Kleinstes gemeinsames Schwein(ske)

Die Vorkommnisse rund um den Schweinske-Cup 2012 dürften den meisten Lesern noch weniger gut in Erinnerung sein, alle anderen können hier, hier, hier, oder hier nachlesen.

Nun wurde im vergangenen Jahr vom Hamburger Senat ein “Örtlicher Ausschuss Sport und Sicherheit” (ÖASS) eingesetzt, auf Anordnung von Innen- und Sportsenator Michael Neumann gab es zusätzlich aus den Mitgliedern des ÖASS heraus eine Arbeitsgruppe (AG) mit dem Namen “AG zur Aufarbeitung der Geschehnisse rund um den Schweinske-Cup 2012“, die nun heute ihren Abschlußbericht vorgestellt hat.
Mitglieder der AG waren:

  • FC St.Pauli (Stefan Orth und Sven Brux)
  • hsv (Vorstand und Sicherheitsbeauftragter)
  • Verein Jugend und Sport (Geschäftsführer und St.Pauli-Fanladen)
  • Hamburger Fußball-Verband (Geschäftsführer)
  • Polizei Hamburg
  • Behörde für Inneres und Sport (Abteilung Innere Sicherheit)

Dieser liegt in Kürze wohl auch jetzt auch online vor, zusätzlich gab es gestern für interessierte Journalisten ein “Hintergrundgespräch” im Sportamt, welches die Moderation dieser AG übernommen hatte, an dem u.a. auch publikative.org (wie immer lesenswert) und der Übersteiger teilnehmen durfte.
Die AG tagte zwischen November 2012 und Februar 2013 insgesamt vier Mal.

Das wichtigste vorweg, gleichzeitig die Erklärung für unsere Überschrift: Der Bericht wurde einstimmig von allen Beteiligten unterzeichnet, jeder steht hinter jedem Komma, wie betont wurde.
Damit ist auch der größte Makel dieses Berichts gleich benannt: Die Schuldfrage (ebenso wie einzelne polizeitaktische Erwägungen und Maßnahmen) wird im Bericht größtenteils ausgeklammert. Also all dies, was in der Erwartungshaltung der Öffentlichkeit (oder zumindest in der Fan-Öffentlichkeit) den wohl dringendsten Klärungsbedarf hatte. Wenn überhaupt, wird auf das Versagen des (inzwischen ja insolventen) Veranstalters an einigen Stellen verwiesen, der allerdings ja auch die einzige betroffene Partei war, die nicht in der AG vertreten war.
Stattdessen soll der Blick nach vorn gerichtet werden, nach Ansicht von Karl Schwinke, Staatsrat für Sport, will sich Hamburg als Vorzeigeobjekt für den konstruktiven Dialog zwischen Vereinen, Fans und Polizei hervortun und diese AG sei ein sehr guter erster Schritt dorthin gewesen.

Nun ja, konstruktiver Dialog kann sicher nie schaden und immerhin hat ja auch der Fanladen den Bericht unterzeichnet, was genau steht also drin?
Eine Zusammenfassung in Kürze, allen Interessierten empfehle ich natürlich trotzdem auch die komplette Version.

Grundlage der Arbeit in der AG waren neben dem eingangs verlinkten Feltes-Report auch der Lagebericht der Polizei. Auf Nachfrage an Thomas Beyer vom Sportamt, der die Moderation innerhalb der AG übernommen hatte, sind bereits hier durchaus verhärtete Fronten in der Bewertung dieser beiden Schriftstücke vorhanden gewesen, die auch innerhalb der AG nie ganz aufgelöst werden konnten. Allerdings, seien wir ehrlich, damit durfte wohl auch niemand rechnen.
Immerhin ist einer der ersten Punkte, die die AG als Ziel erklärt, “das in der Öffentlichkeit entstandene Bild von Akteuren zu korrigieren. So wurden in den unterschiedlichsten Medien und über einen langen Zeitraum “die” St.Pauli-Fans in nicht gerechtfertigtem Maß und vor allem pauschalisiert als gewaltorientiert und -bereit dargestellt. Eine öffentliche und notwendige Korrektur dieses Bildes ist nicht nur eine Frage der “Fan- und Vereinsehre”, sondern auch ein Schlüssel für den von der AG einhellig gewünschten veränderten Umgang innerhalb der Vereinsszene und mit der Polizei.
Im nächsten Absatz wird gleiches dann auch für das “öffentliche und in Teilen der der Fanszene “gepflegte” Bild der Polizei[…]” erbeten.

