Blindenfußball – Ein Selbstversuch

Wie angekündigt, fand am Wochenende in der Halle an der Budapester Straße das 5.Blindenfußball-Hallenmasters – “Keep your mind wide open” statt.

Um dem Ganzen auch in der Öffentlichkeit ein bißchen mehr Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen, hatte Wolf (den meisten sicher vom AFM-Radio bekannt) sich um ein Einlagespiel gekümmert, wo die Mannschaft des FC St.Pauli auf eine Hamburger Sportjournalistenauswahl traf und (ich zitiere Wolf) “die Sportjournalisten vom Übersteiger dürfen nicht fehlen.
Is’ klar… und nachdem der Verein gewohnt ignorant seine Pressekonferenz zur Trainerverpflichtung (13.00h) just für den Zeitpunkt ansetzte, wo eben jene Sportjournalisten dieses Einlagespiel machen sollten (12.45h), war dann auch klar, dass wir ÜS’ler da auch zu zweit auflaufen können, weil die meisten hauptamtlichen Kollegen eben anderweitig gebunden waren.

Kurze Regelkunde mal vorab:
Vier SpielerInnen (gemischte Teams), denen aufgrund unterschiedlicher Restsehstärken zusätzlich zur Brille auch die Augen zugeklebt werden, dazu ein sehender Torwart plus zwei Guides, einer an der Mittellinie und einer hinter dem gegnerischen Tor.
Der Ball “rasselt”, die Guides und der Torwart dirigieren von außen, die verteidigenden Spieler rufen “Voy!” (aus dem Spanischen: “Ich” im Sinne von “Ich komme“) wenn sie in Ballnähe kommen, um Zusammenstöße möglichst zu vermeiden. Der Torwart muss auf der Linie kleben, auch wenn die Spieler völlig frei auf ihn zulaufen, vom Offensivguide hört der angreifende Spieler i.d.R. Rufe wie “8 und 1!” oder ähnliches, was dann eben “Noch acht Meter bis zum Tor, ein Gegenspieler vor Dir!” bedeutet.
(Alles weitere und ausführlichere Infos gibt es u.a. bei Blindenfussball.net oder der Blindenfußball-Bundesliga.)

Aufgeschnittener Blindenfußball, mit den eingenähten Rassel-Scheiben.
(Fotocredit: Michael Hain)

Nun standen da also fünf Leute auf dem Platz, denen der Respekt deutlich ins Gesicht geschrieben stand… und damit meine ich nicht die abgeklärten Spieler der Blindenfußballmannschaft des FC St.Pauli, die uns in der Kabine nur locker mit “Aha, da sind also unsere Feinde!” begrüßten, sondern eben die Journalistenauswahl.
Im Tor stand Oke Göttlich (Online-Medien, im St.Pauli-Umfeld schon länger aktiv, u.a. für das AFM-YoungRebels Magazin, früher bei der taz), in der Verteidigung versuchten sich Lutz Wöckener (Abendblatt) und Roger Stilz (Welt, außerdem als Oberliga-Spieler des SC Viktoria aktiv) und im Sturm durfte der Übersteiger mit Kriller und mir gleich doppelt in der Luft hängen. Im Nachhinein hätten wir wohl besser eine 4-0-Taktik gewählt statt dieses offensiven 2-2.

Die geschlagene Journalistenauswahl, mit erhobenen Häuptern nach dem Spiel.
(Fotocredit: Michael Hain)

Das Spiel endete erwartungsgemäß deutlich mit 3:0 für St.Pauli, jeder unserer vier Feldspieler war anschließend noch beeindruckter von der Leistung der Blindenfußballer, als man es vorher ohnehin schon war.
Es beginnt mit Grundsätzlichem, wie der Position auf dem Spielfeld. Beim Anstoß weiß man noch ungefähr, wo man auf dem Feld steht. Doch schon nach wenigen hilflos tapsenden Schritten war ich hoffnungslos verloren. Stehe ich mittig? Höhe Mittellinie? Oder weiter vorne? Stehe ich mit dem Gesicht in Richtung eines der beiden Tore? Wie weit ist es bis zur Bande? Oh, da kommt der Ball angerasselt… in etwa zu mir? Oder doch eher 20cm nach rechts? Und steht da noch ein Gegen- oder auch Mitspieler zwischen mir und Ball? Und wenn ich den Ball jetzt habe, lauf ich mal los… und verliere ihn schnell wieder. Wahlweise an einen der Gegenspieler, wahrscheinlicher aber an niemanden, ich lasse ihn einfach irgendwie wegrollen.
Ein Pass? Zu meinem Mitspieler? Ah ja, da kann ich ihn aus dem Stimmengewirr einigermaßen heraushören… aber kann ich den jetzt einfach anspielen? Oder steht da auch noch ein Gegenspieler zwischen? Bevor ich das zuende gedacht hatte, hatte mir spätestens jetzt ein Gegenspieler der Ball schon wieder abgenommen.

