Der Tisch ist reich gedeckt. Wie zum Weihnachtsfest in fast jedem Haushalt. Doch es ist Spätsommer und ich bin auch nicht in einer Wohnung… In einer Glaskaraffe ohne Griff glänzt frischgepresster Orangensaft, auf den Tellern schmiegen sich gegrillte Bratwürste (auch vegane!) an Grillkartoffeln und in den kleinen Schalen wartet bunter Salat mit Tomaten, Gurken, Radieschen, grüner, gelber und roter Paprika, sowie Frühlingszwiebeln.
„Is’ alles aus’m Container“, sagt Christiane, als sie das angeschnittene und mit Kräuterbutter gefüllte Baguette vom Grill nimmt. Sie lebt mit ihrem Freund Paul und Labrador-Mix-Hündin Kira in einem Zelt, das sie aus drei kaputten Zelten zusammengeflickt haben, in einem Park im westlichen Hamburg. „Unser Garten“ schwärmt Paul und wirft für Kira einen dicken Ast in den nahegelegenen See. „Nur leider können wir hier weder Gemüse anbauen, noch Hühner halten“. Sie dürfen ja hier nicht „wohnen“.
Auf dem Heimweg nutzte ich abends oft den Parkplatz eines Supermarktes als Abkürzung, auf dem auch die großen Abfallcontainer stehen. Dort habe ich die beiden kennengelernt. Sie „containerten“ gerade. Das heißt, einer stand Wache, der andere kroch in den Container und beförderte alles noch Essbare an Lebensmittel heraus.
„Die schmeißen Sachen weg, das glaubst du nicht“, sagt Paul, während er Rotwein aus einem Tetrapak in drei Becher schüttet. „Hier“, fährt er fort, „Ablaufdatum: Morgen. MORGEN!“. Seine Stimme überschlägt sich fast und er hält mir eine Packung „Mortadella – Paprika“ hin. „Wir soll’n von Hartz4 ,… ähem Bürgergeld leben, und die schmeißen Lebensmittel wech, die noch völlig okay sind? Da stimmt doch was nicht“, wirft Christiane ein.
Seit zwei Jahren leben sie in dem Park, seit einem Jahr „containern“ die beiden. „Die Kohle vom Amt reicht doch bei der Inflation nicht mal für zwei Wochen“, schimpft Paul. Heute Abend wollen, nein, müssen sie wieder los zum Supermarkt. Ich darf sie begleiten.
Nachdem Paul Kira gefüttert hat („Ja, auch Hundefutter werfen die weg“), Chris und ich das Geschirr gespült und alles im Zelt verstaut haben, machen wir uns auf den Weg. Es ist kurz nach 21 Uhr und schon fast dunkel.
Während Christiane und ich auf je einer Seite des Parkplatzes „Schmiere“ stehen, kriecht Paul in die Müllcontainer. Plötzlich schlägt Kira an! Aber Entwarnung: Es ist nur ein anderer Hund, der mit seinem Menschen Gassi geht.
Christiane schiebt einen Dosen-Clip in einen Einkaufswagen und schiebt ihn zum Container. Paul befördert verschiedene Sorten Wurst, etliche Käse-Packungen, Müsli und sogar eine Packung Lachs in den Wagen. Joghurts, Milch und zahlreiches Obst & Gemüse folgen. Bananen, Gurken, Äpfel. Alles ist dabei. Irgendwann ist der Einkaufswagen mehr als gut gefüllt und wir schieben von dannen.
„Das ist eigentlich der schwerwiegendste Diebstahl, den wir begehen“, sagt Christiane. „Den Einkaufswagen mitnehmen. Damit fällt man ja auch auf“. Nicht nur einmal sind Christiane, Paul und Kira von einem Streifenwagen angehalten worden. „Meistens waren die Bullen aber okay und haben uns gehen lassen“, spricht Paul von seinen nicht immer netten Begegnungen mit den Cops. „Aber bringt den Einkaufswagen zurück!“, wurden wir oft ermahnt, ergänzt Christiane lachend. „Naja, also ist es eigentlich ein Einklau-Wagen…“.
Wieder am Zelt angekommen, stürzt sich Kira in den See, während Christiane und Paul die ergatterten Lebensmittel in einer Erdgrube bunkern. „Da hält es länger“, sagt Christiane. Zum Thema „Diebstahl“ hat Paul seine ganz eigene Meinung: „Was ist denn, wenn jemand einen angebissen Burger in einen Mülleimer wirft und ich mir den raushole, – beklaue ich dann die Stadt Hamburg…?“.
P.S.: Seit Anfang November wohnen die drei in einem kleinen Wohnwagen auf einem Bauwagenplatz.
// Hossa
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