Die beiden an sich durchaus unterschiedlichen Fußballbundesligisten HSV und FCSP verbindet eines, ihre notorische Erfolglosigkeit. Für das „Hamburger Dilemma“ muss es Gründe geben. Am mangelnden Geld kann es jedenfalls nicht liegen.
Von Hermannus Pfeiffer
Die Sportindustrie nimmt als Teil der Unterhaltungsbranche rasant an wirtschaftlicher Bedeutung zu. Spaß muss schließlich sein, in der real existierenden Spaßgesellschaft.
Und wer als Verein oder Fußball-AG, als Verband oder Liga die Millionen Konsumenten („Fans“) erfolgreich binden will, muss eine moderne Infrastruktur anbieten. So werden seit Jahren im ganzen Land Abermillionen Euro in Stadien, Sportevents und Spieler investiert. So weit, so schlecht.
Investieren taten auch die beiden Hamburger Bundesligisten, Fußball-Club St.Pauli und Hamburger Sport-Verein. Der HSV machte dies jahrzehntelang als finanzieller Spitzenklub in der Bundesliga, üblicherweise platziert zwischen Rang sechs und drei der Geldrangliste.
Ebenfalls Sankt Pauli – wenngleich dies manche(r) in unserem Übersteiger-Biotop nicht gerne liest – gehört seit langem, langem zu den Krösussen in Liga zwei!
Das Piraten-Image des Möchtegern-Underdogs ist heute allerdings angestaubt. Und die gelegentlichen Medienkampagnen, die Andreas Rettig über „Kicker“ und „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ inszeniert („50 plus eins“), wirken mittlerweile verzweifelt bemüht.
Dennoch lässt der FC als „Marke“ selbst die meisten Bundesligisten immer noch hinter sich.
Was eigentlich mehr als Geld wert sein sollte, welches bekanntlich Tore schießt.
Im jüngsten „Vereinsmarkenranking“, das die TU Braunschweig alljährlich für alle Erst- und Zweitligisten erhebt, ist Sankt Pauli Vierter! Nur Freiburg, Mönchengladbach und Dortmund haben einen bessern Marken-Ruf in Deutschland.
Trotz ihrer großartigen wirtschaftlichen Möglichkeiten, zudem in einer der reichsten Städte Europas beheimatet, schneiden beide Klubs im Alltag notorisch erfolglos ab. Sportlich betrachtet.
Warum verharren HSV und St.Pauli dauerhaft unter ihrer, im Ökonomen-Jargon, Performance? Das kann doch nun wirklich kein Zufall sein.
Lassen wir Pleiten, Pech und Klaus-Michael Kühne einmal beiseite, lassen sich tatsächlich einige Gründe nennen. Auch, wenn´s weh tut.
Lieber Bürgermeister oder Vorstand bei St.Pauli?
Hamburg ist als Stadt überaus attraktiv für Spieler. Egal, ob jung und ledig oder bereits braver Familienvater. Auch gelten beide Vereine in der Sportbusiness-Branche als eher großzügige Arbeitgeber, was die Höhe der Gehälter betrifft und den, sagen wir, Lifestyle.
Hinzu kommt der für Spieler und ihre Berater geile Medienrummel – selbst drittklassige Zweitligaspieler werden in Hamburg von Zeitungen, Rundfunk und Internetdiensten hofiert, wie es sonst nur an wenigen Fußballstandorten in der Republik passiert.
Dadurch steigt im Regelfall der Marktwert eines Spielers.
St.Pauli und noch mehr der HSV gelten daher in der Fußballkommerz-Szene als attraktiver Durchlauferhitzer für Ich-AGs, die zu rechnen wissen.
Im Ergebnis kommen nicht die Bestmöglichen, sondern … Nun, die gekauften Kicker lassen sich ja am Millerntor und im Volksparkstadion bewundern.
Das geht übrigens in der Praxis bei beiden Klubs auf Kosten des eigenen Nachwuchses. Hamburger müssen, kaum der Jugendmannschaft entwachsen, fast immer das Weite suchen. Nachzulesen regelmäßig in Ronnys Rubrik „Neues von den Alten“.
Folglich geben sich die Berater in den Geschäftsstellen die Klinke in die Hand.
Wie St. Pauli in den viereinhalb erfolgsarmen Jahren unter Präsident Oke Göttlich (davor war auch nicht alles besser) und der HSV seit der Ära Günter Netzer/Ernst Happel zeigen, schaffen es die Verantwortlichen nicht, hinreichend die Spreu vom Weizen zu trennen, um im Ergebnis eine Mannschaft zu formen, die leidenschaftlichen, schnellen und technisch ansprechenden Fußball spielt.
