Abstieg ohne Abstieg
Von Hermannus Pfeiffer
Der Vertrag von Sportchef Andreas Bornemann wurde im Juli verlängert. Und so wie es scheint, wird uns auch Oke Göttlich als Präsident erhalten bleiben. Grundsätzlich erhöht Kontinuität in wichtigen Positionen die Chance auf erfolgreichen Profifußball. So weit, so gut.
Doch die strategische Lage hat sich verschlechtert. War die bisherige Amtszeit von Göttlich lange geprägt von einer Kluft zwischen vergleichsweise großen wirtschaftlichen Möglichkeiten und geringem sportlichen Ertrag, so könnten sich in der neuen Saison die wirtschaftlichen Möglichkeiten weiter dem sportlichen Ertrag annähern. Ein Aufstieg in die Bundesliga rückt damit in weite Ferne.
„Corona“ trifft den FC St. Pauli besonders. Zwar beklagen alle Klubs ein pandemiebedingtes Minus in ihrer Bilanz. Aber Zweitligisten mit an sich hohen Zuschauerzahlen, wie der FCSP, zahlen im Ergebnis leerer Stadien eine besonders hohe Zeche.
Präsident Göttlich schätzte gegenüber dem „Hamburger Abendblatt“ den Corona-Schaden auf rund 10 Millionen Euro – bei einem Etat von gut 50 Millionen in der Vor-Corona-Saison ein herber Minusertrag.
Und der nach einer zeitweise mitreißend gespielten Rückrunde am Ende erreichte 9. Platz, wirft uns in der Fernsehwertung weiter zurück. So konnte zwar der sportliche Abstieg verhindert werden, wirtschaftlich ging es aber in der Saison 2020/21 bergab.
Anderseits dürfte Sankt Pauli weiterhin auf große Sympathien unter Fußballanhänger*innen zählen. Die repräsentative Umfrage der Technischen Universität Braunschweig zur „Markenlandschaft Bundesliga“, sie spiegelt allerdings die Werte von vor der Corona-Pandemie wider, zeigt den FCSP auf Augenhöhe mit Fanlieblingen wie den Sportclub Freiburg oder Borussia Dortmund.
Solche hohen Sympathiewerte sind für die Marketingabteilung am Millerntor Gold wert. Gegenüber den meisten Konkurrenten hat Sankt Pauli also einen geldwerten Image-Vorteil. Gleiches gilt für die im Liga-Vergleich überdurchschnittliche Stadionkapazität.
E-Sport statt Schulden
Im Gegenzug können Klubs wie beispielsweise FC Ingolstadt (Audi) oder SV Sandhausen (Bauunternehmer Jürgen Machmeier) auf mehr oder weniger finanzstarke Mäzene zurückgreifen. Oder sie zählen auf eine hohe Mitgliederzahl. Andere Fußballfirmen erzielen Millionenerlöse aus dem Transfer von Spielern oder sogar von Konzernteilen. So kassiert Schalke 04 laut „Kicker“ über 26 Millionen Euro für den Verkauf seiner zukunftsträchtigen E-Sport-Abteilung.
Millionen, die allerdings in die Tilgung der extrem hohen Schuldenlast von über 200 Millionen Euro fließen dürften. Verbindlichkeiten immerhin im deutlich zweistelligen Millionenbereich bedrücken allerdings auch eine gute Handvoll anderer Klubs, darunter Sankt Pauli, Hannover 96 und HSV.
„Die beste 2. Liga aller Zeiten“ bedeutet zugleich, dass viele Klubs bei den Fernseheinnahmen noch von den Erfolgen vergangener Spielzeiten zehren können. Letzteres gilt besonders für die aktuellen Absteiger Schalke 04 und Werder Bremen, und in abnehmendem Maße auch noch für den HSV.
Kritik erntet der HSV für eine andere Finanzierungsquelle. Die 23,5 Millionen Euro Steuergeld, die angeblich in die Sanierung des Stadions investiert werden, dürfen laut Bund der Steuerzahler verwendet werden, um teure Fußballer an die Elbe zu locken. „Die Steuerzahler haben nicht die Aufgabe, für die Fehler im Management von Fußballvereinen geradezustehen.“
„Im Fall eines Abstiegs wäre das Ziel der Emittentin ein sofortiger bzw. zeitnaher Wiederaufstieg in die Bundesliga, wobei auch in der 2. Bundesliga in der Regel ein hoher Wettbewerb um den Aufstieg in die Bundesliga besteht.“
Aus dem im Mai veröffentlichten Wertpapierprospekt der SV Werder Bremen GmbH & Co KG aA
Es sei daran erinnert, dass der HSV das Grundstück, das er nun für besagte 23,5 Millionen Euro an die Stadt verkauft, 1998 mitsamt der damals sanierungsbedürftigen Arena für eine symbolische D-Mark von der Stadt erworben hatte.