Es herrscht, wenn man denn nichts mehr sehen kann, in einer relativ ruhigen Halle plötzlich eine ziemliche Geräuschkulisse. Neben dem rasselnden Ball rufen die verteidigenden Spieler ständig “Voy!” und die Spieler der Mannschaft im Ballbesitz (so sie denn wissen, dass ihre Mannschaft im Ballbesitz ist, was bei den Blindenfußballern wohl in der Regel so ist, bei mir aber eher ein fröhliches Raten war… abgesehen davon, dass wir zu 90% nicht im Ballbesitz waren) rufen wahlweise den eigenen Namen oder den Namen desjenigen im Ballbesitz oder eben einfach nur “Hier!”.
Und davon ab soll man sich dann noch auf die Anweisungen des eigenen Torwarts sowie der eigenen Guides an der Mittellinie und hinter dem gegnerischen Tor konzentrieren und dabei natürlich deren Stimmen von denen der gegnerischen Guides unterscheiden.
Puh, zumindest mein untrainierter Gehörsinn meldete sich als “Total überfordert!” ab und mein Bewegungsradius entsprache maximal einer kleinen Bierdeckel-Kollektion.
Immerhin hab ich mich über jedes Gegentor ein bißchen freuen können, denn dann nahm einer der beiden Schiedsrichter dankenswerterweise hilfreich meine Hand, führte mich zum Anstoßpunkt und ich wusste wieder, wo ich war… bis fünf Sekunden später mir dann wieder der Ball abgenommen wurde, nachdem ich ein-zwei vorsichtige Tippelschritte in die gegnerische Hälfte unternommen hatte.

Dynamischer Angriff des FC St.Pauli
(Fotocredit: Michael Hain)

Will sagen: Ich bin regelmäßig beeindruckt, wenn ich bei den Paralympics die sportlichen Höchstleistungen sehe und mir den jeweiligen Aufwand vorstelle, der dahinter stehen muss. Diese Erfahrung am Samstag in der Halle aber war dann doch nochmal eins obendrauf, plötzlich selbst in der Situation zu sein und die Beeinträchtigung in solch normalen Dingen wie Fußball zu erleben, welchen ich ja nun schon dreißig Jahre regelmäßig als Hobby ausübe, hat mich umgehauen.
Und damit meine ich nicht allein die Leistung und den unglaublichen Willen, den die Aktiven auf dem Feld erbringen, sondern gerade hier auch den Einsatz der vielen Helfer drumherum, ohne deren immensen (gerade auch zeitlichen) Aufwand dies alles nicht möglich wäre.

Turniersieger: LFC Berlin
(Fotocredit: Michael Hain)

Daher ein kleiner Appell am Ende: Wenn bei Euch in der Nähe eine Blindenfußball-Veranstaltung ist, geht einfach mal hin und schaut es Euch an, Ihr werdet mit offenen Armen empfangen und schnell ins Gespräch kommen, sogar mit echten Bundesliga-Spielern. Und wer immer schon mal eine Gelegenheit gesucht hat, sich stärker im Verein einzubringen, darf sich auch gerne melden, Hilfe wird hier immer benötigt.
Abschließend: Danke an alle Beteiligten am Wochenende, insbesondere an Wolf, der da unfassbar viel Herzblut reinsteckt, sowie an Michael Hain für sein Engagement, Hilfe und die Fotos. // Frodo

httpv://www.youtube.com/watch?v=q8Y741X1CU0

Weitere Links:
Fotos bei Aux Armes
Bericht im Abendblatt I
Bericht im Abendblatt II
Bericht bei Fussball Hamburg

Und sonst so:

FC St.Pauli – 1.FC Union Berlin 2:2 (0:1)
Tore: 0:1 Torsten Mattuschka (21.), 1:1 Florian Mohr (48.), 2:1 Fin Bartels (69.) 2:2 Torsten Mattuschka (84.)
Zuschauer: 21.045 (geschätzt 2.500 Gästefans)

Ja, ach was könnte man da auch alles noch schreiben, irgendwie fehlt mir da grad etwas die Zeit, daher nur einige ungeordnete Gedanken:

  • Der Fußball bis zum Gegentor in Hälfte eins und der in der zweiten Halbzeit hat gefallen, mit dem 0:1 merkte man die derzeitige Verunsicherung. Da war in Form von Mattuschka ein Zug über das Selbstvertrauen gebrettert. Trotzdem: Eine ganz andere Nummer als gegen Aalen oder in Regensburg, so bitte immer.
  • Die Stimmung war auf Seiten von Union großartig und auch ausnahmslos Positiv-Support für das eigene Team, kein Abarbeiten am Gegner. Danke, so soll es sein.
    Von meinem Platz auf der Haupt direkt am Gästeblock war von uns wenig zu hören, die Unioner übertönten alles, aber Besucher anderer Stadionbereiche sprechen durchaus auch von guter Stimmung bei uns.
  • Der neue Trainer: Hoffentlich liest der kein Internet…
    Ich wünsche Michael Frontzeck jedenfalls (ganz eigennützig) alles erdenklich Gute bei seinem Job und viel Erfolg. Ja, die sportliche Bilanz als Trainer könnte besser aussehen, allerdings würde ich dann gerne auch mal sehen, welcher Trainer mit Gladbach, Bielefeld und Aachen (ausschließlich in Liga 1) denn nun sonderlich viel mehr Erfolge einstreichen würde.
    Abwarten, Tee trinken, Punkte holen.
  • Tabellenplatz 17!
    Na endlich… als Underdog waren wir schon immer am stärksten, kann also nur besser werden. Wird es auch.

Der Verein am Wochenende (40/2012)

Das ist auch schnell erzählt.
Das Spiel der U23 gegen den SV Meppen fiel dem Hamburger Wetter zum Opfer, U19 und U17 hatten spielfrei.
Im Einsatz war die U15 in der C-Jugend Regionalliga, holte sich da beim souveränen Tabellenführer, der gerade 125 Jahre alt geworden ist, allerdings eine 6:0-Packung ab. Die Punkte aber muss man eh gegen andere holen, so z.B. nächsten Samstag um 12.00h beim MTV Treubund Lüneburg.

Die 4.Herren ist in der Kreisklasse 7 auch wieder in der Spur, der FC Haak-Bir wurde mit 5:1 besiegt und man liegt als Neuling nun im oberen Mittelfeld. // Frodo

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