28.Spieltag – (H) – FC St.Pauli – Hansa Rostock

FC St.Pauli – FC Hansa Rostock 2:0 (1:0)
Tore:
1:0 Marius Ebbers (41.), 2:0 Deniz Naki (54.)
Zuschauer: 19.146 (keine Gästefans)
Rote Karten: Martin Retov, Fabian Boll (beide 57.)

Oha, heute mache ich mich unbeliebt… und bevor ich mich verzettel unterteile ich den Bericht mal, für mich recht ungewöhnlich, in Kategorien.

Die Vorgeschichte
Ich will das nicht alles wieder aufwärmen, daher in Kürze: Das Präsidium und die Polizei entschlossen sich, nur 500 Gästefans zuzulassen. Rostock verzichtete konsequenterweise ganz auf die Karten, Fangruppen des FC St.Pauli kündigten gegen diese Beschneidung der Fanrechte Proteste an. Wer das noch mal nachlesen möchte, kann dies im Blog hier und hier tun oder die ÜS-Sonderausgabe lesen, die am Sonntag verteilt wurde.

Das Spiel
Kann man schnell abhaken. Unterm Strich verdienter Arbeitssieg in einem umkämpften Derby, in dem Hansa uns mit diesem unglaublichen Fehlpass von Schöneberg auf Ebbers natürlich einen großen Gefallen tat und Matze Hain erneut großartig hielt, wenn er gebraucht wurde. Ich hab vor der Saison viel über ihn geschimpft, aber er ist diese Saison genau der Rückhalt, den man für einen Bundesliga-Aufstieg braucht, ich leiste in aller Form Abbitte bei ihm.
Die Situation, die zum Tumult führte, war hingegen eindeutig: Böses Frustfoul des Hansa-Kapitäns Martin Retov an Deniz Naki, welches für sich bereits zwingend eine rote Karte nach sich zog. Anschließend stürmt Boll auf ihn zu, was Retov zu einer klar erkennbaren Zidane-Gedächtnis-Kopfnuss verleitet. Klassisches Doppel-Rot für ihn, maximal Gelb wegen ungestümen Anrennens für Boll, aber eigentlich nicht mal das. Warum Rafati beiden die rote Karte zeigte, erklärte er dann später, indem er Boll wahlweise eine Kopfnuss oder ein deutliches Schubsen nachsagte… wenn das seine Begründung ist, so muss man Boll eben nach den TV-Bildern freisprechen, Fehlentscheidungen passieren. Allerdings stand Rafati nur zwei Meter weg mit bester Sicht aufs Geschehen, also schon eine sehr unverständliche Entscheidung. Retov hingegen muss für Minimum sechs Spiele gesperrt werden, weil beide Szenen für sich mindestens drei Spiele Sperre bedeutet hätten. Ich bin gespannt, wie das Schiedsgericht das sieht. (Edit: P.S. Der DFB hat grad sieben Spiele Sperre verhängt… bleibt abzuwarten, was mit Boll passiert.)
Schönes Highlight nach dem Spiel war dann das kollektive Niederknien der Mannschaft vor dem großen Bild von Truller in der Jahr100Elf, während Stani und Truller feixend im Mittelkreis standen.

Rostocker Randale
Blieb, wie zu erwarten, aus. Zwar war klar, dass es genug Leute versuchen würden, Stress anzuzetteln, aber die in den Medien vorher genannten Zahlen waren einfach lächerlich. Allein das Kamera-Team-Aufgebot um kurz nach eins vorm Riesenrad hätte für drei Folgen der Lindenstraße gereicht. Was haben die erwartet? Dass die Hansa Fans da oben im Kreis fahren und Bengalos runter schmeißen? Noch dazu, wo der Dom um die Uhrzeit noch nicht mal auf hatte?