Die AG ermittelte in der Analyse sechs Themenbereiche, die es aufzuklären galt, als da wären:

  • Organisationsqualität / Veranstalterrolle
  • Sicherheitsbesprechungen, Sicherheitskonzept, Ordnerdienste
  • Ausbruch der Gewalttätigkeiten im Bereich der Sanitäranlagen
  • Auseinandersetzung im Bereich der Kopftribüne / sog. “Bannerklau”
  • Auseinandersetzung im Bereich von Hallenumlauf und Raucherbalkon
  • Ausschreitungen außerhalb der Halle

Diese Themen werden dann ausführlich beleuchtet, wobei hier erneut auffällt, dass es sich eher um Feststellungen auf Sachebene handelt, wertfrei, größtenteils ohne Schuldzuweisung.

Ich lasse die einzelnen Bereiche mal für sich stehen und gehe nur auf ein paar Auffälligkeiten ein:

Insgesamt wird der schwarze Peter, so er überhaupt schriftlich verteilt wird, wie erwähnt dem in der AG nicht beteiligten Veranstalter zugeschoben. Dies geschieht in vielen Fällen sicher auch zurecht, es bleibt aber der fahle Beigeschmack, hier ein willkommenes Opfer gefunden zu haben welches sich nicht mehr wehren konnte. Insbesondere, weil damit der Fokus natürlich von der Polizei abgewendet wird.
Hauptkritikpunkt ist hierbei, dass der Veranstalter die geforderte und abgesprochene Anzahl Ordner nicht gestellt habe, die Anzahl sei ohne Rücksprache heruntergeschraubt worden. Dieser wendet ein, dass durch den Pfefferspray-Einsatz der Polizei mehrere Ordner ausgefallen seien.
Die Polizei selbst empfand die Einlasssituation als normal, den beschriebenen Ausfall der Ordner ebenfalls. (Fürs Protokoll: Es gab offiziell 30 Verletzte, davon 14 Polizisten. Leider ist nicht festgehalten, wieviele davon auf das Pfefferspray zurückzuführen sind. Und dieZahl der tatsächlich Verletzten durch Pfefferspray, die dann aber kein Interesse mehr hatten dies offiziell den Beamten mitzuteilen, dürfte um ein Vielfaches höher liegen.)

Ein weiteres Zitat aus dem Bericht, welches sich auf die Phase vor der ersten Eskalation bezieht:
“Von Seiten des FC St.Pauli wurde in der Ausschussdiskussion darauf hingewiesen, dass sich bei beobachtung der Lage und Bewegungen der Fangruppen in der Halle hätte deutlich werden müssen, dass sich Ausschreitungen anbahnen könnten.
Dieser Hinweis (“anbahnen könnten”) ermächtigt die Polizei noch nicht, Eingriffsmaßnahmen durchzuführen. Zu diesem Zeitpunkt greift ausschließlich die “Ordnungsverpflichtung des Ausrichters mittels seines Hausrechtes.”
Da sitzt man als Fußballfan in diesem Hintergrundgespräch schon recht fassungslos, da man nun oft genug extreme Repressionen über sich ergehen lassen muss, ausschließlich weil sich “etwas anbahnen könnte“. Die gesamte Polizeitaktik rund um den Fußball dreht sich darum, was passieren könnte, aber ausgerechnet an diesem Abend war das irrelevant? Im Gegenteil, zum Einkesseln des St.Pauli-Blocks hatte es polizeitaktisch gereicht, zu “Eingriffsmaßnahmen” gegenüber der bereits vom Hauptbahnhof bis zur Halle randalierenden und sich dann den Einlass erprügelnden Lübecker reichte es aber nicht?
Aber polizeitaktische Maßnahmen waren ja leider “out of scope” für die AG, sehr schade.