In der Corona-Pandemie hat allerdings schätzungsweise jeder zweite Klub staatliche Hilfen und Kredite erhalten. Auch FCSP soll 2020 zeitweilig eine Kreditlinie bei der staatlichen KfW beantragt haben, um den möglichen Ausfall der Fernsehgelder zu ersetzen. Soweit kam es dann nicht.
726 Millionen Euro erlöste die 2. Bundesliga in der Saison 2019/20. Die „mediale Verwertung“ ist weiterhin der größte Posten in dieser Bilanz. Mit über 266 Millionen Euro stehen die TV-Gelder für rund 37 Prozent aller Einnahmen.
Das geht aus dem kürzlich erschienenen „Wirtschaftsreport 2021“ der Deutschen Fußballliga (DFL) hervor. Dagegen erscheint der „Spielertrag“, also die Zuschauereinnahmen, mit 114 Millionen Euro schon beinahe eine Petitesse zu sein. Selbst die Werbeeinnahmen (142 Millionen) sind wichtiger als das zahlende Publikum.
Arm oder Reich
Es ist noch nicht allzu lange her, als Zuschauereinnahmen noch die größte Einnahmequelle von Fußballvereinen waren. In der Schubumkehr zu Medien und Reklame schlummern all die Übel, die vielen Menschen die Laune auf Profifußball verleiden.
Dabei haben diese allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklungen im Fußball starken Einfluss auf die konkreten Ergebnisse der einzelnen Vereine: Die Kluft zwischen Arm und Reich ist riesig: „Die sechs wirtschaftlich am besten aufgestellten Clubs“, ermittelte die DFL, „hatten im Vergleich zum Ligadurchschnitt um je 72 Prozent höhere Einnahmen und Ausgaben.“
Die Vielfalt der Faktoren, die auf die wirtschaftlichen Ergebnisse der einzelnen Klubs einwirken, lassen sich in einer einzigen Kennzahl nicht vollständig abbilden. In der Vergangenheit haben wir es in „Lage der Liga“ mit Zuschauereinnahmen oder TV-Geldern versucht.
Dieses Mal schauen wir auf die Ausgabeseite. Der deutlich größte Posten, mit über 36 Prozent, ist hier unverändert der „Personalaufwand Spielbetrieb“, also die Gehälter für Trainer und Spieler.
Personalaufwand der Klubs der 2. Liga
– in Millionen Euro –
1. Schalke 04 | 111 |
2. Werder Bremen | 71 |
3. Hamburger SV | 44 |
4. Fortuna Düsseldorf | 38 |
5. Hannover 96 | 34 |
6. FC Nürnberg | 24 |
7. FC St.Pauli | 24 |
8. SC Paderborn | 19 |
9. Darmstadt 98 | 17 |
10. FC Heidenheim | 16 |
11. Holstein Kiel | 15 |
12. Dynamo Dresden | 14 |
13. SV Sandhausen | 13 |
14. Karlsruher SC | 13 |
15. FC Ingolstadt | 12 |
16. Erzgebirge Aue | 12 |
17. Jahn Regensburg | 10 |
18. Hansa Rostock | 7 |
Die Tabelle gibt die Finanzkennzahlen der Klubs für die Saison 2021/22 wieder, wie sie der DFL eingereicht wurden. Konkret stehen die Zahlen im Regelfall für das Geschäftsjahr 2020. Wir können also bei Schalke und Werder etwa ein Drittel der Millionen abziehen.
Im Wertpapierprospekt, mit dem die SV Werder Bremen GmbH & Co KG aA im Mai eine Anleihe über 30 Millionen Euro platzierte, hält die Emittentin, also Werder, „bei einem Abstieg in die 2. Bundesliga einen Rückgang der Umsatzerlöse von rund 40 Prozent für plausibel“.
Bei den Aufsteigern aus der 3. Liga – Dynamo Dresden, Ingolstadt und Hansa Rostock – dürfte der Personalaufwand um etwa ein Drittel steigen. Möglich wird dies vor allem durch TV-Gelder: Beispielsweise Hansa Rostock kalkuliert statt mit 800.000 nun mit 7 Millionen Euro.
An den großen Linien, die in der Tabelle zu erkennen sind, ändert dies nichts. Es liegt also an den glücklichen Händchen von Sportchefs wie Andreas Bornemann und an ihren Trainern, ob Klubs ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten nutzen oder sogar sportlich darüber hinausschießen. Ein Fall für Timo Schultz.
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