Nach Gelsenkirchen blickt: Carsten
Früher gab es mal eine Zeit, da sind wir im Sonderzug unter einem Motto in den letzten auswärtigen Spieltag gefahren, bei dem es meist um nichts mehr ging als ihn gebührend zu begehen und die Fanszene zu animieren. Erinnert sich noch jemand an den letzten Cowboy in Gütersloh, die Friedensfahrt nach Oberhausen oder das abfeiern des hässlichsten Trikots in Bochum? Sind wir ehrlich: Es geht auf Schalke eigentlich auch um nichts mehr. Wenn man sich den Verlauf der Rückrunde anschaut, die mediale Berichterstattung und die Unruhe im Vereinsumfeld sowie der Ausbruch von Covid-19 im Team, dann kann man von Glück sprechen, dass man die Hinrunde so eklatant gut performt hat. Ich gehe davon aus, wir fahren nach Schalke, bekommen 5:0 auf den Hintern und dürfen gefrustet und von der NRW Polizei schikaniert die Heimreise antreten. Also warum nicht dann doch eine Mottofahrt?
Zwar spricht die Statistik in Liga 2 für uns: Ein Spiel, ein Sieg, aber dann geht es auch schwer bergab. Wir haben, und das ist kein Witz, noch nie einen mickrigen Punkt in Gelsenkirchen geholt, das letzte Tor für die Kiezkicker auf Schalke fiel 1978 bei der 4:1 Niederlage im damaligen Parkstadion. Damit ihr eine Vorstellung habt wie lange das her ist: Für Schalke traf unter anderem Vereinslegende Klaus Fischer und für die Boys in brown Franz Gerber. Ansonsten, Schicht im Schacht. Kein weiteres Tor, und Klaus Fischer ist auch nicht der Biathlet, der einige Jahre später dem eigentlichen Zweck dieser Halle huldigte und dort seine Runden im Schnee zog.
Und während ich unsere ausbaufähige Statistik auf Schalke mit meinen Mittelfingern tippe, fällt das 5:0 für Darmstadt gegen Aue.
Ich bin mir sehr sicher, auch Aue hätten wir mit der aktuellen Form nicht geschlagen. Schalke fing sich nach dem Ausrutscher gegen Bremen und schoss in Sandhausen in letzter Sekunde den Siegtreffer. Andere, mir nicht ganz unbekannte Mannschaften, bekommen in letzter Sekunde dort halt den Gegentreffer. Und das macht eigentlich das komplette Dilemma sichtbar, es hapert am Willen, zumindest sieht das von außen so aus. Was noch auffällt, Schalke ist natürlich als klarer Favorit der Liga ins Rennen gegangen, aber das erste Mal seit gefühlt 50 Jahren haben sie im Frühling 22 den richtigen Trainerwechsel vollzogen und mit Mike Büskens eine interne Lösung gefunden der als wahres Emotionsmonster fungiert. Ich will nicht falsch verstanden werden, Timo Schulz soll natürlich nicht seinen Job räumen, aber dieser emotionale Kick, diese Wendung, die fehlt uns.
Natürlich, wir haben sicherlich eine gute Saison gespielt, haben im Pokal gefühlt diesen auch in der Hand gehabt, St. Pauli ist mehr als Fußball etc. etc. etc. Trotzdem: es ist ein Sport, und grundsätzlich will ich hier schon auch gewinnen. Natürlich ist das bei uns ein anderer Faktor, aber wenn die Chance besteht, dann ist es mehr als ärgerlich wenn diese derart verschenkt wird. Es nervt sogar ziemlich. Gerade weil es eben nicht alltäglich ist, die komplette Liga in der Hinrunde in Grund und Boden zu spielen.
Ich hoffe aus der Fin Ole Becker Geschichte, was Vertrag und sportliche Leistung im letzten Vertragsjahr angeht, wurden entsprechende Lehren gezogen, und dann greifen wir nächstes Jahr nochmals an.
Trotzdem noch ein Wort zu unseren Medien und auch Spielern: was stimmt eigentlich bei (manchen von) euch nicht? Wir kommen alle, falls nicht möge man mich korrigieren, aus einer zweijährigen Pandemie, die es zwar laut Papier nicht mehr geben mag, die aber mit Pech und zur großen Überraschung aller uns im Herbst erneut, mutiert, mit voller Wucht treffen kann. Hinzu kommt aktuell eine Inflation, wie sie es seit 40 Jahren nicht mehr gegeben hat – und darüber thront die Atomkriegsangst. Ich bin froh darum, dass wir dunkle Tage der drohenden Insolvenz hinter uns haben und wir mit unserer sportlichen Führung Leute innehaben, die eben mal nicht das wenig Geld per Gießkanne verteilen. Das jeder sich um seinen auslaufenden Vertrag sorgt, ist verständlich, eure Jobs sind aber keinen Deut mehr wert als die Jobs der Millionen Menschen die 2 Jahre um ihren Arbeitsplatz und das damit im Einklang stehende finanzielle Desaster gebangt haben. Wenn man ehrlich ist: Profi in der zweiten Bundesliga zu sein ist schon privilegiert, ihr durftet auch 2 Jahre diesen Beruf weiter ausüben. In dem Verein FCSP gehen auch andere Menschen ihrem Beruf nach, eine Konsolidierung des Profikaders und Anpassung an die aktuelle Lage ist Pflicht. Alles andere wäre fahrlässig. Dies als Ausrede für den spielerischen Abstieg zu nutzen ist billig. Finanzielles Burnout? Wie bringe ich den Bogen nun bloß auf unseren nächsten Gegner auswärts?
