„Im Sinne der friedlichen Fans“

Gestern Morgen um 10.00 Uhr veröffentlichte der DFB auf seiner Homepage ein Interview mit seinem Generalsekretär Helmut Sandrock, in der dieser Stellung zum „aktuellen Status in der Sicherheitsdebatte“ nahm. Gestern Abend um 22.00 Uhr las ich dieses Interview und danach hatte ich ernsthafte Probleme in den Schlaf zu finden.
Wenig ausgeschlafen, aber immer noch fassungslos, möchte ich dieses Interview dann mal etwas näher betrachten.

In seiner ersten Antwort stellt Sandrock erst mal klar, dass die Fans natürlich einbezogen seien (*hust*), schließlich seien sie an der Task Force Sicherheit, der AG Fanbelange und der DFB-Kommission Prävention und Sicherheit beteiligt. Mal ganz davon abgesehen, inwieweit die Meinung der Fans in diesen Gremien dann Berücksichtigung findet, oder sie vom DFB als bloße Alibigruppen aus Imagegründen aufrecht erhalten werden, kriegen eben diese Fans dann auch am Ende der ersten Antwort noch nen guten Rat mit auf den Weg. Denn Sandrock lässt den Begriff Fan dann auch gleich in Anführungsstriche setzen (bekanntlich eines meiner Lieblingsthemen) und hinterfragt ihn.

Fan sei, so Sandrock, jeder, „der begeisterter und leidenschaftlicher Anhänger des Fußballs ist“, wahlweise auch „jeder, der den Fußball liebt“. Soweit kein Widerspruch von mir, auch die von ihm aufgeführten Personengruppen (Familienvater mit Kindern, Geschäftsmann, Hausfrau) zählen selbstverständlich dazu. Nun aber seien da ja auch noch „Gruppierungen, die für sich in Anspruch nehmen, die einzigen und wahren Fans zu sein“.
Und, ohne den Zusammenhang wortwörtlich herzustellen, spricht Sandrock eben diesen Gruppen das Fan-Dasein ab, denn: „Wer ihn [den Fußball] liebt, wird nichts unternehmen, was dem Fußball und den beteiligten Personen […] in irgendeiner Form schaden kann.
Puh, da stellt sich natürlich die Frage, ob das Hochhalten eines pyrotechnischen Gegenstands beteiligten Personen wirklich “schadet”, von sehr wenigen Ausnahmen mal abgesehen, geschweige denn “dem Fußball”. Insbesondere, wenn weiterhin Sponsoren von DFB, DFL und Vereinen fröhlich Pyro zu Werbezwecken als positives Gestaltungselement verwenden (AdidasBitburger, Wettanbieter…).

Dies bringt einen natürlich zu einer generellen Frage: Wer entscheidet, was dem Fußball schadet? Inwieweit sind Dinge wie Pyro und der „positiv besetzte Platzsturm“ in Düsseldorf, die den Fußball ja bis zur Erwähnung in der Tagesschau in die Medien bringen, wirklich als böswillige Tat gegen den Fußball gemeint? Letzteres muss man ja voraussetzen, wenn man einen derartigen Umkehrschluss wie Herr Sandrock bewerkstelligen will? Kann es nicht sein, dass eine Vielzahl dieser Aktionen im besten Wissen und Gewissen „begangen“ wird, mit einer positiven Absicht aus der Begeisterung heraus, ggfs. gepaart mit einer gewissen jugendlichen Rebellion?
Hilft umgekehrt die Polizei dem Fußball, wenn sie, wie in Hannover und an zahlreichen anderen Orten geschehen, mit Pfefferspray-Einsatz für Dutzende Verletzte und Eskalation sorgt? Wo bleiben die Stadionverbote für Beamte mit fehlerhaftem Verhalten? Hilft sie, wenn sie unabhängige Untersuchungen, wie vom Experten Dr. Thomas Feltes erstellt, versucht zu diskreditieren, wie nach eben jenem Bericht geschehen?
Aber die Polizei liegt eben außerhalb jeder Kritik, auch nichts Neues.