Der Boykott der Südkurve
So, fertig machen zum „Auf mich einprügeln“. Ich stehe voll und ganz hinter USP und dem kompletten Absperren der Süd! Und zumindest die anderen beiden ÜS-Redakteure, mit denen ich heute Morgen schon sprechen konnte, schließen sich der Meinung an. So viel vorweg.
Die Fangruppierungen des Ständigen Fanausschusses hatten sich auf diverse Proteste verständigt, um u.a. auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass einige davon scheitern. Eine davon war, dass USP versuchen sollte, die Süd für fünf Minuten frei zu halten. Es war also keine „USP-Aktion“, sondern eine Aktion von mehreren aktiven Gruppen, die in diesem Fall eben von USP ausgeführt wurde. Und um es auch klar zu sagen: Es ging hier doch nicht um den persönlichen Seelenfrieden und den selbstgerechten Blick am Abend in den Spiegel, dass man selbst für sich boykottiert hat, sondern es ging um mediale Aufmerksamkeit… und genau die ist sowohl auf Sky, als auch beim DSF und auf N3 dadurch erreicht worden, dass die GESAMTE Stehplatzkurve des FC St.Pauli beim absoluten Saisonhighlight für fünf Minuten frei blieb. Gegen den „Hassgegner“, den FC Hansa Rostock!
Hätte es stattdessen eine windelweiche „Naja, wir boykottieren zwar, aber wer rein will, soll halt rein gehen…“ Aktion gegeben, wäre es wahrscheinlich nach und nach immer mehr aufgeweicht worden, weil Richtung Anpfiff immer mehr Leute reingegangen wären, frei nach dem Motto: „Ey, super Boykott… aber ich als Einzelperson bin ja nicht so wichtig, also kann ich auch eben mit rein. Einer mehr oder weniger fällt ja auch nicht so doll auf.“ Und Schwupps hätten eben nur noch 500 konsequente Leute draußen gestanden und die Aktion wäre verpufft.
Bleibt also entscheidend die Frage: Hat USP (bzw. die ebenfalls hinter dem Boykott stehenden Fangruppen) das Recht, die Zugänge zur Süd so abzuschotten, dass es den Leuten nicht gelingt auf ihre Plätz zu gelangen? Und wenn ja: Wie soll man reagieren, wenn Leute trotzdem auf ihre Plätze wollen, eingedenk der vorhergehenden Argumentation, dass nur ein „kompletter“ Boykott erstrebenswert ist?
Hier werden sich die Geister scheiden, ich persönlich beantworte die Frage nach dem „Dürfen sie das?“ aber eindeutig mit: Ja, dürfen sie. Es handelt sich um eine von Fans/Ultras selbst verwaltete Kurve, dies unterschreibt jeder Besucher dieser Stehplätze beim Erwerb der Saisonkarte… ob ihm dies gefällt oder nicht (und jetzt bitte nicht mit „Aber die Uralt-Südler haben noch Dauerkarten von vor dem Konzept…“ kommen, denn die jetzigen Unmutsäußerungen kommen bei weitem nicht nur von denen, wenn überhaupt). Genau jenes Konzept, mit dem sich der Verein gerne brüstet, welches auch einen guten Teil des „Non established“-Krams ausmacht und welches beim Verkauf der Business-Seats und Logen gerne auch nach vorne gestellt wird. Letzteres führt doch dazu (siehe ÜS Blog vom Logen-Besuch) dazu, dass „da oben“ die besser situierten Damen und Herren sitzen, die fasziniert auf das „merkwürdige Wesen Fußballfan“ herabblicken und entzückt jauchzen, wenn es sowas wie Wechselgesänge oder kollektives Hüpfen im Gleichklang gibt. Angestimmt von eben jenen Ultras, die unfassbar viele Aktionen durchführen, die den FC St.Pauli zu dem machen was er (noch) immer ist: Etwas anders. Ich will jetzt nicht alles aufführen, aber Projekte, die es Flüchtlingen ermöglichen, Spiele am Millerntor zu besuchen, oder das Engagement bei zahlreichen anderen Projekten, werden in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, weil USP es eben „wegen der Sache“ macht, und nicht um in der Öffentlichkeit gut dazustehen. Und um es auch noch einmal deutlich zu betonen: Es ging um fünf Minuten! Fünf Minuten, die man zu etwas ganz Besonderen hätte machen können, wenn man beispielweise die Bereiche unter und außerhalb der Süd dazu genutzt hätte, sich einzusingen. Stattdessen wurde geschubst und gedrängelt, um auf den eigenen Platz zu gelangen, an dem man ja sonst auch immer steht. Muss jeder für sich selbst entscheiden ob er da freiwillig zu bereit ist? Ja, normal schon. Aber gestern ging es eben um mehr, zumindest aus Sicht der Gruppen, die im Ständigen Fanausschuss zusammengeschlossen sind. Und nochmal: Es handelt sich um eine von Fans verwaltete Kurve, für die eben auch andere Regeln gelten als für den Besuch eines Kinos oder des Zoos oder einer 08/15 Tribüne bei Hoffenheim. Hierbei spielt aber sicher auch das Problem rein, dass eben viele dort nicht aus Überzeugung zur Ultrakurve stehen, sondern einfach in Ermangelung einer anderen Möglichkeit.