Sehr wichtig ist allerdings folgende Feststellung: Die Ausschreitungen im Bereich der Sanitäranlagen, die durch fehlende Sicherheitsvorkehrungen begünstigt wurden, seien “mitbegründend” für die spätere Eskalation, die bedenkliche bauliche Situation an dieser Stelle der Halle sei Polizei und Vereinen bekannt, nur der Veranstalter habe dies eben unterschätzt.
Anschließend wird auch das Procedere rund um die Ausschreitungen an der Kopftribüne inklusive dem Bannerklau erläutert, inklusive einer Erklärung für in Fandingen nicht so bewanderte, was ein Bannerklau unter Fußballfans denn eigentlich sei und welche Symbolik dahintersteht. Etwas, was man in einem von Behörden und Polizei unterzeichneten Schriftstück sicher so nicht erwartete.
Erneut wird auf fehlende Ordner verwiesen, die es den Lübeckern leicht machten.
Aber: Auch ein “Bannerklau” (rein rechtlich ja aus meiner Laiensicht immer noch der Straftatbestand des Diebstahls) sei “für die Polizei kein Grund zur Ergreifung von Maßnahmen im Sinne der Gefahrenabwehr”.
Erneut sei der Hinweis erlaubt, dass ansonsten bei Fußballspielen viel nichtigere oder auch gar keine Anlässe Grund genug sind. Auch wird festgestellt, dass die Aktion von den Lübeckern ausging, was in den Medien damals ja auch eher unterging.
Anschließend wird beschrieben, dass die Polizei es als notwendig erachtete, auch in der Halle Pfefferspray einzusetzen, was dann (quasi als Kollateralschaden) auch unbeteiligte Zuschauer betraf.

Aus diesem komplexen Gemenge heraus wird dann auch die folgende Eskalation betrachtet, in der darauf hingeweisen wird, dass dies als “logische Folge” des vorangegangenen betrachtet werden muss, ohne damit die Härte und Art und Weise zu rechtfertigen, insbesondere nachdem die Polizei die Lübecker weggeschafft hatte und sich die “Wut” der St.Pauli-Fans damit nur noch auf die Polizei richtete.
Zentraler Kritikpunkt des Berichts ist, dass eine enge Abstimmung der an der Sicherheit beteiligten Partner nicht wirkunsgvoll genug erfolgte.

Der Blick nach vorne

Anschließend blickt man nach vorne und versucht, in der AG für die Zukunft einen “Kontakt auf Augenhöhe” herzustellen. Dies zwischen den Vereinen, den Fanprojekten und der Polizei zu schaffen, wäre dann tatsächlich ein Erfolg, da stimmt auch der Übersteiger zu und genau dies dürfte auch der Hauptbeweggrund für den Fanladen gewesen sein, dieses Schriftstück zu unterzeichnen.
Sicher ist die ausbleibende Beantwortung der Schuldfrage enttäuschend, allerdings durfte wohl auch niemand ernsthaft erwarten, dass die Polizei hier Fehler einräumt und dies dann noch unterschreibt. So ist der zwischen der mehr oder weniger Freispruch oder zumindest die Richtigstellung der Verantwortlichkeiten für die St.Pauli-Fans sicherlich schon als großer Erfolg zu werten, immerhin ja unterzeichnet von Polizei und Innenbehörde.

