Die beste Mottofahrt ever

Von Aristoteles, Lenin und Sangria in Griechenland…

Ein absolutes Highlight fand im Juni 1999 statt: Am Tag der “Europawahlen” ging es per Sonderzug nach Uerdingen. Das Motto lautete folgerichtig dann auch “Europa” und so wurde jedem Fanclub eine Nation zugelost. Neben Franzosen, Italienern und Griechen gab es (ganz p.c.) auch die Abteilung “ethnische Minderheiten”. In filigraner Feinarbeit schmückten unzählige Helfer früh morgens die Abteile des Sonderzugs mit den jeweiligen Landesfarben.

Dass die Skinheads ausgerechnet England und die Karo-Family Irland zugelost bekamen, war übrigens kein Beschiss! Ich war bei der Auslosung im Fanladen dabei und es verlief alles regelkonform ;-))
Die Skinheads mussten sich ja kaum verkleiden, aber der “Union-Jack” prangte unübersehbar in jedem Abteil. Die Mitglieder der Karo-Family traten selbstredend allesamt als IRA-Kämpfer auf. Mit paramilitärisch anmutenden Klamotten und Wasserpistolen bewaffnet, ließen sie – auch durch den stetigen Whiskey-Genuss befeuert – keinerlei Zweifel an ihrer Motivation aufkommen…
Da beide Fanclubs allerdings in benachbarten Abteilen untergebracht waren, kam es folgerichtig zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen auf den Gängen. Auch Überfälle auf einzelne Abteile blieben nicht aus. Vereinzelt kam es sogar zu kurzfristigen Geiselnahmen, auf Hungerstreiks wurde jedoch verzichtet… In England gab es nur labbrige Fish & Chips, während (ganz Karo-Family-like) im irischen Abteil feinstes Irish Stew verköstigt wurde.

Bunte europäische St. Pauli-Kurve in Uerdingen 1999
(Foto: Hossa)

Traditionell durchstreife ich bei Auswärtstouren einmal den kompletten Zug, um zu sehen, wer denn alles dabei ist. Diesmal war es besonders. Gleich neben meiner irischen Familie befand sich das Abteil der Italiener.
Als erstes kreuzte Julius Caesar meinen Weg, gefolgt von einigen Gladiatoren und Pizza-Bäckern, sowie wallend-weißgewandten Römern. Natürlich durften auch Mitglieder der Mafia (alle in feinsten schwarzen Anzügen, mit weißem Hemd und schmalem schwarzen Schlips, samt Hut und deutlicher Ausbeulung unter dem Jackett!) nicht fehlen und selbstredend floss Rotwein und Grappa in Strömen. Der Papst segnete nebenbei seine Schäfchen…
Im nächsten Zugabschnitt gab es ebenfalls Rotwein. Dazu reichlich Käse, Weintrauben und Baguette. Man ahnt es bereits: Wir sind in Frankreich angekommen. Auch Asterix und Obelix waren an Bord,- von Idefix jedoch nix zu sehen. Eine kleine Gruppe Corsischer Separatisten hatte sich ein eigenes kleines Abteil gesichert und drohte jedem Eindringling mit Vendetta. Die Messer waren gewetzt und es gab Wildschweinbraten. Obelix schaute schmachtend durchs Fenster.

Bei den Hellenen servierte man ebenfalls roten Traubensaft, dazu selbstverständlich Ouzo. Zeus diskutierte mit Aristoteles über den aktuellen Zustand der Demokratie, während Pheidippides nach 42 Kilometern völlig aus Atem seinen Schlachtruf brüllte: “Gyros, Tzatziki und dazu Salat”! Herrlich… Vom Trojanischen Pferd aber keine Spur…
Weiter ging es in die Niederlande: Teils mit Holz-Schuhen bekleidet, immer eine Tulpe aus Amsterdam dabei und ein Stück Gouda in der Hand, wirkte diese Gruppe äußerst entspannt, – um nicht zu sagen: total bekifft ;-))
Während bei den Belgiern (zum Glück!) die Fritteusen versagten, konnte in Polen und Russland kurz hinter den Elbbrücken kaum noch einer gerade stehen. Das Wodka-Frühstück hatte den meisten schon ordentlich zugesetzt. Da nützen auch die Gurken wenig… In einem Abteil luden Stalin und Lenin ihre Revolver für die nächste Runde Russisch Roulette. Gerhard Schröder spielte dazu auf seiner Balalaika „Sonderzug nach Moskau“…