Ich gebe gerne zu, dass man hier unterschiedlicher Meinung sein kann, hätte mir hier aber eben nach dem ganzen Theater der letzten Wochen erhofft, dass die Solidarität der Fanszene untereinander greift und man bereit ist, auf diese fünf Minuten gemeinsam zu verzichten. Auf den zweiten Teil dieser Grundsatzfrage zurückkommend: Wenn man also der Meinung ist, sie dürfen und man will niemanden auf die Süd lassen… wie geht man dann mit Leuten um, die anderer Meinung sind? Es bleibt dann nur der Weg der kompletten Blockade, die muss man dann auch konsequent umsetzen, ohne gewalttätig zu werden. Letzteres war wohl auch so, zumindest haben die „Blockierer“ sich nur in den Weg gestellt. (Ich kann hier natürlich kein allumfassendes Urteil über die Situation an allen Eingängen abgeben, aber jeder, der hier behauptet ein USPler hätte Gewalt ausgeübt, möge sich dann bitte nochmal fragen, ob das zum einen wirklich so war und zum anderen wer denn damit angefangen hat) Und nochmal: Diese Blockade steht und fällt mit der Frage, ob es einer Fangruppierung wie USP erlaubt ist, die Blockade durchzuführen oder nicht… alles andere sind dann (leider) die Folgeerscheinungen.
Ein Satz noch zu den Sitzplätzen der Süd: Ja, auch diese waren zu großen Teilen davon betroffen. Und wenn ich es mir hätte persönlich aussuchen können, hätte ich die davon ausgenommen, weil hier vielleicht auch der unbescholtene Familienvater mit seinen drei Kindern erstmals am Millerntor auftauchen kann (theoretisch zumindest… praktisch nicht, wenn man sich die Kartenverteilung im Vorfeld in Erinnerung ruft). Allerdings scheiterte dies auch einfach an der praktischen Umsetzbarkeit, da Steh- und Sitzplätze die gleichen Zugänge haben, und nachdem diese verstopft waren, war eben auch keine Ausnahme mehr möglich.
Wenn man dann allerdings, wie in einer Hamburger Boulevard-Zeitung sinngemäß zu lesen ist, von „weinenden Kindern im beängstigenden Gedränge“ lesen muss, sollten sich auch die Eltern hierbei mal hinterfragen. Wer sich pro Tag auch nur zehn Sekunden mit dem FC St.Pauli beschäftigt, dem muss klar sein, dass ein Spiel gegen Hansa Rostock vielleicht sowieso schon nicht geeignet ist, sein Kind mitzunehmen. (Ich rede jetzt nicht von 17 jährigen Kindern, die werden aber auch eher nicht weinen.) Und wenn man sich nicht nur zehn Sekunden sondern eben auch drei Minuten vorher mit diesem Spiel beschäftigt hat, war klar, dass auch die Situation auf der Süd an diesem Tag eine besondere sein würde. Wer dann mit seinem Kind auf seinen Sitzplatz will, sollte recht schnell feststellen können, dass dies eben nicht geht… und dann wäre zumindest ich mit meinem Sohn wieder ein paar Meter zurückgegangen, hätte ihm die Situation erläutert und nichts wäre passiert. Das dies problemlos möglich gewesen wäre, habe ich mit eigenen Augen gesehen, denn zum Anpfiff war die Treppe von der Gegengeraden hinauf zur Süd zwar gut gefüllt, aber eben auch völlig entspannt und ohne jedes Gedränge. Gleiches gilt für den Eingangsbereich, wo sich das Fanladen-Büro befindet, wo auch einer Frau mit Platzangst problemlos geholfen werden konnte, indem man sie in das Büro ließ. Wer es hier also nicht auf Konfrontation anlegte, konnte sich ihr auch problemlos entziehen. Und ich wiederhole mich gerne: Es ging hier um mehr, als um fünf Minuten Zweitligafußball… diese Einschätzung kann man teilen oder eben auch nicht, aber wenn ich in dieser Kurve stehe, muss ich mit solchen Protestaktionen rechnen. Und wenn ich sie auch selbst nicht teile, darf ich sie eben zumindest auch nicht sabotieren, sondern muss sie (wenn auch in mich rein grummelnd) mit- und ertragen.

