemlich gut. Das intensive Spiel und die frühe Führung gab das her. West Ham hat mit enormer Willenskraft und intensiven Tacklings dem normalerweise spielerisch überlegenden Team aus Tottenham komplett den Schneid abgekauft. Somit ließ Tottenham drei wichtige Punkte liegen, denn sie hätten an diesem Spieltag mit dem Tabellenführer Leicester gleichziehen können. So blieb mir nichts anderes übrig, als die aufsteigenden Seifenblasen zum Club- Evergreen „I`m forever blowing bubbles“ zu genießen.

(Hier eine Version aus Wembley, Anm. d. Layouters)

Als ich als einer der Letzten die Tribüne verlasse spricht ein einzelner Hammers Fan verklärt mit schweifendem Blick in das Rund: „What a great evening!“ Dem war bis auf das Ergebnis (aus meiner Sicht) nichts hinzuzufügen. Zwei Pints Lager mit zwei Hammers aus Oberschwaben im Boleyn nebenan rundeten den emotionalen Abend ab. Insgesamt ein recht würdiger Rahmen für einen persönlichen Abschied.

Tottenham Hotspur- Arsenal FC 2:2, 05.03.2016

Weil es der Spielplan diesmal sehr gut mit mir meinte, konnten ich auch noch das Nord London Derby drei Tage später „mitnehmen“. Die Ausgangsposition im Rennen um die Verfolgung des Spitzenreiters Leicester hätte für das Spiel des Jahres der Lillywhites nicht besser sein können: Zweiter und Dritter Tabellenplatz, die Gunners drei Punkte hinter den Spurs. Dementsprechend groß war die Euphorie vor dem Spiel. Schließlich könnte Tottenham – als in den letzten Jahrzehnten gemessen an ihren Ansprüchen eher erfolgloser Club – nach 55 Jahren erstmals wieder die englische Meisterschaft gewinnen. Als Nebeneffekt  hätte dann endlich mal die immer wieder von den Arsenal Fans in der Kurve vorgetragene Frage „Have you ever won the Premier League?“ sein Ende gefunden.

Wie immer warteten vor der White Hart Lane (von der man sich übrigens nächstes Jahr um diese Zeit ebenfalls verabschieden muss) eine Menge Fans der Heimmannschaft, um die auf der High Road ankommenden Rot-Weißen standesgemäß mindestens zu bepöbeln oder handfeste Meinungen auszusprechen. Die berittene Polizei hatte tatsächlich etwas mehr zu tun und sperrte nach dem Spiel sogar die Straße in Richtung Gästeblock. Wer sich dort ein wenig auskennt, weiß aber, dass die High Road bis zur U-Bahn Station ganz schön lang ist.

Das schnelle Kurzpassspiel beider Mannschaften verläuft rasant mit klaren Vorteilen der Spurs, aber Arsenal macht das erste Tor. Erst nach der Halbzeit gelingt es dem Team um den argentinischen Trainer Pochettino das Spiel zu drehen und innerhalb von zwei Minuten zwei Treffer durch Alderweireld und Harry Kane zu erzielen. Die White Hart Lane platzte förmlich. Leider gelang es den Gunners trotz Unterzahl durch einen sehenswerten Konter noch den Ausgleich zu erzielen. Die Spurs wurden wieder auf den Boden der Tatsachen geholt: 2:2 Unentschieden, der Abstand auf die Überraschung des Jahres aus Leicester wuchs auf fünf Punkte an.

Heidenheim – FC St. Pauli 2:0 06.03.2016

Nicht das hier jetzt einer glaubt, wir seien von London direkt zum Auswärtsspiel unseres magischen FC`s geflogen. In London gibt es dafür eine gute Alternative: Den Pub „Zeitgeist“ in der Black Prince Road, in der Nähe des Bahnhofs Vauxhall südlich der Themse. Das Zeitgeist ist der Treffpunkt der Londoner St. Pauli Fans. Ein großer Laden, zwar mit deutschem Bier und Essen, aber mit Sky Deutschland im Angebot. Eine Ecke gehört bei Spielen unserer Braun-Weißen den St. Paulianern, andere können sich, wie der einsame Bielefelder an jenem Tag, in der anderen Hälfte des Pubs die Zweite Liga Konferenz oder wahlweise guten englischen Fußball anschauen. Wir wurden gut aufgenommen  (Danke dafür!) und können den Laden als Treffpunkt zum „St.Pauli gucken in London“ nur empfehlen. Ich hätte zwar in Heidenheim in diesem Jahr endlich die Zweite Liga „vollmachen“ können, aber London war diesmal die eindeutig bessere Alternative. Wer mit den Londonern mal Kontakt aufnehmen möchte kann das am besten über Twitter. Übrigens bringen alle Besucher, soweit sie Anhänger von St. Pauli sind, zu jedem Spiel eine kleine Essensspende mit, die dann von der Küche des Pubs für Homeless people gekocht werden. Eine gute Idee!

 Bahnradweltmeisterschaft 2016 vom 02.03. bis 06.03.2016

Die war auch noch und der eigentliche Ursprung dieser Reise. Einmal jenseits vom 6-Tage-Rennen hochklassigen Bahnradsport und Sir Bradley Wiggins (mehrfacher Olympiasieger, Weltmeister und Gewinner der Tour de France 2012) live auf der Bahn sehen, war das Ziel. Es waren insgesamt spannende und kurzweilige Sessions während dieser ich sogar zu einem Patrioten wurde und den deutschen Fahrer und Fahrerinnen in Mitten der britischen Fangemeinde ungeniert zujubelte: Kristina Vogel (1 x Gold im Keirin, 1x Bronze im Teamsprint), Roger Kluge (holte als erster Deutscher überhaupt eine Medaille im Omnium, nämlich Silber) und Domenic Weinstein (Silber in der Einzelverfolgung) seien hier stellvertretend genannt. Eines der Highlights waren die Vierer-Mannschaftsverfolgung der Männer, als die Platzhirsche aus Großbritannien (mit Bradley Wiggins) und Australien im Finale gegeneinander antraten sowie das abschließende Punkte Fahren des Omnium Wettbewerbs, bei denen namhafte Fahrer wie Viviani, Gaviria, Cavendish & Co gegeneinander antraten. Die Goldmedaille des Bahn- Vierers war hart umkämpft. Mal führten die Australier, mal die Briten ein paar Zehntelsekunden. Gold holten schlussendlich ganz knapp die Jungs aus Down Under, weil der Dritte Fahrer der Briten (von ihm wird die Zeit genommen) dem Tempo von Wiggins in der Schlussrunde nicht ganz folgen konnte. Auch sonst gab es besonders bei den Sprintwettbewerben bei Geschwindigkeiten bis zu 70 Stundenkilometern Bahn typische Fotofinish Entscheidungen, wenn Millimeter auf der Ziellinie den Unterschied machen.

Die Stimmung beim überwiegenden Fachpublikum aus Großbritannien war großartig, die Wettbewerbe hochklassig.

Der zu Olympia erbaute Velopark fasst 6.400 Zuschauer, kann für viele Veranstaltungen und Trainingseinheiten auch von Hobbyfahrer und –fahrerinnen genutzt bzw. gebucht werden und besitzt natürlich eine erstklassige Holzbahn. Da würde man ja gerne mal mit einem glänzenden und sündhaft teuren Look Bahnrad seine Runden drehen.

// Christoph

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