Aus meiner Erinnerung: Die letzte Saison, in der wir alle Heimspiele ungeschlagen bestritten, war 2006/07!
Was nicht zuletzt der Hamburger Situation geschuldet ist. Wer in einer Großstadt etwas Herausragendes werden möchte, könnte das Bürgermeisteramt anstreben.
Dazu bedarf es aber einer jahrelangen Ochsentour durch SPD und Kommunalpolitik. Angehende Bürgermeister müssen echt hart ackern. Selbst bei den Grünen wird es so sein.
Präsident beim HSV oder St.Pauli ist „Mann“ dagegen ratzfatz: Dazu genügt im Regelfall eine flotte Rede, die mit netten Versprechungen für die kommende Saison garniert wird, wahlweise noch mit Links-Gedöns oder alten Recken aufgepeppt. Im Ergebnis wirkt auch hier im Trend ein Negativ-Auswahlmechanismus unter den Akteuren – die, sagen wir, Mediengeilsten, nicht die für den Posten Fähigsten schwemmt es im Regelfall nach oben.
Damit zusammen hängen die häufigen Trainerentlassungen. Sie sind zugleich Folge des Beschriebenen, wie sie auch die negativen Auswirkungen dessen verstärken.
Der HSV dürfte dabei bundesweit Marktführer sein.
Aber auch der etwas andere Klub kann es nicht lassen: In der kurzen Zeit, die Göttlich residiert, versuchten sich am Millerntor sage und schreibe vier sportliche Leiter und fünf verschiedene Cheftrainer (Thomas Meggle, Ewald Lienen, Olaf Janßen, Markus Kauczinski, jetzt noch Jos Luhukay).
In der kurzen Zeit, die Göttlich residiert, versuchten sich am Millerntor sage und schreibe vier sportliche Leiter und fünf verschiedene Cheftrainer: Thomas Meggle, Ewald Lienen, Olaf Janßen, Markus Kauczinski, jetzt noch Jos Luhukay. Fotocredit: Witters
Eine unstetige Personalpolitik ist zwar durchaus branchentypisch (insofern wettbewerbsneutral), allerdings ist in Hamburg der Wilde Westen besonders stark ausgeprägt.
„Heuern und Feuern“, zweckmäßig ist eine solche Strategie nicht – wenn man sportliche Erfolge will.
So wird beispielsweise mit jeder Entlassung die Institution „Trainer“ weiter geschwächt. Die Autorität des Trainerteams und der sportlichen Leitung wird daher im Trend immer kleiner.
Und damit schwindet die Möglichkeit, eine Mannschaft und ihr Spielsystem nachhaltig zu formen.
Darauf sind aber Bundesligisten, die, wie unsere beiden Lieblinge, der sportlichen Entwicklung seit längerem hinterher stolpern, besonders angewiesen. Sie bedürfen einer nachholenden Modernisierung, um aus dem Tal des Rumpelfußballs und des Zuschauerfrustes herauszufinden
Wie könnte das Hamburger Dilemma beendet werden? Nun, was die Spitze der Klubs, sportliche Leiter und Trainer betrifft, bleibt wohl nur die Hoffnung auf einen Glückstreffer.
Was unsere Basis, die Kicker, angeht, dazu hier Vorschläge vom Hörensagen.
Mein liebster ist das Modell „Mindesteinkommen“: Nur ganz wenig Geld an die Spieler zahlen, damit nur diejenigen kommen, die wirklich Bock auf den FC St.Pauli haben.
Auch hübsch: Trainer und Spieler im „Start-up“-Modell: Kassiert wird erst nach Aufstieg, wahlweise Nichtabstieg – Profisportler sind halt Unternehmer und die müssen Risiko tragen.
Unlösbar erscheint auch ein anderes, wirklich grundsätzliches Problem des Liga-Alltags: Nur drei Klubs können aufsteigen. Alle anderen sind mehr oder weniger Nieten in kurzen Hosen.
Ein Problem, so viel Mathematik muss sein, welches sich in der ersten Liga noch verschärfen würde. Denn da gibt es bekanntlich nur einen Meister. Und das ist seit ewigen Zeiten nicht mehr der HSV – und über Sankt Pauli und sein Personal lasst uns den Mantel der Nächstenliebe decken.