Nun also nochmals auswärts auf Schalke: Der selbsternannte Kumpelverein spielt seit geraumer Zeit in einer Multifunktionsturnhalle, bei der das Dach bei schlechtem Wetter geschlossen werden kann, damit der „Arbeiter“ nicht nass wird. Zu jedem Heimspiel wird das Steiger Lied inbrünstig geschmettert um dann sein Getränk mit der digitalen Knappenkarte zu begleichen. Gut, Schalke ist sicherlich nicht der einzige Verein der mit dem Klischee aus alter Zeit spielt, aber Schalke ist sicherlich einer der Vereine bei denen es überhaupt nicht mehr passt. Man sagt zwar immer noch „auf Schalke“, danach hört es aber auch schon auf. „Auf Schalke“ stammt übrigens aus der Redensart, man arbeitete auch „auf“ einer Zeche und nicht „in“ einer Zeche. Da Schalke jahrelang fußballerisch für Arbeit stand, bürgerte sich diese Redensart ein.
Fragt mal bei Herrn Uth nach, wie er so die letzten Jahre bei diesem „etwas anderem“ Malocherverein verbracht hat. Leider zieht sich in der aktiven Fanszene des S04 der Trend der größeren Vereine durch die Fanscharen. Da wo man sich mit der ominösen Tradition brüstet, ist auch eine recht große Anzahl von selbsternannten Traditionswächtern involviert, die gerne mal Spieler über den Parkplatz jagen, auf „Zeckenjagd“ sind oder mit „Politik und Sport muss getrennt werden“ um die Ecke kommen. Was ich allerdings wirklich beeindruckend fand: Schalke war trotz finanziellem Druck mit einer der ersten Vereine, der sich im Ukrainekrieg positioniert und seinen Hauptsponsor vor die Tür gesetzt hat. Da gibt es ganz andere Unternehmen, die sich in näherer Umgebung lediglich um ihren Aktienkurs Sorgen machen. Ich nenne es dann auch beim Namen: Henkel ist ein Pissunternehmen!
Fernab des Stadions: die Zeche Zollverein (ein paar Meter weiter in Essen) gehört zum Weltkulturerbe der UNESCO, und zwar völlig verdient. Ich kann jedem kulturinteressiertem Menschen wärmstens empfehlen, hier eine Führung zu buchen und die Zeche zu erleben. Interessant, kurzweilig und erstaunlich. Ruhrpottromatik trifft hier Kunst, Kultur und Geschichte. Vom Turm aus kann man in der Ferne die Spielstätte des S04 erkennen. Bei unserer Statistik in Gelsenkirchen ggf. die bessere Alternative.
Übrigens sieht man vom Doppelbock der Zeche Zollverein sehr gut: Das neue Stadion liegt gar nicht mehr im Stadtteil Schalke, sondern in Erle.
Bonuspunkte für alle die wissen, wo der Name Schalke eigentlich her kommt. Dieser hat sich im Laufe der Jahre so eingebürgert und hieß wahrscheinlich früher so viel wie „Siedlung am schädelförmigen Ort“. Nach der Eingliederung von Schalke in die Stadt Gelsenkirchen um 1903 gründete sich 1904 der FC Westfalia Schalke. Nach Fusion mit dem Turn- und Sportverein aus Gelsenkirchen und nach der damaligen „Rheinischen Scheidung“ nach der keine moderne Sportarten unter einem Dach der Turner verweilen durften, gaben sich die Fußballer den heutigen Namen FC Schalke 04 und änderten ihre Vereinsfarben in blau weiß. (Vorher rot und gelb.)
Der FC Schalke ist kein Neuling in Liga 2, schon einige Male ging der Verein aus dem Ruhrgebiet den Weg in die Zweitklassigkeit. Beim letzten Aufstieg strich der damalige Mannschaftsbetreuer „Charly“ Neumann den Gelsenkirchener Hauptbahnhof blau und weiß an, zumindest so lange, bis er deswegen verhaftet wurde.
Ich bin ja kein Freund von Maskottchen, ganz im Gegenteil, und auch das des FC Schalke ist wahnsinnig hässlich. Aber die Aktion im Derby 2017, in dem „Erwin“ dem Schiedsrichter Zwayer (hätte es wer anderes sein können?) die rote Karte zeigt, war schon witzig.
Uwe Ochsenknecht, Ralf Richter und Co. hatten in den Neunzigern eine gute Nase mit dem Film „Fußball ist unser Leben“ über einen Schalker Fußballprofi, der zu viel Geld verdiente und dafür kaum Leistung zeigte. Guckt man sich die Transfershistorie der letzten Jahre bzw. Jahrzehnte an, man könnte meinen, der Verein hat sich diesem Film verschrieben. Albert Streit, Minerio, Sidney Sam, Franco di Santo, Ali Karimi, Carlos Grossmüller oder Jurado (11 Mio Ablöse von Ateletico Madrid) oder auch Ibisevic im letzten Jahr. Namen bei denen jeder Schalker Schluckauf bekommen müsste. Bei einigen von diesen Namen musste ich beim tippen gerade wirklich ein wenig schmunzeln 😊
Einfach klasse Schreibe Fußball Politik und Geschichte gut zusammen gebracht!
Dankeschön