11.Spieltag (A) – Hansa Rostock – Kogge versenkt!

FC Hansa Rostock – FC St.Pauli 0:2 (0:0)
Tore: 0:1 Matthias Lehmann (76.), Deniz Naki (84.)
Zuschauer: 21.500 (geschätzte 1.500 St.Pauli Fans)

SO! MUSS! DAS! SEIN!
Jawoll, Auswärtssieg in Rostock… der erste seit 15 Jahren!

Abhaken, weitermachen, man sieht sich Freitag gegen die Fortuna, schönen Tag noch, alle miteinander!

Ähm, okay, doch nicht…
Zwei Sonderzüge also machten sich auf den Weg ins idyllische Mecklenburg-Vorpommern. Der Autor dieser Zeilen verpasste die Tour kurzfristig aufgrund von beruflichen Terminen, ich beschränke mich daher auf das Wiedergeben von Eindrücken aus der Ferne. Da ich seit 1996 aber kein St.Pauli Spiel in Rostock mehr verpasst habe, hoffe ich zumindest einigermaßen mitreden zu dürfen.

Vorm Spiel also das Übliche, wie aus der vergangenen Saison bekannt. Die Polizei hat das komplette Hansa-Viertel weiträumig abgesperrt, aus der Masse fliegen einige Böller ins Leere. Kameramänner sind nicht wirklich beliebt, aber das ist alles nichts wildes.
Am Stadion (das lässt sich in einem der Videos auf N24 erkennen, siehe Linksammlung unten) dann an der Schwimmhalle der erste Versuch von Rostockern, doch irgendwie die Barriere zu durchbrechen und die ersten Böllerwürfe auf unsere Leute, allerdings alles wohl weit weniger aufregend als noch letztes Jahr, da auch die Polizei gelernt hat.

Im Stadion dann gegenseitiges Pimmelfechten deluxe. Bei uns „Follow your Leader – Do it like Rieger!“ Transpi an der Plexiglasscheibe in unserer Kurve, „We hate Hansa!“ – Minitapeten in vielen Händen. Bei Hansa ein etwas heuchlerisch anmutendes „Rivalität ja, Gewalt Nein!“ Riesentranspi, was durch eine andere Aktion leider völlig ad absurdum geführt wurde: Die Rostocker stellten den Unfall von Mini in Aachen mit einer Gummipuppe nach, inkl. „Hals- und Beinbruch“-Tapete. Das ist schlicht und ergreifend ekelhaft und mit nichts zu entschuldigen. Ansonsten (siehe Fotos der Suptras) geht man auch bei den folgenden Tapeten gerne unter die Gürtellinie.

Einen großen Respekt muss man unserem Block (unter der Federführung von USP) dann für den durchgezogenen Support-Boykott in den ersten zwanzig Minuten machen. Ich persönlich hatte so meine Bedenken, ob das bei der Brisanz durchgehalten werden könne, und ganz sicher wird mancher während dieser Minuten die Zähne kräftig zusammengebissen haben, aber gerade ein (durchgezogener) Boykott bei so einem Spiel zeigt doch, wie ernst man die Sache nimmt… bei nem Spiel gegen Paderborn oder Ahlen wäre ein Boykott sicher leichter, aber eben auch weniger wichtig.
Mit dem „Aux Armes“ nach zwanzig Minuten ging es dann aber gut los und fortan fand Support fast nur noch auf unserer Seite statt. Gut gefiel mir, wie auch schon letztes Jahr, dass man sich fast ausschließlich auf einen positiven Support für die eigene Mannschaft beschränkte und es von uns kaum Gesänge gegen den FC Hansa gab. Gerade das klang auf der anderen Seite eben anders, da kam bis auf „Scheiß St.Pauli!“ ja gar nichts.
Da sollte man natürlich fairerweise erwähnen, dass auch die Rostocker (aus anderen Gründen) sich gerade am Supportboykott versuchen, den man für gestern dann kurzfristig unterbrach. Hier beschränkt man sich dann auf Anti-Support und dazu hatte man eben gestern genug Gelegenheit.