In Spanien gab es interne Konflikte: Die Basken gaben sich dem Kalimotxo hin und verhinderten brutale Stierkämpfe (einer hatte sich tatsächlich Hörner aufgesetzt…!). Die Katalanen forderten bereits damals die Unabhängigkeit und lieferten sich mit den Madrilenen heftige Sangria-Schlachten. Unterstützung erhielten sie ausgerechnet von den benachbarten Griechen, aber wohl nur, weil denen der Wein bereits ausgegangen war…

Vom Süden Europas ging es weiter nach Skandinavien. Zunächst traf ich auf eine stattliche Anzahl Wikinger, Biathleten auf Ski samt Gewehr auf dem Rücken und dann kreuzten plötzlich Pippi Langstrumpf, Anika und Tom samt Äffchen Herr Nilsson meinen Weg. Von “Kleiner Onkel” keine Spur… Irgendeiner versuchte sich am Aufbau eines schwedischen Möbelstücks und mit den benachbarten Dänen gab es einen Hot-Dog- und Lakritz-Contest…

Dann wurde es knifflig: Ein Mensch mit Badelatschen und Bademantel stand vor mir. “Wo ist denn hier die Sauna?” fragte er mich. Okay, ich bin wohl in Finnland, dachte ich mir. Aber dann begegnete ich zwei Leutchen, die über und über mit Putzlappen an ihrer Kleidung übersät waren. “Was seid ihr denn?”, fragte ich. “Na”, antwortete sie unisono, “wir sind Lappen aus Finnland”… Boah!

Plötzlich schrie jemand: “Scheiße, Rauten!”. Tatsächlich standen zwei Typen in HSV-Klamotten im Gang. Kurz bevor sie unter dem Zug kielgeholt wurden, schafften sie es gerade noch zu erklären, dass sie zu der Gruppe “ethnische Minderheiten” gehören würden. Okay, ließen wir gelten…
Als dann aber Adolf Hitler vor mir stand, wurde mir kurzfristig doch etwas heiß. Als ich aber sah, dass er einen Galgen in der Hand und die Schlinge um seinen Hals trug, rief ich ihm zu: “Mach nur weiter so!”.

Durch eine Gruppe von Sinti und Roma glitt ich in den Paadie-Wagon. Dort bereiteten Heidi und der Ziegen-Peter gerade das schweizer Nationalgericht Käse-Fondue vor und ein paar Mädels und Jungs in Trachtenklamotten aus dem benachbarten Österreich, jodelten fröhlich vor sich hin. Plötzlich wurde es laut: “We need beer! We need beer!”, skandierten die eintretenden Engländer. Doch im Nu schallte es aus der irischen Gruppe: “We need Guinness! We need Guinness!”. Eine heftige Auseinandersetzung um die besten Plätze am Tresen war die Folge, auch Wasserpistolen- und Gewehre kamen zum Einsatz.

Die ungläubigen Gesichter der Uerdinger Ordnungshüter, die uns am Bahnhof empfingen, waren mehr als ein Foto wert (Leider sind diese irgendwie verschollen…). In Landes-Blöcken ging es dann gen Stadion. Die Mafiosi trugen nun einen Sarg auf den Schultern und schritten mit ernsthaft-traurigen Gesichtern gemächlich dahin. Kurz dahinter erklangen feurige Flamenco-Rhythmen der Spanier, die sich mit wilden Techno-Klängen von DJ Bobo mischten.

Tiocfaidh ar la!
(Foto: Karo-Family / Hossa)

Im Stadion angekommen, musste die IRA zunächst ihre Waffen neu laden. Als wir vom Wasserlassen und Wasserholen von der Toilette kamen, stand dort plötzlich ein einsamer Uerdinger Hool. Er wollte ein Match. Wir antworteten mit einer ordentlichen Salve Wasser. Der Vollpfosten schnallte so mal gar nichts und rief nach einem Ordner. Ein Streifenhörnchen kam und der Einzeller brüllte: “Die haben mich nass gespritzt”. Der Uniformierte meinte nur: “Jammer nicht rum und nun raus hier aus dem Block”.
Da es sommerlich warm war, feuerten wir ein paar Salven in die Luft. Das gesamte europäische Volk war glücklich über die Erfrischung, die auf es niederregnete.

P.S.: Ob es auch eine deutsche Delegation gab, entzieht sich meinen (am Ende der Fahrt) nur noch rudimentären Erinnerungen… Und: Würden Wahlen etwas verändern, wären sie verboten.
// Hossa

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3 Kommentare

  1. Daran kann ich mich als Uerdinger auch noch gut erinnern. Zu der Zeit war es noch möglich während des Spiels im Stadion eine Runde zu laufen, also auch einmal quer durch den Gästeblock. Selten habe ich dabei soviel Zeit im Gästeblock verbracht. Ihr wart damals eine wirklich coole Truppe.
    Lieben Gruß von einem Grotenburg Supporter

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