Zweitliga-Fußball im Atlantik
Ein Gastbeitrag von Niels Grube
Madeira, bummelig 1000 Kilometer südwestlich der portugiesischen Hauptstadt Lissabon im Atlantik gelegen und mit 794 Quadratkilometern nur unwesentlich größer als Hamburg, dürfte den meisten als Blumeninsel und Herkunftsort eines gewissen Christiano Ronaldo bekannt sein. Obwohl er bereits als 12-Jähriger das bergige Eiland in Richtung der Jugendakademie von Sporting Lissabon verließ, ist er allgegenwärtig. Mit 37 Jahren noch unter den Lebenden weilend, ist bereits seit einigen Jahren der Flughafen nach ihm benannt. Ein Museum sowie Denkmäler gibt es ebenfalls schon – ein Personenkult ähnlich wie in Nord-Korea.
Getreu meinem Urlaubsmotto „Berge von unten, Kirchen von außen, Kneipen von innen sowie Stadien statt Museen“ hatte ich für meinen gut einwöchigen Aufenthalt Mitte November auch den Besuch von Fußballspielen geplant. Da aufgrund der unsäglichen WM auch in Portugal eine lange „Winterpause“ eingelegt wurde, war ich am Ende froh, immerhin ein Spiel besuchen zu dürfen. Dieses, so viel sei schon verraten, wurde ein Besonderes.
Maritimo Funchal ist der erfolgreichste Verein und gegenwärtig alleiniger Erstligist auf Madeira. 1910 gegründet, gilt er bis heute als Verein der Fischer und Arbeiter. Nacional Funchal – ebenfalls Jahrgang 1910 – hat das Image des eher schnöseligen Clubs, auch schon bevor C. Ronaldo dort entdeckt wurde. Vor rund 15 Jahren noch Gegner von Werder Bremen in der Europa League, dümpelt Nacional seit einigen Jahren in der 2. Liga vor sich hin und kämpft in dieser Saison gegen den Abstieg. Neben dem Gründungsjahr zwei weitere Gemeinsamkeiten mit unserem FC!
War ich zunächst ein wenig traurig, nicht in den Genuss eines Maritimo-Matches zu kommen, änderte sich dies kurz nach meiner Ankunft beim Anblick des Stadions von Nacional („Estadio do Madeira“), spektakulär auf einem gut 600 Meter hohen Bergplateau oberhalb der Inselhauptstadt Funchal thronend. Dafür war ich sogar bereit, von Punkt eins meines Urlaubsmottos abzuweichen.
Aber warum baut man an so einer unwirklichen Stelle ein Stadion für immerhin 5.200 ZuschauerInnen, welches nur über eine steile Straße mit zig Serpentinen durch Eukalyptuswälder führend erreicht werden kann? Nun, mein Host Pedro konnte weiterhelfen: „Die Lage des Grounds ist auf die fußballfeindliche Topographie der Insel mit vielen hohen, steilen Bergflanken und wenig ebenen Flächen zurückzuführen“ Und ergänzt augenzwinkernd: „Die manchmal binnen Minuten wechselnden Wetterverhältnisse, eben noch wolkenlos und windstill, plötzlich Wind und Wolken, seinen häufig ein Vorteil für Nacional.“ Dazu später mehr.
Samstag, Spieltag: Nacional (Tabellen 15.) gegen die Zweitvertretung vom FC Porto (4.). Noch völlig fertig vom irren 4:4 unseres FC beim KSC machte ich mich anschließend bei 25 Grad und Sonne in Funchal startklar. Aufziehende Wolken in den Bergen ließen bei mir die Alarmglocken schrillen und so packte ich für alle Fälle wärmende Klamotten ein. Eine richtige Entscheidung. Nach 30 Minuten Fahrt zeigte das Thermometer nur noch bescheidene 15 Grad an. Bewölkung sowie Wind hatten deutlich zugenommen. Ein Groundhopper vom anderen Verein, nur mit Rauten-Trikot und Shorts bekleidet, fror erbärmlich und ward nach der Pause nicht mehr gesehen. Gut so!
Die restlichen auf zwei moderne Seitentribünen verteilten 500 ZuschauerInnen waren aber allesamt wettergerecht angezogen und blieben bis zum Abpfiff, was sicherlich auch am 4-0 Sieg gelegen haben dürfte. War ich anfangs bezüglich der Stimmung bei zwei offenen Stadionseiten und ob der spärlich besetzten Ränge etwas skeptisch, wurde ich schnell eines Besseren belehrt. Es wurde laut supportet sowie viel geflucht – nie wirklich böse und ausfallend, immer mit einem schelmischen Lächeln hinterher.
Das Spielniveau war überschaubar und erinnerte eher an Kicks in der Regionalliga Nord. Und das trotz des Marktwertes von Porto II, der laut Transfermarkt.de immerhin rund 18 Millionen beträgt, was nur fünf Mios unter dem Wert unserer Mannschaft liegt. Aber möglicherweise hatte auch das zunehmend schlechtere Wetter seine Finger mit im Spiel.
Mit jeder Spielminute sank die Wolkendecke um mehrere Meter, so dass ich spätestens ab Minute 60 mein erstes Fußballspiel in den Wolken sah. Ein Erlebnis der besonderen Art mit den herum wabernden Wolken. Das Szenario erinnerte ein wenig an den Rauch von Pyrotechnik. Aber es war einfach ein meteorologischer Vorgang, der für diese gespenstische Atmosphäre sorgte. Und als Nacional das 3-0 schoss, musste ich wieder an die Worte meines Hosts hinsichtlich des Heimvorteils durch Wetterkapriolen denken.
Um das Spiel herum konnte ich einige nette Gespräche mit Fans sowie dem Masseur von Nacional führen, in denen ich einiges über die Besonderheiten des madeirischen Fußballs erfuhr. Da es bis auf die Inselbrauerei keine Großsponsoren oder durchgeknallte Mäzene gibt, ist die Regierung der Provinz Madeira der jeweils größte Geldgeber beider Klubs. Die Verantwortlichen begründen dieses nicht unumstrittene Sponsoring mit Hilfe von Steuergeldern in Millionenhöhe damit, dass beide Vereine als Werbebotschafter der Insel fungieren und somit der Tourismus als Einnahmequelle Nummer eins, angekurbelt wird.
Wieviel Gelder genau fließen konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Da aber beide Clubs zu sämtlichen Spielen auf das Festland sowie die Azoren – der dort ansässige CD Santa Clara ist Erstligist – per Flugzeug reisen müssen und nicht selten zwei Hotelübernachtungen anfallen, dürfte der jeweilige Reiseetat im mittleren sechsstelligen Bereich liegen. Die hohen Reisekosten haben auch zur Folge, dass beide Teams auswärts nahezu ohne Fanunterstützung auskommen müssen.
Mit diesen Erkenntnissen und den tollen Eindrücken reihte ich mich mit meinem Mietwagen in die Blech-Karawane ein, die langsam Richtung Tal rollte. Unten angekommen, herrschten wieder spätsommerliche Temperaturen und der Abend fand seine Fortsetzung in der ganz wunderbaren Altstadt von Funchal. Und zum Ende noch der Hinweis, dass ich selbstverständlich Punkt drei meines Urlaubsmottos treu geblieben bin und den Besuch des CR7-Museums vermieden habe. //Niels