Das Spiel plätscherte so dahin, bis sich ein Freistoß aus 25 Metern in den Winkel schraubte, der es ja wohl mindestens in die Auswahl zum Tor der Woche schafft! Matthias Lehmann hat da mal wunderbar einen ausgepackt, ganz großes Tennis! Der Rest war Jubel, und dann eben auch die Szene, die die Massen schockierte: Bengalos im Gästeblock! Oder, um es mit der MOPO zu sagen: Randale!
Fast hatte man heute morgen das Gefühl, die hiesigen Boulevardblätter seien doch etwas enttäuscht, dass es (bis zum Redaktionsschluß) keine Riots gegeben hatte, also mussten die Bengalos bebildert werden. Passend dazu: In einem Twitter Eintrag des DSF gestern als „Appetizer“ für den Abend schrieb der Sender vom „Ergebnis letztes Jahr: 52 Verhaftungen, 15 Verletzte!“ Soviel zur Erwartungshaltung der Medien. Die Diskussion um die Ansetzung am Montag Abend schenk ich mir mal, so furchtbar viel angenehmer wäre ein Nachmittag am Wochenende wohl auch nicht geworden.

Und um es aber auch klar zu sagen: Egal um was für einen Scum es sich auf der anderen Seite der Plexiwand handelte, nichts rechtfertigt das Werfen von Bengalos oder Böllern in eine Ansammlung von Menschen.

Nur von einer handvoll Deppen (ob das jetzt Babelsberger waren oder nicht ist mir dabei ziemlich Wurst) und einem kurzen Ausraster sollte man sich nicht gleich wieder den Untergang des Abendlandes herbeizitieren lassen. Ja, Scheißaktion, Punkt. Nur handelt es sich eben um das Spiel Hansa – St.Pauli und bei dem Vorgeplänkel hätte ich die Aussage: „Von den St.Pauli Fans wurden nach einem Tor Böller geworfen, leider auch in den angrenzenden Heimblock!“ dankend angenommen, wenn man mir versprochen hätte, dass das alles sei.
Mal ehrlich, wer da jetzt weinend von Frauen und Kindern berichtet, die in Zielrichtung saßen, hat dann wohl doch eine komische Wahrnehmung. Meine Frau und mein Kind werden ganz sicher NIEMALS in unserer Nordkurve direkt am Rostocker Gästeblock sitzen, eher schick ich sie zum hsv. Wer da in dem Block saß, war ganz sicher nicht rein zufällig da und wird auch gewusst haben, was da evtl. auf ihn zukommt, oder er war beim letzten Spiel in Rostock (und den Wochen danach) irgendwo auf dem Mond.
Wie gesagt, das soll sicher die Würfe nicht rechtfertigen, die waren scheiße, insbesondere wenn dadurch auch Ordner getroffen werden. Aber man sollte die Kirche diesbezüglich auch im Dorf lassen und keine Ammenmärchen erfinden.

Kommen wir zu Deniz Naki: Schulle bereitet über außen gut vor, Ebbers beweist in der Mitte seine Extraklasse, als er blind auf Naki in seinem Rücken weiterleitet, und Naki vollstreckt sicher zum 2:0… und rennt dann in die Kurve und lässt sich feiern. Dabei gab es dann die Geste des „Kehle durchschneiden“ in Richtung der Rostocker Fans. Oha, Fehlgriff… aber auch kein Grund nun sonstwas herbeizuschreien. Mir ist jemand lieber, der mit dem Herzen dabei ist und dann im Überschwang der Gefühle auch mal über die Stränge schlägt, als eine seelenlose Truppe, die vorher palavert wie wichtig das Spiel doch ist und dann 3:0 verliert. Im Übrigen hat er sich heute dafür entschuldigt (siehe Stellungnahme des Vereins unten) und damit sollte das bei so einem jungen Spieler auch gegessen sein, ne Geldstrafe gibt es ja auch noch obendrauf.