Wie ein derartiges Miteinander aussehen könnte, zeigte sich bei einer zentralen Streitfrage, nämlich zwei der Stadionverbote, die als besonders ungerechtfertigt angesehen werden. Hier gab es auf Initiative des Vereins die Bitte an die Polizei, diese doch beim DFB zurückzuziehen, was dann (nach ein bißchen Diskussion) auch tatsächlich in einem gemeinsamen Brief an den DFB geschah.
Leider zeigte sich der DFB daraufhin von seiner uneinsichtigen Seite und blockte das Ansinnen ab, obwohl es vorher sogar gegenteilige Signale gegeben hatte. Schlumpf Dich, DFB. Allerdings ist zumindest in Detailfragen das Verfahren auch noch schwebend.
(Nachtrag, 17:30h: Wie auf der Vereinshomepage nachzulesen ist, gab es da seit gestern wohl dann doch noch ein kleines Zugeständnis des DFB. Die Stadionverbote wurden zwar nicht sofort zum Zeitpunkt des Briefes aufgehoben, aber jetzt dann doch immerhin nach einigem Hin und Her zu Anfang Mai und damit vor dem letzten Heimspiel. Warum da der April jetzt noch zwingend “gebüßt” werden muss, müssen wir dann aber auch nicht verstehen.)

Die AG schließt mit Empfehlungen für die zukünftige Zusammenarbeit, Staatsrat Karl Schwinke ist sogar optimistisch, dass zukünftig innerhalb der Bundespolizei länderübergreifend besser zusammengearbeitet wird und der Hamburger Verantwortliche den Kollegen in München dann mitteilen wird, dass es bei Ankunft von Sonderzügen (wie am Wochenende bei der knappen Auswärtsniederlage des Nachbarn) zukünftig keine Kontrollen mehr bei der Ankunft geben muss.
Ein frommer Wunsch, wir bleiben skeptisch.
Auch Sportamtleiter Thomas Beyer äußerte eingangs die Vision, ein Hamburger Derby ohne Polizei genießen zu wollen, räumte aber auch gleich ein, nicht naiv genug zu sein, um ernsthaft dran zu glauben.

Für eine Zukunft von Hamburger Hallenturnieren werden auch noch Empfehlungen ausgesprochen, selbst die Alsterdorfer Halle wird unter bestimmten Voraussetzungen hierbei weiter in Erwägung gezogen.

Am 25.April wird dieser Bericht dem Innenausschuß der Bürgerschaft vorgestellt, eventuell wird es danach dann noch weitere Ergebnisse/Folgen geben. Wahrscheinlich aber eher nicht, so vermute ich.

Fazit

Ich bin zunächst mal enttäuscht.
Ich erinnere mich noch gut an den Auftritt von Innensenator Michael Neumann im Centro, wo dieser Aufklärung zusicherte. Diese ist bis heute nicht erfolgt und auch diese AG hat (zumindest nach außen) wenig an Aufklärung betrieben.

Trotzdem gibt es natürlich auch viele Punkte im Bericht, die einem etwas Wiedergutmachung geben, für die unfassbaren Berichte in den Massenmedien im Januar 2012. Ob diese allerdings aufgrund des Berichts ihre Darstellungen überdenken, oder es eher wie heute im Abendblatt (welches allerdings damals auch noch eher differenziert berichtete) in einem kleinen Nebenbericht abgehandelt wird, frage ich Euch nicht ernsthaft, das wisst Ihr selbst.

Es bleibt die Hoffnung, dass jenes “auf Augenhöhe” miteinander reden auch wirklich in die Tat umgesetzt wird und durch jenes neue “Miteinander” das Erlebnis Fußball in Hamburg zumindest für anreisende Auswärtsfans wieder erträglicher wird. Und ganz vielleicht hat dies dann ja tatsächlich Signalwirkung und irgendwann profitieren auch wir dann davon.
Ob es jemals wieder ein Hallenturnier mit Profimannschaften in Hamburg geben wird, wird die Zukunft zeigen müssen. Ob ich dies derzeit überhaupt wollen würde, weiß ich nicht. // Frodo

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