Sehr scharfsinnig wird Sandrock dann, wenn er auf die verlängerte Laufzeit der Stadionverbote angesprochen wird: „Dieser Punkt betrifft in der Praxis doch nur diejenigen, die sich nicht an die Regeln halten. Wer als friedlicher Fan zum Fußball geht, muss sich über das Strafmaß bei Verstößen doch gar keine Gedanken machen.
Zack! Die bekannte „Wer nichts zu verbergen hat…“-Argumentation, mit der man auch die Todesstrafe für Schwarzfahren rechtfertigen kann oder ne rote Karte für falschen Einwurf. Mal davon ab, dürfte inzwischen auch beim DFB angekommen sein, dass Stadionverbote recht wahllos vergeben werden und kaum verlässlicher sind als die inzwischen öffentlich der Lächerlichkeit preisgegebenen Datei Gewalttäter Sport. Nach wie vor sind Einzelanhörungen bei Stadionverboten nicht zwingend vorgeschrieben und die Stadionverbote können von den Vereinen nach Gutdünken (oder ungeprüfter Übernahme aus Polizeiprotokollen) verhängt werden, ohne dass diese von einem unabhängigen Gremium geprüft werden.

Und davon ab: Strafverschärfung von fünf auf zehn Jahre ist so eine typische Schreibtischtäter-Denke. Glaubt wirklich irgendjemand, dass sich ein Fußballfan, der sich grad einer der dazu notwendigen „schweren Verfehlungen“ strafbar macht, anfängt nachzudenken, getreu dem Motto: „Puh… nee, also fünf Jahre ohne Verein XY wären zwar hart, aber das krieg ich hin. Aber zehn Jahre? Nee, dann lass ich es lieber.“ Für einen Fan sind auch fünf Jahre ohne seine Bezugsgruppe im Stadion fernab jeder Vorstellungskraft.
Und insbesondere bei dem Punkt zeigt sich dann auch, dass anfangs behauptetes Einbinden der Fans nicht stattgefunden hat, weswegen zum Beispiel Pro Fans den Austritt aus der AG Fandialog erwägt. (Und diese Enttäuschung über die geringe Wertschätzung wird übrigens auch nicht zum ersten Mal artikuliert.)

Auf die neckisch gestellte, leicht populistische Frage „Gewalt nein, Emotionen ja?“ spricht Sandrock dann von den guten und den bösen Fans, jenen „wenigen Unverbesserlichen“. Hierbei fehlt aus meiner Sicht dann aber erneut die Differenzierung zwischen den wirklichen Gewalttaten und der (eher folgenlosen, wenn auch nicht erlaubten) Pyrotechnik. Denn die „Stimmung“, will sagen die Gesänge und Choreographien, werden zum Großteil (und natürlich kann man das nicht auf alle Stadien und jede Fangruppe verallgemeinern) von eben jenen initiiert, die der Pyrotechnik gegenüber aufgeschlossen sind, die man auf den Stehplätzen findet. Und wenn es denn stimmt, was die Rot-Schwarze-Hilfe behauptet, nämlich das das Verbot der Stehplätze längt hinter vorgehaltener Hand beschlossen ist, schließt man konsequent eben auch einen Großteil dieser Stimmung von der Zukunft des Fußballs aus.
Aus Fansicht ist man geneigt zu sagen: Macht doch, Ihr werdet sehen, was Ihr davon habt! Leider zeigt das Beispiel England, dass die Dauer, bis die Fehler dann auch Verbands-Vereinsseitig finanziell schmerzhaft eingesehen werden (weil die Sponsoren und die Logengäste wegbleiben) durchaus eine längere sein kann. Zumal kaum zu erwarten ist, dass wirklich mit einem harten Cut alle organisierten Fangruppen den Stadien fernbleiben, dies ist derzeit nicht mal für einen einzelnen Spieltag zu erwarten. Selbst bei eigentlich ganz gut vernetzten und organisierten Fanszenen, wie beispielsweise der des FC St.Pauli, ist dies (siehe die letzten zwei Heimspiele gegen den FC Hansa Rostock) nur schwer zu vermitteln. Er würde also eher ein schleichender Abschied werden.