Die Aktion nach dem Spiel, als er die Fahne in den Rasen rammt, hat er hingegen auch in Oberhausen schon gemacht und ist inzwischen wohl als Ritual einzuordnen, („Wir sind die Freibeuter der Liga – Wir haben geentert!“) was auch auf dem unten verlinkten YouTube-Video gut zu sehen ist. Er läuft da zielstrebig hin, holt sich die Fahne und rammt sie rein, das war genauso geplant und ich finde das Weltklasse! Wenn das nicht mehr erlaubt ist, können sie von mir aus die Ergebnisse demnächst auch auswürfeln, dann hat das mit Emotionen nichts mehr zu tun.

Spannend auch zu sehen, wie die Vereine weiter damit umgehen. Der FC St.Pauli hat sich in seiner Stellungnahme heute beim FC Hansa entschuldigt, auch Deniz Naki tat dies. Ein ähnliches Statement des FC Hansa zu den (deutlich schlimmeren) Ausschreitungen seiner Fans und den (zumindest im Fall Mini) mindestens ebenso entschuldigungswürdigen Vorfällen im Stadion steht natürlich noch aus bzw. ist nach den Erfahrungen der letzten Jahre auch nicht zu erwarten.

Fazit: St.Pauli Fans sind nicht mehr die Engel, als die sie die Medien gerne verkaufen… nur dafür hätte es den gestrigen Abend nicht bedurft, das war beispielsweise auch schon nach dem Auftritt in der letzten Saison klar (siehe auch Artikel im Übersteiger 90). Trotzdem ist bei uns immer noch so ziemlich alles weitaus besser als bei den meisten anderen Vereinen. Allerdings wurde hier von den Medien auch ein Szenario aufgebaut, welches deutlich schlimmeres erwarten ließ, dafür ist es doch (von beiden Seiten) verhältnismäßig ruhig geblieben.
Und Ende der 80er / Anfang der 90er wären solche Vorfälle bei einem Spiel doch in den Medien kaum eine Erwähnung wert gewesen, da wird momentan auch schon viel aufgebauscht. Das gilt nebenbei auch ganz sicher für das Internet, wie die Besucherzahlen des St.Pauli Forums und die inzwischen über 50 Seiten „zu den Vorfällen“ zeigen.
Online abrufbare Artikel und sogar professionelle Videos auf Nachrichtenseiten, Internetforen, Blogs (wie dieser)… das will alles gefüllt werden und ist unmittelbar und zeitnah verfügbar. Allein am Beispiel Fanberichte kann man den Fluch und Segen der Neuzeit doch gut bemessen.Hätte es früher vielleicht noch ein Statement von irgendeinem Promifan in der Zeitung gegeben und 3-4 Wochen danach vielleicht noch einen Bericht im Fanzine, kann heute jeder Zwölfjährige fröhlich in die Tastatur hämmern, was er von diesen unfassbaren und gewalttätigen Exzessen hält, die gefühlt mindestens 100 Tote zur Folge haben müssen… oder auch nicht.

Das wird jetzt sicher noch 2-3 Tage so weiter gehen, spätestens ab Freitag um 18.00h interessiert es aber keinen mehr, denn es war eben fast nicht los, außer dass wir gewonnen haben!

Und dann geht es gegen die (ungleich sympathischere) Fortuna aus Düsseldorf im Spitzenspiel am ausverkauften Millerntor! Alle hin da, Heimfluch besiegen! // Frodo

P.S. Man könnte natürlich noch vieles mehr schreiben, z.B. dass sich niemand beschweren muss, der nach dem Werfen eines Bengalos ein Stadionverbot bekommt, oder dass die wesentlich schwerwiegendere Randale an dem Abend erst weit nach Schlußpfiff kam und sich zwischen Hansa und Team Green abspielte, aber ich denke fürs erste reichts jetzt auch.

Linksammlung:
Fotos von Gröni
Fotos der Suptras
Indymedia Bericht
Sportal Bericht
Stellungnahme des FC St.Pauli
YouTube Video von Naki (ab ca. 30 Sekunden läuft er los)

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