Sonstige Proteste
Dementsprechend gab es nach den fünf Minuten eben auch „Scheiß USP!“ Rufe, mehrheitlich von den Sitzplätzen der Süd. Wie gesagt, ich kann deren Unmut zum Teil nachvollziehen, nur fallen dann eben fiese „fünf nicht gesehenen Minuten“ für mich unter den unschönen Begriff des Kollateralschadens, auch hierfür stehe ich zur Steinigung nach Terminabsprache gerne bereit.
Das USP aber mit seiner Meinung bei weitem nicht alleine steht, zeigten die restlichen Proteste in Form von Tapeten. Ich bekomme sie nicht mal mehr annähernd alle zusammen und hab leider auch vergessen, die besten mitzuschreiben, daher nur meine beiden Highlight: „Auch Arschlöcher haben Rechte!“ und „CL + Ahlhaus: If the kids are united!“ Großartig, traf mein Humorzentrum. Gegenteilige Tapeten gab es übrigens nicht, nur fürs Protokoll.

Die Stimmung
Auch hier muss man USP zugestehen, alles richtig gemacht zu haben. Der ÜS hatte sich auf seinem Flyer ja dafür ausgesprochen, vom akustischen Support her alles zu geben, um die Mannschaft nach vorne zu peitschen. USP hatte frühzeitig erklärt, dies natürlich nicht zu sabotieren, aber eben keinen organisierten Support zu machen. Will sagen: Keine Fahnen, keine Trommeln, keine Vorsänger… also quasi ein Paradies für all diejenigen, die USP immer das Übliche „Lalala“ vorwerfen. Und das wohlgemerkt bei DEM Spiel der Saison! Das Derby gegen Hansa, die Chance uns nach oben zu schießen und die Kogge zu versenken!
Und was passiert? Teilweise eine Stimmung wie bei der A-Jugend vom VSK Osterholz-Scharmbeck gegen Atlas Delmenhorst, komplettes Versagen der restlichen Besucher. Okayokay, natürlich gab es Gesänge und Anfeuerungen, aber das hielt sich doch alles sehr in Grenzen und passte viel eher zu nem lauen Sommerkick als zum eingangs beschriebenen Szenario, bei dem das Millerntor eigentlich hätte komplett brennen müssen! Wenn schon bei so einem Spiel, noch dazu nach den beiden roten Karten nur so wenig Stimmung bei rüber kommt, wie sollte das denn erst beim trüben Ligaalltag sein? Unvorstellbar. Und wohl gemerkt: USP hat ja nicht die Stimmung boykottiert, sondern bei Gesängen sehr wohl mitgemacht und teilweise auch eigenes gestartet… nur eben nicht so wie sonst. Und sonst meckern ja auch immer alle.

Fazit:
Das Kind liegt im Brunnen, und zweifelsohne ist gestern einiges in der Fanszene zerbrochen. Allerdings hat für mich nicht USP die Schuld an dem Bruch und das Kind liegt da auch schon einige Wochen, wenn nicht gar Monate.
Bis zu diesen Fronten war es ein langer Weg, an dem sicher viele Seiten ihre Schuld tragen. Und natürlich ist auch USP nicht völlig schuldlos, vielleicht hätte man vorher auch in der Kommunikation etwas anders lösen können. Nur die gestrige Situation entzündet sich eben an der Frage, ob alle Stehplatzbesucher das Konzept der Süd mittragen, oder eben nicht. So hart es klingt, aber der Verein und seine Fanszene stehen vor einer schwierigen Phase, die entscheiden wird, wie „non established“ wir wirklich sind, und wie lange dieser Verein noch von sich behaupten kann, „anders“ zu sein. Sollte der Verein tatsächlich Konsequenzen gegen USP aus den gestrigen Vorfällen ziehen, wäre für mich der Bruch mit diesem Präsidium noch stärker, als er nach den Lügen und Halbwahrheiten in persönlichen Gesprächen der letzten Wochen eh schon ist. Dummerweise werden einige es genau umgekehrt sehen und Konsequenzen gegen USP fordern bzw. haben dies bereits getan… und die Frage wird sein, welche Seite hier im Recht ist. Und damit meine ich nicht die juristische Seite, sondern die moralische. Und eben diese wird sich nur schwer beweisen lassen. Mir fehlt der Lösungsansatz, wie die verhärteten Fronten aufgeweicht werden können… die gestrigen Vorfälle haben diese sicherlich weiter verhärtet, nur liegt der Grund dafür eben nicht (alleinig) bei USP, sondern auch bei den anderen Gruppen, die diesen Protest mitgetragen haben und auf der anderen Seite bei denen, die diesen Protest eben nicht mitgetragen haben. // Frodo

P.S. Wer USPler als „Nazischwein“, „Fotze“ oder ähnliches bezeichnet, hat damit dann auch schon genug über sich selbst preis gegeben, da geh ich gar nicht mehr drauf ein.

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