Sandrock möchte also „Emotionen, kein steriles Stadion.“ Dies ist lobenswert, verschließt aber die Augen davor, dass Emotionen eben nicht nur zu 100% positiv sein können, da zur Emotion eben auch die Enttäuschung gehört, ebenso wie Wut und Angst. Und es wird nicht gelingen (und das ist gut so!), die Fans zu willenlosen Claqueuren zu machen, die brav ihre Gesänge und Choreographien mit viel Herzblut, Zeit und Geld erstellen, ansonsten aber ihr Gehirn am Stadioneingang abgeben und alle Repressionen kommentarlos über sich ergehen lassen, damit das geschätzte VIP-Publikum sich an ihnen erfreuen darf. Auch beim FC St.Pauli ist man von dieser zoologischen Betrachtungsweise nicht sonderlich weit entfernt, die Business-Seats und Logen direkt über den Süd-Stehrängen sind leider ein besonders treffendes Beispiel dafür, schließlich wollten viele Firmen hier nicht mal zurück auf die Haupttribüne, weil man den Kunden von diesen Plätzen direkt über den Ultras doch dieses „herrlich Wilde“ viel besser vermitteln könne.

Da es zu dem Thema generell, zur Stehplatz-Zukunft und den aktuellen Teilausschlüssen und Geisterspiel-Urteilen derzeit unfassbar viel Bullshit zu lesen gibt, hier noch ein paar lesenswerte Artikel zu den einzelnen Themen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

–       „Im Namen des DFB“ (Frankfurter Neue Presse)
Gedanken über den Teilausschluss gegen die Frankfurter Eintracht bzw. die Sinnhaftigkeit von Sippenhaft.
–       „Ein skurriles Urteil“ (Hackentricks Universum)
Gleiches Thema, aus Eintracht-Fansicht geschrieben, ebenfalls lesenswert.
–       „Ein Sicherheitsgipfel und seine Folgen“ (schwatzgelb.de)
Die Fanzine-Kollegen aus Dortmund mit einer umfassenden Betrachtung des Sicherheitsgipfels aus Fansicht.
–       „Und wirklich?“ (MagischerFC-Blog)
Eine Betrachtung jener Sicherheitskonferenz der letzten Woche, mit Gedanken zu Stehplätzen und dem Verhalten des FC St.Paulis.
–       „Fast eine Kriegserklärung“ (Reviersport)
Mit Stellungnahmen von Politikern, die ihr Unverständnis an der Nicht-Beteiligung von Fans bei jener Konferenz äußern, ebenso wie mit Statements von Philipp Markharft (ProFans) und Wilko Zicht (BAFF), nach deren Lektüre man sich schon fragen kann, ob Sandrock eigentlich selber glaubt, was er eingangs sagte.
–       „Wie DFB und Politiker eine Drohkulisse schaffen“ (11Freunde)
Das Magazin für Fußballkultur fasst ebenfalls gut in Worte, warum man derzeit eigentlich nur noch den Kopf schütteln kann.
–       „Betrunkene Randalierer pöbeln beim Fernsehgarten“ (Stern.de)
80 „Fernsehgarten-Hooligans“ werfen mit Käse und grölen „Itsy Bitsy Strandbikini“ – die hässliche Fratze der Gewalt tritt mal wieder ins Licht der Öffentlichkeit. Umso schockierender, dass bereits bei der Live-Sendung zwei Wochen zuvor beim Auftritt von Roland Kaiser eine Gruppe „Deutschland ist scheiße, Ihr seid die Beweise“ gegröhlt haben soll, was meines Wissens nach bisher noch nicht mit 10 Jahren Gartenverbot geahndet wurde. Wo ist die harte Hand des Gesetzes, wenn man sie mal braucht?

Unterm Strich lässt es sich wohl weiterhin gut damit zusammenfassen, dass der Fußball wie wir ihn kennen, sich an einem Scheideweg befindet. Dies mag er bereits seit Anfang des Jahrtausends sein, seit die Fanproteste organisierter und lautstärker werden, langsam nähert sich der Schnellzug allerdings tatsächlich der Weiche, an der sich viele entscheiden werden müssen, ob sie diesem Zirkus noch weiter folgen wollen, oder sich auf lange Sicht wahlweise anderen Sportarten oder unteren Ligen zuwenden, oder gar Vereine neu gegründet werden. Dies mag durchaus noch 4-5 Jahre so weitergehen, mit der ebenfalls zunehmenden Spirale der Polizeigewalt gegen Fußballfans und deren Reaktion kann es aber eben auch sehr viel schneller zum Zusammenstoß kommen. // Frodo

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